Behandlungsfehler
Ein Behandlungsfehler wird definiert als eine nicht angemessene, zum Beispiel nicht sorgfältige, nicht richtige oder nicht zeitgerechte Behandlung eines Arztes und kann alle Bereiche ärztlicher Tätigkeit (Tun oder Unterlassen) betreffen zum Schaden des Patienten.
Zur Prüfung von Beschwerden und Haftungsfragen hat die Ärzteschaft in Deutschland Schlichtungsstellen bei den Landesärztekammern eingerichtet.
Begriffe
“Behandlungsfehler und Kunstfehler“ werden oft gleich bedeutend verwendet. Dahinter stehen aber zwei verschiedene Sichtweisen auf das möglichweise identische Geschehen. Ein Behandlungsfehler wird als juristischer Ausdruck definiert als eine nicht angemessene, zum Beispiel nicht sorgfältige, nicht richtige oder nicht zeitgerechte Behandlung durch einen Arzt. Er kann alle Bereiche ärztlicher Tätigkeit (Tun oder Unterlassen) betreffen zum Schaden des Patienten. Sowohl beim Eingreifen in Notfällen und dem dazu gehörenden Transport, in der ärztlichen Praxis, bei Hausbesuchen oder im Krankenhaus. Dabei kann der Fehler rein medizinischen Charakters sein, sich auf organisatorische Fragen beziehen, oder es kann sich um Fehler nachgeordneter oder zuarbeitender Personen handeln. Auch fehlende oder unrichtige, unverständliche oder unvollständige Aufklärung über medizinische Eingriffe und ihre Risiken zählen zu Behandlungsfehlern. Eine Verletzung der therapeutischen Aufklärung ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH regelmäßig als grober Behandlungsfehler zu werten.
Ein Behandlungsfehler kann jedoch auch folgenlos bleiben. Das Vorliegen eines Behandlungsfehlers hat daher nur dann für den Arzt strafrechtliche oder zivilrechtliche (Schmerzensgeld/ Schadenersatz) Konsequenzen, wenn er bei dem Patienten zu einem Schaden geführt hat. Wichtig ist hier, dass ein Behandlungsfehler den Schaden nicht tatsächlich verursachen muss, es reicht schon, wenn er ihn verursachen könnte. Wird eine weitere Maßnahme nötig, haftet der Arzt, der den Fehler gemacht hat, auch für eventuelle Fehler des nachbehandelnden Arztes.
Der früher oft verwendete Begriff Kunstfehler ist ein untechnischer Begriff, der zur (euphemistisch anmutenden) Umschreibung von Fällen aus dem Bereich der Arzthaftung verwendet wurde. Er greift den Umstand auf, dass die ärztliche Behandlung nach den Regeln der Kunst (lat. de lege artis, engl. state of the art, gemeint ist der aktuelle Wissenstand in der Ärzteschaft zu einer bestimmten Behandlungsform) erfolgen muss. Wird dieses Wissen (unabsichtilich oder fahrlässig) nicht berücksichtigt, wird von einem Kunstfehler gesprochen. Damit ist also nicht das auch mögliche Misslingen einer Behandlung aufgrund des Krankheitsverlaufs oder anderer äußerer Faktoren gemeint. Umgangssprachlich wird bisweilen auch von „Ärztepfusch“ gesprochen, wenn zu Recht oder Unrecht oberflächliches, nicht sorgfältiges Handeln unter unsachgemäßem Zeitdruck unterstellt wird. Neutraler ist der juristische Ausdruck Behandlungsfehler.
Der heute im Zivilrecht gebräuchliche Ausdruck Arzthaftung lenkt das Augenmerk verstärkt auf die Haftung des Arztes für Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Damit wird die Frage nach der Kausalität betont. Denn nicht jeder Fehler des Arztes begründet eine Schadenersatzpflicht; vielmehr muss auf diesen Fehler ein konkreter Schaden zurückzuführen sein. Die Kausalitätsproblematik ist ein Schwerpunkt vieler Schadensersatzprozesse im Bereich des Arzthaftungsrechts.
