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Holocaust (Begriff)

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Der Begriff Holocaust bezeichnet seit dem 16. Jahrhundert Verbrechen und Brandkatastrophen außergewöhnlicher Größenordnung. Er ging über verschiedene Bibelübersetzungen zuerst in den englischen Wortschatz, von da aus auch in andere europäische Sprachen ein.

Seit der in Deutschland erstmals 1979 ausgestrahlten US-Fernsehserie „Holocaust“ wird der Begriff im deutschen Sprachraum fast nur noch auf den systematischen, industriellen Völkermord an den europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus bezogen. Dieses Hauptthema behandelt der Artikel Holocaust.

Andere hier dargestellte Bedeutungen und Bezüge dieses Begriffs treten in verschiedenen Zusammenhängen auf. Sie stehen grundsätzlich in der Kritik, weil nach der im deutschen Sprachraum vorherrschenden Überzeugung der nationalsozialistische Völkermord als historisch einzigartig (Singularität) angesehen wird.

Herkunft

Das Wort Holocaust stammt vom griechischen holókauston, das „vollständiges Brandopfer“ bedeutet. Erstmals erwähnte es der griechische Historiker Xenophon. Der Begriff taucht auch in der Septuaginta, der griechischen Bibelübersetzung im 1. Buch Mose (Gen 22,2) auf:

Gott sprach zu Abraham: 'Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und bringe ihn dort als Brandopfer [holókauston] dar auf einem Berge, den ich dir sagen werde.'

In der lateinischen Bibelübersetzung - der Vulgata - entstand daraus der Begriff holocaustum. Dieser Begriff drang in die englische Sprache ein, nicht aber in die deutsche. Denn Martin Luther übersetzte die entsprechenden Bibelstellen mit Brandopfer.

Seit dem 16. Jahrhundert wird das Wort im englischen Sprachraum etwa für Großbrände und Massenmorde verwendet, für tatsächliche ebenso wie für fiktive Ereignisse in der Literatur. Doch seit 1945 wird der Begriff auch in Großbritannien und den USA meist für den Mord an den europäischen Juden verwendet oder anderweitig dazu in Beziehung gesetzt.

Die Verwendung von „Holocaust“ für die Verbrechen der Nationalsozialisten ist seit dem Fernsehfilm Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiß 1979 in Deutschland üblich geworden. Seltener wird der Begriff darüberhinaus auf Massenmorde an anderen Opfergruppen der Nationalsozialisten, vor allem an den Sinti und Roma (siehe Porajmos), den Homosexuellen (siehe Rosa Winkel) und den Zeugen Jehovas (siehe Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus), bezogen. Diese Ausdehnung ist umstritten; wo sie vertreten wird, verwendet man dann für die Judenvernichtung meist den Begriff Shoah.

Problematik

Sowohl Überlebende der Shoah wie auch Holocaustleugner oder Vertreter des Geschichtsrevisionismus verbinden mit dem Begriff Holocaust vor allem die Verbrechen, für die symbolisch der Name Auschwitz, das größte Vernichtungslager der Nationalsozialisten, steht. Nach einer verbreiteten Überzeugung kann der Begriff geschichtsbewusst nicht losgelöst von diesem Ereignis gesehen und verwendet werden, ohne damit zugleich das Gedächtnis daran und die Menschenwürde der Überlebenden zu beschädigen.

Nationalisten und Rechtsextremisten benutzen den Holocaustbegriff bewusst, um diesen Teil der deutschen Geschichte einzuebnen und eine „Normalität" zu erreichen, in der der Wiederaufbau eines nationalen und antisemitischen Selbstbewusstseins im eigenen Sinne möglich wird. Deshalb besetzen sie möglichst viele andere Ereignisse in der Geschichte mit eben diesem Begriff. Hinzu kommt auch das psychologische Problem vieler, Schuldgefühle abwehren zu wollen. Durch eine Relativierung mittels Verwendung des Begriffes für andere Ereignisse meinen einige sogar gegen ein Tabu zu rebellieren.Darüber hinaus halten immer wieder verschiedenste politische Bewegungen und Akteure es für sehr effektiv, moralische Fragen, wie die der Abtreibung, des Tierschutzes und der Ökologie, oder auch Massenmorde, die nach 1945 verübt wurden, mit dem Begriff zu besetzen. Der erwünschte Effekt ist dabei oft vor allem der, für diese Sachverhalte eine besonders große moralische Betroffenheit und Empörung zu erreichen. Die Folgen dieser Instrumentalisierung z.B. für Überlebende des Holocaust und den langfristigen Schutz der Demokratie werden dabei meist nicht bedacht.

