Reichstagsbrand

Mit Reichstagsbrand wird der Brand des Reichstagsgebäudes in Berlin in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 bezeichnet. Der Brand beruhte auf Brandstiftung. Am Tatort festgenommen wurde Marinus van der Lubbe. Allerdings können die Umstände und vor allem die Täterschaft nicht einwandfrei geklärt werden. Letztlich ist die Täterschaft für die historische Bedeutung nicht wirklich entscheidend, viel wichtiger waren die politischen Folgen. Bereits am 28. Februar wurde die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung) erlassen. Damit wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung praktisch außer Kraft gesetzt und der Weg freigeräumt für die Verfolgung und Verhaftung politischer Gegner der NSDAP durch Polizei und SA.
Der Brand und erste politische Entscheidungen
Die sozialdemokratische Zeitung Vorwärts berichtete am 28. Februar 1933 vom Vortag, dass in den Abendstunden ein Riesenfeuer den Himmel über der City rötete und das die Kuppel des Reichstages in hellen Flammen gestanden hätte. Feuerwehr und Polizei hätten übereinstimmend die Ursache als Brandstiftung bezeichnet, da an verschiedenen Stellen Brandnester gefunden worden waren. Kurz nach 21 Uhr sei im Reichstag Feueralarm gegeben worden. Zunächst wurde ein Feuer im Restaurant gemeldet. Dort konnten die Flammen rasch erstickt werden. Aber kurz danach wurden mehrere weitere Brandherde entdeckt. In kurzer Zeit brannte der Sitzungssaal des Gebäudes lichterloh. „Das Feuer, das an den Abgeordnetensitzen, Pulten und der hölzernen Wandverkleidung überaus reiche Nahrung fand, griff wie rasend um sich.“ Die Feuerwehr war inzwischen mit 15 Löschzügen vor Ort. Diese nahmen den Kampf gegen den Brand mit zahlreichen Spritzen von verschiedenen Seiten auf. Allerdings war es anfangs wegen der Hitze unmöglich an das Zentrum des Brandes heranzukommen. Daher beschränkte sich die Feuerwehr darauf ein Ausbreiten der Flammen zu verhindern. Erst gegen 0 Uhr 25 hatte die Feuerwehr das Feuer weitgehend gelöscht. Im Laufe der Zeit sammelten sich mehrere tausend Schaulustige an. Mehrere Hunderschaften der Schutzpolizei führten Absperrungen durch, da man annahm unter den Zuschauern Komplizen ausfindig zu machen. Das Blatt berichtete weiter, dass im Polizeipräsidium eine Sonderkommission gebildet worden sei. Diese hat eine Vernehmung des festgenommenen geständigen Täters von der Lubbe durchgeführt. Dieser sei 24 Jahre alt, von Beruf Maurer und stamme aus Leyden. Er blieb auch bei der ersten Vernehmung dabei allein gehandelt zu haben. Der Vorwärts war allerdings der Meinung, dass der Täter gute Ortskenntnisse gehabt haben müsse und schloss indirekt eine Mittäterschaft der Kommunisten nicht aus.[1]
Der Chef der preußischen politischen Polizei Rudolf Diels, der unmittelbar nach der Meldung an den Tatort geeilt war, berichtete im Rückblick über die Umstände der Festnahme und dem Geständnis von der Lubbe's. Kurze Zeit später trafen auch Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Hermann Göring, Wilhelm Frick sowie Wolf-Heinrich Graf von Helldorf ein. Göring äußerte dabei: „Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagen! Es darf keine Minute versäumt werden!“ Hitler hat dies nach diesem Bericht noch verschärft: „Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“ Diels äußerte die Überzeugung, dass es sich nach Meinung der Polizei, um einen verückten Einzeltäter handele, stieß damit bei den führenden Nationalsozialisten auf Ablehnung und diese bestanden auf der Ausrufung des Ausnahmezustandes und der Verhaftung von sozialdemokratischen und kommunistischen Funktionären. [2]
