Documenta 12
Die documenta 12 ist die zwölfte Ausgabe der documenta, der weltweit bedeutendsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Sie findet vom 16. Juni bis zum 23. September 2007 in Kassel statt. Ihr künstlerischer Leiter ist Roger-Martin Buergel, als Kuratorin fungiert Ruth Noack. Gemeinsam entschieden sie über die Konzeption der Ausstellung und die Auswahl der Teilnehmer. An mehreren Ausstellungsorten werden über 500[1] Arbeiten von mehr als 100 Künstlern aus aller Welt gezeigt.
Hintergrund
Roger-Martin Buergel wurde im Dezember 2003 von einer internationalen Findungskommission dem Aufsichtsrat der documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH zur Wahl als künstlerischer Leiter vorgeschlagen. Buergel war zu diesem Zeitpunkt kein bekannter Ausstellungsmacher oder Museumsleiter und soll auch kein klar umrissenes Konzept präsentiert haben. „Vermutlich deshalb entschied sich die Jury am Ende für mich [...] Als einziger Kandidat habe ich in den Bewerbungsgesprächen keine Künstlernamen genannt. Das hat sie überzeugt“.[2] Beobachter spekulierten darüber, dass mit der Entscheidung der Berufungskommission auch eine Kritik und Abwendung von den Konzeptionen der zurückliegenden documenta X (Catherine David, 1997) und Documenta11 (Okwui Enwezor, 2002) verbunden gewesen sei, die vielen als theorielastig galten.[3]
Zusammen mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Ruth Noack, zog Buergel zwei Jahre vor Beginn der Ausstellung von Wien nach Kassel. Noack wird in Veröffentlichungen der documenta 12 als „Kuratorin“ genannt. Sie selbst führte in einem Interview im Mai 2007[4] diese Konstruktion, ein künstlerischer Leiter und eine Kuratorin, auf die documenta-Statuten zurück. Diese würden festlegen, dass nur eine Person die Leitung einnehmen kann „[...] sonst wäre es für Roger M. Buergel und mich selbstverständlich gewesen, dass wir das gemeinsam übernehmen.“ Noack betonte, beide hätten Arbeiten ausgesucht und wären dabei zum Teil gemeinsam, zum Teil alleine gereist. „Jetzt bauen wir die Ausstellung gemeinsam, [...] Der größte Unterschied besteht in der öffentlichen Wahrnehmung: Das ist ein Starsystem, und da gibt's nur einen Leiter. Ich finde das gar nicht so schlecht. Ich kann mich dann konzentrieren auf die inhaltliche Arbeit und nicht so sehr auf den Bereich der Repräsentation. [...] Er hat kein Problem mit Selbstdarstellung. So ein großes Schiff zu steuern, das interessiert mich nicht so. Mich interessiert, eine Ausstellung zu machen.“
Neben Buergel und Noack sind weitere Personen enger mit der Konzeption und dem Erscheinungsbild der Ausstellung verbunden:
Georg Schöllhammer - durch die Konzeption und Leitung des Zeitschriftenprojektes (documenta 12 magazines)
Tim Hupe - als (mit)verantwortlich für die Ausstellungsarchitektur der documenta 12
Alexander Horwath - durch die Auswahl des Filmprogramms der Ausstellung
Ulrich Schötker - als Leiter der Kunstvermittlung im Rahmen der documenta 12
Konzept
Die Konzeption der Ausstellung, die Auswahl der Künstler und Arbeiten, spiegelt den Blick der Ausstellungmacher sowohl auf die Institution documenta, als auch auf die Frage, was relevante zeitgenössische Kunst ist. Die Verantwortlichen der documenta 12, Roger M. Buergel und Ruth Noack, sprechen in ihren Veröffentlichungen[5] von der documenta als „Möglichkeitsraum“ und heben die Bedeutung der ersten documenta hervor. 1955 sei es Arnold Bode gelungen „[...] Kunst, Architektur und BetrachterInnen in Beziehung zu setzen und Öffentlichkeit zu begründen.“ Im Zusammenhang mit den Begriffen zeitgenössische Kunst und aktuelle Kunst, betonen sie, dass:
- „[...] „aktuell“ nicht heißt, dass die Werke gestern entstanden sind. Sie müssen für uns Heutige bedeutsam sein. Die documenta 12 zielt auf historische Entwicklungslinien in der Kunst ebenso wie auf unerwartete Gleichzeitigkeiten.“
Ein großer Teil der ausgestellten Arbeiten stammt insofern nicht aus dem 21. Jahrhundert, sondern aus den letzten Jahrzehnten des vorigen. Das älteste Ausstellungsstück ist eine persische Miniatur, entstanden im 14. Jahrhundert. Der unbekannte Künstler montierte geschwungene Linien aus der chinesischen Bildsprache in seine persische Landschaft. Derartige Wanderungen künstlerischer Elemente und Formen über Zeit- und Kulturgrenzen bilden einen Schwerpunkt des Ausstellungskonzepts der documenta 12. Buergel spricht in diesem Zusammenhang von der „Migration der Form“.
Die Ausstellungmacher betrachten die documenta als eine „Bildungsinstitution“,[5] schließen sich in den Kreis der zu Bildenden aber auch selbst mit ein. So schrieb Buergel im Dezember 2005, im Zusammenhang mit der Formulierung der drei „Leitmotive“ der documenta 12: „[...] schließlich machen wir die Ausstellung, um etwas herauszufinden.“[6] In einer Veröffentlichung der documenta 12 aus dem November 2006[5] wird, im Zusammhang mit dem documenta 12 Beirat und dem Zeitschriftenprojekt, auch ausdrücklich eine „Devise“ angesprochen: „Wir machen eine Ausstellung, um etwas zu erfahren“. Als Versuch, etwas über Menschen und Kunst zu erfahren, kann auch die erste Aktion der documenta 12 gelten, die bereits 2006 startete: Would you like to participate in an artistic experience?.
In ihren Veröffentlichungen im Vorfeld[5] warnten die Ausstellungsmacher die Besucher, dass ihnen auf der documenta 12 keine leichtverständliche Kunst geboten wird, trösteten diese aber gleichzeitig darüber hinweg, dass nicht alles verstanden werden kann oder muss:
- „Die BesucherInnen der documenta 12 sind eingeladen, sich mit Kunst zu beschäftigen, die sich selten einfach, häufiger gar nicht verstehen lässt. Die Ausstellung wird ihr Publikum fordern und auffordern, sich auf die ästhetische Erfahrung und die mit ihr verbundenen Entdeckungen einzulassen. In der documenta 12 werden die Besucher angehalten, ihre eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten zu betrachten und an sich selbst zu arbeiten. [...] Dass das Vergnügen und die Herausforderung des Ausstellungsbesuchs jenseits rationalen Verstehens liegen, ist eine Erfahrung, die viele BesucherInnen der vergangenen documenta-Ausstellungen gemacht haben. Gerade auf die Bereitschaft des Publikums, sich auf eine solche Begegnung einzulassen, setzen die AusstellungsmacherInnen - und auf die Kraft der Kunst.“
In einem Zeitungsinterview kurz vor der Eröffnung der Ausstellung[7] wurde auch Betty, eine Portraitmalerei Gerhard Richters, angesprochen, die zwischen zwei abstrakte Arbeiten von Lee Lozano in einen Raum des Fridericianums gehängt wurde. Buergel und Noack spannten auf Nachfragen zu den Bezügen zwischen den Werken einen weiten Interpretationsbogen vom russischen Suprematismus bis zu Ulrike Meinhof. Auf die Frage des Interviewers: „Glauben Sie im Ernst, dass all das dem Publikum "visuell einleuchtet"?“, antwortete Noack:
- „Das Publikum wird das natürlich nicht alles wahrnehmen. Damit müssen wir leben. Zeitgenössische Kunst braucht Hingabe, jahrelange Hingabe. Man kann sie nicht so einfach unterm Arm mitnehmen. Aber: Auch den Experten wird es bei unserer Documenta an Interpretationswissen fehlen. Da sind dann alle wieder fast auf dem gleichen Stand. Doch nur wenn jemand etwas nicht weiß, heißt das noch lange nicht, dass er nicht schauen und sich involvieren soll.“
Öffentlichkeitsarbeit
Im Februar 2006 wurde das Logo der documenta 12 vorgestellt, eine Strichliste, die die Zahl zwölf abbildet. Gestaltet wurde es von der Wiener Grafikerin Martha Stutteregger. Ende April 2007 startete die Plakataktion der documenta 12. Grundlage bildeten verfremdete Blütenabbildungen, entstanden im Gewächshaus des Bergpark Wilhelmshöhe. Innerhalb Deutschlands kommen die fünf Motive in 70 Städten zum Einsatz. Ende Mai 2007 wurde ein Kinotrailer für die documenta 12 veröffentlicht. Der etwa 45 Sekunden lange Spot zeigt Fußgänger und deren Schattenwurf. Die Aufnahmen sind Ausschnitt eines Kurzfilmes des Künstlers und Filmemachers Mark Lewis aus dem Jahr 2005 und entstanden im Londoner Financial District.
