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Timaios

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Platon (l.) mit dem Timaios in der Hand und Aristoteles, der die Nikomachische Ethik hält. Ausschnitt aus: Raffaels Die Schule von Athen (1510-1511) Fresco in der Stanza della Segnatura (Vatikan).

Der Timaios (gr. Τίμαιος, auch περὶ φύσεως[1] - „Über die Natur“ genannt) ist ein um 360 v. Chr. verfasstes theoretisches Spätwerk des griechischen Philosophen Platon, das aus theologischer, metaphysischer und teleologischer Sicht die Erschaffung und Gestaltung des Universums durch einen göttlichen Schöpfer, den Demiurgen, beschreibt. Die Thematik des Dialogs beschäfigt sich vorwiegend mit naturphilosophischen, kosmologischen, physiologischen Fragestellungen.

Zusammen mit dem fragmentarisch erhaltenen Kritias und dem geplanten, jedoch niemals tatsächlich geschriebenen Hermokrates war der Timaios vermutlich als Teil einer Trilogie gedacht,[2] welche neben der naturphilosophischen Thematik des Timaios und der Menschheitsgeschichte im Kritias wahrscheinlich auch die Beschreibung des Werdegangs zum Idealstaates im Hermokrates umfassen hätte sollen.[3] In kürzerer Form als im Kritias erwähnt der Timaios auch den Kampf zwischen dem archaischen Athen und der Insel Atlantis und stellt somit einen staatsutopischen Ausblick auf den platonischen Mythos des Folgewerks her. Aufgrund dieser inhaltlicher Überschneidungen mit dem Kritias spricht man in der Forschung häufig zusammenfassend von Timaios-Kritias.[4]

Dialogsituation

Die auftretende Hauptperson

Zur möglichen historischen Person siehe: Timaios von Lokri

Wie im Kritias stellt auch der Timaios ein fiktives Gespräch zwischen Sokrates, Timaios von Lokri, Kritias und Hermokrates dar. Der Dialog grenzt sich von Platons früheren Werken dadurch ab, dass er nach einem kurzen dialogischen Vorgespräch, welches schemenhaft den Idealstaat der Politeia resümiert, als fast ununterbrochener Monolog der Hauptfigur des Astronomen Timaios geschrieben ist.[5]

Im Gegensatz zu den anderen Hauptfiguren von Timaios-Kritias kann für Timaios von Lokri nicht sicher eine historisch authentische Existenz nachgewiesen werden, zumal keine schriftlichen Werke dieser Person oder Erwähnungen durch Zeitgenossen bekannt sind und Timaios somit ausschließlich in den platonischen Dialogen literarisch belegt ist, wo er aufgrund seiner politischen und philosophischen Errungenschaften Erwähnung findet.[6] Alle Quellen, die ihn als Phythagoreer bezeichnen, sind später zu datieren und nehmen Bezug auf Platons Version.[7] Man nimmt in der Forschung daher an, dass Timaios eine von Platon fingierte Figur ist, die nach der Vorlage verschiedener historischer Personen konzipiert wurde, um als Phythagoreer in den thematischen Kontext des Timaios zu passen.[8] Eine der Personen, die als Vorlage für Timaios von Lokri gedient haben könnten, ist Archytas von Tarent (* 428 v. Chr.; † 347 v. Chr.), mit dem Platon befreundet war, der aber - ohne einen Anachronismus eingehen zu müssen - als Dialogpartner nicht in Frage gekommen wäre, da er zum fiktive Zeitpunkt des Gesprächs noch ein Kind war.[9]