Politische Hintergründe
Der Reichstagsbrand fiel mitten in den Wahlkampf für die Reichstagswahl die am 5. März 1933 stattfinden sollte. Bis in hohe Kreise der NSDAP war man von einem Aufstandsversuch der KPD überzeugt. Andere zeitgenössische Beobachter hielten ihn für eine Aktion der neuen Machthaber, um geplante politische Repressalien zu legitimieren. [3] Karl Jaspers und mit ihm ein Großteil der historischen Forschung argumentiert, dass die Nationalsozialisten - zunächst tatsächlich an den kommunistischen Aufstand glaubend - die Gelegenheit virtuos ausgenutzt und den Verdacht als Tatsache dargestellt.[4]
Wer auch immer den Brand gelegt hat, kam dieses Ereignis für die Nationalsozialisten äußerst gelegen, um gegen ihre politischen Gegner vorzugehen. Der Wahlkampf der NSDAP wurde ohnehin bereits als „Kampf gegen den Marxismus“ geführt. Der Brand gab der Partei nunmehr die Möglichkeit zur Radikalisierung und den Einsatz staatlicher Machtmittel gegen die Linksparteien.
Die NSDAP sprach unmittelbar danach von einem „Fanal zum blutigen Aufruhr und zum Bürgerkrieg.“ Hinter dem Brand sollten angeblich kommunistische Kräfte stecken. Noch in der Brandnacht ordnete Hermann Göring in seiner Funktion als kommissarischer preußischer Innenminister das Verbot der kommunistischen Presse an. Außerdem wurden die Parteibüros geschlossen und zahlreiche Funktionäre der Partei in die so genannte Schutzhaft genommen. Allein in Berlin wurden 1500 Mitglieder der KPD festgenommen. Darunter war fast die gesamte Reichstagsfraktion. Der Polizei gelang es jedoch nicht die eigentliche Parteiführung zu verhaften, weil sich das Politbüro zu einer geheimen Sitzung getroffen hatte. Der Fraktionsvorsitzende der KPD im Reichstag Ernst Torgler stellte sich kurze Zeit später freiwillig, um so die Behauptung er sei am Brand beteiligt gewesen, als absurde Behauptung erscheinen zu lassen.
Da der am Tatort festgenommene Marinus van der Lubbe angeblich auch Verbindung zur SPD zugegeben hatte, geriet auch diese Partei in den Focus der Behörden. Die sozialdemokratische Presse aber auch die Wahlplakate der Partei wurden für 14 Tage verboten.[5]
Formale Legalisierung der politischen Verfolgung
Am 28. Februar noch wurde vom Reichskabinett die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ verabschiedet. Damit wurden die Grundrechte außer Kraft gesetzt. Der Polizei und ihren Hilfsorganen (namentlich der SA) war es nunmehr möglich Verhaftungen ohne die Nennung von Gründen vorzunehmen und den Betroffenen jeden Rechtsschutz zu verweigern. Weder die Unversehrtheit der Wohnung noch des Eigentums waren mehr gewährleistet. Das Post- und Fermeldegeheimnis war ebenso aufgehoben wie die Meinungs-, Presse- und Vereinsfreiheit. Gleichzeitig waren darin stärkere Eingriffmöglichkeit des Reiches in die Angelegenheiten der Länder verbunden. Für verschiedene Terrordelikte wie auch für Brandstiftung wurde rückwirkend die Todesstrafe eingeführt. Diese Verordnung war gleichbedeutend mit dem Ende des Rechtsstaates in der bisherigen Form. Die Verordnung blieb bis zum Ende des Dritten Reiches in Kraft und war die Grundlage für ein Regime des permanenten Ausnahmezustandes.