Strafrechtlich sind „Kunstfehler“ in der Regel auch unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob eine schuldhafte Körperverletzung vorliegt. Es kann deshalb zu einer Strafverfolgungspflicht kommen (Offizialdelikt). Ausgangspunkt ist dabei, dass nahezu jede ärztliche Heilbehandlung zunächst den Tatbestand einer Körperverletzung verwirklicht (Vorlage:Zitat de § StGB), die allerdings nicht strafbar ist, solange sie mit wirksamer Einwilligung des Patienten und nach dem aktuellen Wissenstand der Fachdisziplin, also nach den „Regeln der Kunst“, durchgeführt wird (Vorlage:Zitat de § StGB).
Häufigkeit
In einem Artikel des Mediziner-Fachblatt Deutsches Ärzteblatt aus Mai 2003 ist von 400 Millionen Arzt-Patienten-Kontakten pro Jahr die Rede. Ohne wissenschaftliche Untersuchung ist im Mediziner-Fachblatt davon die Rede, dass lediglich in 0,1 % der Fälle Behandlungsfehler entstünden.
Aus der Fehlerforschung in der Luftfahrt - hier speziell Untersuchungen der NASA - weiß man hingegegen, dass 70 % der Flugunfälle auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sind. Dass Fehler passieren, ist unvermeidlich. So beträgt zum Beispiel die allgemeine Fehlerrate bei einer banalen Tätigkeit, etwa beim Ablesen von Instrumenten, bereits drei Promille, Komplexer wird die Situation beispielsweise bei miteinander agierenden Personengruppen verschiedener Qualifikation, die entsprechende Geräteüberprüfungen vornehmen sollen. Hier beträgt die Fehlerquote, wenn keine schriftlichen Anweisungen Entsprechendes festlegen, bis zu 10 %. Die allgemeine Fehlerrate bei Aktivitäten mit hohem Stresslevel, wenn gefährliche Ereignisse schnell aufeinander folgen, beträgt sogar bis zu 25 %.
Bei der Bundesärztekammer (BÄK) werden jährlich die Beschwerden bei den verschiedenen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für Arzthaftpflichtfragen zusammengefasst (für 2006 erstmals bundesweit einheitlich). Demnach wurden 2006 nur unwesentlich mehr Reklamationen untersucht als 2005. Nämlich 10.280[1]., von denen sich bei 4.747 Fällen keine Behandlungsfehler ergeben haben. Abschätzungen über die Dunkelziffern in diesem Zusammenhang wurden dabei nicht bekannt gegeben. Es ist für diese Erfasssungsmethode ein Problem der Arzt-Patientenbeziehung, dass durch das ungleich verteilte Fachwissem viele Patienten es gar nicht wissen können oder erst Jahre später merken oder ahnen, dass sie (vielleicht) falsch behandelt wurden. Eine Untersuchung darauf findet dann üblicherweise nicht statt. Auch liegen keine Zahlen über Fälle vor, in denen sich Ärzte und Patienten ohne Schlichtungsstelle auf eine Schadensregulierung geeinigt hatten.
Bei 1.562 der genannten Behandlungsfehler kamen Aufklärungsmängel hinzu, in weiteren 422 Fällen wurde die mangelhafte Risikoaufklärung zum Glück ohne Schaden für den Patienten festgestellt. Die meisten Einzelvorwürfe betreffen Operationen (ca. 25%), jeweils unter 10 % postoperative Therapien oder die Diagnostik. Dies kann allerdings ein Erhebungsfehler in dem Sinne sein, dass sich Patienten in diesen Fachgebieten entweder häufiger an mehrere Ärzte wenden und es dadurch zu einer vermehrten Aufdeckung von Mängeln kommt oder auch die Beweisssicherung leichter gelingen kann als in anderen Fachdisziplinen.