Der Prolog

Nach Platons Angaben findet der fiktive Dialog an den kleinen Panathenäen einen Tag nach einem weiteren Gespräch statt, bei dem Sokrates sein Modell des Idealstaates präsentiert hätte.[10] Dabei knüpft die Dialogsituation von Timaios-Kritias nicht chronologisch, sondern lediglich inhaltlich an die Politeia an, deren Vortrag am Festtag zu Ehren der thrakischen Göttin Bendis stattfand. Auf die Begrüßung der Dialogteilnehmer Sokrates, Timaios, Kritias und Hermokrates folgt eine kurze Rekapitulation der Kernpunkte dieses Idealstaates, welche im Wesentlichen den äußeren Staatsaufbau in Bezug auf dessen ständestaatliche Gesellschaftsordnung, Erziehung und Lebensweise der Wächter umreißt: Timaios fasst zusammen, wie die Bevölkerung nach spezifischen individuellen Veranlagungen (κατὰ φύσιν) in Handwerker, Wächter und Herrscher (δημιουργοί - φύλακες - ἄρχοντες) separiert werden müsse, wobei die Einrichtung des Wehrstandes mit besonderem Augenmerk bedacht wird. Dessen innere Egalität, der Verzicht auf Privateigentum, die Frauen- und Kindergemeinschaft, die eugenischen Maßnahmen zur strengen sozialen Segregation des Nachwuchses wie auch die Abgeschlossenheit nach außen hin bringe die Herrschaftselite der archontes hervor.[11] Dabei werden die Erziehung des Wächterstandes als Vorbereitung auf dieses Amt und die „Schau der Idee des Guten“ - trotz der Bedeutung in der Politeia - in der Timaios-Einleitung nicht erwähnt werden.[12]

Auf die staatsphilosophische Zusammenfassung des Timaios erwidert Sokrates, dass er sich eine paradigmatische Umsetzung dieses Modells wünsche, um in einem Gedankenexperiment die Funktionsfähigkeit seines Idealstaates nachzuweisen. „Denn gern wohl möchte ich etwa jemandem zuhören, wenn er erzählt, wie unser Staat die Wettkämpfe, die ein Staat zu bestehen hat, mit anderen Staaten austrägt und wie er in geziemender Weise in den Krieg eintritt [...].“[13] Hermokrates will Sokrates' Wunsch nachkommen und erwähnt, dass Kritias auf dem Heimweg vom gestrigen Gespräch eine „Sage aus alter Überlieferung“ eingefallen wäre, welche „auf geheimnisvolle Weise durch eine Art Zufall“ zu dem eben rekapitulierten Staatsmodell passe.[14] Kritias gibt darauf in bewusster Angleichung an die Thematik des Prologs einen kurzen Überblick über den Kampf zwischen dem - im Sinne der platonischen Staatsphilosophie - idealen Ur-Athen und der später versunkenen Insel Atlantis neuntausend Jahre vor dem Zeitpunkt des Dialogs.[15]

Der Atlantis-Exkurs

Kritias berichtet gewissermaßen als Ausblick auf den nach ihm benannten Dialog Kritias in einem Exkurs von der Seemacht Atlantis, die ausgehend von ihrer „jenseits der Säulen des Herakles“ gelegenen Hauptinsel große Teile Europas und Afrikas unterworfen habe. Nach einem gescheiterten Angriff auf Athen sei Atlantis schließlich um 9600 v. Chr. in Folge einer Naturkatastrophe innerhalb „eines einzigen Tages und einer unglückseligen Nacht“ untergegangen. Dabei stützt sich Kritias auf eine „gar seltsame, aber durchaus wahre Sage“, welche dem griechischen Lyriker und Staatsmann Solon (* um 640 v. Chr., † um 560 v. Chr.) auf seiner Ägyptenreise von einem Priester im Heiligtum von Sais anvertraut wurde. Solon gab die Überlieferung an Kritias den Älteren, dieser wiederum an seinen Enkel Kritias den Jüngeren weiter, welcher nun als Redner des platonischen Dialogs auftritt.[16]

Kritias legt schließlich die Reihenfolge der einzelnen Vorträge fest: Timaios solle mit seiner Rede über die „Entstehung der Welt“ bis zum „Ursprung des Menschen“ beginnen, worauf Kritias anschließend den Schwerpunkt der Staatsphilosophie am Beispiel des Atlantis-Mythos aufgreifen und Hermokrates seinerseits die Trilogie abschließen würde.[17]

Daraufhin eröffnet Timaios mit einem Götteranruf seinen Vortrag über Kosmologie. Inwieweit die Darstellung der Welterschaffung durch einen Demiurgen wörtlich zu nehmen ist - also ob nach Platons Meinung die Welt wirklich im zeitlichen Sinne nach und nach entstand und ob dies tatsächlich durch die Lenkung eines personalen Gottes geschah - ist in der Forschung umstritten.

Inhalt und Konzeption

Die Natur der physikalischen Welt

Timaios beginnt seinen Vortrag mit der Unterscheidung zwischen dem Werdenden (τὸ γιγνόμενον) und dem Seienden (τὸ ὄν), also dem Gegensatz der physikalischen Welt und den ewigen Prinzipien. Die sichtbare Natur ist dabei durch „Meinung“ und „vernunftlose Wahrnehmung“ fassbar und dem Werdenden zuzurechnen, während die Welt der Ideen, die als ewige Urformen dem Bereich des Seienden angehören, nur dem Denken offen steht.

