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Thidrekssaga

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Die Thidrekssaga ist eine umfangreiche Sagenkompilation des 13. Jahrhunderts in altnordischer Sprache; neben den älteren norwegischen Fassungen existiert auch eine knappere altschwedische aus dem 15. Jahrhundert (Didrikskrønike). Die Saga erzählt in Prosa das Leben des Helden Thidrek af Bern, der im deutschen Sprachraum als Dietrich von Bern bekannt war. Der Sagaschreiber gibt an, seine Erzählung sei "zusammengestellt nach der Erzählung deutscher Männer, teilweise nach ihren Liedern, womit man große Herren unterhalten soll". Vorlage der Saga waren also offenbar Quellen aus dem niederdeutschen Raum (Sachsenland), teils in Prosa, teils in Versen. Seit dem Hochmittelalter, mit dem Eindringen einer niederdeutsch geprägten Adels- und Kaufmannskultur in den Norden (vgl. Hanse), vergrößerte sich das skandinavische Interesse an Dietrich zunächst in Dänemark, Schweden und Norwegen.

Inhalt

Um die Gestalt des Thidrek (Didrik, Dietrich) von Bern - der in Verona (mittelhochdeutsch "Bern") residierende Ostgotenkönig Theoderich - wurden eine größere Zahl ursprünglich in andere Kontexte gehörende Heldensagen wie diejenige von Siegfried, die Nibelungensage, die Sage von Wieland dem Schmied und die Wilzensage gruppiert, deren Protagonisten mittels Gefolgschaft oder fiktiver Verwandtschaft mit Thidrek verknüpft werden.

Nibelungen und Thidrekssaga

Eine Episode innerhalb der Geschichte behandelt das ganze Schicksal der Nibelungen und erzählt eine ähnliche Geschichte wie das bekannte Nibelungenlied, jedoch mit einigen signifikanten Unterschieden. So ist Brünhild, die im Nibelungenlied als amazonenhafte Königin aus dem fernen Island dargestellt wird, in der Thidreksaga anfangs Herrin über einen Ort Namens Seegard. Zudem wird sie von Sigurd (=Siegfried) entjungfert, was im Nibelungenlied nicht geschieht. Im Nibelungenlied hilft Siegfried lediglich König Gunther, die widerspenstige Brünhild in der zweiten Brautnacht zu bezwingen, ohne jedoch den direkten Beischlaf mit ihr zu vollziehen.

Die Namen und Örtlichkeiten klingen teilweise ähnlich wie im deutschen Nibelungenlied, aber oft findet man auch deutliche Abweichungen. In der Thidrekssaga gibt es keine Burgunden. Diese heißen hier durchweg Niflungen, und sie werden in Susat (= Soest im heutigen Westfalen) von Hunen und ihrem König Attala oder Attila vernichtet.

Allerdings befassen sich von den total 30 Kapiteln und 487 Unterkapiteln nur 5 Kapitel mit 94 Unterkapiteln im engeren Sinne mit den Nibelungen. Von den Anhängern der Idee einer von Theoderich dem Grossen unabhängigen historischen Grundlage (siehe unten) wird kritisiert, dass die meisten Germanisten der Vergangenheit die Thidrekssage nicht in ihrer Gesamtheit beurteilen und erforschen, sondern nur im Zusammenhang mit dem Nibelungen-Epos. Das hätte zur Geringschätzung der Thidrekssaga geführt, weil alles als falsch erscheine, was nicht zum Inhalt der erhaltenen Texten des Nibelungenlieds passe.

Die Quellen der Sagenkompilation sind nicht erhalten. Daher gewinnt die Thidrekssaga auch einen Quellenwert für die mündliche Sagenüberlieferung auf deutschem Boden im 12./13. Jahrhundert, etwa in Form des Heldenzeitliedes.