Die documenta 12 wurde offiziell am Samstag den 16. Juni 2007 um 10:00 durch den deutschen Bundespräsidenten, Horst Köhler, eröffnet. Bereits am Nachmittag des 13. Juni wurde die Ausstellung für akkreditierte Pressevertreter, sowie ganztägig am 14. und 15. Juni für Presse und ausgewählte Gäste im Rahmen einer Preview geöffnet. An diesen Tagen bestand auch die Möglichkeit, die Künstler bei ihren ausgestellten Arbeiten anzutreffen und mit ihnen Gespräche zu führen. Bei der Eröffnungspressekonferenz, am 13. Juni 2007, waren 2700 akkreditierte Journalisten aus aller Welt anwesend.[8] In einer Veröffentlichung Ende Mai 2007[9] luden die Organisatoren der documenta 12 für den Vorabend der offiziellen Eröffnung, den 15. Juni, auf „[...] ein großes Fest für die BürgerInnen der Stadt und alle documenta-Interessierten [...]“ im Bergpark Wilhelmshöhe ein. Dies anstelle eines „[...] exklusiven Cocktailempfang[s] für geladene Gäste [...]“ um - wie die Organisatoren schreiben - der Verbundenheit mit „[...] der Stadt Kassel und ihren Menschen [...] Ausdruck [zu] verleihen.“
Von den Ausstellungsmachern Buergel und Noack sind zahlreiche kritische Bemerkungen wie „Biennale-Unwesen“[10] (Buergel) und „Leistungsschau“[4] (Noack) zu anderen Ausstellungen von Gegenwartskunst überliefert. Sie betonten immer wieder, dass die documenta 12 hier durchaus als Gegenentwurf zu verstehen sei. Das hinderte die documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH aber nicht daran, sich der Plattform Grand Tour 2007 anzuschließen. Dort sind außerdem drei weitere Kunstausstellungen des Sommers 2007 vertreten, die Skulptur.Projekte in Münster, die Biennale di Venezia und die Art Basel. Faktisch handelt es sich um den Versuch, zusammen Reisearrangements zu vermarkten, gemeinsame kuratorische oder künstlerische Ansätze sind damit nicht verbunden.
Leitmotive
Bereits im Dezember 2005 formulierte Buergel drei „Leitmotive“ in Frageform, an denen sich die documenta 12 orientieren sollte.[6]
Ist die Moderne unsere Antike? Stellt die Frage nach der Bedeutung des Begriffs der Moderne:
- [...] Nach den totalitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts (den gleichen Katastrophen, die sie ins Werk setzte) scheint die Moderne in Trümmern zu liegen und vollkommen kompromittiert [...] Dennoch ist das Vorstellungsvermögen vieler Menschen von modernen Formen und Visionen tief durchdrungen, und das bedeutet nicht nur Bauhaus, sondern auch Konzepte der Moderne wie „Identität“ oder „Kultur“, die aus der aktuellen Diskussion nicht wegzudenken sind. Kurz, es scheint, als stünden wir zugleich außerhalb und innerhalb der Moderne. [...]
Was ist das bloße Leben? Meint das Spektrum von körperlicher Verletzlichkeit bis zur Ektase und dessen Behandlung in der Kunst:
- [...] Das bloße Leben kennt eine apokalyptische und unmissverständlich politische Dimension, an deren Ende die Folter und das Konzentrationslager stehen. Es lässt sich auf diesen apokalyptischen Aspekt aber nicht reduzieren, denn es kennt auch eine lyrische oder sogar ekstatische Seite – eine Freiheit für neue und unerwartete Möglichkeiten [...]. Mitunter gelingt es der Kunst, die Trennung zwischen schmerzvoller Unterwerfung und jauchzender Befreiung vergessen zu machen. [...]
Was tun? Zielt auf die Vermittlung von Kunst und die Bedeutung dieses Vorgangs im Rahmen von Bildung:
- [...] In der Kunst und ihrer Vermittlung spiegelt sich der globale Prozess kultureller Übersetzung, der wiederum die Chance einer allumfassenden öffentlichen Debatte bietet. Ein Publikum zu bilden bedeutet, nicht nur Lernprozesse anzustoßen, sondern für eine Öffentlichkeit tatsächlich zu sorgen. Heute erscheint ästhetische Bildung als die einzig tragfähige Alternative zu Didaktik und Akademismus auf der einen und Warenfetischismus auf der anderen Seite.
In einer Veröffentlichung der documenta 12 aus dem November 2006[5] wurden die Leitmotive als „Drei Fragen an die Kunst und ihr Publikum“ eingeordnet. Die „Leitmotive“ waren jetzt „Leitfragen“, die sich der künstlerischen Leitung „[...] in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst aufgedrängt haben.“ Die Ausstellungsmacher betonten: „Diese Fragen werden in der Ausstellung keine unmittelbaren, dafür jedoch viele vermittelte Antworten finden.“
documenta 12 Beirat
Im Vorfeld der Ausstellung wurde der documenta 12 Beirat[11] etabliert. Dieser Beirat besteht aus rund 40 Personen und kam seit Beginn des Jahres 2006 regelmäßig in Kassel zusammen. Dabei sollten lokale Erfahrungen aus den Bereichen Bildung, Stadtplanung, Arbeitswelt, Wissenschaft, sozialer Arbeit, politischen Organisationen, Religion und Kultur sowie Kinder- und Jugendarbeit in die Ausgestaltung der documenta 12 einfließen. Die Organisatoren ordnen den Beirat - ebenso wie das Zeitschriftenprojekt (documenta 12 magazines) - ihrer Devise „Wir machen eine Ausstellung, um etwas zu erfahren“ zu. Gemeint ist der Versuch, „lokales Wissen an verschiedenen Orten der Welt in Beziehung [zu] setzen – und auch die Menschen, die darüber verfügen“.[5]
Zeitschriftenprojekt
Bereits im Vorfeld der documenta 12 wurden die „Leitmotive“ innerhalb eines von Georg Schöllhammer geleitete Zeitschriftenprojekt von mehr als 80 Zeitschriften, Magazinen und Online-Medien weltweit diskutiert.[12] Die documenta 12 fasst die von den Redaktionen geführten Debatten zusammen. Das Ergebnis bilden die documenta 12 magazines, insgesamt drei Veröffentlichungen, die als „Zeitschrift der Zeitschriften“ fungieren. Sie sind über den Buchhandel erhältlich und sollen, so die Austellungsmacher, „[...] den LeserInnen und den BesucherInnen der documenta 12 zur Navigation dienen.“
Kunstvermittlung
Bereits während der Vorbereitung der documenta 12 wurde von den Ausstellungsmachern der hohe Stellenwert der Kunstvermittlung betont. Diese sei keine Zusatzdienstleistung, sondern „integraler Bestandteil der kuratorischen Komposition“. Die Macher betonten „Wie das Leben hat die Kunst keinen Sinn; Sinn muss ihr erst zugedacht werden“. Die Kunstvermittlung soll im Rahmen der „Bildungsinstitution“ documenta die „Kunstwerke sprechen [...] lassen“. im Vorfeld wurde in diesem Zusammenhang der Begriff „Palmenhaine“ verwendet. Diese sollen als Teil der Ausstellungsarchitektur sowohl Orte der Kontemplation, als auch der Diskussion sein.[5]
Finanzierung
Der offizielle Etat der documenta 12 beträgt 19 Millionen Euro. Er setzt sich zusammen aus den Einnahmen aus Karten- und Katalogverkauf, sowie aus Zuschüssen der öffentlichen Hand und von Unternehmen als Sponsoren. Öffentliche Mittel fließen vom Land Hessen, der Stadt Kassel, sowie der Kulturstiftung des Bundes. So bezeichnete „Hauptsponsoren“ der documenta 12, die in Veröffentlichungen samt Unternehmenslogo genannt werden, sind der Automobilhersteller Saab und die Sparkassen Finanzgruppe.
Der Gesamtetat von 19 Millionen Euro wird zum Großteil für die Infrastruktur der Ausstellung verwendet. Nur ein Zehntel, also etwa 2 Millionen Euro, stehen dem künstlerischen Leiter, Roger-Martin Buergel, für die Realisierung seiner kuratorischen Vorstellungen zur Verfügung. In diesem Zusammenhang sorgte Ende 2006 insbesondere die Finanzierung des von Buergel initiierten Bauvorhabens Aue-Pavillon, mit Kosten von ca. 3,5 Millionen Euro, für Spekulationen über eine mögliche Deckungslücke. Noch im April 2007, Monate nach dem Baubeginn, sprach Buergel in einem Interview[13] davon, dass dessen Finanzierung noch immer nicht gesichert sei und sagte: „Man sucht nach Finanzierungsformen. Ich kann aber nicht warten, bis ich das Geld habe. Das ist wie eine Filmproduktion: Man fängt an zu drehen, ehe man das Geld zusammenhat.“ Buergel setzte auf Privatpersonen als Sponsoren, Mitglieder einer „globalen Bourgeoisie“. Im Mai 2007 erklärte er die Finanzierung schließlich für gesichert. Ein von Buergel ins Leben gerufener documenta-Freundeskreis wird Mehrkosten über den offiziellen Etat hinaus übernehmen.