Aus taktischen Gründen sah die Regierung noch von einem formellen Verbot der KPD ab. Aber Adolf Hitler machte noch am 28. Februar unmissverständlich deutlich, dass jetzt „rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD dringend geboten sei.“ Das erklärte Ziel war die völlige Vernichtung der Kommunisten. Daneben konnte die Notverordnung auch auf Sozialdemokraten und letztlich auf alle Gegner des Regimes angewandt werden.
Die Notverordnung schuf die Grundlage zur Verhaftung nicht nur zahlreicher weiterer Funktionäre der Arbeiterparteien, sondern auch zahlreicher kritischer meist linker Intellektueller. Unter diesen waren noch am 28. Februar Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch, Max Hodann oder Hans Litten. Einige Tage später gelang der Polizei auch die Verhaftung des kommunistischen Parteivorsitzenden Ernst Thälmann.
Der laufende Reichstagswahlkampf konnte von der NSDAP nach dem Brand in offen terroristische Bahnen gelenkt werden. Bis Mitte Mai 1933 wurden allein Preußen über 100.000 politische Gegner, die Mehrzahl Kommunisten, verhaftet und in provisorischen Konzentrationslager und Folterkeller gebracht. Am Wahltag zählte man 69 Tote und hunderte Verletzte allerdings nicht nur auf Seiten der Opposition sondern auch bei SA und NSDAP. [6]
Der Reichstagsbrandprozess
Die nationalsozialistische Führung hätte gerne auf einen ordentlichen Prozess verzichtet. Aber dies war nicht möglich, da der Übergang zur Diktatur noch nicht abgeschlossen war. Hinzu kam der Druck des Auslandes. Dabei spielte die Exil-KPD eine starke Rolle. Allerdings wurde einen Monat nach dem Reichstagsbrand die Reichsregierung mit einer Lex van der Lubbedas Strafmaß erhöht, so dass für Brandstiftung auch die Todesstrafe verhängt werden konnte.[7]
Die polizeilichen Ermittlungen und gerichtlichen Voruntersuchungen richteten sich neben Marinus van der Lubbe auch gegen den angeblichen Anstifter den deutschen Kommunisten Ernst Torgler und drei bulgarische Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew. Als Staatsschutzsache war der Fall eine Sache für das Reichsgericht in Leipzig. Insgesamt wurden bei der Voruntersuchung über 500 Zeugen vernommen. Die Ergebnisse auch 32 Aktenbänden wurden in einer umfangreichen Anklageschrift zusammengefasst. In dieser Zeit versuchte die Regierung das Verfahren zu beeinflussen, so wurde der die Untersuchung leitende Richter durch einen Mann des Regimes ersetzt, der konsequent alle Entlastungsanträge der Beschuldigten ablehnte. Der Versuch von Dimitroff einen ausländischen Verteidiger hinzuzuziehen scheiterte, den Angeklagten wurden stattdessen einige Offizialverteidiger zugewiesen.
Am 21. September 1933 wurde der Prozess vor dem IV. Strafsenat des Reichsgerichts eröffnet. Der vorsitzende Richter war Wilhelm Bünger ehemals Mitglied der DVP und Landesminister in Sachsen und kein Anhänger des neuen Regimes. Das Verfahren war in weiten Teilen geprägt von politischen Auseinandersetzungen. Dimitroff hatte sich in der Haft intensiv mit dem deutschen Strafrecht und –prozeßordnung vertraut gemacht und lieferte sich als guter Rhetoriker heftige Redeschlachten mit den Vertretern der Anklage, versuchte die Belastungszeugen in Widersprüche zu verwickeln und stellte eine Vielzahl von Beweisanträgen. Durch die zahlreichen in- und ausländischen Pressevertreter konnte er sich seiner medialen Wirkung sicher sein. Die Richter sowohl von der Presse wie auch der Regierung kritisch beobachtet, erwiesen sich gegenüber Dimitroff als hilflos. Ihre einzige Waffe war dessen mehrfacher Ausschluss vom Verfahren. Bemerkenswert ist, dass einige Zeugen die als Inhaftierte in Konzentrationslagern unter Druck gegen die Angeklagten ausgesagt hatten, vor Gericht ihre Aussage widerriefen. Ein Gutachter kam zwar im Verlauf des Prozesses zu dem Urteil, dass van der Lubbe unmöglich der alleinige Täter sein könne. Insbesondere die ausländische Öffentlichkeit blieb aber skeptisch. Die Wende sollte der Auftritt von Joseph Goebbels und Hermann Göring bringen. Göring griff die Kommunisten scharf an, ließ sich aber von Dimitroff aus der Fassung bringen. Geschickter verhielt sich Goebbels aber auch ihm gelang es nicht den Eindruck eines nationalsozialistischen Schauprozesses zu entkräften.