Dabei ist jeder Vortrag über die beiden unterschiedlichen Bereiche von der jeweiligen Natur ihrer Objekte bedingt: Spricht man also „vom Bleibenden und Festen und von dem, was sich durch die Einsicht erhellen lässt, da sollen es auch bleibende und unumstößliche Worte sein (...).“[18] Da die physikalische Welt aber nur als eine Art Abbild Anteil am Seienden hat, kann auch die Rede darüber nur einen bildhaften oder gleichnisähnlichen Charakter annehmen; der direkte Zugang zur Ideenwelt bleibt ihr verschlossen. Daher ist ein diesbezüglicher Vortrag nicht mit der Wahrheit des Seienden identisch, sondern kann nur „wahrscheinlich“ sein (εἴκος λόγος); denn „wie zum Werden das Sein, so verhält sich zum Glauben die Wahrheit.“[19]

Da alles Werdende als das Resultat einer Ursache zu sehen ist, postuliert Timaios, dass ein Demiurg (gr. „Handwerker“) alles Werdende gewissermaßen als Vater des Universums erschaffen haben muss. Aufgrund der Schönheit und vernunftgemäßen Ordnung des Kosmos folgert Timaios, dem Schöpfergött müsse die Ideenwelt als Vorbild gedient haben. Denn „überall nun, wo der Schöpfer jeweils auf das hinblickt, was mit sich selbst identisch ist, indem er etwas Derartiges als Vorbild verwendet und danach den Gehalt seines Werkes nachschafft, da muss notwendig alles schön sein, was auf diese Weise zustande kommt.“[20]

Die Erschaffung des Kosmos

William Blakes The Ancient of Days (1794)

Timaios fährt mit der Beschreibung der Genesis fort, welche als die göttliche Fertigung des Demiurgen beschrieben wird. Gütig und neidlos war der Demiurg bestrebt, die bestmögliche Weltordnung nach dem Vorbild der Ideen aus dem ursprünglichen Chaos zu schaffen. Dabei ordnete er „alles, was sichtbar war und nicht in Ruhe verharrte, sondern sich reglos und ungeordnet bewegte, und brachte es aus der Unordnung zur Ordnung, weil er meinte, dass die Ordnung auf jeden Fall besser sei als die Unordnung.“[21] Aus dem formlosen und unkontrolliert bewegten Chaos der Elemente, das sich für Platon als ein Mangel an homogener Ordnung charakterisiert, geht der geordnete Kosmos hervor, welcher der göttlichen Vorstellung von Schönheit entspricht.

Da sich Schönheit in Vernunft ausdrückt und Vernunft in einer Seele eingebettet sein muss, verlieh der Demiurg der Seele Vernunft und setzte diese der Materie ein, woraus der Kosmos als „beseeltes und vernünftiges Wesen“ hervorging.[22] Diese kosmische Schönheit wäre nicht perfekt, wenn es mehrere Welten gäbe und der bekannte Kosmos nur als Teil, nicht als ein unvergleichliches Unikum existieren würde. Daher erschuf der Demiurg nur eine singuläre Welt.[23]

Der physikalische Anteil des Kosmos entspricht dabei dem göttlichen Streben nach Proportionen: Aus den Elementen Feuer und Erde für das Sichtbare bzw. das Tastbare erschuf der Demiurg nach Platon die Welt und verband sie als entgegen gesetzte Bindeglieder mit Wasser und Luft, woraus sich der dreidimensionale Raum ergibt: „Deswegen also und mit Hilfe dieser Elemente und ihrer Vierzahl wurde der Leib der Welt geschaffen; dank der Proportion stand er mit sich selbst im Einklang und es ergab sich daraus eine solche Befreundetheit (seiner Teile), dass er zu einer homogenen Einheit zusammnwuchs.“[24]

Im Streben nach Harmonie wurde die Welt in Kugelform „als ein vollständiges Ganzes“ erschaffen und in Rotation versetzt. Dem Körper des Kosmos setzte der Demiurg die vernunftbegabte Seele ein, welche in der ganzen Schöpfung verteilt Ausdruck der Schönheit des Erschaffenen ist und den Kosmos selbst zur „glückseligen Gottheit“ macht.[25]