Eine Auswertung von zahlreichen Studien ergab, dass pro Jahr im Krankenhausbereich mit 5-10% unerwünschter Ereignisse, 2-4% Schäden, 1% Behandlungsfehler und 0,1% Todesfälle, die auf Fehler zurückgehen, zu rechnen ist. Bei jährlich 17 Millionen Krankenhauspatienten entspricht dies 850.000 bis 1,7 Mio unerwünschten Ereignissen, 340.000 Schäden (vermeidbare unerwünschte Ereignisse), 170.000 Behandlungsfehler (mangelnde Sorgfalt) und 17.000 auf vermeidbare unerwünschte Ereignisse zurückzuführende Todesfälle. Der gesamte ambulante Bereich ist darin nicht enthalten. (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, "Kooperation und Verantwortung", BMG 2007)
Beweislast, Beweislastumkehr und Haftung
Der Arzt übt eine Dienstleistung höherer Art aus. Er kennt den medizinischen Sachverhalt bei einer ärztlichen Behandlung in aller Regel besser als der Patient. In der EU-Richtlinie für Beweisregeln bei Dienstleistungen war deshalb vorgesehen, auch dem Arzt beim Streit über Behandlungsfehler die Beweislast für korrektes Vorgehen aufzuerlegen. Diese EU-Regelung konnte sich bisher nicht durchsetzen. Die objektive Beweislast für einen Behandlungsfehler liegt daher immer noch einzig beim Patienten. Beim bestehen eines Anfangsverdachts sollte der Patient den Arzt zu erst schriftlich fragen ob die Behandlung ordnungsgemäß verlaufen sei. Der behandelnde Arzt ist zur Mitwirkung verpflichtet und muss alle Fragen des Patienten wahrheitsgemäß beantworten. Um sich jedoch nicht selbst zu belasten darf der Arzt auch Fragen des Patienten nicht beantworten. Soweit sich eigene Verdachtsmomente weiter erhärten, sollte man möglichst frühzeitig ein medizinisches Privatgutachten beauftragen. Eine weitere Möglichkeit, um klären zu lassen, ob die ärztliche Behandlung fachgerecht ausgeführt wurde, bieten die Ärztekammern. Auf einen der durchaus heute noch zahlreichen ärztlichen Gutachter die regelmäßig mit Begutachtungsaufträgen von den Haftpflichtversicherern der Ärzte bedacht werden, sollte man sich dagegen als Patient nicht einlassen.
- „[...] daß auch heute noch eine nicht geringe Zahl medizinischer Gutachter Schwierigkeiten hat, sich bei der Ausübung ihres Amtes von überholten und in diesem Zusammenhang der Rechtsordnung widersprechenden Standesregeln freizumachen. Das gilt vor allem im Kunstfehlerprozeß. ... “ (BGH-Urteil vom 22. April 1975, - VI ZR 50/74 (Braunschweig), NJW] 1975, Heft 32, S. 1463 ff., Zitat auf S. 1464, und re. Spalte o., Nr. 2 a)“
Nach der objektiven Abklärung des medizinischen Sachverhaltes kann es sinnvoll sein einen auf Medizinrecht spezialisierten Anwalt einzuschalten, der nur die Patientenseite vertritt. Dieser ist dazu angehalten zuerst einen außergerichtlichen Vergleich anzustreben. Die Haftpflichtversichung des Arztes befindet sich jedoch auf Grund der Gesetzgebung in einer starken Verhandlungsposition und wird i.d.R. bei einem positivem Privatgutachten auf die für sie billigste Lösung drängen. Für einen außergerichtlichen und für den geschädigten Patienten tragbaren Vergleich ist daher die Wahl des eigenen medizinischen Gutachter entscheidend. Als geschädigter Patient muss man darauf achten, dass der medizinische Gutachter bei Gericht als absolut neutral, objektiv und unabhängig gilt. Im Falle eines Gerichtsverfahren folgt das Gericht in der Praxis den Ausführungen des Gutachters, dessen Einstellungen und Kompetenzen es vielfach bereits aus vorherigen Verfahren kennt oder zu kennen glaubt. Ein positive und klares vorgerichtliches Gutachten kann daher durchaus zu einer Umkehr der Beweislast führen. In diesem Fall muss der beklagte Arzt nachweisen, dass er am Eintritt des Schadens keinen Anteil trägt.