Das Urteil, zudem keine Revision möglich war, erging am 23. Dezember 1933. Danach wurden die Angeklagten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff freigesprochen. Der Angeklagte Lubbe wurde wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tod und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Der Freispruch der kommunistischen Angeklagten erfolgte dabei aus Mangel an Beweisen. Die These von der kommunistischen Verantwortung wurde allerdings aufrechterhalten, da behauptet wurde allerdings aufrechterhalten auch weil Lubbe angeblich Kommunist war. Das Urteil wurde im Ausland mit Erleichterung, von der nationalsozialistischen Presse mit Entrüstung aufgenommen. Marinus van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 durch die Guillotine hingerichtet.[8]
In London wurde 1933 eine „Internationale Untersuchungskommission zur Aufklärung des Reichstagsbrandes“ eingerichtet, als deren Vorsitzender Denis Nowell Pritt fungierte. Außerdem gab es im Ausland einen Gegenprozess.
Wenn die Unabhängigkeit des Gerichts auch bereits deutlich eingeschränkt war, zeigte das Urteil, dass die Kontrolle des Regimes noch nicht vollständig gesichert war. Der Prozess wurde eine Haupttriebkraft zur Schaffung eines außerordentlichen Strafrechts. Dazu gehörte nicht zuletzt die Einrichtung des Volksgerichtshofes.[9]
Der Reichstagsbrand in der Rechtsprechung nach dem Krieg
Im Wiederaufnahmeverfahren hat das Landgericht Berlin 1967 das Urteil gegen van der Lubbe bezüglich des Hochverrats aufgehoben, aber wegen der Brandstiftung bestehen lassen.[10] Im Jahre 1980 wurde der Prozeß auf Betreiben von Robert Kempner, in den Nürnberger Prozessen Stellvertreter des Chefanklägers Robert H. Jackson und überzeugt von der Unschuld van der Lubbes, wiederaufgenommen und van der Lubbe in allen Punkten freigesprochen, woraufhin die Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegte. Im letzten Beschluss des Bundesgerichtshofs 1983[11] ist die Frage von Mittätern ausdrücklich als nicht relevant offengelassen worden, da dies eine strafbare Beteiligung van der Lubbes jedenfalls nicht ausschließe.
Der Streit um die Täterschaft
Es gab insgesamt drei Theorien zu den Hintergründen des Brandes:
- Die Nationalsozialisten sprachen von einem „kommunistischen Aufstand“, zu dem der Brand des Reichstags das Fanal gewesen sein soll (es hatte solche Aufstände bereits 1918 bis 1923 gegeben).
- Kommunisten, aber auch Demokraten vermuteten schon frühzeitig, dass die Nationalsozialisten selbst den Brand gelegt hätten, um einen Vorwand für die Verfolgungen zu haben. Diese These war nach dem Krieg weit verbreitet.
- Schließlich gibt es die These von der Alleintäterschaft des am Tatort aufgefundenen Marinus van der Lubbe.
Nach heutigem Erkenntnisstand hatten die Kommunisten damals keine Pläne zu einem Aufstand in Deutschland, und auch der Reichstagsbrand kam ihnen nicht zugut. Van der Lubbe war nur ehemaliger Kommunist und stand mit den Kommunisten damals auch nicht in Verbindung. Es gelang den Nationalsozialisten trotz aller Anstrengungen nicht, die kommunistische Täterschaft zu belegen.