Die Erschaffung der Weltseele

Der materielle Körper des Kosmos (σώμα) ist mit der Weltseele (ψυχή) immanent verbunden und ähnelt dabei der dualistischen Vorstellung von Leib und Seele des Menschen. Dabei erschuf der Demiurg die Weltseele zeitlich vor dem Körper und ordnete sie diesem als „Gebieterin“ und „Herrscherin“ hierarchisch über.[26] Bestehend aus den Prinzipien des Selben (τὸ ἀυτόν) und des Verschiedenen (τὸ ἕτερον) als Ausdruck von Vernunft bzw. Unordnung wurde die Weltseele mit einer „dritten Wesenheit“ verbunden, welche der Demiurg aus beiden Prinzipien mischte. Die entstehende Masse teilte der Schöpfer nach präzisen mathematischen Verhältnissen, die an pythagoreische Zahlenspekulationen erinnern und von diesen auch inspiriert worden sein könnten.[27]

Diese Grundsubstanz zerschnitt der Demiurg anschließend der Länge nach und verband die beiden entstehenden Bänder an einem zentralen Knotenpunkt in Form des Buchstaben X (Chi). Die Enden der beiden Stränge verschmolz er miteinander, sodass zwei sich schneidende Kreise entstanden. Außerdem versetzte er beide Kreise in Rotation um ihre jeweilige Achse: Dem äußeren Kreis wies er den Bereich des Selben zu und ließ in horizontal nach rechts rotieren, während sich der innere Kreis als Bereich des Verschiedenen diagonal nach links zu bewegen begann.[28] Dabei erhielt der äußere Kreis größere Kraft und blieb ungeteilt, während der innere in sieben ungleiche Kreise mit unterschiedlichen Rotationsrichtungen und -geschwindigkeiten unterteilt wurde.[29] Diese Unterteilung in zwei gegenläufige Kreise erklärt nach Platon auch die kosmologische Organisation des Universums: Als göttliche Wesen werden die Kreise im Bereich des Verschiedenen mit den Himmelskörpern Sonne, Venus, Merkur, dem Mond, Mars, Jupiter und Saturn besetzt und dienen als kalendarische Zeitgeber.[30] Die Fixsterne markieren Tag und Nacht, der Mond das Monat und die Sonne ein Jahr. Die Zeit selbst wurde nach Platon zusammen mit den Bewegungen der Himmelskörper als „Abbild der Ewigkeit“ geschaffen. Abschließend verband der Demiurg Körper und Seele des Kosmos, indem er vom Zentrum aus die unsichtbare Seele in allen Teilen der sichtbaren Materie verteilte und diese damit einhüllte.[31]

Platon überträgt nun die physikalischen Gesetzmäßigkeiten der kosmischen Bewegung auch auf die menschliche Erkenntnis: Tritt die Seele mit Objekten der Wahrnehmung in Kontakt, versetzt dies den Kreis des Verschiedenen in Rotation, woraus „Überzeugungen“ und „Meinungen“ entstehen. Stößt der Intellekt aber „umgekehrt auf das Denkbare und der Kreis des Selben verläuft dabei richtig und gibt diese Kunde, so kommen mit Notwendigkeit Einsicht und Wissen zustande.“[32]

Die Erschaffung von Mensch, Lebewesen und Materie

Zur Belebung des Kosmos teilte der Demiurg nach Platons Timaios den Himmelskörpern zunächst die - nun minderwertigen - Überreste der Weltseele zu und schuf aus Feuer andere Götter, die er nach seinem Vorbild anwies, Lebewesen wie auch den Menschen aus den vier Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft zu gestalten. In einem periodischen Zyklus werden nach der Vorstellung Platons die ewigen Seelen in physischen Körpern inkarniert und kehren nach dem materiellen Tod zu den ursprünglichen Himmelskörpern zurück. Ein untugendhaftes Leben führt nach dieser Auffassung dazu, dass die Seele bei einer späteren Inkarnation in Gestalt einer Frau oder eines Tieres wiedergeboren wird.[33] Durch die Fesselung der wandernden Seele an einen Körper und die physischen Bewegungen werden die kognitiven Fähigkeiten des Menschen beeinträchtigt; erst durch Nahrung und Erziehung erreicht er wieder Zugang zu seinem Intellekt.

