Ludolf Camphausen

Gottfried Ludolf Camphausen (* 10. Januar 1803 in Hünshoven (heute zu Geilenkirchen gehörend) im Regierungsbezirk Aachen; † 3. Dezember 1890 in Köln) war ein rheinischer Bankier, führender Liberaler im Vormärz und preußischer Ministerpräsident in der Revolutionszeit von März bis Juli 1848.
Herkunft und Familie
Die Familie Camphausen spielte schon seit längerem eine bedeutende Rolle für den Handel und das produzierende Gewerbe im Rheinland. Gottfried Ludolf war Sohn des Kaufmannes Gerhard Gottfried Camphausen, der eine Tabak- und Ölhandlung betrieb. Die Mutter war Maria Wilhelmine geborene Peuchen. Das Ehepaar hatte mehrere Kinder. Der Bruder August war später Geschäftspartner von Ludolf Camphausen. Ein anderer Bruder war der spätere preußische Finanzminister Otto von Camphausen.
Camphausen besuchte das Gymnasium in Weilburg. Später ging er auf die Handelsschulen in Rheydt und Berg. Anschließend machte er eine kaufmännische Lehre in Düsseldorf und beteiligte sich am kulturellen Leben der Stadt. Durch den Besuch der Handelsschulen gehörte Camphausen zu der kleinen Gruppe der höher Gebildeten unter den frühen Unternehmern. Dies erleichterte ihm später die Kontakte mit den Bildungsbürgern auf der einen Seite und den vielfach aus der Praxis kommenden Wirtschaftsbürgern auf der anderen Seite.[1]
Ludolf Camphausen heiratete Elise Lenssen. Mit dieser war er mehr als sechzig Jahre verheiratet. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, die später einen Justizrat Nacken aus Köln heiratete.
Unternehmerisches Handeln

Zusammen mit seinem Bruder August übernahm Camphausen nach dem Tod des Vaters das elterliche Geschäft. Daraus ging später das Handels- und Bankhaus A&L Camphausen hervor. Im Jahr 1826 errichteten sie eine Zweigniederlassung in Köln. Da der Geschäftsumfang der Kölner Niederlassung stark anwuchs, zog Ludolf Camphausen 1831 ganz nach Köln. Das Bankhaus gehörte rasch zu den vier größten Kölner Banken. Seit 1831 war Camphausen Mitglied der Kölner Handelskammer. Von 1838 bis 1848 war er deren Präsident. Während sich die meisten Unternehmer in der Zeit der frühen deutschen Industrialisierung zunächst auf ein Geschäftsfeld konzentrierten, gab es insbesondere im Rheinland auch solche wie Camphausen, die in verschiedenste Unternehmungen investierten.[2]
Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Eine Neuerung in der Schifffahrt war die Einführung von dampfgetriebenen Schleppern und Lastkähnen. Camphausen gründete 1841 eine rheinische Dampfschleppschifffahrtsgesellschaft,[3] die neben der von Mathias Stinnes zur führenden Schifffahrtsgesellschaft auf dem Rhein wurde. Vor allem setzte er sich aber für den Eisenbahnbau ein. Bis 1837 schrieb er insgesamt 18 Denkschriften zu Wirtschaftsfragen. Die wohl berühmteste ist die vom Eisernen Rhein, der „Eisenbahn von Köln nach Antwerpen“. Neben Camphausen waren daran auch David Hansemann und Gustav von Mevissen führend beteiligt. An dem tatsächlichen Zustandekommen der Strecke war er dann auch zunächst beteiligt, ehe er aus der Gesellschaft ausstieg. Stark engagiert war Camphausen auch am Bau der Köln-Mindener und der Köln-Bonner Eisenbahn.[4] Zu den vielen Aktivitäten gehörte auch die Beteiligung an der Gründung der (älteren) Rheinischen Zeitung 1842. Dieses Projekt war durchaus bemerkenswert, Camphausen, Mevissen und andere Wirtschaftsbürger finanzierten das Blatt. Journalistisch geprägt wurde es allerdings von radikalen Intellektuellen wie Karl Marx. Deren Kritik führte 1843 schließlich zum Verbot der Zeitung.[5]