Dagegen führen Versäumnisse oder Mängel bei der ärztlichen Aufklärung, Organisation oder Behandlungsdokumentation regelmäßig zu einer Umkehr der Beweislast:
- „[...] Eine Verletzung der Pflicht des behandelnden Arztes zur therapeutischen Aufklärung (Sicherungsaufklärung), die als grober Behandlungsfehler zu werten ist, führt regelmäßig zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden, wenn sie geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; eine Wahrscheinlichkeit für ein Ergebnis einer Kontrolluntersuchung ist in einem solchen Fall nicht erforderlich [...] Eine Umkehr der Beweislast ist schon dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahelegen oder wahrscheinlich machen muß der Fehler den Schaden dagegen nicht“ (Fortführung von BGH, Urteil vom 27. April 2004 - VI ZR 34/03 - VersR 2004, 909, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt)
Schmerzensgeld
Auch Ärzte und Krankenhäuser sind heute mehr denn je gezwungen Kosten einzusparen. Und um Kosten einzusparen werden auch schon mal Vorschriften missachtet. Durch Schlampereien entstehen Unfälle und Schlampereien werden nicht abgestellt wenn es nicht weh tut. Wenn auch Schäden durch solvente Versicherungen getragen werden so sollte ein schlampiger Versicherter eine Hochstufung oder Kündigung fürchten müssen. Weitere Schäden können so vermieden werden. Ein Geschädigter sollte sich daher nicht damit zufrieden geben, dass bei der Bemessung von Schmerzensgeld alleine auf beliebte Schmerzensgeldtabellen zurückgegriffen wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof dürfen für ein angemessenes Schmerzensgeld (Vorlage:Zitat de § BGB) grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände eines Falles berücksichtigt werden, darunter der Grad des Verschuldens des Schädigers, die Dauer von Schmerzen, Einschränkungen des Lebens und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers als auch des Geschätigten, usw.
Siehe auch
- Ärztliche Aufklärung
- Beschwerdemanagement
- Beweislastumkehr
- Dienstvertrag
- Informierte Einwilligung zur Heilbehandlung - vom Engl.: Informed consent
- Heilbehandlung
- Ombudsmann/-person
- Patientenrechte
- Patientensicherheit.
- Pflege: mit dem spezielleren Begriff Pflegefehler werden in der professionellen Alten- bzw. Krankenpflege Handlungen oder Unterlassungen in der professionellen Pflege bezeichnet, die zu Schädigungen der gepflegten Person führen können oder geführt haben. Er kennzeichnet also bereits die Gefährdung! Ein Arztfehler muss dabei nicht gleichtzeitig vorliegen - aber das kann sein (Fachaufsicht, Delegation).
- Zivilverfahren
Literatur
- Martin Lindner: Irren ist ärztlich. In: Bild der Wissenschaft. 2/2004, S. 18–23, ISSN 0006-2375
- Stefanie Bachstein: Du hättest leben können. Verlagsgruppe Lübbe, 2.Aufl. 2004, ISBN 3-404-61480-1. Vorwort von Prof. Dr. med. Thomas H. Loew, Uniklinik Regensburg. Das Buch von Stefanie Bachstein zeigt die Traumatisierung beider Seiten, die der Ärztin und die der Betroffenen nach einem tödlichen Behandlungsfehler. Das Buch erhielt im Rahmen des Publizistikpreises 2004 der Stiftung Gesundheit Hamburg,eine besondere Erwähnung. Infos u. Leseprobe (Brief an die Ärztin) unter www.stefanie-bachstein.de
Weblinks
- BÄK: Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen, 18.April 2007, Berlin
- Zitatnachweise
- ↑ Medizin in Deutschland - Fast 3.900 Behandlungsfehler bundesweit. In: Süddeutsche Zeitung vom 18. April 2007