Nationaler Sozialismus
Der vieldeutige Begriff Nationaler Sozialismus steht historisch für ideologische Strömungen und politische Parteien, die Nationalismus und Sozialismus seit etwa 1900 auf verschiedene Weise miteinander verbinden und aussöhnen wollten. Er wurde in der Weimarer Republik weithin zum Synonym für „Nationalsozialismus“.[1]
Aufgrund der Ergebnisse der nationalsozialistischen Herrschaft steht der Begriff in Deutschland heute fast allgemein für ein nicht erneuerbares, rassistisches, imperialistisches und totalitäres Ideologie-Konglomerat.
Nur einige Gruppen des heutigen Neonazismus verwenden den Ausdruck für ihre rechtsextremen Konzepte, um mit einer Querfront-Strategie über ihr Lager hinaus auch bei Sozialisten Zustimmung und Anhänger zu finden.
Herkunft
Schon um 1900 entstanden in manchen europäischen Staaten Strömungen, die einen „Dritten Weg“ zwischen den weithin beherrschenden, sich gegeneinander definierenden und bekämpfenden Richtungen des antisozialistischen Nationalismus auf der einen, des internationalistischen Sozialismus auf der anderen Seite suchten.
Die „Deutsche Arbeiterpartei“ des österreichischen Sudetenlandes benutzte den Begriff 1904 als erste, um ihr Ziel einer nationalen Einigung und regionalen Autonomie durch Ablösung der Österreich-Ungarischen Monarchie zu beschreiben. Am 5. Mai 1918 benannte sich die Partei dazu in „Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei“ (DNSAP) um. Ihr Programm verfasste der sudetendeutsche Abgeordnete Rudolf Jung unter dem Titel „Nationaler Sozialismus“.
Aber solche rechtsradikalen Gruppen waren damals längst nicht die einzigen, in der eine die früheren Gegensätze überwindende, die Nation einende Zielvorstellung gesucht wurde. Nationale und sozialistische Motive spielten etwa in der Jugendbewegung, im religiösen Sozialismus um Paul Tillich und Eugen Rosenstock-Huessy, bei dem deutschen Jesuiten Gustav Gundlach, im Hofgeismarer Kreis der Jungsozialisten um den Nationalbolschewisten Ernst Niekisch sowie bei dem Gewerkschafter Lothar Erdmann (1888–1939) eine große Rolle.
Kaum eine damalige politische Partei glaubte, auf den Nationalismus als gestaltende und massenmobilisierende Kraft verzichten zu können. So verabschiedete z. B. auch die KPD 1930 eine programmatische Erklärung „zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“[2] und wandte sich 1932 gegen die im Youngplan festgelegten Reparationszahlungen als „Tributsklaverei des deutschen Volkes“[3] mit der Intention, Anhänger der erstarkenden NSDAP und nationalistische Angehörige der Mittelschichten für die KPD zu gewinnen.
Entwicklung der NSDAP
Im Januar 1919 gründete sich die Deutsche Arbeiterpartei, die sich 1920 in München in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umbenannte und sich neu als „Bewegung“ zur Sammlung aller radikal antisemitischen und antidemokratischen Kräfte positionierte. Dabei übernahm sie weite Teile von Jungs Programmatik. Ihr 25-Punkte-Programm betonte den aus der völkischen Bewegung des Deutschen Kaiserreichs bekannten Begriff der Volksgemeinschaft, der sich alles unterzuordnen habe. Diese Idee wurde nach innen sowohl integrierend wie fremdenfeindlich und ausgrenzend – vor allem für Juden und Kommunisten –, nach außen expansionistisch und rassistisch als „Kampf der Arier um Lebensraum“ ausformuliert. Ziele wie Mittel waren jedoch in der aus vielen Vorläufern entstandenen Sammlungsbewegung noch weitgehend ungeklärt.
In den 1920er Jahren stritten die von Gregor und Otto Strasser auf der einen, Alfred Rosenberg auf der anderen Seite vertretenen Parteiflügel der NSDAP öffentlich über das Verhältnis der nationalistischen zur sozialistischen Komponente ihres Programms.
„Das Wort ‚Nationalsozialismus‘ stellt als Hauptwort eine neue Synthese dar, die die Untrennbarkeit zweier Begriffe betont, während die Bezeichnung ‚nationaler Sozialismus‘ in Wirklichkeit nationaler Marxismus bedeutet oder bedeuten könnte.“
Erst 1934 entschied Parteiführer Adolf Hitler als „Führer und Reichskanzler“ diesen Flügelkampf autoritativ und endgültig, indem er die stärker antikapitalistisch ausgerichteten Parteivertreter, allen voran Ernst Röhm, ermorden ließ und die paramilitärische SA, deren Straßenterror ihm zur Machtergreifung verholfen hatte, entmachtete (siehe Röhmputsch). Der „Sozialismus“ in der NS-Innenpolitik war bereits mit der Gleichschaltung der Gewerkschaften und dem Terror gegen die Linksparteien und Organisationen der Arbeiterbewegung desavouiert worden.