Nicht zuletzt investierte das Bankhaus Camphausen in die Industrie und den Bergbau im entstehenden rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Das Unternehmen war zusammen mit dem Schaaffhausen'schen Bankverein an der Gründung einer der ersten bergbaulichen Aktiengesellschaften im Ruhrgebiet beteiligt.[6] Bei den Eisenbahnen, im Bergbau und der Großindustrie hatten sich Aktiengesellschaften als besonders effektive und leistungsfähige Form der Kapitalbeschaffung erwiesen. Konsequenterweise forderte Camphausen 1839 die Möglichkeit, auch Banken als Aktiengesellschaften zu führen. Dies stieß aber noch für Jahre auf eine scharfe Ablehnung durch die preußischen Behörden.[7]
Camphausen kam durch seine unternehmerische Tätigkeit, wie sein Bruder, auf ein jährliches Einkommen von etwa 24.000 Talern. Damit stiegen beide in die kleine etwa 2% der Gesamtbevölkerung umfassende Oberschicht von Köln auf.[8]
Politisches Wirken
Rheinischer Liberalismus
Neben seiner wirtschaftlichen Tätigkeit widmete sich Camphausen bereits früh politischen Fragen. Im kommunalen Bereich schlug er zur Finanzierung städtischer Aufgaben die Auflegung einer städtischen Anleihe mit progressiven Tilgungsraten vor. Er wurde 1831 Mitglied des Stadtrates von Köln.
Seit den 1830er Jahren entwickelte sich im Rheinland ein von den großbürgerlichen Unternehmern der Region getragene Spielart des Liberalismus. Neben Hermann von Beckerath, Mevissen und Hansemann gehörte Camphausen zu den führenden Köpfen der rheinischen Liberalen. Da es noch keine Parteien gab, bauten insbesondere Camphausen und Hansemann die Kölner Handelskammer auch zu einer politischen Plattform aus.[9] Diese Richtung war im Gegensatz zum süddeutschen Liberalismus wenig theoretisch orientiert. Stattdessen war sie macht- und selbstbewußter. Nicht verwunderlich ist, dass die rheinischen Liberalen die obrigkeitsstaatliche Gängelung der Wirtschaft angriffen. Während die süddeutschen Liberalen nicht selten die drohende Alleinherrschaft des Geldes befürchteten und für den Schutz des alten Gewerbes eintraten, sah Camphausen den Verfall der alten Handarbeit zu Gunsten der Industrie als unvermeidlich an. Dabei seien Pauperismus und Verarmung der Heimindustrie schmerzlich aber für eine Übergangszeit unvermeidlich.[10] Auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen sahen sie deutlicher als die süddeutschen Liberalen, die von einer klassenlosen Gesellschaft mittlerer Existenzen träumten, dass die Entwicklung in Richtung einer Klassengesellschaft verlaufen würde. Den großbürgerlichen rheinischen Liberalen ging es darum den Einfluss der unteren Schichten auf die politische Entwicklung möglichst zu begrenzen. Im Jahr 1844 empörte sich Camphausen darüber, dass „den arbeitenden Klassen das Gefühl ihrer Rechte und der Gleichheit ihrer Stellung mit uns“ von demokratischen Intellektuellen „beizubringen“ versucht werde.[11] Zum Schutz ihrer Interessen forderten die rheinischen Liberalen daher ein Zensuswahlrecht. Gleichzeitig bekämpften Camphausen und die anderen rheinischen Liberalen die Reste des Feudalismus und adelige Vorrechte. Ihr Plädoyer für ein starkes Parlament war den auch eine Kampfansage gegen das bestehende monarchische System.[12]