Tetraeder - Feuer Oktaeder - Luft Ikosaeder - Wasser Dodekaeder - Kosmos Würfel - Erde

Zentraler Bestandteil der platonischen Naturphilosophie ist auch die Lehre von den vier Elementen (τὰ στοιχεῖα) Erde, Feuer, Wasser und Luft, aus denen anorganische und organische Objekte des Kosmos dem Timaios zufolge zusammengesetzt sind. Platon lässt Timaios referieren, dass der Demiurg jeweils der kleinsten Struktur eines Elements eine bestimmte geometrische Form (Platonische Körper) zuwies: dem Feuer das Tetraeder, der Luft das Oktaeder, dem Wasser das Ikosaeder, der Erde den Würfel und dem gesamten All das Dodekaeder.[34] Jedes der ersten drei Polyeder wiederum besteht entweder aus gleichschenkeligen orthogonalen Dreiecken mit der Winkelanordnung 45°-90°-45° und dem Seitenverhältnis 1:√2:1 oder ungleichschenkeligen orthogonalen Dreiecken mit der Winkelanordnung 30°-90°-60° und dem Seitenverhältnis 1:2:√3. Basierend auf ihrer geometrischen Verwandtschaft begründet Timaios auch die Interaktion der Elemente: Demzufolge können die atomähnlichen Körper der Elemente Feuer, Luft und Wasser durch Zusammenstöße gespalten und entsprechend der Anzahl und geometrischen Eigenschaft der beteiligten Dreiecke wieder kombiniert werden: So wandeln sich z.B. zwei Feuer-Körperchen in Luft oder zwei Luft-Teilchen in vier Bestandteile Feuer um.[35] Die Erde, als einziges Element in Würfelform, kann demnach nicht interagieren oder sich transformieren. Die sinnlich wahrnehmbaren Unterschieden in den Qualitäten realer Objekte - vereinfacht gesprochen z.B. Helligkeit, Intensität und Hitze des Feuers - führt Timaios auf verschiedene Größen und Zusammensetzungen der Element-Körperchen zurück, um die kosmische Vielfalt zu erklären.

Kommentare

Den ersten Kommentar zum Timaios schrieb der antike Philosoph Krantor von Soloi († 276 oder 275 v. Chr.), der jedoch lediglich fragmentarisch im Timaios-Kommentar des Neuplatonikers und Neupythagoreers Proklos aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. erhalten blieb. Krantor betont vor allem hinsichtlich der platonischen Kosmologie die Zeitlosigkeit der Seinsordnung. Dass Platon im Timaios den Kosmos als eine vom Demiurgen geschaffene Ordnung beschreibt, die von der zeitlichen Dimension abhängt, ist nach Krantors Auffassung nicht wörtlich als zeitliches Nacheinander zu verstehen, sondern vielmehr als mythische-didaktische Illustration der Abhängigkeit des Bewirkten vom Verursacher.

Die Erzählung von Atlantis, die Platon im Timaios kurz eröffnet, hielt Krantor für eine geschichtliche Tatsache, für die er als einer der Ersten über Platons Angaben hinausgehende historische Beweise suchte. Krantor behauptet, auf Stelen im ägyptischen Sais, aus dem die Atlantis-Erzählung laut Platon ursprünglich stammen solle, Aufzeichnungen entdeckt zu haben, welche dies bestätigen würden.[36] Die Existenz derartiger epigraphischer Belege wird jedoch gemeinhin bezweifelt; dennoch ist die Meinung Krantors ein Beweis für eine frühe Diskussion um Fiktion oder Realität der Atlantis-Erzählung.[37]

Der Neuplatoniker Proklos Diadochos (* um 410; † 485) verfasste ebenfalls einen Timaios-Kommentar, worin die platonische Gedankenwelt - ähnlich wie bei seinen Kommentaren zu Alkibiades, Kratylos, Parmenides und der Politeia - im Sinne der eigenen Hermeneutik interpretiert wird. In Bezug auf den Atlantis-Mythos beispielsweise zitiert Proklos auch Krantor und erstellt eine Übersicht verschiedener neuplatonischer Interpretationsansätze.