Verwendungen vor 1945

Völkermord an den Armeniern in der Türkei

Hauptartikel: Völkermord an den Armeniern

Nicht-Armenier, die bereits am Ende des 19. Jahrhunderts über Massaker an den Armeniern entsetzt waren, verwandten dafür zum ersten Mal den Begriff Holocaust. Die Armenier haben dafür die Bezeichnung 'Aghet'. Meist spricht man heute vom Völkermord (Genozid) an den Armeniern und unterlässt es, in diesem Fall von einem Holocaust zu sprechen: zum einen, weil dies zu einer Relativierung des Begriffes in der Form führe, wie sie seit 1979 üblich ist; zum anderen, weil der Aspekt des Verbrennens von Opfern, der im Begriff Holocaust enthalten ist, hier fehlt.

Die amerikanische Lehrerin Corinna Shattuck (1847 - 1910) hatte die hamidischen Massaker in der Stadt Urfa (heute: Türkei) und die Lebend-Verbrennung tausender Armenier in der dortigen Kathedrale Ende 1895 miterleben müssen. Corinna Shattuck arbeitete mit dem Theologen Johannes Lepsius in dessen Armenischem Hilfswerk zusammen und hat schon 1895 diese Lebend-Verbrennung als „Holokaust“ der Urfa-Armenier bezeichnet.

„Hunger-Holocaust“

Der Ausdruck „Hunger-Holocaust“ ist ein anderer Begriff für die heute als Holodomor bekannte Hungersnot zu Beginn der 1930er Jahre in der Ukraine. Er stammt aus der ukrainischen Nationalhistoriografie, wird in der wissenschaftlichen Debatte um die Gründe der Hungersnot heute aber selten verwendet (s. jedoch die Literaturangaben zum Artikel „Holodomor”). Ob die Hungersnot eine gezielte Maßnahme der sowjetischen Führung oder aber bloß ein Ergebnis rücksichtloser oder fehlerhafter Politik war, ist nämlich in der Geschichtsforschung umstritten.

Städtebombardierungen im Luftkrieg

Besonders im Zweiten Weltkrieg wurde der aus der englischen Literatur bekannte Terminus Holocaust - unabhängig von den Völkermorden der Nationalsozialisten - für Bombardierungen von Großstädten mit Hunderttausenden Todesopfern verwendet.

So nannten amerikanische Offiziere in Japan die Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, aber auch die Folgen durch gewöhnliche Brandbomben, zum Beispiel auf Tokio. Obwohl die amerikanische Militärzensur verbot, den Begriff in diesem Sinn zu verwenden, wurde er vereinzelt noch länger benutzt, zum Beispiel im Jahr 1965 durch den ehemaligen US-amerikanischen Brigadegeneral Powers in seiner Autobiografie.

Verwendungen seit 1945

„Atomarer Holocaust“

Hauptartikel: Nuklearer Holocaust

Der Ausdruck atomarer oder nuklearer Holocaust wurde 1961 durch Erich Fromm in den Sprachgebrauch eingeführt und in den 1980er Jahren als politisches Schlagwort der Friedensbewegung verwendet. Er bezeichnete die Befürchtung, dass ein mit Kernwaffen geführter Dritter Weltkrieg aller Voraussicht nach die völlige oder zumindest weitestgehende Vernichtung menschlichen und anderen Lebens auf der Erde in Form eines „Weltbrandes“ herbeiführen würde. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist diese Angst nicht mehr im allgemeinen Bewusstsein.

„Roter Holocaust“

Hauptartikel: Roter Holocaust

1998 wurde der Begriff Roter Holocaust in der kritischen Diskussion um das auf deutsch erschienene Schwarzbuch des Kommunismus in die politisch-historische Debatte eingeführt. Kern der Problematik ist der Vergleich von Verbrechen kommunistischer Regierungen mit den Verbrechen der Nationalsozialisten, die deren Singularität in Frage stellt. Diese Debatte setzt den Historikerstreit aus den 1980er Jahren fort.

„American Holocaust“

Der US-amerikanische Historiker David E. Stannard, Professor an der Universität von Hawaii, veröffentlichte 1992 ein Buch mit dem Titel American Holocaust - The Conquest of the New World, in dem er ausführlich die Vernichtung eines großen Teils der amerikanischen Urbevölkerung bei der Eroberung Amerikas durch die Europäer beschreibt. Stannard bezeichnet das als den mit Abstand gewaltigsten Genozid der Weltgeschichte[1]. Das Buch wendet sich an amerikanische Leser und soll über ein Kapitel der Geschichte Amerikas informieren, das nach Ansicht des Autors bislang sehr verklärt wahrgenommen wird.

„Bombenholocaust“

Eine Variante der alliierten Verwendung für Städte- oder Flächenbombardierungen mit verheerender Wirkung ist die Aneignung des Begriffs als Bombenholocaust im deutschen Rechtsextremismus. Der NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel verwendete ihn erstmals im Januar 2005 im Sächsischen Landtag in bewusst provokativer Absicht für die Luftangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 bzw. allgemein für die deutschen Opfer des damaligen Luftkriegs.