Verfassungsdiskussion im Vormärz
Im Jahr 1842 wurde Camphausen in den rheinischen Provinziallandtag gewählt. Dort trat er entschieden für die Einführung der Preßfreiheit ein. Auf der Versammlung von 1845 beantragte er mit Hinweis auf die Beschlüsse des Wiener Kongresses die „Bildung einer Repräsentation des Volkes im Sinne der königlichen Verordnung vom 22. Mai 1815.“ Camphausen verband dies unter anderem mit einer scharfen Kritik am preußischen Beamtenregiment. Dies führte zu einer heftigen Debatte im Provinziallandtag. In derem Verlauf beteiligten sich annäherend alle maßgebenden Personen des rheinischen Liberalismus, die übereinstimmend den Antrag des Vorsitzenden der ersten Kurie von Bianco ablehnte, die Entscheidung über eine Verfassung allein dem König zu überlassen. Mit diesem Antrag reihte sich Camphausen in eine ganze Reihe vergleichbarer Anträge, etwa in der Provinz Westfalen durch Georg von Vincke, ein.[13]

Im Jahr 1847 sah sich König Friedrich-Wilhelm IV. wegen Finanzschwierigkeiten gezwungen eine gesamtstaatliche Vertretung zu berufen, um über die nötigen Finanzmittel zu entscheiden. An Stelle eines Landtages wurde allerdings nur eine ständische gegliederte Versammlung aus Mitgliedern der Provinziallandtage Vereinigten Landtag einberufen. Unmittelbar nach Bekanntwerden des entsprechenden Patents vom 3. März 1847 hat Camphausen das Vorgehen des Monarchen zunächst in einem Brief an seinen Bruder scharf kritisiert. Dabei machte er deutlich, dass die rheinischen Liberalen bereit waren in die Offensive zu gehen und die Gelegenheit zur Durchsetzung einer gesamtstaatlichen Verfassung zu nutzen. Das Patent „... muss notwendig einen Verfassungsstreit hervorrufen, und wären die zahlreichen angreifbaren Stellen nicht vorhanden, so müsste die Opposition deren aufsuchen. Die lebendigere Erkenntnis der Rechten und Pflichten im Staate und die bis zur Furchtlosigkeit und Hingebung gesteigerte Teilnahme für sie kann nur im Kampf gewonnen werden, den die Presse zu eröffnen hat.“[15]
Camphausen wurde vom rheinischen Provinziallandtag in den Vereinigten Landtag gewählt. Neben von Beckerath, Hansemann, August von der Heydt, Mevissen, Maximilian von Schwerin-Putzar und von Vincke gehörte er zu den führenden Persönlichkeiten der liberalen konstitutionellen Opposition. Bereits unmittelbar nach der Eröffnung gehörte er zu denjenigen, die dafür Eintraten an Stelle der ständischen Strukturen aus dem Vereinigten Landtag eine einheitliche Versammlung zur Beratung der Gesetze zu machen. Außerdem plädierte Camphausen für den periodischen Zusammentritt einer solchen Versammlung. Zur Durchsetzung der Forderung der gemäßigten liberalen Opposition um Camphausen bereitete dieser zusammen mit Beckerath und von der Heydt eine Petition vor, die von 139 Mitgliedern der Versammlung unterzeichnet wurde. Camphausen unterstützte Beckeraths Antrag, dass Gesetz, dass bislang die Wählbarkeit an bestimmte Konfessionen knüpfte, aufzuheben.