Ausstellungsarchitektur
Die documenta 12 nutzt architektonisch sehr unterschiedliche Gebäude als Ausstellungsorte, hinzu kommen künstlerische Arbeiten im Außenraum. Für die Ausstellungsmacher stellte sich nicht nur die Frage nach Gestaltung und Lichtsetzung innerhalb dieser Räumlichkeiten, sie standen auch vor der Entscheidung, welche Arbeiten in welchem Gebäude präsentiert werden. Grundsätzlich war - wie schon bei den letzten documenta-Ausstellungen - zu klären, welche Gebäude überhaupt verwendet werden. Bei der Documenta11 im Jahr 2002 hatte sich deren künstlerischer Leiter, Okwui Enwezor, entschieden, ein leerstehendes ehemaliges Brauereigebäude zu nutzen, um auf gestiegenen Flächenbedarf und die gewachsenen Besucherzahlen der letzten Jahrzehnte zu reagieren. Der künslerische Leiter der documenta 12, Roger M. Buergel, ließ stattdessen für die Dauer der Ausstellung ein komplett neues Bauwerk als Hauptausstellungsort errichten, den Aue-Pavillon, der bereits im Vorfeld für Aufmerksamkeit und Diskussionen sorgte. Zwar waren schon auf früheren documenta-Ausstellungen temporäre Bauten zum Einsatz gekommen, jedoch nicht in solchen Dimensionen.
In Veröffentlichungen zur Ausstellungsarchitektur[14] beriefen sich Buergel und Noack auf Arnold Bode, den Leiter der ersten documenta-Ausstellungen, und verwiesen auch auf Konzepte von Friedrich Kiesler in den USA und von Lina Bò Bardi in Brasilien. Kernmerkmale der Ausstellungsarchitektur bilden der Versuch, bestehender Architektur ihren Charakter zurückzugeben sowie die Abwendung vom Konzept des White Cube.
Charakter zurückgeben
Mit dem Fridericianum aus dem 18. Jahrhundert und der Neuen Galerie aus dem 19. Jahrhundert sind zwei historische Gebäude zentrale Ausstellungsorte der documenta 12. Diese Bauwerke bilden die Formensprache ihrer Entstehungszeit heute jedoch nur noch auf ihrer Fassade ab. Die Innenräume wurden stattdessen in den Jahrzehnten nach deren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in Raumkonzeptionen und mit Stilelementen wiederaufgebaut, die in der Tradition der Modernen Architektur stehen. Die documenta 12-Kuratorin Ruth Noack sprach in diesem Zusammenhang auch von „Verschandelung“.[10]
Die Ausstellungsmacher der documenta 12 wollen mit ihrer Ausstellungsarchitektur den jeweiligen Gebäuden ihren „Charakter zurückgeben“ (Noack)[10] und an deren ursprüngliche Nutzungen anknüpfen: Im Museum Fridericianum sehen die Ausstellungsmacher ein ehemaliges naturwissenschaftliches Museum und Wunderkammer. Die Neue Galerie interpretieren sie als ein bürgerliches Museum mit intimer Kabinett-Struktur. In der modernen documenta-Halle aus dem späten 20. Jahrhundert, insbesondere in deren großer Halle, sehen sie eine öffentliche Agora.[10]
Abwendung vom White Cube
Auf der documenta 12 wird mit der als White Cube (weißer Würfel) bezeichneten und etablierten Ausstellungsarchitektur, die ihre Wurzeln in der Modernen Architektur des 20. Jahrhunderts hat, gebrochen. In diesem Zusammenhang werden Wände farbig statt nur weiß gestaltet und die Arbeiten überwiegend als großräumige Zusammenstellungen präsentiert. Einzelarbeiten in abgeschlossenen Räumen bilden Ausnahmen.
Der künstlerische Leiter Buergel beklagte im April 2007[10], die meisten Künstler kämen mit dem Wunsch auf ihn zu „gib mir meine Schuhschachtel“. Buergel betonte, dass er ein anderes Konzept verfolgt, eine „Durchdringung und eine Kommunikation der Formen“. Er kritisierte in diesem Zusammenhang das „Biennale Unwesen“, durch das viele Künstler „verdorben“ seien und betonte, documenta arbeite hier „an einem anderen Modell“.
Ausstellungsorte
Die documenta 12 nutzt sechs Ausstellungsorte innerhalb Kassels[15] Neben den bereits während früherer documenta-Ausstellungen genutzten Gebäuden Fridericianum, Neue Galerie und documenta-Halle wurde zur documenta 12 als temporäres Bauwerk der Aue-Pavillon erstellt. Die Ausstellung bezieht erstmal auch das Schloss Wilhelmshöhe im Bergpark Wilhelmshöhe ein. Schloss und Park liegen am westlichen Stadtrand, und damit von der Innenstadt mit den vier wichtigsten Ausstellungsgebäuden entfernt. Nördlich der Innenstadt befindet sich das ebenfalls erstmals genutzte Kulturzentrum Schlachthof.
Wie auch schon bei vorhergehenden documenta-Ausstellungen gibt es neben den künstlerischen Arbeiten die innerhalb der Ausstellungsgebäude präsentiert werden zusätzlich mehrere Außenarbeiten.[16]
Aue-Pavillon
Seit Anfang 2007 entstand auf Initiative des künstlerischen Leiters der documenta 12, Roger-Martin Buergel, der von den Ausstellungsmachern sobezeichnete Aue-Pavillon. Der Name des temporären Bauwerks leitet sich von seinem Standort ab, der innerstädtischen Parkanlage Karlsaue. Auf dem Rasen vor dem Gebäude der dortigen Orangerie wurde eine zusätzliche Ausstellungsfläche von 9 500 Quadratmetern installiert, auf der 140 Arbeiten gezeigt werden. Der Aue-Pavillon dient außerdem als zentraler Standort für die unter dem Stichwort „Palmenhaine“ geplanten Aspekte der Kunstvermittlung im Rahmen der documenta 12.
Baugeschichte
Die Ausstellungsmacher bezeichneten in Veröffentlichungen zur Ausstellungsarchitektur[17] das vom Pariser Büro Lacaton & Vassal entworfene Bauwerk als ein „[...] dezidiert zeitgenössisches, aber auch temporäres Gebäude [...]“ und sehen es in in enger Beziehung zur benachbarten Orangerie und zur Gartenarchitektur der Karlsaue. Sie verweisen auch auf den Topos des „Kristallpalastes“, jener Ausstellungsarchitektur für Weltausstellungen, wie den Crystal Palace von Joseph Paxton aus dem Jahr 1851 in London und den Grand Palais in Paris von 1900. Die Lokalpresse verwendete im Frühjahr 2007 für das Bauwerk die bescheidenere Bezeichnung „Gärtnerei“. Im April 2007 distanzierten sich die Architekten in Presseinterviews von der Umsetzung ihres Entwurfs, in die sie seit Beginn des Jahres nicht mehr einbezogen worden seien. Sie bemängelten die Abschottung und künstliche Klimatisierung des Gebäudes, die dem Gedanken eines Pavillons innerhalb einer Parklandschaft entgegenliefen. Buergel verteidigte diese Maßnahmen mit konservatorischen und kuratorischen Gründen, insbesondere der Notwendigkeit, die ausgestellten Kunstwerke vor zu viel Lichteinfall zu schützen. Er sprach in diesem Zusammenhang von „Streit“ und betonte, dass sich die „Architektur der Kunst unterzuordnen hat“.[10]
Konstruktion und Architektur
Der Aue-Pavillon bildet annähernd eine U-Form, bei der der westliche Flügel allerdings kürzer, dafür aber breiter als der östliche ausgeführt wurde. Er basiert auf einem Gewächshaus-System des französischen Herstellers Filclair mit Stahl-Tragwerk, Tonnendach sowie Außenwänden aus transparentem Polycarbonat. Der eingeschossige Gesamtkomplex setzt sich aus 49 Basismodulen zusammen, die jeweils eine Länge von 20, eine Breite von 9,60 und eine Höhe von 5,93 Metern besitzen. Die parallel in Nord-Süd-Richtung ausgerichteten und aneinander gekoppelten Einzelmodule und ihre Tonnendächer bedingen lange innenliegende Dachentwässerungen. Deren volle Funktionalität war zur Eröffnung der Ausstellung nicht gegeben, noch Tage später kam es bei Starkregen zu Wassereintritt in den Innenraum. Der für die documenta 12-Architektur verantwortliche Tim Hupe sprach Ende Juni gegenüber einer Zeitung[18] außerdem von Wasser, das am Fußpunkt der Polycarbonat-Fassade in das Gebäudeinnere eindringt.
