Charaktertypen
Charaktertypen bezeichnen seit der Antike in unterschiedlichen Definitionen Ausprägungen der Persönlichkeiten von Menschen. Sie versuchen, Eigenschaften von Einzelpersonen einem bestimmten Typus zuzuordnen und dabei vor allem angeborene Eigenschaften der körperlichen und seelischen Verfassung zu beschreiben.
In veraltetem Gebrauch findet sich für Typen von Charakteren auch das Wort Gemüt bzw. Gemütsart.
Charaktertypen in der Antike
In der Antike unterschied die Humoralpathologie der Hippokratiker, aufbauend auf der Vier-Elemente-Lehre des Empedokles, vier verschiedene Charaktere, den Melancholiker, Choleriker, Sanguiniker und Phlegmatiker. Dieses Unterscheidungsmuster, durch Galenus endgültig fixiert, fand bis in die Neuzeit Verwendung. Außerhalb des griechischen Kulturkreises hat sich in China eine Fünf-Elemente-Lehre herausgebildet. Diese Elemente sind Feuer, Erde, Metall, Wasser und Holz. Auch im vorsokratischen Griechenland wurde z.T. als fünftes Element der Äther (Schischkoff 1982) betrachtet ("Quintessenz") neben den vier klassischen Elementen Feuer, Erde, Wasser, Luft. Im islamischen Kulturraum ist das Enneagramm entwickelt worden (9 Typen). Die Humoralpathologie kann als Vorläuferin der somatischen Medizin, die Urstofflehre mit den damit verbundenen animistischen Vorstellungen als Vorläuferin der Psychologie angesehen werden (Seele als belebendes Element des Körpers, Hofstätter
Quellenangaben:
- Schischkoff, Georgi (Hg): Philosophisches Wörterbuch. Alfred Kröner-Verlag, Stuttgart 14. Auflage 1982, Seite 44, Stichwort Äther
- Hofstätter, Peter R. (Hg.): Psychologie. Das Fischer Lexikon, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. 1972, Seite 204 f.
Charakterologie im 20. Jahrhundert
Im 19 Jahrhundert wurde von Carl Huter eine umfassende Theorie der menschlichen Konstitutionstypen und der damit im Zusammenhang stehenden Charakter- und Persönlichkeitsmerkmalen entwickelt - die Hutersche Psycho-Physiognomik. Die im 19. Jahrhundert von Ernst Kretschmer und William Sheldon entwickelten Theorie, welche ebenfalls die Frage des Zusammenhangs von Charaktermerkmalen und Körperbau (Konstitutionstyp) untersuchten, sind letztlich Plagiate der von Hunter entwickelten und wesentlich umfassenderen Theorie. So schrieb beispielsweise Professor Dr. Saller (Leiter des "Anthropologischen Instituts" in München) in der "Naturwissenschaftlichen Rundschau", März 1951):"dass Huter schon vor rund 50 Jahren bestimmte Typen der Differenzierung in den drei Keimblättern in Zusammenhang brachte". Hatte doch in jener Zeit Dr. Sheldon sich als der Entdecker der drei Haupt-Konstitutionstypen bezeichnet, die sich aus den drei Keimblättern der embryonalen Keimblase ableiten lassen. So stellte beispielsweise Dr. v. Rhoden, ein Mitarbeiter Kretschmers, im "Archiv für Psychiatrie", 1927, Heft 5, die Gleichheit der Kretschmerschen und der älteren Huterschen Körperbautypen fest.
Nach Huters Tod im Jahre 1912 wurde die angewandte Psycho-Physiognomik in zahlreichen Veröffentlichungen von Amandus Kupfer weiter ausgebaut. Amandus Kupfer hat bis zu seinem Tode 1952 die Werke von Huter wie seine eigenen Untersuchungen in einem eigenen Verlag veröffentlicht. Zeitgleich versuchten Kretschmer und Sheldon eine Einteilung der unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen zu erstellen - jedoch ohne auf die Hutersche Psycho-Physiognomik zu erwähnen. Zu diesem Zweck vermaßen sie ca. 40.000 Menschen, wobei viele verschiedenen Maße ermittelt wurden, von der Körpergröße über die Länge der Finger, der Gesichtform bis hin zum Umfang der Handgelenke, des Bauchs, der Schenkel etc. Alle Probanden wurden gleichzeitig psychologisch analysiert, um dann möglichst verlässliche Zusammenhänge zwischen Körperform und Charaktertypus darzustellen.
Nachprüfungen dieser Untersuchungen haben ergeben, dass sich die seinerzeit behaupteten Korrelationen nicht aufrechterhalten lassen. Die meisten Annahmen über konstitutionelle und psychische Zusammenhänge wurden empirisch widerlegt. Zwischen Körperbautyp und Persönlichkeit besteht kein Zusammenhang. Aus heutiger Sicht sind also Konstitutionstypologien wissenschaftlich nicht aufrechtzuerhalten.
Nur in der modernen Anwendung über das Schneemann-System (Dirk Schneemann, Hannover) werden alle dem Menschen entsprechenden Eigenschaften in der Vernetzung verwendet. So erzielt man eine individuelle, dem Individuum gerecht werdende Interpretation der Körperformen und Konstitutionstypen. Über aktuelle Studien wird dies ganz klar wissenschaftlich belegt.
Charaktertypen Psychoanalyse und Tiefenpsychologie
In der Psychoanalyse bezeichnet der Begriff Charakter einen Typus im Erleben und Verhalten sowie ein jeweiliges Set vorherrschender Abwehrmechanismen aus dem Ich-Anteil. Die Charaktere gehen fließend ineinander über, es gibt jedoch eine mengenmäßige Konzentration auf bestimmten Strukturelementen.[1]
- narzistischer Charakter (frühe orale Phase)
- vorherrschende Abwehrmechanismen: Spaltung, Entwertung / Idealisierung, Verleugnung, Projektive Identifizierung
- Erleben und Verhalten: Übersteigertes Machtbedürfnis und Selbstwertgefühl, Entwertung anderer Menschen
- schizoider Charakter (frühe orale Phase)
- vorherrschende Abwehrmechanismen: Sublimierung, Rationalisierung, Intellektualisierung, Affektisolierung
- Erleben und Verhalten: Distanzbedürfnis, Angst vor Nähe
- depressiver Charakter (orale Phase)
- vorherrschende Abwehrmechanismen: Autoaggressionen, Reaktionsbildung, Introjektion
- Erleben und Verhalten: Abhängigkeit von anderen Menschen, Minderwertigkeitsideen und -gefühle, Passivität
- zwanghafter Charakter (anale Phase)
- vorherrschende Abwehrmechanismen: Reaktionsbildung, Rationalisierung, Affektisolierung
- Erleben und Verhalten: Kontrollbedürfnis, Sparsamkeit, Eigensinnn, Genauigkeit
- hysterischer Charakter (ödipale / elektrale Phase)
- vorherrschende Abwehrmechanismen: Verdrängung, Verleugnung, Konversion
- Erleben und Verhalten: Geltungsbedürfnis, sexualisiertes Verhalten, Angst vor Sexualität
Quellen
- ↑ Lehrbuch der Psychotherapie, Bd. 2 Psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Therapie; Falk Leichsenring (Herausgeber) 2004, ISBN 3-932096-32-0