Allerdings zeigte sich Camphausen durchaus kompromissbereit. So plädierte er am 25. Juni 1847 etwa dafür in der Verfassungsfrage der Herrenkurie entgegenzukommen, um überhaupt zu einer Einigung zu kommen. Dennoch ließ er keinen Zweifel daran, dass für die liberale Opposition die Verfassungsfrage weiterhin aktut bleiben würde. Camphausen sorgte selbst dafür, dass die Verfassungsfrage auf der Tagesordnung blieb. Als Mitglied des Vereinigten ständischen Ausschusses zog er die Legitimität dieses Organs in Frage und warf der Regierung vor, am Schluss der ersten Sitzungsperiode des Vereinigten Landtages die zur Verständigung ausgestreckten Hand der Ständevertreter „im Zorn zurückgestossen“ zu haben. Damit sind die Liberalen noch vor Beginn der Märzrevolution in Preußen in die Offensive gegangen. Eine revolutionäre Umwälzung wollten sie allerdings unter allen Umständen vermeiden.[16]
Bildung und Ziele des Ministeriums Camphausen-Hansemann

Nach dem Rücktritt von Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg am 29. März 1848 wurde Camphausen zur Bildung eines neuen Ministeriums berufen, worin er den Vorsitz übernahm. Als Finanzminister spielte dabei auch Hansemann eine wichtige Rolle. Daher wird es in der Regel auch Kabinett Camphausen-Hansemann genannt. Camphausen war damit der erste Bürgerliche auf diesem Posten überhaupt. König Friedrich Wilhelm IV. demonstrierte mit Ernennung von führenden Vertretern der vormärzlichen Opposition seine Anerkennung der Revolution. Gleichzeitig hatte dies den Nebeneffekt, dass die Kreditfähigkeit des preußischen Staates, die durch die Revolution erschüttert worden war, durch die Beteiligung von Camphausen und Hansemann wieder hergestellt werden konnte.[17] Dieses so genannte Märzministerium bestand aus gemäßigten liberalen Großbürgern und Adeligen. Die Regierung hatte die Aufgabe auf dem Weg der Vereinbarung zwischen Monarchie und einer einzuberufenden preußischen Nationalversammlung das Verfassungsversprechen einzulösen.[18] Camphausen beschrieb den Charakter und die Zielsetzung in seiner Rücktrittsrede vor der Nationalversammlung als ein „Ministerium, nach seiner persönlichen Zusammensetzung geeignet, den Staat ohne lebensgefährliche Zuckungen über die Kluft, welche das alte System von dem neuen trennt, hinüber zu führen.“ Eine andere Selbstcharakterisierung war ein „Ministerium des Übergangs, der Vermittlung.“[19]
Die Politik der neuen Regierung war geprägt von gemäßigten Reformen, einer entschiedenen Haltung gegen die radikalen Demokraten und den Versuch eines Ausgleichs gegenüber Adel und Krone. Dennoch war das Kabinett Camphausen die erste preußische Regierung, die Ministerverantwortung und Selbstbewusstsein gegenüber dem Monarchen bewies. In verschiedenen Fällen kam es dabei zu Konfrontationen mit dem anachronistischen Beharren des Königs auf seinem Gottesgnadentum. Auch hat Camphausen in Militärfragen den Konflikt mit Friedrich-Wilhelm IV. nicht gescheut. So ließ er eine vom König anberaumte Parade der Bürgerwehr verbieten, da zu dieser nicht die zuständigen Minister eingeladen worden waren.[20] Erschwert wurde das Handeln der neuen Regierung nicht zuletzt durch die Staatsbürokratie, die sich weiterhin dem alten System verbunden fühlte. Der Versuch zentrale Schlüsselpositionen umzubesetzen scheiterte im wesentlichen am hinhaltenden Widerstand der höheren Verwaltungsbeamten.[21] Eine Ausnahme war die Ernennung des im Vormärz wegen politischen Gründen aus Berlin verbannten Jodocus Donatus Hubertus Temme zum Staatsanwalt in Berlin.[22] Ein äußeres Zeichen für ein größeres Selbstbewusstsein war der Umzug des Staatsministeriums aus dem Berliner Stadtschloss in die Wilhelmstraße 74. Zu den Reformen gehörte mit Erlass vom 3. April 1848 die Absicht die Verhältnisse zwischen bäuerlichen Grundbesitzern und Gutsherrschaften endgültig zu regeln. Nicht zuletzt zu diesem Zweck wurde ein neues Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten geschaffen. Freilich dauerte es noch bis ins Frühjahr 1849 bis die Ablösung der Feudalrechte der Grundherren abschließend geregelt werden konnten.[23]