Das Tonnendach besitzt eine Tragkonstruktion aus einzelnen Stahl-Fachwerkbindern. Das darüberliegende Dach ist ein Tragluftdach: elektrische Gebläse sorgen für die Form und Stabilität einer transparenten Hülle. Die 20 Meter langen Seitenwände der Module werden von jeweils 6 Stützen getragen. Für den Innenraum des Komplexes ergibt sich dadurch ein Konstruktions- beziehungsweise Stützenraster von 9,60 auf 4,00 Meter. Die Bodenfläche besteht aus Asphalt, der in einem Rotton gestrichen wurde. Eine ebene und fugenfreie Ausführung der Bodenfläche ist nicht gelungen.
Silbrigweißes Gewebe auf der Außenseite der Dachfläche reduziert den Tageslichteinfall. An der Innenseite der Außenwände hängen raumhoch weiße Vorhänge mit eingewebten Aluminiumstreifen (Svensson Revolux), wie sie auch in der Gewächshaustechnik eingesetzt werden. Unterschiedliche Typen dieser Vorhänge besitzen einen unterschiedlich hohen Anteil an Aluminiumstreifen. Dadurch variiert die Lichtdurchlässigkeit der Vorhänge, was zur Bildung einzelner Zonen unterschiedlicher Beleuchtung für unterschiedliche künstlerische Arbeiten genutzt wird. Diese Zonierung wird aber durch die Notausgänge unterbrochen: diese mussten völlig unverhüllt bleiben. Insbesondere in den weniger stark abgedunkelten Bereichen ist ein Wechsel der Außenlichtverhältnisse - Sonnenschein oder Bewölkung - auch im Innenraum deutlich wahrnehmbar. Teilbereiche der Außenwände sind nicht mit Vorhängen versehen, sondern schwarz lackiert. Diese schwarzen Flächen verhindern zwar den Außenlichteinfall, heizen sich unter direkter Sonnenlichteinstrahlung jedoch stark auf. Ganze Außenwandbereiche werden dann zu unerwünschten sommerlichen Heizkörpern. Die hohe Temperatur der schwarzen Polycarbonat-Elemente führt außerdem dazu, dass sich diese deutlich sichtbar s-förmig verformen.
Unterhalb des Tonnendachs, in etwa 4 Meter Höhe, wurde eine halbtransparente Zwischendecke eingezogen. Dabei kam das Revolux-Gewebe zum Einsatz, das auch für die Verhängung der Außenwände genutzt wurde. Durch dieses halbtransparente Gewebe hindurch ist, je nach Außenlichtsituation, die Dachkonstruktion mit ihren Stahl-Fachwerkbindern zu erkennen oder nur zu erahnen. Unterhalb der Zwischdecke hängen einzelne Spots, die neben dem durch die transparenten Seitenwände einfallenden natürlichem Licht, als Punktlichtquellen für die künstliche Ausleuchtung einzelner Arbeiten sorgen.
Ausstellungskonzept
Der Innenraum des Aue-Pavillons ist ausschließlich den Kunstwerken beziehungsweise der Kunstvermittlung vorbehalten. Die Infrastruktur (wie die Toiletten)und die Klimatechnik liegen außerhalb der Gebäudehülle, was dort zu gestalterischen Problemen führt. Der Eingang findet sich am östlichen, der Ausgang am westlichen Schenkel des U-förmigen Grundrisses. Den Besuchern ist dadurch eine Richtung vorgegeben. Innerhalb der Ausstellungsfläche gibt es allerdings keine angegebene Wegführung zwischen den einzelnen Arbeiten.
Die ausgestellten Arbeiten befinden sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht an der Außenwand, sie sind zur Gebäudemitte hin an aufgestellten Stellwänden angebracht. An der Außenwand stehen die historischen Holzstühle aus Ai Weiweis Arbeit Fairytale, die von den Besuchern benutzt werden können. Die Stellwände der Ausstellung sind in einem matten Hellgrau lackiert, etwa 3 Meter hoch und ca. 30 cm stark. Sie besitzen an ihrer Unterkante eine umlaufende etwa 1 cm hohe Schattenfuge zum Fußboden.
Der Ausstellungsraum gliedert sich in drei Zonen mit unterschiedlichen architektonischen Konzepten:[17] Dem vergleichsweise offenen Eingangsbereich mit wenigen orthogonalen Stellwänden folgt ein zweites Drittel, das die Ausstellungsmacher als ein Labyrinth verstanden wissen wollen. Dessen Stellwände sollen die Achsen der umgebenden Parkanlage aufgreifen - ein Zusammenhang, der sich dem Besucher im abgeschlossenen Innenraum nicht ohne weiteres erschließen kann. Das letzte Drittel soll als White Cube interpretiert werden, der jedoch „gebrochen“ wurde: eine Verglasung der Nordfassade öffnet den Raum zum Gebäude der Orangerie.
Palmenhaine
Bei den unter dem Stichwort „Palmenhaine“ angekündigten Orten der Kunstvermittlung im Aue-Pavillon handelt es sich um 12[19] durch farbige Bodenmarkierungen abgegrenzte Bereiche. Diese Zonen haben eine Fläche von jeweils ungefähr 20 Quadratmetern und sind mit etwa 20 kreisförmig oder quadratisch angeordneten historischen Holzstühlen aus Ai Weiweis Arbeit Fairytale ausgestattet. Die „Palmenhaine“ dienen geführten Besuchergruppen als Zwischenstop und als Möglichkeit für den „Kunstvermittler“ (Führer), Gesprächsrunden zu bilden. Je nach Lage des „Palmenhains“ im Gebäude sind die Besucher dieser „Ruhe-Inseln inmitten der documenta 12“.[5] in unterschiedlicher Intensität mit den Geräuschkulissen einzelner künstlerischer Installationen sowie derjenigen der Lüftungs- und Klimatechnik konfrontiert.
Außenarbeiten
Der U-artige Grundriss des Aue-Pavillon bildet einen dreiseitig umschlossenen Innenhof. Auf dieser Rasenfläche befindet sich die umgestürzte Außenarbeit Template von Ai Weiwei.
Fridericianum
Das Fridericianum bildete den Hauptort früherer documenta-Ausstellungen. Während der documenta 12 werden auf drei Geschossen mit einer Fläche von 3 800 Quadratmetern 85 Arbeiten präsentiert. Anlässlich der Ausstellung wurde im Gebäude eine zentrale Treppe vom Erdgeschoss zum ersten Obergeschoss ergänzt, die an die ursprüngliche Erschließung des Bauwerks anknüpft. Die historische zentrale Treppenanlage war nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg im Rahmen von mehreren Umbaumaßnahmen entfallen. Die Ausstellungsmacher äußerten die Hoffnung, dass ihre Treppe über die Dauer der documenta hinaus Bestand haben werde.[10]
Im Eingangsbereich des Fridericianums wurden die Seitenwände raumhoch mit Spiegeln verkleidet. Die anderen Wände im Erdgeschoss wurden in einem Rotton, die im 1. Obergeschoss in einem Grünton gestaltet. Das dritte Obergeschoss ist hellbraun gehalten, ebenso der ergänzte Treppenraum. Die Fensterflächen wurden unterschiedlich stark mit hellbraunen Vorhängen verhängt, um für die ausgestellten Arbeiten in den jeweiligen Räumen angepasste Lichtsituationen zu schaffen. Einige Fenster sind nicht verhängt und ermöglichen so den Blick nach draußen. Im 1. Obergeschoss arbeitet eine Installation von Iole de Freitas, die den Inneraum füllt und sich an der Außenfassade des Fridericianums fortsetzt, dezidiert mit dem Bezug nach außen.
Neue Galerie
Die Neue Galerie wurde bereits während früherer documenta-Ausstellungen genutzt. Während der documenta 12 werden auf 2 900 Quadratmetern Fläche 113 Arbeiten gezeigt. Das Museum war seit 2006 wegen Renovierungsarbeiten geschlossen und soll erst 2009 wiedereröffnet werden. Das Bauwerk steht daher der documenta 12 mit seiner kompletten Ausstellungsfläche zur Verfügung und besitzt dabei eine neue Eingangssituation: statt des nordöstlichen kopfseitigen Eingangs wird ein Portal an der Längsseite des Gebäudes zur Karlsaue hin genutzt. Viele Innenwandflächen sind - wie auch im Fridericianum - in einem Rot- beziehungsweise Grünton gestrichen. Die Bodenflächen werden mit Textilbelägen farblich gestaltet.
documenta-Halle
Die documenta-Halle, insbesondere ihr großflächiger Eingangsbereich, wird nicht nur für Ausstellungszwecke genutzt. Das Gebäude dient dem Zeitschriftenprojekt documenta 12 magazines als Standort. Dort finden auch sogenannte lunch lectures (Mittagsvorträge) statt. Die Ausstellungsfläche beträgt 850 Quadratmeter, dort werden 23 Werke gezeigt.
