Schultersteife
Der Begriff schmerzhafte Schultersteife (Syn: Periarthropathia humeroscapularis, PHS, Frozen Shoulder, Duplay-Krankheit) bezieht sich auf die Eigenschaft des Schultergelenkes, auf jeden schlechten Zustand recht schnell mit einer Einbuße der Beweglichkeit zu reagieren.
Anatomie - mögliche Korrelate der Bewegungseinschränkung
Die Gelenkpfanne am Schulterblatt ist, im Verhältnis zum Oberarmkopf, sehr klein, die Führung des Gelenkes erfolgt überwiegend durch die Muskulatur und die Gelenkkapsel. Der Bewegungsumfang im Schultergelenk ist extrem groß, die Kapsel dem zu Folge sehr weit, und in jeder Stellung wirft diese Kapsel an der einen oder anderen Seite Falten. Wird die Schulter aufgrund schmerzhafter Veränderungen nicht immer wieder im vollen Umfang durchbewegt, kann es zu Verklebungen dieser Falten kommen, die Beweglichkeit nimmt ab (sog. Kapselmuster). Eine andere mögliche Ursache der Bewegungseinschränkung ist eine Verkürzung von Muskeln, die das Gelenk bewegen und bei Bewegungen in die Gegenrichtung nachgeben müssen.
Ursachen - für Schmerzen, ggf. Entzündung, und ggf. muskuläre Verkürzungen
Ohne auf den eigentlichen Grund einzugehen, beschreibt der Begriff nur die schmerzhafte Bewegungseinschränkung. Dieser können ganz verschiedene Ursachen zugrunde liegen.
Verkalkende Schleimbeutelentzündung
(Syn: Bursitis calcarea, calcificans) Der Innenraum eines Schleimbeutels steht nicht in direkter Verbindung mit dem Blutkreislauf. Kommt es, bei irgendwelchen Verletzungen, zu Einblutungen, so kann der Körper das Blut nicht, wie an anderen Stellen des Körpers, resorbieren. Im Lauf der Zeit wird dieses Blut zu einem kalkigen, wenig flüssigen Material, das in dem Schleimbeutel liegen bleibt. Eine ungünstige Bewegung reicht dann oft aus, diesen Kalkpfropfen einzuklemmen. Das umgebende Gewebe schwillt an, der Raum im Schultergelenk wird aufgebraucht, jede Bewegung schmerzt. Eine andere (ergänzende) Erklärung für eine Entzündung des Schleimbeutels ist die Kombination von Überlastung durch zu viel Druck durch den beim Abspreizen krankhaft nach oben steigenden Oberarmknochen (Humeruskopfhochstand bzw. gestörter Bewegungsablauf s.u.)(wofür der Schleimbeutel als Verschiebeschicht nicht so gut geeignet ist) mit einer auch durch den Druck gestörten Trophik (Versorgungssitutation des Gewebes). Kalk lagert sich gerne da ab, wo der Gewebe-pH zu gering / sauer ist.
Verletzungen der Rotatorenmanschette
Tritt meist in Kombination mit bzw. bedingt durch ein Impingement (s.u.) auf. Neben der Drehung bzw. dem Abspreizen des Oberarmes ist die Rotatorenmanschette in weitaus höherem Maße jedoch dafür verantwortlich den Humeruskopf in der Pfanne zu halten und das sog. "Kaudalgleiten" (Cauda=Schwanz,Schweif; bezogen auf das Os Coccygis=Steißbein) einzuleiten in dem der Humeruskopf über das sog. "Rollgleiten" nach Kaudal (fußwärts) bewegt wird damit er bei der Anteversion nicht unter das Acromion schlägt. Der gemeinsame Ansatz dieser Muskeln ist eine Sehnenmanschette, die um das körpernahe Ende des Oberarmknochens liegt. Zerrungen der Schulter können diese Sehnenmanschette verletzen. Auch die Sehnen der an der Rotation beteiligten Muskeln können durch degenerative Prozesse angegriffen werden, insbesondere wenn sie chronisch verspannt sind. Dafür, dass beim Abspreizen des Armes der Oberarmkopf nicht nach oben steigt und so den Raum für die Rotatorenmanschette zwischen Oberarmkopf und Schulterdach einengt, ist die Kokontraktion der Schulteradduktoren (Mm. latissimus dorsi, Teres major u. minor, Pectoralis major und caudale Anteile der Mm. infraspinatus und subscapularis) wesentlich. Eine (Teil-) Ruptur der Rotatorenmanschette, insbesondere des Supraspinatusanteiles, wird gefördert durch eine gestörte Trophik durch chronische Verspannung des Supraspinatusmuskels.
klassische Frozen Shoulder
Charakterisitsch ist die z.T. massiv schmerzhaft eingeschränkte Außendrehung des Armes in der Schulter - aktiv wie auch passiv. Neben entzündlichen Vorgängen kann dies durch eine Verhärtung des wichtigsten Innendrehers, des M. subscapularis bedingt sein (ist in der Achselhöhle und z.T. zwischen Schulterblatt und Brustkorb tastbar.