Literatur

Editionen und Übersetzungen

  • Hieronymus Müller und Friedrich Schleiermacher: Werke in acht Bänden, Bd. 7 (Timaios, Kritias, Philebos)
  • Rudolf Rehn und Thomas Paulsen: Timaios, Reclam Universal-Bibliothek, Bd. 18285. ISBN 3-15-018285-9

Sekundärliteratur

  • Gernot Böhme: Klassiker der Naturphilosophie, München 1989. ISBN 3-406-33613-2
  • Francis MacDonald Cornford: Plato's Cosmology. The Timaeus of Plato, translated with a running commentray. London 1937, div. Nachdrucke (engl.).
  • Thomas Kjeller Johansen: Plato's natural philosophy. A study of the Timaeus-Critias. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2004 (engl.).
  • Thomas Henri Martin: Etudes sur le Timée. Paris 1841 (frz.).
  • Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 40. Halbband, 2506 (Leisegang)
  • Alfred E. Taylor: A commentary on Plato's Timaeus. Oxford 1928 (engl.)
  • Pierre Vidal-Naquet: Atlantis. Geschichte eines Traums. Aus dem Französischen von A. Lallemand. C. H. Beck, München 2006. ISBN 3-406-54372-3

Einzelnachweise

  1. Bezeichnung des Timaios in Thrasyllos' Tetralogien der Dialoge Platons
  2. Bichler, Athen besiegt Atlantis, S. 74
  3. Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 40. Halbband, 2506 (Leisegang)
  4. z.B. Calvo/Brisson 1997 oder Lampert/Planeux 1998
  5. Hinweis auf den Beruf des Timaios gibt Platon, Timaios, 27 a
  6. Platon, Timaios 20 a: „Denn unser Timaios da, aus Lokris, dem unter allen Staaten Italiens der besten Gesetzgebung sich erfreuenden, stammend, gelangte, an Reichtum und Herkunft keinem seiner Mitbürger nachstehend, zu den größten Würden und Ehrenbezeugungen im Staate; in der ganzen Philosophie aber hat er, meiner Meinung nach, das Höchste erreicht.“
    Platon, Timaios 27 a in Bezug auf seine wissenschaftliche Tätigkeit: Timaios solle die Trilogie eröffnen, da er „mehr als wir alle von der Astronomie versteht und weil er sich am meisten darum bemüht hat, etwas von der Natur des Alls zu wissen [...].“
  7. Vidal-Naquet, Atlantis, S. 18
  8. F. M. Cornford: Plato's cosmology, London 1937, S. 2.
  9. Erich Frank: Plato und die sogenannten Pythagoreer. Ein Kapitel aus der Geschichte des griechischen Geistes, Halle 1923, S. 379.
  10. Platon, Timaios 17 b-c
  11. Platon, Timaios 17 c-19 a
  12. Herter, Urathen der Idealstaat, in: Ders., Kleine Schriften, S. 290: Eine solche Reduktion kann im Falle der Timaios-Einleitung wie auch der Beschreibung Ur-Athens als unvermeidbar eingeschätzt werden, um „das theoretische Referat auf das für das Verständnis des urathenischen Gemeinwesens unbedingt Notwendige zu beschränken und nicht [...] den ganzen Inhalt der Politeia von A bis Z [...] zu komprimieren [...].“
  13. Platon, Timaios 19 c
  14. Platon, Timaios 20 b
  15. Platon, Timaios 20 d ff.
  16. Platon, Timaios 20 d-e
  17. Platon, Timaios 27 a-b
  18. Platon, Timaios 29 b
  19. Platon, Timaios 29 c-d
  20. Platon, Timaios 28 a-b
  21. Platon, Timaios 30 a
  22. Platon, Timaios 30 b
  23. Platon, Timaios 31 a-b
  24. Platon, Timaios 31-33
  25. Platon, Timaios 34 b
  26. Platon, Timaios 34 c
  27. pythagoreische Einflüsse sind v.a. im Timaios und Philebos zu erkennen, Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 40. Halbband, v.a. 2505, 2507 f. (Leisegang)
  28. Platon, Timaios 24 c-36 c
  29. Platon, Timaios 36 c-d
  30. Platon, Timaios 38 c-d
  31. Platon, Timaios 36 e
  32. Platon, Timaios 37 a-c
  33. Platon, Timaios 41 d ff.
  34. Platon, Timaios 53 c ff.
  35. andere Transformationen bei Platon, Timaios 56 d-e
  36. Proklos, Procli Diadochi in Platonis Timaeum Commentaria, I, S. 75, 30 ff. (Diehl), (= FGrHist 665 F 31)
  37. Nesselrath, Atlantis auf ägyptischen Stelen?, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik, Bd. 135 (2001), S. 33