Wilhelmshöhe
Schloss Wilhelmshöhe liegt im Bergpark Wilhelmshöhe, am westlichen Stadtrand von Kassel. Im Schloss verfügt die documenta 12 nur über eine verhältnismäßig kleine eigene Ausstellungsfläche von 250 Quadratmetern, gelegen im 2. Obergeschoss. Insgesamt werden in Wilhelmshöhe 43 Exponate gezeigt, darunter auch Außenarbeiten im Bergpark. Schloss Wilhelmshöhe ist Standort einer Gemäldesammlung Alter Meister von Weltgeltung. Einige documenta-Arbeiten wurden in diese bestehende Dauerausstellung integriert. Im 1. Obergeschoss werden documenta-Werke im Zusammenhang einer von Juni bis September 2007 stattfindenden Sonderausstellung mit dem Titel Vom Adel der Malerei. Holland um 1700 gezeigt. Während der documenta 12 besteht im Schloss Wilhelmshöhe eine weitere Sondersituation: Einige Gemälde, die sonst ein Bestandteil der Sammlung der Neuen Galerie bilden, haben wegen der dortigen Renovierungsarbeiten im Schloss ein Ausweichquartier.
Die Reisterrassen des Terraced_Rice_Fields_Art_Project von Sakarin Krue-On liegen auf dem östlich des Schlosses gelegenen Berghang. Westlich neben den barocken Terrassen des für Sanierungsarbeiten eingerüsteten Herkules-Bauwerks stehen die großformatigen Bildtafeln Shipwreck and Workers des amerikanischen Künstlers Allan Sekula. Im Schloss Wilhelmshöhe selbst finden sich beispielsweise:
- Die schwarz-weiß-Photoarbeit The Splendor of Myself II von Zofia Kulik hängt im 3. Obergeschoss des Schlosses im Rembrandt-Saal.
- Vier Kopfbilder aus der Serie Lost Boys (Kerry James Marshall) hängen im 3. Obergeschoss des Schlosses im Hals-Saal.
Kulturzentrum Schlachthof
Das Kulturzentrum Schlachthof liegt nordöstlich der Innenstadt, in der Kasseler Nordstadt. Es wurde bereits im Vorfeld für einen örtlichen documenta-Beirat genutzt, bei dem „lokale Experten“ ihre Vorstellungen einbringen konnten. Zur eigentlichen Ausstellung werden dort zwei Arbeiten präsentiert.
Filmprogramm
Das Filmprogramm der documenta 12 wurde bewusst von den anderen künstlerischen Arbeiten getrennt, die Organisatoren betonten: „Der Ort des Films auf der documenta 12 ist das Kino: eine schlichte Antwort auf die Debatten der letzten Jahre, wie Laufbilder im Kunstkontext wohl am besten darstellbar wären.“[20] Aufführungsort ist das 1955 eröffnete Gloria-Kino in der Kasseler Innenstadt. Verantwortlich für die Auswahl des Filmprogrammes war Alexander Horwath, der seit 2002 als Direktor des Österreichischen Filmmuseums in Wien arbeitet. Er wählte Werke von 94 Filmemachern aus den Genres des populären Spielfilms, des Avantgardefilms, des Dokumentarfilms und des Kunstfilms. Alle Beiträge haben ihre Entstehungszeit zwischen den 1950er-Jahren und der Gegenwart. Horwath erklärte im Mai 2007 in einem Interview,[21] dass damit bewusst ein Zeitrahmen gewählt wurde, der mit der Geschichte der documenta zusammenfällt - die erste documenta fand 1955 statt. Er sprach bei diesem Zeitraum von etwas mehr als fünfzig Jahren von der „zweite[n] Hälfte des Kinos“. Horwath betonte, er sehe seine Tätigkeit als Vermittler darin, Kino über die üblichen Kategorien hinweg abzubilden. „Entweder ist alles Rand, auch der Blockbusterfilm, oder alles ist Zentrum. Letzteres ist der Vorschlag der documenta 12.“ dabei „soll in einem oft radikalen Wechsel von bekannten und unbekannten Filmen ein Zusammenhang deutlich werden“.
An den 100 Tagen der documenta 12 werden 50 abendfüllende Programme gezeigt. Jedes Programm, das aus einem einzelnen oder mehreren Beiträgen bestehen kann, wird an zwei unterschiedlichen Tagen aufgeführt. Die Reihe beginnt mit Viaggio in Italia von Roberto Rossellini, entstanden 1954, und endet mit der Uraufführung eines Films von James Benning aus dem Jahr 2007 über Robert Smithsons Spiral Jetty. Die Vorstellungen - für die Besucher eine gesonderte Eintrittskarte zum Preis von 6,50 Euro benötigen - beginnen jeweils um 20:30.
Werke und Aktionen (Auswahl)
Would you like to participate in an artistic experience?
Die soziale Skulptur Would you like to participate in an artistic experience? des in Brasilien lebenden Ricardo Basbaum startete als erste Aktion der documenta 12 bereits im Jahr 2006. Insgesamt zwanzig weiß-blaue, wannenähnliche, Stahlobjekte mit einem Zylinder in der Mitte wanderten seitdem durch Haushalte und Treffpunkte auf drei Kontinenten, durch Städte wie Kassel, Ljubljana, Mexico City oder Dakar. Sie sollten von ihren temporären Besitzern verwendet und auch verändert werden. Die Benutzer der Objekte waren aufgerufen, ihre Erfahrungen zu dokumentieren. Basbaum formuliert zur Arbeit:
- „Ich will die Beziehung des Künstlers zum Publikum umkehren, um etwas von den Menschen zu erfahren. Jetzt ist das Publikum der Sender und der Künstler der Empfänger“.[22]
Die Arbeit, beziehungsweise ihr Ergebnis, wird innerhalb einer Art von Sitzlandschaft präsentiert, die sich im Eingangsbereich des Aue-Pavillons findet.
Fairytale
Unter dem Titel Fairytale (Märchen) lädt der Pekinger Architekt und Künstler Ai Weiwei 1001 Landsleute nach Kassel auf die documenta 12 ein. Die Chinesen, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Landesteilen stammen, werden aber nicht unmittelbarer Teil der Ausstellung. Ai Weiwei lässt stattdessen die Reise dieser Menschen und ihre Erfahrungen durch Filmemacher und Schriftsteller dokumentieren. Die Arbeit hat für Konzeptkunst beträchtliche Dimensionen. Die damit verbundenen Kosten gibt der Künstler mit drei Millionen Euro an, die von zwei privaten Stiftungen übernommen werden. Auf die Frage, ob es wirklich Kunst sei, 1001 Chinesen in eine Ausstellung mitzunehmen, antwortete Ai Weiwei in einem Interview[23]:
- „Es ist Kunst, wenn man es Kunst nennt. Mein Traum war es, Menschen die Reise zur Documenta zu ermöglichen, die diese Möglichkeit sonst nie im Leben gehabt hätten. Das ist doch zumindest teilweise das, was Kunst bewirken kann: die Bedingungen für individuelle Aufklärung und Bewusstseinsbildung schaffen, die naivsten und einfachsten Fragen zu beantworten.“
Ai Weiweis Gäste aus China reisen nacheinander in fünf Gruppen von jeweils etwa 200 Personen an und sind gemeinsam in einer ehemaligen Fabrikhalle in der Kasseler Nordstadt untergebracht. Die erste Gruppe traf bereits kurz vor der Eröffnung der Ausstellung ein.
Bestandteil von Fairytale sind außerdem 1001 historische chinesische Holzstühle, die sich an den Ausstellungsorten befinden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Werken auf der documenta 12 dürfen diese Sitzmöbel - ihrer Funktion entsprechend - von den Besuchern auch benutzt werden.
Template
Die Außenarbeit Template (Vorlage, Schablone) des Pekingers Ai Weiwei hat ihren Standort im dreiseitig umschlossenen Innenhof des Aue-Pavillons. Vier riesige senkrechte Scheiben durchdrangen einander in einem zentralen Punkt. Dort waren die Scheiben im unteren Bereich durchbrochen und passierbar. Diese Durchbrüche erzeugten wiederum die Andeutung eines Innenraums.
Die Scheiben sind jeweils aus einer Vielzahl von einzelnen kleinen hölzernen Türen und Fenster zerstörter chinesischer Häuser aus der Ming- und Qing-Dynastie zusammengesetzt. Sie standen ursprünglich senkrecht auf einem etwa 50 cm hohen, sockelartigen, Holzfundament. Die Gesamtabmessung der Arbeit betrug 720 x 1200 x 850 cm.[24]
Ai Weiweis Konstruktion wurde im Mai und Juni 2007 durch chinesische Handwerker erstellt und überragte in ihrer Höhe den Aue-Pavillon um mehrere Meter. Während eines Unwetters am Nachmittag des 20. Juni 2007, nur vier Tage nach der Ausstellungseröffnung, hielt Template der Windlast nicht stand: Die Konstruktion wurde von ihrem Fundament gerissen und umgeworfen. In einer ersten Reaktion zeigte sich der Künstler gelassen und äußerte, dass ein Wiederaufbau nicht geplant sei.[25]
Terraced Rice Fields Art Project
Das Terraced Rice Fields Art Project ist eine Außenarbeit von Sakarin Krue-On im Bergpark Wilhelmshöhe. Der thailändische Künstler ließ am östlichen Hang vor dem Schloss Wilhelmshöhe Terrassen für den Nassreisanbau anlegen.