Impingement-Syndrom (Einklemmung)
Hier handelt es sich wahrscheinlich um die häufigste Ursache einer schmerzhaften Schultersteife. Die Meinung über die Ursachen des Impingements ist noch nicht einheitlich, meist wird ein Sammeltopf von Ursachen genannt.
Zwischen dem Oberarmkopf und dem „Schulterdach“ zieht die Rotatorenmanschette hindurch. Hier liegt auch die Bursa subacromialis (s.o.). Es ist dort, je nach Form der Knochen, relativ wenig Platz. Als „Schulterdach“ bezeichnet man das Acromion einschließlich des Gelenkes zum Schlüsselbein (Schulter-Eckgelenk) und des zum Rabenschnabelfortsatz des Schulterblattes laufenden Bandes (Lig. coracoacromiale). Wenn eine Sehne dazwischen irritiert wird, schwillt diese an, und der sowieso schon geringe Platz wird dann noch mehr eingeengt mit Schmerzen und einer Störung der Struktur der Sehne/Rotatorenmanschette. Dies geschieht vor allem bei gestörtem Bewegungsablauf bei Abspreizbewegungen des Armes (s.u. Verletzungen der Rotatorenmanschette und gestörtes Caudalgleiten).
Aber auch chronische Überbelastungen mit kleinen Abrissen von Sehnen oder Gelenklippe (Bankart Läsion), forcierte Wurfsportausübung und altersbedingte Atrophien der Rotatorenmanschette an der Schulter kommen infrage.
Arthrotische Veränderungen des Gelenkes, vor allem des Schultereckgelenkes (Acromioclavikulargelenk) haben Osteophyten zur Folge, die in den Raum, in dem der Oberarmkopf bzw. die Rotatorenmanschette bewegt wird, hineinwachsen (Hook). Auch hier ist eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung die Folge.
Verletzungsfolgen, genauso wie Überlastungen können zu einer Schädigung des Schultergelenkes führen. Besonders schwere Arthrosen finden sich bei Leuten, die wegen anderen Erkrankungen sehr lange Zeit auf Unterarmgehstützen angewiesen waren. Die degenerativen Veränderungen führen dann auch zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung. Im fortgeschrittenen Stadium kann es dann auch, wie bei anderen Gelenken, zum Zustand einer aktivierten Arthrose kommen, zusätzlich zu den degenerativen Veränderungen treten dann noch entzündliche Reaktionen auf.
Arthritische Reizzustände
Ebenso wie jedes andere Gelenk des Körpers kann auch die Schulter von entzündlichen Prozessen betroffen sein. Abhängig vom Typ der Erkrankung kann hier eine Oligoarthritis oder eine Polyarthritis vorliegen.
Krebs
Seltener, aber in ihren therapeutischen Konsequenzen wesentlich sind Metastasen einer Krebsgeschwulst, die sich häufig im Oberarmkopf absiedeln.
Schulteramyotrophie
Brüche
Unerkannte Brüche bei Osteoporose können die gleiche Symptomatik auslösen, sind aber meistens mit einem schweren Bluterguss verbunden, der bis in die Hand sickern kann. Diese Brüche werden kaum übersehen.
Psychosomatik
Nicht vergessen werden darf, dass viele Spannungsstörungen der Schultermuskulatur durch innere Anspannung (mit-) bedingt sind - zu viel auf den Schultern tragen etc.
Diagnostik
Aus dem klinischen Befund und der zuweilen erheblichen Bewegungseinschränkung lässt sich die Schultersteife problemlos feststellen. Da damit aber noch keine Aussage über die Ursache dieser Symptomatik getroffen wurde, muss sich eine eingehendere Untersuchung anschließen. Als noch keine über die herkömmliche Röntgenaufnahme hinausgehende Diagnostik möglich war, hat sich die Bezeichnung Schultersteife etabliert. In den meisten Fällen zeigt die Röntgenaufnahme auch an einem völlig eingesteiften Gelenk kaum Auffälligkeiten, der Zustand der Gelenkkapsel und der umgebenden Sehnen entzog sich dieser Untersuchung. Die Arthrographie wurde eingesetzt, damit war zumindest ein Riss der Rotatorenmanschette festzustellen. Auch heute hat die Standard-Röntgenaufnahme weiterhin ihren Wert als Einstiegsverfahren, um Schäden am Knochen zu sehen oder auszuschließen.