Bereits unmittelbar nach dem Brand begannen insbesondere linke Publizisten wie Willi Münzenberg die Beteiligung der Nationalsozialisten an dem Brand zu vermuten.[12] Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es lange Zeit als sicher, dass Nationalsozialisten den Brand gelegt hätten, um die Liquidierung der Demokratie und die Errichtung einer Diktatur schneller voran zu treiben. Mitglieder der regierenden NSDAP - allen voran Reichstagspräsident Göring - hätten zumal am ehesten die Möglichkeit dazu gehabt.
Skepsis an der Urheberschaft der Nationalsozialisten wurde teilweise tabuisiert, da sie deren Untaten zu relativieren schien. Dies änderte sich Anfang der 1960er Jahre, als zunächst der Amateurhistoriker Fritz Tobias (unter Bezug auf Walter Zirpins), unterstützt vom Berufshistoriker Hans Mommsen, diese zu jener Zeit weitgehend gesellschaftlich akzeptierte Fassung in Frage stellten, initiiert durch eine Serie im Spiegel 1959/60. Im selben Magazin hatte schon am 16. Januar 1957 der frühere Pressechef im Auswärtigen Amt und ehemalige NSDAP-Parteigenosse Paul Karl Schmidt die These von der Alleintäterschaft van der Lubbes vertreten.[13]
Allerdings kommen immer wieder Zweifel an der Alleintäterschaft auf. Eine Argument dabei ist, dass ein Täter allein nicht den ganzen Reichstag hätte in Brand stecken können, wobei oft vergessen wird, dass nur der Plenarsaal und ein Nebenraum tatsächlich brannten. Argumente für die Kritiker lieferte der Vorwurf, dass Hans Mommsen in der Mitte der 1960er Jahren als Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) dazu beigetragen haben soll, das Erscheinen einer kritischen Schrift von Hans Schneider zu verhindern.
Gegen die Einzeltäterthese wandte sich seit 1968 ein so genanntes Luxemburger Komitee, das in den siebziger Jahren Dokumente vorlegte, die eine Verantwortung der Nationalsozialisten belegen sollten. 1986 lieferte ein Sammelband, an dem sich unter anderem Hans Mommsen, Eckard Jesse und Fritz Tobias beteiligten, erneut Argumente gegen die Täterschaft der Nationalsoazialisten. Der Berliner Historiker Henning Köhler warf darin dem Komitee massive Fälschung von Quellenmaterial vor, was die Debatte stark emotionalisierte. Befürworter der These von der nationalsozialistischen Täterschaft wie Walther Hofer und Golo Mann führten dabei auch „volkspädagogische“ Argumente an, in dem Sinne, dass wenn sich herausstellen sollte, dass der Reichstag nicht von den Nationalsozialisten angezündet worden wäre, auch die anderen Verbrechen in Frage gestellt werden könnten.[14] Der Vorwurf der Dokumentenfälschung erhärtete sich, als die Vertreter des Luxemburgkomitees dem Bundesarchiv keine Orginaldokumente vorlegen könnten, da diese nach der Einsichtnahme vernichtet worden seien.[15] Der Vorwurf der Quellenfälschung hat die These von der nationalsozialistischen Täterschaft über Jahre diskreditiert. Heinrich-August Winkler etwa schrieb „Den Veröffentlichungen des Internationalen Komitees Luxemburg ... sind so viele Fälschungen nachgewiesen worden, dass sich ihre Zitierung erübrigt.“[16]
In großen Teilen der Geschichtswissenschaft wurde die These von der Alleintäterschaft van der Lubbes bei allen Zweifeln in den letzten Jahrzehnten als die wahrscheinlichste angesehen. Heinrich August Winkler sprach davon, dass die Brandstiftung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dem am Tatort festgenommenen begangen worden ist.[17] Hans-Ulrich Wehler ist der Ansicht, die Forschung seit 1962 habe eine hinreichende Klarheit zu Gunsten einer Alleintäterschaft van der Lubbes erbracht.[18] In den letzten Jahren wurden allerdings von verschiedener Seite erneut Zweifel daran angemeldet [19]. Die Debatte ist noch nicht abgeschlossen.