In Veröffentlichungen im Vorfeld[26] schrieben die Ausstellungsmacher der documenta 12:
- „Sowohl die Terrassenanlage als auch der Reisanbau werden nach traditionellem Vorbild durch Krue-On und sein thailändisches Team, darunter ein erfahrener Reisbauer, Experten aus der Region Kassel sowie documenta-MitarbeiterInnen realisiert. Dabei wird man so weit als möglich auf den Einsatz von Maschinen verzichten, auf überlieferte Methoden setzen und die Arbeiten mit einfachen Geräten wie Spaten, Gabeln und Hacken per Hand ausführen.“
Der Bergpark mit seiner 300-jährigen Geschichte bietet einen historischen Bezug zu Ostasien: Nur wenige hundert Meter entfernt bilden einige Gebäude die Reste des "chinesischen Dorfes" Mou-lang. Dieses entstand ab 1781 unter dem Landgrafen Friedrich II. und war einerseits eine zeitgenössische Chinoiserie, das "Dorf" und seine "Bewohner" dienten jedoch auch landwirtschaftlichen Zwecken. Der unmittelbare Ort der Installation ist ein mit Gras bewachsener Parkhang, mit Sichtbezug sowohl zum Schloss, als auch - entlang der kilometerlangen Achse der Wilhelmshöher Allee - zur Stadt. Der Hang dient heute nicht der Landwirtschaft, stattdessen wird er im Winter von der einheimischen Bevölkerung traditionell zum Schlittenfahren genutzt.
Die Ausstellungsmacher sahen „eindeutig auch ein Bezug auf die Kaskaden im Bergpark“ - gemeint waren die des Herkules-Bauwerks aus der Zeit des Barock - und betonten, dass sie in der Arbeit eine symbolische Inszenierung des Aufeinandertreffens von verschiedenen Kulturen sehen:
- „Das Schloss Wilhelmshöhe - von Status, Gestalt und Symbolkraft ein architektonisches Monument eindeutig westeuropäischer Provenienz - und das Reisfeld - Zeugnis der Aneignung von Natur und ihrer Nutzung für den Lebensunterhalt sowie Symbol für Wachstum, Entwicklung und Zusammenarbeit. Sind sie gleichwertige Partner oder ist das eine Kulisse des anderen? Sakarin Krue-On will Fragen stellen und hofft, dass die Besucher Antworten finden werden.“
Die Erdarbeiten zur Anlage der Terrassen wurden durch einen örtlichen Gartenbaubetrieb mit Minibaggern durchgeführt. Sie begannen erst im Mai 2007, wenige Wochen vor der Eröffnung der documenta 12. Erst wenige Tage vor der Ausstellungseröffnung wurde mit der Wasserbefüllung und der Bepflanzung der inneren Becken begonnen. Aufgrund der kurz zurückliegenden Erdbewegungen präsentierten sich die äußeren Hänge der Reisterrassen zum Zeitpunkt der Eröffnung der documenta 12 als kahle braune, weil vegetationsfreie, Flächen. Das für den Nassreisanbau notwendige Wasser wurde dem Lac, einem See am Fuße des Schlosshanges entnommen. Durch eine motorbetriebene Pumpe wurde es in das oberste Becken der Terrassen gefördert und von dort mittels PVC-Rohren nach unten weiterverteilt. Es stellte sich heraus, das große Mengen des Wassers im Untergrund versickerten und weiter unten am Hang, quasi als neuentstandene Quelle, wieder an das Tageslicht kamen.
Am 20. Juni, vier Tage nach der Eröffnung der Ausstellung, wurde bekannt, dass aus Sorge der Berg könnte abrutschen die maschinelle Bewässerung eingestellt worden war. Stattdessen soll zukünftig auf schonendere manuelle Bewässerung und Trockenreis gesetzt werden.
Die Exklusive - Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten
Die Außeninstallation Die Exklusive - Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten des in Berlin lebenden Künstlers Andreas Siekmann steht auf dem Friedrichsplatz. Die Arbeit besteht aus einer Konstruktion, die an ein Kinderkarusell erinnert, dass von lebensgroßen, bunt gestalteten, scheibenförmigen Figuren bevölkert ist. Der Titel der Arbeit spricht die gesellschaftliche Ausgrenzung - die Exklusion - im Rahmen der Globalisierung an, folglich sind Polizisten zu sehen, die Demonstranten bei einem G8-Gipfel abwehren, eine flüchtende Frau, die einen Pass erlangen will, Weltbank-Präsident Paul Wolfowitz und sein Amtsvorgänger James Wolfensohn, sowie Arbeiterinnen aus Niedriglohn-Fabriken.
Im Jahr 2003 scheiterte eine Aufstellung der Arbeit in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Das dortige Regierungspräsidium verbot die Installation rund um das historische Reiterstandbild August des Starken mit der Begründung: "Das Reiterstandbild als politische Manifestation der Macht eines barocken Fürsten verträgt keinerlei zusätzliche An[-] Auf- oder Umbauten", da sonst das Erscheinungsbild „verändert, beeinträchtigt, zum Teil entstellt und seiner eigentlichen Aussage beraubt“ werde. Die auf die demokratische Verfassung der Bundesrepublik verpflichtete Behörde sah „keine Notwendigkeit, neue Werte für das Reiterstandbild August des Starken zu definieren, die mit dem traditionellen und künstlerischen Denkmalwert nicht identisch“ wären. Stattdessen befürchtete sie, dass „der Fürst quasi seiner Macht und Überlegenheit im eigentlichen und übertragenen Sinne beraubt“ werde.[27] Auch in Kassel ist die Arbeit rund um das historische Denkmal eines absolutistischen Herrschers gruppiert, um ein Standbild von Landgraf Friedrich II..
The Splendor of Myself II
Die großformatige schwarz-weiß-Arbeit The Splendor of Myself II[28](meine eigene Großartigkeit) der polnischen Künstlerin Zofia Kulik hängt im 3. Obergeschoss des Schlosses Wilhelmshöhe, im Rembrandt-Saal. Das aus neun einzelnen Phototafeln zusammengesetzte Frauenportrait entstammt einer Serie von Arbeiten, in der die Künstlerin jeweils ihr eigenes Gesicht montierte und historische Herrscherinnen-Bildnisse der englischen Königin Elisabeth I. (1533-1603) zitiert beziehungsweise persifliert. So zeigt das Kleid der Frau als Ornamentik Abbildungen nackter Männer in absurden Körperhaltungen. Die 1997 entstandene Arbeit wurde mittig zwischen vier - deutlich kleinere - Männerportraits aus dem 17. Jahrhundert gehängt, die von Rembrandt van Rijn stammen, beziehungsweise seiner Werkstatt zugeschrieben werden.
Lost Boys
Vier Kopfbilder aus der Serie Lost Boys des US-amerikanischen Künstlers Kerry James Marshall hängen im 3. Obergeschoss des Schlosses Wilhelmshöhe, im nach Frans Hals benannten Hals-Saal. Die Portraits zeigen jeweils ein schwarzes, nahezu formatfüllendes, Gesicht eines Menschen afrikanischer Herkunft vor einem hellen bis weißen, nicht ohne weiteres bestimmbaren, Hintergrund. Der Titel der Serie nimmt Bezug auf Figuren von J. M. Barrie aus dessen Geschichten um Peter Pan vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Bilder selbst thematisieren die Lebenswirklichkeit "verlorener" farbiger Jugendlicher am Ende des Jahrhunderts und wurden durch die Inhaftierung des Bruders von Marshall angeregt.[29] Marshalls Bilder aus den 1990er-Jahren wurden paarweise unterhalb von zwei großformatigen Gemälden Karel van Manders III (1606-1670) gehängt. Manders um 1640 entstandene Bilder entstammen einem 10-teiligen Zyklus, der eine Erzählung des griechischen Autors Heliodor aus dem 3. Jahrhundert illustriert. Heliodors Aithiopica (Aethiopica, Äthiopische Geschichten) beschreibt die Liebesgeschichte der Chariklea und des Theagenes. Chariklea ist die hellhäutige Tochter der äthiopischen Königin Persina. Manders linkes Gemälde zeigt das dunkelhäutigen Königspaar Hydaspes und Persina zusammen mit einem Bild der weißhäutigen Andromeda, einer Ahnfrau Persinas. Nach Heliodor ist die Betrachtung dieses Bildnisses durch Persina während ihrer Empfängnis der Grund für die helle Hautfarbe ihrer Tochter Chariklea.