Konflikt mit der Nationalversammlung und Scheitern
Camphausen wurde von Vertretern der alten Ordnung wie auch der politischen Linken unter Druck gesetzt. Von einem Teil der radikaleren Liberalen und der Demokraten wurde seine Vermittlungspolitik und sein Versuch sich weiterhin auf dem bestehenden - d.h. vorrevolutionären - Rechtsboden zu bewegen scharf kritisiert.[24] Ausgesprochen unbeliebt machte Camphausen sich als er half, die Rückkehr von Wilhelm den Prinzen von Preußen, der als entschiedener Gegner der Revolution galt, aus dem Exil zu ermöglichen. Dazu gehörte die anfängliche Entscheidung anstatt der Einberufung einer Nationalversammlung noch einmal den Vereinigten Landtag einzuberufen.[25] Diese Versammlung zwang die Regierung allerdings selbst eine konstituierende Nationalversammlung einzuberufen. Gegen seine eigene Überzeugung befürwortete Camphausen ein weitgehend freies Wahlrecht, um den Druck der unteren Schichten zu begegnen. „Die Forderung des Augenblicks war gegen bessere Überzeugung das allgemeine Stimmrecht zu befürworten [um die] heulenden Wölfe vom Schlimmsten“ abzuhalten.[26]

Die Folge war, dass in der preußischen Nationalversammlung die linken Kräfte bemerkenswert stark waren, während Camphausen und die Abgeordneten der konstitutionellen Opposition des Vormärz nunmehr den rechten Flügel bildeten.[27] Camphausen versuchte den revolutionären Charakter der Nationalversammlung herunterzuspielen und sie und seine Regierung in die vormärzliche Kontinutität zu stellen. Er glaubte so dem Misstrauen der alten Eliten begegnen zu können. Aus diesem Grund hielt er auch an der im Vormärz entwickelten Vereinbarungsstrategie fest und setzte nicht auf die demokratische Parole der Volkssouveränität. Dies scheiterte aber schon im Ansatz an der linken Mehrheit des Parlaments. Das Vereinbarunskonzept wurde durch den Antrag von Julius Berends vom 8. Juni 1848 radikal in Frage gestellt. Der Antrag zielte auf eine förmliche Anerkennung der Revolution ab. Darin wurde die Nationlversammlung aufgefordert, „in Anerkennung der Revolution zu Protokoll zu erklären, dass die Kämpfer des 18. und 19. März sich wohl ums Vaterland verdient gemacht hätten.“[28] Das Ziel war deutlich zu machen, dass die Nationalversammlung sich keineswegs in der vormärzlichen Tradition sah, sondern aus revolutionären Recht handelte. Unterstützt von den gemäßigten Liberalen und der Rechten, hat die Regierung diese Herausforderung zunächst noch überstanden. Die militärische Niederschlagung des Sturms auf das Zeughaus vom 14. Juni 1848 verstärkte das Misstrauen der parlamentarischen Linken. Sie lehnte den von Camphausen angebotenen Schutz durch die Armee ab, wäre sie so doch von einer vorrevolutionären Instanz abhängig geworden. Darin wiederum sahen Camphausen und der König einen Angriff auf die Autorität der Krone, was das Ende der Regierung Camphausen-Hansemann bedeutete. Camphausen trat am 20. Juni 1848 zurück, obwohl die Nationalversammlung bei aller Kritik doch gerne an ihm festgehalten hätte. Temme etwa schrieb im Rückblick: „War seitdem noch ein ehrliches Ministerium in Preußen? Ein so ehrliches gewiss nicht!