Zitate zum Brand
- Victor Klemperer, Tagebuch 10. März 1933: "Acht Tage vor der Wahl die plumpe Sache des Reichstagsbrandes – ich kann mir nicht denken, daß irgend jemand wirklich an kommunistische Täter glaubt statt an bezahlte Hakenkreuz-Arbeit." (Der Brand fand nicht acht, sondern nur sechs Tage vor der Wahl statt.)
- Joseph Goebbels notierte unter dem Datum des 6. April 1941 über ein vertrauliches Gespräch mit Hitler, bei dem beide auch acht Jahre danach rätselten, wer der Brandstifter war: „Bei Reichstagsbrand tippt er [d.h. Hitler] auf Torgler als Urheber. Halte das für ausgeschlossen. Dazu ist er viel zu bürgerlich.“ [20]
- Ein Fliegergeneral namens Freiherr von Freyberg-Eisenberg berichtete von einem Gespräch mit dem Intimus Görings namens Lörzer vom Tag nach dem Reichstagsbrand: „Ich verstehe nicht, was die Leute alle für einen Unsinn über den Reichstagsbrand verbreiten. Ich [Lörzer] habe von meinem Freunde Göring mit einer Gruppe von SA-Männern den Auftrag bekommen, den Reichstag anzuzünden.“[21]
Einzelnachweise
- ↑ Vorwärts Morgenausgabe vom 28. Februar 1933
- ↑ Bericht des Chefs der preußischen politischen Polizei, Rudolf Diels im Rückblick aus dem Jahr 1949
- ↑ Hans Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd.4: Vom Beginn des ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949. München: Beck, 2003. ISBN 3-406-32264-6 S.604
- ↑ Jasper 1986, S. 129-132.
- ↑ Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933. Bonn, 1990. ISBN 3-8012-0095-7 S.880-883, 880f.
- ↑ Winkler, Weg in die Katastrophe, S.881-883, Ludolf Herbst: Das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Die Entfesselung der Gewalt: Rassismus und Krieg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996 S.64f.
- ↑ Kabinettsbesprechung über eine notwendige Gesetzesänderung im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand (7. März 1933)
- ↑ Hans-Georg Breydy: Der Reichstagsbrandprozeß in Leipzig 1933
- ↑ Eberhard Kolb: Die Maschinerie des Terrors. Zum Funktionieren des Unterdrückungs- und Verfolgungsapparates im NS-Regime. In: Karl Dietrich Bracher (u.a.) (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Eine Bilanz. Bonn, 1986. ISBN 3-921352-95-9 S.280
- ↑ Landgericht Berlin, Beschluss vom 21. April 1967, 2 P Aufh 9/66 (126/66).
- ↑ Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02. Mai 1983, 3 ARs 4/83 - StB 15/83, BGHSt 31, 365.
- ↑ Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S.604
- ↑ Wigbert Benz: Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945. Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2005, S. 72-75
- ↑ Zitiert nach Jasper 1986, S. 132.