Die verschiedenen Fassungen

Die Thidrekssaga ist uns in drei Pergament-Handschriften in altnordisch-isländischer Sprache und einer altschwedischen Fassung in zwei sehr ähnlichen Handschriften erhalten. Von den drei Pergament-Schriften gingen zwei verloren. Wahrscheinlich wurden sie bei dem Kopenhagener Stadtbrand im Jahr 1728 vernichtet. Allerdings existieren von beiden gute Abschriften, die als A und B bezeichnet werden. Die dritte der Pergament-Handschriften ist nun die älteste und wird in der Königlichen Bibliothek in Stockholm aufbewahrt. Sie wird normalerweise „Membrane“ genannt und dürfte um die Mitte des 13. Jahrhunderts (etwa 1260) in der norwegischen Hafenstadt Bergen aufgezeichnet worden sein. Diese Version wird bei der Übersetzung ins Deutsche bevorzugt benutzt. Neben diesen drei mit einander Verwandten Handschriften gibt es noch eine Altschwedische Fassung aus dem 15. Jahrhundert, die Didriks-Krönikan (Dietrichschronik) oder Sagan om Didrik af Bern genannt wird. Der Publizist Heinz Ritter-Schaumburg belegte sie mit der Bezeichnung "Svava", wobei es sich eigentlich um ein Geisterwort handelt. Ritter-Schaumburg hat die gängige Abkürzung für die altschwedische Version der Thidrekssaga (Didrikskrønike aus dem 15. Jahrhundert), nämlich "Sv", wie sie von Bertelsen in seiner Ausgabe von 1905-11 zusammenfassend für die Skoklosterhandschrift Nr. 115-116, quarto, und die Handschrift K 45 in der Königlichen Bibliothek Stockholm verwendet wurde, offensichtlich missverstanden und willkürlich zu "Svava" ergänzt. In Wirklichkeit steht "Sv" für "svensk" = "schwedisch".

Interpretation

Neben der These, dass der Ostgotenkönig Theoderich (residierte zeitweise im italienischen Verona = Bern) das historische Vorbild für Dietrich von Bern bildet, wurde von der Forschung auch ein anderer möglicherweise historischer Thidrek ins Spiel gebracht, der im Frühmittelalter an den Kämpfen zwischen germanischen und slawischen (Wilzen) Stämmen zwischen Rhein und Elbe beteiligt gewesen sein soll. Es entspräche dem Wesen von Sagenüberlieferung, wenn entweder in der Thidrekssaga oder in ihren niederdeutschen Quellen ein Stoff, der ursprünglich nicht in den Kreis der Dietrich-Dichtung gehörte, aufgrund einer Namenidentität an diesen angebunden wurde.

Einer breiteren deutschen Öffentlichkeit ist die Thidrekssaga seit einigen Jahrzehnten ein Begriff geworden, weil die Publizisten Heinz Ritter-Schaumburg und Reinhard Schmoeckel sie zu Hauptzeugen für eine sagenhistorische Neuinterpretation des Nibelungenstoffs erhoben. In einigen medienwirksamen Veröffentlichungen vertraten sie die These, dass die Thidrekssaga nicht als später Ausläufer der ursprünglich südgermanischen Dietrichsepik, sondern als Bericht von historischen Ereignissen im norddeutschen Raum des 5./6. Jahrhunderts n. Chr. zu gelten habe. Daher habe die Thidrekssaga als historische Quelle für die germanische Frühgeschichte des Rhein-Weser-Raums einen hohen Wert.

Literatur

  • Þidriks saga af Bern, hg. von H. Bertelsen, 2 Bde, Kopenhagen 1905-1911
  • Die Thidrekssaga: Übersetzt durch Friedrich Heinrich von der Hagen; Otto Reichl Verlag St.Goar ISBN 3-87667-102-7
  • Thidreks saga, in: Rudolf Simek, Hermann Pálsson: Lexikon der altnordischen Literatur, Stuttgart 1987, S. 346 f.
  • E. E. Metzner: Dietrich von Bern in Skandinavien, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3 (1986), Sp. 1020-1021.
  • Hanswilhelm Haefs: Thidrekssage und Nibelungenlied - Vergleichende Studien. Forschungen zur Thidrekssaga. Untersuchungen zur Völkerwanderungszeit im nördlichen Mitteleuropa. Band 2. Bonn 2004. Thidrekssaga Forum e.V.
  • Hermann Reichert: Heldensage und Rekonstruktion. Untersuchungen zur Thidrekssaga, Wien 1992. ISBN 3-900538-34-4
  • Hermann Reichert: Die Nibelungensage im mittelalterlichen Skandinavien. In: Die Nibelungen. Sage - Epos - Mythos, hg. Joachim Heinzle - Klaus Klein - Ute Obhof, Wiesbaden 2003. ISBN 3-89500-347-6
  • H. Ritter-Schaumburg: Die Nibelungen zogen nordwärts, Reichl 2003.
  • H. Rosenfeld: Dietrich von Bern, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde Bd. V, Berlin-New York 1984, S. 425-430.
  • H. Rosenfeld: Dietrichdichtung, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde Bd. V, Berlin-New York 1984, S. 430-442. (ein separater Artikel Thidreks saga ist im Druck).
  • Hermann Schneider: Germanische Heldensage, Berlin-New York ²1964 (zu Dietrich/Thidrek bes. S. 214-331).