Bei weiterhin unklaren Beschwerdebildern bietet sich heute (2006) als Zusatzverfahren das NMR an. Sehnen und Bandapparat werden deutlich dargestellt, auch können Veränderungen im Knochenstoffwechsel schon in einem sehr frühen Stadium Hinweise auf bedrohliche Erkrankungen liefern, wenn das Röntgenbild noch unauffällig ist. Der Einsatz dieser aufwändigen Diagnostik sollte jedoch nicht unüberlegt schon bei leichteren Beschwerdebildern erfolgen. Es ist zu bedenken, dass das NMR eine im Prinzip einer operativen Intervention vorangehende Untersuchung ist. Steht bei einem relativ gering ausgeprägten Krankheitsgeschehen eine Operation nicht zur Debatte, ist diese Untersuchung nutzlos, da die sich eventuell ergebenden Konsequenzen gar nicht gezogen werden würden.
Therapie
Die typische Eigenschaft einer Schultersteife ist der langsame, sich oft über etliche Monate hinziehende Krankheitsverlauf. Die konservative, also nicht-operative Behandlung mittels Krankengymnastik, lokalen Infiltrationen und Medikamenten erfordert sowohl vom Patienten als auch vom Arzt eine Menge Geduld.
Bei Verkürzung von Muskeln (sehr häufig wesentlich beteiligt) ist eine Behandlung der myofaszialen Triggerpunkte, z.B. in Form einer gezielten Infiltration oder Nadelung durch einen spezialisierten Arzt/Akupunkteur oder einer gezielten punktuellen Massage durch Physiotherapeuten und Masseure oft sehr hilreich. Zum Teil lässt sich eine sofortige deutliche Beschwerdebesserung erreichen. Bei einer chronischen Schultersteife dauert dies jedoch länger. Bei Kontrakturen ist eine ergänzende manualtherapeutische Mobilisation (Krankengymnasten bzw. Physiotherapeuten und Masseure mit Spezialausbildung) sinnvoll.
Eine vorwiegend auf die Beseitigung der Bewegungseinschränkung gerichtete Behandlung stellt die Narkosemobilisation dar. Der Patient wird betäubt, die Schulter dann unter oft eindrucksvollen Geräuschen durchbewegt. Stehen die Verklebungen der Kapsel im Vordergrund der Schwierigkeiten, ist dieses Vorgehen sinnvoll. Eine physiotherapeutische Nachbehandlung ist fast immer erforderlich.
Bevor die Entscheidung zur Arthroskopie getroffen wird, sollte die langwierige Rehabilitation nach einem operativen Eingriff an der Schulter bedacht werden.
"Nach neueren Untersuchungen mit dem MRI wissen wir, dass eine Rotatorenmanschettenverletzung spontan oder mit konservativer Therapie nicht abheilen kann, da die Schwerkraft, welche den Arm nach unten zieht und die Zugrichtung der RM entgegengesetzt sind." Zitat von Dr. Christoph Thür, Dr. med. FMH Chirurgie, Traumatalogie, Schulterchirurgie [stimmt nicht immer].
Sicher ist die Arthroskopie unter den heutigen Bedingungen das Mittel der Wahl, um den Raum unter dem Schultereckgelenk wiederherzustellen, gerissene Sehnen zu versorgen oder Kapselschäden in Ordnung zu bringen. Übergreifend wird das als „Gelenktoilette“ bezeichnet. Leider verläuft dieses elegante Verfahren nicht immer so, wie gewünscht. Das Resultat ist dann eine Verschlimmerung des Zustandes ohne eine greifbare Möglichkeit der kurzfristigen Besserung. Die Ergebnisse können durch die o.a. Mitbehandlung der Muskulatur deutlich verbessert werden.
Verwechslungsmöglichkeiten
Das cervikobrachiale Syndrom geht oft mit Schmerzen einher, die auf die Schulter beschränkt sind. Das Karpaltunnelsyndrom verursacht oft Schmerzen im ganzen Arm einschließlich der Schulter. In beiden Fällen hat eine Behandlung der Schulter keinen Nutzen.