Kassel Gardens (from the Perspective of a Mole)
Kassel Gardens (from the Perspective of a Mole) (Kasseler Gärten (aus der Perspektive eines Maulwurfs)) der US-Amerikanerin Martha Rosler besteht aus einer etwa 12-minütigen Videoprojektion bei der im 3-Sekunden-Takt diaschauartig farbige Photographien gezeigt werden. Neben die Projektionsfläche wurden fünf gerahmte Ausdrucke aus der projezierten Bildserie gehängt. Die Arbeit entstand im Frühjahr 2007 in Kassel[30] für die documenta 12 und ist im Ausstellungskatalog als Passionate Signals eingeordnet. Sie wurde in der westlichen, stark abgedunkelten, Ecke des Aue-Pavillons, gegenüber dem hellen Ausgangsbereich, aufgestellt.
Martha Roslers mit Maulwurfshügeln durchsetzten Kasseler Gartenbilder haben wenig mit Hochglanzphotographie von Park- oder Gartenanlagen zu tun, obwohl der Bergpark Wilhelmshöhe und insbesondere die Karlsaue breiten Raum einnehmen. Daneben finden sich aber auch Aufnahmen von Friedhöfen, Restgrün, oder solche, bei denen sich der Begriff Garten nicht aufdrängt. Wirft man nur einen kurzen Blick auf die Projektion wird sich das zugrundeliegende Thema der Arbeit, ihr Bezug zur Stadt und zur documenta, kaum erschließen. Erst bei längerer Betrachtung erkennt man documenta-Standorte und kann auch einzelne Wegstrecken, die die Künstlerin während ihrer Aufnahmen ablief identifizieren. Ihre Wege führten Rosler nicht nur in Gärten, sondern auch an Industriestandorte, Gleisanlagen und Gräber. In ihrer Besprechung der Arbeit[31] zieht die Kuratorin Ruth Noack einen weiten Bogen von Gärten als Bilder vom Paradies und Ausdruck einer geordneten Welt bis zu Krieg und Zerstörung:
- „[...] Martha Rosler hat in Kassel (nicht nur) Maulwurfshügel fotografiert. Sie hat sich zur Fantasie hinreißen lassen, hier breche das lokale Unbewusste hervor und mit ihm die unter dem Rosenhügel begrabenen Schutthalden. Zugeschüttete Geschichte: Wiederaufbaupropaganda angesichts der nahen Zonengrenze – Bombenangriffe der Alliierten, die die Stadt in Schutt und Asche legten – Dominanz der Rüstungsindustrie, damals wie heute. [...]“
Mit Rosenhügel meint Noack den westlichen Hang der Karlsaue, an dem als Bauschutt die Reste der durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kasseler Innenstadt deponiert wurden. Seine gärtnerische Gestaltung war 1955 Teil der Bundesgartenschau und somit auch Fundament und Anlass der ersten documenta. Der Hang liegt kaum hundert Meter entfernt vom Aue-Pavillon mit Roslers Arbeit. Zusammen mit Roslers Aufnahmen dieses Hanges, und einem dort eingebetteten Kriegerdenkmal, finden sich auch solche das Aue-Pavillons der documenta 12 während dessen Bauphase im Frühjahr 2007.
The Zoo Story
Die Installation The Zoo Story (Die Zoo Geschichte) des in Berlin lebenden Peter Friedl steht in der documenta Halle. Es handelt sich um das 3,5 Meter hohe Tierpräparat einer Giraffe.
Der Giraffenbulle Brownie stammte aus Südafrika und war seit 1997 im Zoo von Qalqiliyah beheimatet, einer überwiegend von Palästinensern bewohnten Stadt im Westjordanland. In der Folge einer israelischen Militäroperationen im Zusammenhang mit der Zweiten Intifada geriet das Tier in Panik, stürzte zu Boden, und verendete am 19. August 2002. Der Tierarzt des Zoo erstellte das Präparat. Wie Roger M. Buergel in seiner Rezension der Arbeit im Ausstellungskatalog schrieb [32] „amateurhaft“, wodurch Brownie den „Charme eines vielgeliebten Steiff-Tieres“ verströme. Die ausgestopfte Giraffe stand - zusammen mit anderen im Zoo gestorbenen Tieren - in einem museumsartigen Nebengebäude des Zoos.
Zur Einordnung als künstlerische Arbeit der documenta 12 vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts kennzeichnete Buergel die Giraffe als „Idee“ und schrieb:
- „Es ist für Peter Friedl entscheidend, dass Brownie zwar zum Bild taugt, dass dieses Bild aber, so steht zu hoffen, eine andere Geschichte in Gang setzt als die ohnmächtig stereotypen Medienbilder aus der Konflikt- und Besatzungszone [...]“
Teilnehmende Künstler
Am 21. Februar 2006 stellten die Organisatoren mit Ferran Adrià und Artur Zmijewski bereits zwei Personen vor, die in der Ausstellung vertreten wären. Dem Alphabet nach handelte es sich um den ersten und letzten Teilnehmer. Im Gegensatz zu anderen großen Kunstausstellungen wollten die Macher der documenta 12 eine vollständige Liste erst unmittelbar vor deren Beginn veröffentlichen. Aus unterschiedlichen Gründen wurde jedoch ein Teil der Namen bereits vorher publik: Einige Künstler machten ihre Teilnahme öffentlich, andere wurden in Presseveröffentlichungen der documenta 12 im Vorfeld sukzessive als Teilnehmer genannt. In einem Interview im April 2007[13] sagte Buergel, es gehe „weniger um Geheimhaltung als darum, den Findungsprozess zu schützen.“ Er gestand allerdings ein: „Man spielt natürlich auch mit medialen Erwartungen.“ Im Rahmen einer Pressekonferenz am 13. Juni 2007 wurde schließlich eine Liste mit 110 Positionen und insgesamt 114 Namen veröffentlicht:[33]
A
Sonia Abian Rose, Ferran Adrià, Saâdane Afif, Ai Weiwei, Halil Altindere, Eleanor Antin, Aoki Ryoko, David Aradeon, Ibon Aranberri
B
Monika Baer, Maja Bajevic, Yael Bartana, Mária Bartuszová, Ricardo Basbaum, Johanna Billing, Cosima von Bonin, Trisha Brown
C
Graciela Carnevale, James Coleman, Alice Creischer
D
Danica Dakic, Juan Davila, Dias & Riedweg, Gonzalo Díaz, Atul Dodiya, Ines Doujak, Lili Dujourie, Lukas Duwenhögger
F
Harun Farocki, León Ferrari, Iole de Freitas, Peter Friedl
G
Poul Gernes, Andrea Geyer, Simryn Gill, David Goldblatt, Sheela Gowda, Ion Grigorescu, Grupo de artistas de vanguardia (Archivio Tucumán Arde), Dmitri Gutov
H
Romuald Hazoumé, Hu Xiaoyuan
I
Sanja Iveković
J
Luis Jacob, Jorge Mario Jáuregui
K
Amar Kanwar, Mary Kelly, Bela Kolárová, Abdoulaye Konaté, Bill Kouélany, Jirí Kovanda, Sakarin Krue-On, Zofia Kulik, KwieKulik
L
Louise Lawler, Zoe Leonard, Lin Yilin, Lee Lozano, Lu Hao
M
Churchill Madikida, Iñigo Manglano-Ovalle, Kerry James Marshall, Agnes Martin, John McCracken, Nasreen Mohamedi, Andrei Monastyrski
O
J.D. ’Okhai Ojeikere, Anatoli Osmolovsky, George Osodi, Jorge Oteiza
P
Annie Pootoogook, Charlotte Posenenske, Kirill Preobrazhenskiy, Florian Pumhösl
R
Yvonne Rainer, CK Rajan, Gerhard Richter, Alejandra Riera, Gerwald Rockenschaub, Lotty Rosenfeld, Martha Rosler
S
Luis Sacilotto, Mira Schendel, Dierk Schmidt, Katerina Šedá, Allan Sekula, Ahlam Shibli, Andreas Siekmann, Nedko Solakov, Jo Spence, Grete Stern, Hito Steyerl, Imogen Stidworthy, Mladen Stilinovic, Jürgen Stollhans, Shooshie Sulaiman, Oumou Sy, Alina Szapocznikow
T
Tanaka Atsuko, David Thorne (mit/und Katya Sander, Ashley Hunt, Sharon Hayes, Andrea Geyer), Guy Tillim, Tseng Yu-Chin
V
Lidwien van de Ven
W
Simon Wachsmuth
X
Xie Nanxing
Y
Yan Lei
Z
Zheng Guogu, Artur Żmijewski
Einzelnachweise und Fußnoten
- ↑ „über 500“ nach documenta 12 Pressemappe, Pressekonferenz am 13. Juni in Kassel, S. 3 eine frühere Veröffentlichung Pressemappe Räume für Kunst - Zur Ausstellungsarchitektur der documenta 12, o. D. im April 2007 veröffentlicht liefert in der Addition der einzelnen Ausstellungsorte nur knapp über 400 Arbeiten.