“[29] Er erklärte, der Zweck seines Amtes sei erreicht, das Ministerium der Vermittlung müsse sich nun in ein Ministerium der Ausführung wandeln. Sein Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten wurde der liberale Adelige Rudolf von Auerswald. Später scheiterte auch der von Camphausen vorgelegte und von David Hansemann ausgearbeitete Verfassungsentwurfes am Widerspruch der Nationalversammlung. Der Grund war nicht so sehr der Inhalt des Entwurfes. Die Versammlung sah vielmehr in dem Versuch, die Verfassung ohne Änderungs- und Diskussionsmöglichkeiten durchzubringen, den Beweis dafür, das die Regierung Camphausen nicht auf dem Boden der Revolution stünde. Stattdessen beschloss sie die Ausarbeitung eines eigenen Entwurf, die spätere Charte Waldeck.[30]
Gesandter in Frankfurt
Nach seinem Ausscheiden hat Heinrich von Gagern versucht, Camphausen für den Eintritt in die provisorische Zentralgewalt - die von der Frankfurter Nationalversammlung eingerichtete Exekutive - zu gewinnen. Vorgesehen war er für das bedeutende Amt des Aussenministers.[31] Dies scheiterte an der stark auf preußische Interessen bezogenen Position von Camphausen. Stattdessen ging er als Bevollmächtigter Preußens bei der Zentralgewalt nach Frankfurt. Wie in Berlin war er auch dort Gegner der demokratischen Bewegung und trat für die kleindeutsch-preußisch orientierte Lösung der deutschen Frage ein. Die von der Nationalversammlung schließlich verabschiedete Verfassung lehnte Camphausen ab. Eine von ihm entworfene Zirkularnote, die von 31 Länderregierungen unterzeichnet wurde, lehnte die Verfassung ab. Gleichzeitig wurde die Errichtung eines Bundesstaates unter preußischer Leitung angekündigt. Nach dem Misslingen der Kaiserdeputation und damit dem vorläufigen Scheitern der kleindeutschen Lösung trat Camphausen Ende April von seinem Amt zurück.
Wirken nach der Revolution

Camphausen hatte im Gegensatz zur Linken in der preußischen Nationalversammlung die oktroyierte preußische Verfassung vom 5. Dezember 1848 als gültigen Rechtsboden anerkannt. Als Mitglied der ersten Kammer - dem Vorläufer des preußischen Herrenhauses - arbeitete er 1849 in dessen Zentralausschuss an der Revision der Verfassung mit, die Anfang 1850 erlassen wurde. In der Folgezeit (1850/51) gehörte er dort der gemäßigt liberalen Opposition an.
Im Jahr 1850 wurde er zum Mitglied des Volkshauses des Erfurter Unionsparlament gewählt. Dieses war die Legislative eines vor allem von Joseph von Radowitz projektierten kleindeutschen Bundesstaates unter preußischer Führung. Camphausen wurde Referent des wichtigen Verfassungsausschusses. Dabei gelang es ihm, das Parlament zu überzeugen, nicht über jeden Artikel der Verfassung einzeln, sondern über den Entwurf en bloc abzustimmen.
Nach seinem Austritt aus dem Staatsdienst trat er zuerst in seine frühere Stellung als Associé des Bankhauses A. u. L. Camphausen. Seit 1868 zog er sich auch von den geschäftlichen Tätigkeiten zurück und widmete sich als Privatgelehrter naturwissenschaftlichen Studien. Sein Interesse galt insbesondere der Astronomie und Camphausen besaß in der Nähe von Bonn eine eigene Sternwarte. Er entwickelte dabei eine neue Methode der Ortsbestimmung. Dies brachte Camphausen die Doktorwürde der Universität Bonn ein.
In gewissem Umfang blieb er allerdings weiter politisch tätig. 1860 wurde er Mitglied des preußischen Herrenhauses auf Lebenszeit. Daneben war er von 1867 bis 1871 für die Altliberalen Mitglied des Norddeutschen Reichstages.