Verwendung durch Neonazis
Vor allem der neonazistische Aktivist Michael Kühnen versuchte in der alten Bundesrepublik seit etwa 1976 Konzepte wiederzubeleben, die sich ideologisch an Ernst Röhm und die SA-Organisationsform anlehnten. Er gründete im November 1977 die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS), die mit nur wenigen Dutzend Mitgliedern dennoch eine große Medienresonanz erreichte. Bekannt wurde ein Aufmarsch im Mai 1978, dessen Teilnehmer Eselsmasken mit der Aufschrift „Ich Esel glaube immer noch, dass in deutschen KZs Juden 'vergast' wurden“ öffentlich die Auschwitzlüge propagierte.[4] Kühnen wurde mehrfach wegen Aufstachelung zum Rassenhass, Gewaltverherrlichung und Volksverhetzung zu Haftstrafen verurteilt. Dem Zusammenschluss der ANS mit einer „Wehrpsortgruppe“ Nationale Aktivisten folgte das Verbot der Organsiation im Dezember 1983. Seitdem gründete Kühnen verschiedene Nachfolgeprojekte mit ähnlicher Zielsetzung wie die [[FAP], die aber seit 1990 in der rechtsextremen Szene bedeutungslos wurde.
Heute versuchen vor allem „Nationalrevolutionäre“ wie der Kampfbund Deutscher Sozialisten an Traditionen und Vorstellungen eines Nationalen Sozialismus anzuknüpfen. Dies zielt in der Regel auf eine so genannte Querfront-Strategie, die den links-rechts-Gegensatz verwischen und überwinden soll, um so Personen und Gruppen, die sich dem Lager der radikalen Linken zugehörig sehen, anzusprechen und für gemeinsame Aktionsbündnisse zu vereinnahmen.
Dabei wird das Ziel einer sozialen Revolution zur Schaffung eines teilweise am Dritten Reich orientierten Nationalstaats anvisiert, in dem zugleich syndikalistische, rätedemokratische oder anarchistiiche Motive und Ideen umgesetzt werden sollen.
Dieses diffuse Konzept soll Nationalrevolutionäre mit „progressiven“ oder „linken“ Nationalsozialisten, die sich weniger an Hitler als an NS-Führern wie Gregor Strasser orientieren, sowie mit nationalistisch gesinnten Sozialisten und Kommunisten vereinen.
Der offen neonazistische und gewaltbereite Kampfbund Deutscher Sozialisten sieht sowohl das nationalsozialistische Deutschland als auch die DDR, die den Nationalen Sozialismus nur unter anderen Vorzeichen fortgesetzt habe, als gescheiterte Anläufe zu einem Deutschen Sozialismus. Er betrachtet sich in diesem Sinne selbst als dessen Vertreter. Die unregelmäßig erscheinende Zeitschrift „Der Fahnenträger“ bezeichnet sich als Zentralorgan der Nationalen Sozialisten.
Auch einige Linksnationalisten ordnen sich dem Nationalen Sozialismus zu. Sie verwenden dabei als ihr Symbol eine abgewandelte Version des Antifa-Logos, in dem der Schriftzug „Antifaschistische Aktion“ durch „Nationale Sozialisten – Bundesweite Aktion“ ersetzt wurde.
Siehe auch
Quellen
- ↑ Wolfgang Wippermann: Nationalsozialismus, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 2. Auflage 1998, ISBN 3-423-33007-4, S. 600
- ↑ http://www.marxistische-bibliothek.de/nationalebefreiung.html
- ↑ http://www.marxistische-bibliothek.de/national7.html
- ↑ Armin Pfahl-Traughber, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik S. 53
Literatur
- Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und Nationaler Sozialismus. Fischer Tb., Frankfurt am Main 2006. ISBN 359615863X.
- Ilse Fischer: Versöhnung von Nation und Sozialismus? Lothar Erdmann (1888–1939): Ein „leidenschaftlicher Individualist“ in der Gewerkschaftsspitze. Archiv für Sozialgeschichte, Beiheft 23, Bonn 2004.
- Rolf-Peter Sieferle: Epochenwechsel – die Deutschen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Propyläen Verlag, März 1999. 365 Seiten. ISBN-10 3549051565, ISBN-13: 978-3549051566.
- Stefan Vogt: Nationaler Sozialismus und Soziale Demokratie. Die sozialdemokratische Junge Rechte 1918–1945. Dietz, Bonn 2006. ISBN 3801241610.
- Karlheinz Weißmann: Der Nationale Sozialismus. Ideologie und Bewegung 1890–1933. Herbig, 1998. ISBN 3776620560.
Weblinks
- „Heldengeist gegen Krämergeist“, Artikel von Ernst Piper in der Süddeutschen Zeitung zum Nazi-Marketing eines „nationalen Sozialismus“ durch den NS-Chefideologen Alfred Rosenberg
- H-Soz-u-Kult: Eine Rezension zu C.H. Werth: „Sozialismus und Nation. Die deutsche Ideologiediskussion zwischen 1918 und 1945“
- Redaktion Bahamas, Postfach 62 06 28, 10796 Berlin – Jürgen Elsässer: „Nationaler Sozialismus und Antisemitismus“