- ↑ Einordnung Buergels und Zitat nach Hanno Rauterberg: Revolte in Kassel, DIE ZEIT, 12. April 2007 Nr. 16, online unter http://zeus.zeit.de/text/2007/16/Documenta
- ↑ vgl. Nicola Kuhn: Wer ist Roger M. Buergel?, Der Tagesspiegel, 9. Juni 2007, online unter http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Fragen-des-Tages-Buergel-Documenta;art693,2318150, abgerufen 2007-06-11
- ↑ a b "Das ist ein Starsystem", Interview von Elke Buhr mit Ruth Noack, in Frankfurter Rundschau, 2007-05-15, online unter http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1135595& abgerufen 2007-05-18
- ↑ a b c d e f g h nach DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2006-11
- ↑ a b Roger M. Buergel: Leitmotive, Dezember 2005, online unter http://www.documenta12.de/leitmotive.html
- ↑ Holger Liebs im Gespräch mit Roger M. Buergel und Ruth Noack, Wir wollen einem Massenpublikum Komplexität schmackhaft machen, Süddeutsche Zeitung vom 5. Juni 2007, S. 15
- ↑ Hessische Allgemeine, 2007-06-14, S. 1
- ↑ documenta 12: documenta 12 Eröffnungsfest am 15. Juni im Bergpark Wilhelsmhöhe, datiert 31. Mai 2007, online unter http://www.documenta12.de/796.html?&L=0, abgerufen 2007-06-01
- ↑ a b c d e f g Pressekonferenz der documenta 12 am 24. April 2007 in Kassel, documenta-Halle. Einziges Thema war die Ausstellungsarchitektur. Einleitenden Vorträgen folgte ein Rundgang durch die Ausstellungsorte in der Innenstadt, danach wurden Fragen beantwortet
- ↑ umfangreichere Darstellung, siehe documenta 12: documenta 12 Beirat, online unter http://documenta.de/beirat.html?&L=0 abgerufen 2007-05-14
- ↑ Liste aller beteiligte Zeitschriften und Magazine online unter http://documenta12.de/teilnehmer.html?&L=0 abgerufen 2007-05-10
- ↑ a b Interview von Stefan Grissemann und Nina Schedlmayer mit Roger Martin Buergel in profil, 19/07, 2007-04, online unter http://www.networld.at/profil/index.html?/articles/0715/560/170325.shtml
- ↑ nach Press Kit, Spaces for art – on documenta 12 exhibition architecture, Pressemitteilung der documenta 12, 2007-04
- ↑ DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Ausstellungsplan I, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06, zählt als siebten Standort das in Spanien liegende Restaurant elBulli des Kochs Ferran Adrià auf, das Gloria-Kino, als Standort des Filmprogramms wird dort nicht zu den Ausstellungsorten gezählt, sondern gesondert aufgeführt.
- ↑ DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Ausstellungsplan I, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06, zählt zwölf "DOCUMENTA 12 AUSSENPROJEKTE" (works on site) auf
- ↑ a b Pressemappe Räume für Kunst - Zur Ausstellungsarchitektur der documenta 12, o. D. im April 2007 veröffentlicht. Der Kerntext zur Konzeption der d12-Ausstellungsarchitektur ist von Noack und Buergel als Autoren gezeichnet
- ↑ Hessische Allgemeine, Im Extremfall evakuieren, 26. Juni 2007, S. KS-LO1
- ↑ Anzahl 12 nach DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Ausstellungsplan I - Exibition map, allerdings ist zumindest ein Palmenhain, der unmittelbar vor einem Notausgang angelegt wurde, nicht mit Stühlen ausgestattet
- ↑ nach DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Filmprogramm, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-05
- ↑ Interview von Brigitte Werneburg mit Alexander Horwath, "Für eine Zeit in einem anderen Leben", taz vom 14. Mai 2007, S. 15-16, online unter http://www.taz.de/dx/2007/05/14/a0166.1/text, abgerufen 2007-05-28
- ↑ zitiert nach Would you like to participate in an artistic experience?, Eine Arbeit von Ricardo Basbaum für die documenta 12, online unter http://www.documenta12.de/aktuelles_9.html?&L=0
- ↑ Kosten und Finanzierung von Fairytale sowie das Zitat nach dem Interview Ai Weiweis in der Süddeutschen Zeitung vom 2. April 2007, online unter http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/454/108346/print.html
- ↑ documenta 12 Catalogue, 2007, S. 356
- ↑ Hessische Allgemeine, 2007-06-21, S. 1
- ↑ alle Zitate nach Sakarin Krue-On, "Terraced Rice Fields Art Project", Pressemitteilung der documenta 12, 2007-05-08
- ↑ Zitate nach einem Vortrag von Karl-Siegbert Rehberg: Kultur als Geschichtsersatz: Reflexionen zum Dresden-Mythos, online unter http://www.dhmd.de/neu/index.php?id=768, abgerufen 2007-05-28
- ↑ 1180 x 1417 Pixel-Abbildung der III. Arbeit der Serie, die sich von der ausgestellten nur in wenigen Details unterscheidet unter http://www.kulturundkontext.de/img/medien/tiefeslicht/Kulik_Splendor.jpg, abgerufen 2007-05-30
- ↑ „[...] A take on the JM Barrie novel, it translates the child-men of the text into dispossessed and disenfranchised young black men lost in a ghoulish world between childhood and adulthood. A pair of portraits, Lost Boys AKA Black Johnny and Lost Boys AKA Lil Bit demonstrate this state of being and not-being. Marshall has explained that his brother’s imprisonment provided a starting point for the series, as it made him consider the ways in which young black men seemed to be becoming lost. The titles of the portraits make it clear the boys are Lost Boys and alter egos but who else are they? We assume them to be sons and brothers and friends but there is nothing to signify this. Even their faces are being eaten away by the surrounding paint. They are in the process of being lost before our very eyes. [...]“ Abigail Dunn: Kerry James Marshall: Along the Way, Besprechung einer Ausstellung, Catalyst, UK, 13. Oktober 2006, online unter http://www.cre.gov.uk/Default.aspx.LocID-0hgnew0ly.RefLocID-0hg01b001006009.Lang-EN.htm, abgerufen, 2007-06-07
- ↑ Zwei Aufnahmen zeigen Hügel am entfernten Horizont, es handelt sich dabei um eine riesige Abraumhalde des Kalibergbaus. Eine derartige Halde existiert in Kassel nicht, allerdings 100 km weiter südlich, in der Nähe der Bahntrasse nach Frankfurt am Main.
- ↑ documenta 12 Catalogue, 2007, S. 294
- ↑ alle Zitate Buergels nach documenta 12 Catalogue, 2007, S. 246
- ↑ documenta 12 Pressemappe, Pressekonferenz am 13. Juni in Kassel, S. 10 und 11
Literatur
- Schöllhammer, Georg: documenta 12 magazine No. 1: Modernity?, Köln 2007 ISBN 978-3-8228-1532-8
- Schöllhammer, Georg: documenta 12 magazine No. 2: Life!, Köln 2007 ISBN 978-3-8365-0058-6
- Schöllhammer, Georg: documenta 12 magazine No. 3: Education:, Köln 2007 ISBN 978-3-8365-0059-3
- documenta 12 Catalogue, 2007, 416 Seiten, ISBN 978-3-8228-1677-6
- documenta 12 Bilderbuch, 2007, 228 Seiten, ISBN 978-3-8228-1694-3
Folder (kostenfrei):
- DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2006-11
- DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Filmprogramm, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-05
- DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Übersicht, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06
- DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Kunstvermittlung, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06
- DOCUMENTA KASSEL 16/06–23/09 2007 Ausstellungsplan I - Exibition map, Faltblatt der documenta 12, Drucklegung 2007-06 - Dieses zweisprachige Faltblatt bietet eine graphische Übersicht sowohl über die einzelnen Ausstellungsorte, als auch über die Verteilung der einzelnen Werke in den Gebäuden. Die aktuelle Ausgabe, Drucklegung 2007-06, enthält die Anmerkung „Änderungen vorbehalten“ und einige Unkorrektheiten.
Weblinks
- Offizielle Seite der documenta12
- Offizieller Blog zur documenta 12 des Hauptsponsoren Saab
- documenta12blog, Presseübersicht
- www.helloKassel.com, Offenes Fotoportal zur documenta 12
- Video - Gespräch mit Georg Schöllhammer bei der Präsentation des documenta 12 Magazines No.2 Life!
- Das artnet Dossier, documenta 12
- Umfangreiches Special zur documenta 12 bei hr-online
- alles aus der kassel-zeitung zur documenta
- documenta-dock.net - questions about art - explore, ask, inspire: Ein interdisziplinäres Internetprojekt der Kunsthochschule Kassel
- Essentielle Eigenschaften des Kunstwerkes
- Aktuelles, skurilles und informatives zur 12. documenta