Einzelnachweise
- ↑ Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.2, S.202
- ↑ Nipperdey. Bürgerwelt, S.206, Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.2, S.110
- ↑ Nipperdey, Bürgerwelt, S.190
- ↑ Nipperdey, Bürgerwelt, S.191
- ↑ Nipperdey, Bürgerwelt, S.390
- ↑ Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd.2, S.110
- ↑ Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd.2, S.105, die Denkschrift von Camphausen ist auszugsweise abgedruckt in: Tilly, S.157-163
- ↑ Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.2, S.178
- ↑ Wehler, Geselllschaftsgeschichte, Bd.2, S.208
- ↑ Langewiesche, Liberalismus, S.32
- ↑ zit. nach Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.2, S.203
- ↑ Nipperdey, Bürgerwelt, S.299, S.387, Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd.2, S.207
- ↑ Mommsen, ungewollte Revolution, S.76f.
- ↑ Bildbeschreibung: Carl Mittermaier, David Hansemann, Maximilian von Schwerin-Putzar, Rudolf von Auerswald, Franz Leo Benedikt Waldeck, Friedrich Römer, Friedrich Christoph Dahlmann, Ludolf Camphausen, Hermann von Beckerath, Hermann Schulze-Delitzsch, Carl Theodor Welcker
- ↑ zit. nach Mommsen, Revolution, S.81
- ↑ zit. Mommsen, Revolution, S.97
- ↑ Siemann, deutsche Revolution, S.71
- ↑ Eröffnung des (zweiten) Vereinigten Landtages durch Camphausen am 2. April 1848, Nipperdey, Bürgerwelt, S.599
- ↑ zit. nach Langewiesche, S.349
- ↑ B. Holtz: Einleitung in Acta Borussica 4/1 S.28
- ↑ Mommsen, Revolution, S.127
- ↑ Temme, S.159f.
- ↑ Mommsen, Revolution, S.137
- ↑ so etwa Karl Marx Neue Rheinische Zeitung Nr. 3 vom 3. Juni 1848
- ↑ Karl Marx: Camphausens Erklärung in der Sitzung vom 30. Mai. Neue Rheinische Zeitung 3. Juni 1848
- ↑ Wehler, Gesellschaftsgeschichte Bd.2, S.738
- ↑ Siemann, deutsche Revolution, S.141
- ↑ zit. nach Mommsen, Revolution, S.205
- ↑ zit. nach Temme, S.166, Mommsen, Revolution, S.255, ADB Artikel, S.427
- ↑ Nipperdey, Bürgerwelt, S.648
- ↑ Mommsen, Revolution, S.200
Literatur
Quellen
Sekundärliteratur
- Dieter Langewiesche: Gesellschaft- und verfassungspolitische Handlungsbedingungen und Zielvorstellungen europäischer Liberaler in den Revolutionen von 1848. In: Wolfgang Schieder: Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz. Göttingen, 1983
- Wolfgang J. Mommsen: 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830-1849. Frankfurt, 1998. ISBN 3-10-050606-5
- Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat. München, 1998 ISBN 3-406-44038-X
- Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1985
- Richard H. Tilly: Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwicklung Deutschlands 1834 bis 1914. München, 1990
- Jodocus Donatus Hubertus Temme: Augenzeugenberichte der Deutschen Revolution 1848/49. Ein preußischer Richter als Vorkämpfer der Demokratie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996. ISBN 3-534-12756-0
- Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2 Von der Reformära bis zur industriellen und politischen Deutschen Doppelrevolution 1815-1845/49. München, 1989. ISBN 3-406-32262-X
Weblinks
- Verfassungsentwurf der Regierung Camphausen
- Kurzbiographie in der Preußenchronik
- Ludolf Camphausen. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 47, Duncker & Humblot, Leipzig 1903, S. 425.
- Ludolf Camphausen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Band 3, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig/Wien 1885–1892, S. 769.
- Vorlage:PND
Personendaten | |
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NAME | Camphausen, Gottfried Ludolf |
KURZBESCHREIBUNG | preußischer Ministerpräsident |
GEBURTSDATUM | 10. Januar 1803 |
GEBURTSORT | Hünshoven |
STERBEDATUM | 3. Dezember 1890 |
STERBEORT | Köln |