Der Rahmen seiner Rede war eine von der NPD beantragte Aktuelle Stunde zum 60. Jahrestag der Luftangriffe. Die Rede sollte zugleich bundesweit die rechtsextreme Szene zum „Gedenkmarsch“ in Dresden am 13. Februar 2005 mobilisieren. Dies sorgte im In- und Ausland für erheblichen Unmut und Aufsehen in den Medien. Da die Leugnung oder Rechtfertigung der Verbrechen des Naziregimes als Volksverhetzung gilt und nach § 130 StGB strafbar ist, wurde wegen des Verdachts darauf ein Strafverfahren eingeleitet. In Dresden wurde der Begriff dann eine Hauptparole der etwa 6.500 Teilnehmer des „Gedenkmarsches“. Die zuständige Staatsanwaltschaft stellte unter Berufung auf die Indemnität des Abgeordneten das Verfahren ein.

Eben deshalb plädierte Bundespräsident Horst Köhler nach einem Israelbesuch für die energische politische und notfalls rechtliche Bekämpfung der NPD.

„Babycaust“

Babycaust ist eine von Klaus Günter Annen geprägte Wortschöpfung in Bezug auf die Abtreibung, die er auf einem Flugblatt vor einer Abtreibungspraxis verbreitete. Darüberhinaus bezeichnete er Abtreibung als neuen Holocaust, nicht zuletzt angesichts der Wehrlosigkeit der Opfer und der praktizierten Verbrennung der „Überreste“.

Der Begriff Babycaust und neuer Holocaust als Bezeichnung für Abtreibung wurde in einem Rechtsstreit vom BGH und OLG in Karlsruhe als legitime Meinungsäußerung gewertet. Dazu heißt es im Urteil des OLG Karlsruhe:

Nach diesen höchstrichterlichen Rechtsgrundsätzen stellen die Bezeichnungen der in Deutschland vorgenommenen Abtreibungen als „Mord an unseren Kindern“ und als „neuer Holocaust“ zwar drastische und überzeichnende Formulierungen dar, die aber auch in ihrem konkreten Bezug zur Person und zur ärztlichen Tätigkeit des Klägers noch vom Grundrecht der Meinungsfreiheit getragen werden. [...]
Der interessierte Leser des Flugblattes erkennt in diesen Bemerkungen den Protest eines entschiedenen Abtreibungsgegners, der mit plakativen und drastischen Formulierungen Aufmerksamkeit erregen will. Es geht dem Beklagten um die Vermittlung der Meinung, die auf Grund der gegenwärtigen Gesetzeslage herrschende Abtreibungspraxis in Deutschland stelle eine verwerfliche Massentötung (werdenden) menschlichen Lebens dar. Eine Gleichsetzung mit dem Holocaust in seinem geschichtlichen Sinne ist dem Kontext des Flugblattes nicht zu entnehmen. Das folgt schon daraus, dass der Beklagte auf der Rückseite des Flugblattes seinen Standpunkt näher begründet und argumentativ unterlegt.

Und im BGH-Urteil vom 30. Mai 2000 - VI ZR 276/ 99:

Eine Meinungsäußerung im Rahmen eines Beitrags zur politischen Willensbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden, fundamentalen Frage, bei der es um den Schutz des Lebensrechts Ungeborener geht, muß nach Art. 5 Abs. 1 GG in einer freiheitlichen Demokratie grundsätzlich selbst dann toleriert werden, wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint (hier: „Babycaust“).

Im April 2007 wurden die Webseiten von Annen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (Bonn) in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen.[2]

„Holocaust auf Ihrem Teller“

Im März 2004 wollte die Tierschutzorganisation People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) auf die Missstände bei der Massentierhaltung (z.B. Herodes-Prämie) sowie auf das grundsätzliche ethische Problem des Fleischkonsums aufmerksam machen und verwendete dafür den Titel Holocaust auf Ihrem Teller. Dafür erntete die Organisation vor allem Empörung und auch Kritik von anderen Tierschützern. Der Zentralrat der Juden in Deutschland verurteilte die Kampagne aufs Schärfste. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte die Organisation aufgrund dieser Aktion wegen Volksverhetzung: „Was Sie hier gemacht haben, hat nicht nur den guten Geschmack, sondern auch die Grenze des Strafrechts überschritten“, so der Amtsrichter. PETA hat Berufung gegen das Urteil angekündigt.

Der oberste Gerichtshof Österreichs erklärte die Kampagne inzwischen für rechtmäßig: „Die Heranziehung eines drastischen Vergleichs dient einem grundsätzlich erlaubten Zweck, nämlich in einer von Werbung reizüberfluteten Gesellschaft Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu erzielen. Das Tierschutzanliegen selbst ist – wie ausgeführt – gewichtig, gesellschaftspolitisch umstritten und aktuell“, so ein Auszug aus der Urteilsbegründung.

Quellen

  1. „The destruction of the Indians of the Americas was, far and away, the most massive act of genocide in the history of the world.“ Stannard, American Holocaust, Oxford University Press 1992, Prologue, S. x (Internet)
  2. Newsletter des Vereins (Ausgabe Mai 20007 von „Nie Wieder! - Nachrichten Europäischer Bürgerinitiativen“)

allgemein

„Babycaust“

„Bombenholocaust“