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Leo Kofler

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Leo Kofler (* 26. April 1907 in Chocimierz, Хотмир bei Iwano-Frankiwsk Ost-Galizien, Österreich-Ungarn heute: Ukraine; † 29. Juli 1995 in Köln) - auch als Pseudonym: Stanislaw Warynski oder Jules Dévérité bekannt - war ein österreichisch-deutscher Philosoph jüdischer Abstammung, als geistiges Temperament hochgelehrt, originell und impulsiv.

Leben

Er besuchte in Wien die Handelsakademie. Von 1930 bis 1934 wurde er in der Wiener Sozialdemokratischen Bildungszentrale beschäftigt. Nebenbei besuchte er noch die Vorlesungen von Max Adler. Nach der Besetzung Österreichs durch das Deutsche Reich flüchtete der Linkssozialist jüdischer Herkunft in die Schweiz und überlebte in Emigranten- und Arbeitslagern. 1947 ging er nach Halle an der Saale, in die damalige Sowjetische Besatzungszone Deutschlands. Mit der Arbeit Die Wissenschaft von der Gesellschaft. Umriß einer Methodenlehre der dialektischen Soziologie, die er 1944 in der Schweiz veröffentlicht hatte, konnte er 1947 an der Universität Halle promovieren. Die Habilitation erlangte er mit der Schrift Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Versuch einer verstehenden Deutung der Neuzeit aus der Perspektive des historischen Materialismus, die schon 1948 erschienen war, 1966 gekürzt in der Bundesrepublik Deutschland und vollständig erst 1992 in 2 Bänden erschien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte Kofler in der sowjetischen Zone, der späteren DDR. In Halle lehrte er als Professor für Mittlere und Neuere Geschichte. Nach politischen Auseinandersetzungen trat er Anfang 1950 aus der SED aus und ging Ende des Jahres nach Köln. Ab 1951 war er in der gewerkschaftlichen und Jugend-Bildungsarbeit tätig. Auch hatte er Lehrverpflichtungen an verschiedenen Volkshochschulen. Ab 1953 war er Dozent an der Sozialakademie in Dortmund. An der Kunstakademie in Köln nahm er 1968 eine Tätigkeit auf. 1972 übernahm er als Nachfolger von Urs Jaeggi einen soziologischen Lehrstuhl an der Universität Bochum, den er bis 1991 innehatte. Diese Laufbahn zeigt, dass er sowohl in der DDR wie auch in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder mit seinen linksgerichteten Auffassungen an die Grenzen der politischen Toleranz stieß. Erst im hohen Alter wurde er ordentlicher Professor in der BRD.

Er legte eigene Interpretation des Marxismus auf den Feldern der Soziologie, Geschichte, Ästhetik und Anthropologie vor. Weiterhin untersuchte er die Kaderbürokratie unter Stalin und veröffentlichte darüber hinaus kritische Arbeiten zur "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" Helmut Schelskys und zur Literaturtheorie.

In einer Verbindung der Arbeiten von Herbert Marcuse und György Lukács sah er die Möglichkeit, dogmatische Konzepte des Marxismus überwinden und eine Kritische Theorie für eine Sozialphilosophie zu entwerfen.

Werke

  • Die Wissenschaft von der Gesellschaft. Umriß einer Methodenlehre der dialektischen Soziologie , 1944; Ffm. (Makol) 1971², 174 p.
  • Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Halle 1948; Neuwied (Luchterhand) 1966² [ = Soziologische Texte 38]
  • Stalinistischer Marxismus, 1951
  • Der Fall Lukacs. Georg Lukacs und der Stalinismus, 1952
  • Geschichte und Dialektik, 1955, 1970², 1973³; Neuausgabe m.e.Nachwort v. Dr. Werner Seppmann: Essen (Neue Impulse) 2002, 236 p. [Ed. Marx. Blätter 103]
  • Staat, Gesellschaft und Elite zwischen Humanismus und Nihilismus, 1960
  • Das Ende der Philosophie?, 1961
  • Zur Theorie der modernen Literatur, Neuwied (Luchterhand) 1962
  • Der proletarische Bürger. 1964
  • Das asketische Eros. 1967
  • Marxistische Staatstheorie, 1970
  • Stalinismus und Bürokratie, Neuwied (Luchterhand)1970 [ = Sammlung Luchterhand 6]
  • Abstrakte Kunst und absurde Literatur. 1970
  • Technologische Rationalität im Spätkapitalismus, 1971
  • Der Alltag zwischen Eros und Entfremdung, 1982
  • Beherrscht uns die Technik? Technologische Rationalität im Spätkapitalismus, 1983
  • Aggression und Gewissen. Grundlegung einer anthropologischen Erkenntnistheorie, 1973
  • Soziologie des Ideologischen, 1975
  • Geistiger Verfall und progressive Elite, 1981
  • Eros, Ästhetik, Politik. Thesen zum Menschenbild bei Marx, 1985
  • Die Vergeistigung der Herrschaft, 2 Bände 1986/87
  • Avanatgardismus als Entfremdung. Ästhetik und Ideologiekritik, 1987
  • "Die Kritik ist der Kopf der Leidenschaft." Aus dem Leben eines marxistischen Grenzgängers. Ein Gespräch anlässlich seines 80. Geburtstages mit Wolf Schönleitner und Werner Seppmann, 1987
  • Zur Kritik bürgerlicher Freiheit, Ausgewählte politisch-philosophische Texte eines marxistischen Einzelgängers, Hrsg. Christoph Jünke, 2000
  • Humanistische Anthropologie und dialektischer Materialismus. Ein Arbeitsbuch. Leo Kofler zum 70. Geburtstag. Broschiert - 320 Seiten, November 1982, ISBN: 3879587108

Literatur

  • Christoph Jünke: Sozialistisches Strandgut. Leo Kofler - Leben und Werk (1907-1995), VSA-Verlag, Hamburg 2007