- ↑ zur Kontroverse aus Sicht der Kritiker des Luxemburger Komitees: Peter Haungs: Was ist mit den deutschen Historikern los? Oder: Ist Quellenfälschung ein Kavaliersdelikt. Zur Kontroverse um den Reichstagsbrand. In: Geschichte und Gesellschaft Heft 4/1986 S.535-541, Eckhard Jesse: Die Kontroverse zum Reichstagsbrand - ein nicht endender Wissenschaftsskandal. In: Geschichte und Gesellschaft Heft 4/1988 S.513-533
- ↑ Winkler, Weg in die Katastrophe, S.880
- ↑ Winkler, Weg in die Katastrophe, S.880
- ↑ Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd.4, S.604
- ↑ Alexander Bahar und Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird. edition q, Berlin 2001; Reichstagsbrandforum, Wigbert Benz: Buchbesprechung: Dieter Deiseroth (Hrsg.): Der Reichstagsbrand und der Prozess vor dem Reichsgericht. (Berlin 2006) In: Süddeutsche Zeitung Nr. 87 vom 16. April 2007
- ↑ Joseph Goebbels: Tagebücher 1924 - 1945, herausgegeben von Ralf Georg Reuth, Band 4, Piper Verlag München und Zürich 1992, S. 1559
- ↑ Robert M. W. Kempner: Ankläger einer Epoche. Lebenserinnerungen. Ullstein, Frankfurt/Main u. a. 1983 – Zitat auf S. 99
Literatur
- Alfons Sack: Der Reichstagsbrandprozess. Ullstein, Berlin 1934
- Braunbuch II: Dimitroff contra Göring. Editions du carrefour, Paris, Reprint Köln, Frankfurt/Main 1981, ISBN 3-7609-0552-8
- Uwe Backes, Objektivitätsstreben und Volkspädagogik in der NS-Forschung. Das Beispiel der Reichstagsbrand-Kontroverse, in Uwe Backes/Eckhard Jesse/Rainer Zitelmann (Hrsg), Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus (1992) 614 ff., ISBN 3-548-33161-0
- Fritz Tobias, Der Reichstagsbrand - Legende und Wirklichkeit. Grote, Rastatt 1962
- Uwe Backes, Karl-Heinz Janßen, Eckhard Jesse: Reichstagsbrand – Aufklärung einer historischen Legende. Piper 1986.
- Hans Schneider: Neues vom Reichstagsbrand – Eine Dokumentation. Ein Versäumnis der deutschen Geschichtsschreibung. Mit einem Geleitwort von Iring Fetscher und Beiträgen von Dieter Deiseroth, Hersch Fischler, Wolf-Dieter Narr; herausgegeben von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V., Berliner Wissenschafts-Verlag, 2004 ISBN 3830509154
- Dieter Deiseroth (Hrsg.): Der Reichstagsbrand und der Prozess vor dem Reichsgericht. Mit Beiträgen von Dieter Deiseroth, Hermann Graml, Ingo Müller, Hersch Fischler, Alexander Bahar, Reinhard Stachwitz; Verlagsgesellschaft Tischler, Berlin 2006, ISBN 3-922654-65-7
- Georgi Dimitroff: Tagebücher. Aufbau, Berlin 2000, ISBN 3-351-02510-6
- Alexander Bahar, Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird. edition q, Berlin 2001 ISBN 3-86124-513-2
- Gotthard Jasper: Die gescheiterte Zähmung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1930-1934, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-518-11270-8.
- Eckhard Jesse: Reichtagsbrand und Reichtagsbrandprozess. In: Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit(Hrsg): Die Anfänge der braunen Barbarei, München 2004.
- Walther Hofer, Edouard Calic, Christoph Graf, Friedrich Zipfel: Der Reichstagsbrand – Eine wissenschaftliche Dokumentation. Reihe: Unerwünschte Bücher zum Faschismus Nr. 4, Ahriman-Verlag, Freiburg i. Br. 1992, ISBN 3-922774-80-6
Weblinks
- Auszug aus: "Neues vom Reichstagsbrand"
- Ausführlicher Artikel bei Shoa.de
- Reichstagsbrandforum
- Artikel bei Telepolis vom 25. Februar 2006
- Materialsammlung 1953–86 in der Zeitschrift Kuckuck
- Otto Köhler: Der Reichstag brennt noch immer
- Wigbert Benz: Kameraden. Reichstagsbrand: NS-Pressechef schreibt "Spiegel"-Geschichte