Kimmerer
Die Kimmerer (assyrisch Gimirri, biblisch Gomer), oder auch Kimmerier(?), waren ein indoeuropäisches Reitervolk, das nach griechischen Autoren wie Herodot ursprünglich am so genannten Kimmerischen Bosporus (die heutige Straße von Kertsch zwischen der Krim und Südrussland) und im nördlichen Kaukasus ansässig gewesen ist.
Schriftquellen
Griechen
Homer erwähnt in der Odyssee (XI, 12-19) das Land und die Stadt der kimmerischen Männer, die im äußersten Rand des tiefen Okeanos, nahe am Eingang des Hades, liegen. In ihrem Gebiet herrschte stets Nacht und Nebel ("kimmerische Finsternis"), Helios leuchtete hier nicht. Vielleicht sind auch die in der Ilias (13. Gesang, 5-6) erwähnten Hippomolgen, „das trefflichste aller Völker“ als Kimmerer zu identifizieren.
Aristeas von Prokonnesos erwähnt die Kimmerer als Bewohner der Steppen am Nordufer des schwarzen Meeres (Arimaspeia, ca. 550 v. Chr.). In der Erdbeschreibung des Hekataios von Milet wird ein Einfall der Skythen in das Gebiet der Kimmerer beschrieben. Dieses Werk gilt auch als Quelle Herodots für den Skythenfeldzug des Dareios.
Der Geschichtsschreiber Herodot berichtet, dass die Kimmerer von den Skythen aus ihrer Heimat am Nordrand des Schwarzen Meeres vertrieben wurden (IV, 11). Darauf weisen nach Herodot zufolge Ortsnamen wie "kimmerische Feste", "Kimmerische Furt" und "Kimmerischer Bosporus" hin. Daraufhin fielen die Kimmerer, der Meeresküste folgend, in Kleinasien ein. Während der Herrschaft des Lyderkönigs Ardys, Sohn des Gyges, griffen die Kimmerer die Lyder an und nahmen ihre Hauptstadt Sardes, bis auf die Akropolis ein. Zusammen mit den Treren plünderten sie die Städte der ägäischen Küste. Schließlich wurden sie aber von den Lydern unter König Alyattes, Sohn des Sadyattes, Enkel des Ardys, geschlagen und aus Kleinasien vertrieben (Herodot I, 16). Sie wurden von Königen regiert.
Nach Strabo drangen die Kimmerer nach Paphlagonien vor und griffen das Reich der Phrygier an. Ihr König Midas, Sohn des Gordios, nahm sich beim Angriff der Kimmerer auf die Hauptstadt Gordion (696 oder 679 v. Chr.) das Leben; der Legende nach durch Trinken von Ochsenblut. Sie siedelten sich in der Gegend um Sinop an und erschlugen den Milesier Abrondas.
Aristoteles berichtet, dass die Kimmerer Antadros am Fuße des Ida einnahmen und hundert Jahre beherrschten.
Dionysos Periegetes, ein Schriftsteller des 2. Jahrhunderts, beschreibt die Kimmerer als Nachbarn der Sinder und Kerketen, also wohl im Kaukasus ansässig.
Assyrische Quellen

Die Kimmerer werden oft mit den Gimirri der assyrischen Quellen gleichgesetzt. Als Bezeichnung für nomadische Stämme im Norden findet sich häufig der Name „umman-manda“, der seit der Akkad-Zeit belegt ist. Auch unter dieser Bezeichnung werden oft Kimmerer und Skythen identifiziert.
Aus Berichten Sanheribs zwischen 721 und 715 ist ein Land Gamirr bekannt, dass sich in der Nähe von Urartu befand. Von Gamirr aus seien die Gimirri in Urartu eingefallen, wobei der Statthalter von Uaschi fiel. Diese erste Erwähnung der Gimirri stammt ebenso aus dem Jahr 714 v. Chr. wie der Bericht des Sargon II. über seinen siebten Feldzug. Sargon berichtet hier u.a. vom Selbstmord des Rusa I. von Urartu wegen des Falls von Musasir und der Gefangenschaft des Gottes Ḫaldi. Diesen Erfolg schreibt sich Sargon zu, vielleicht war aber auch ein Einfall der Kimmerer die Ursache. Er selbst fällt 705 v. Chr. auf seinem neunten Feldzug gegen die Kulummu. Manche Forscher (Winkler) glauben aber, dass die Kimmmerer für seinen Tod verantwortlich waren.
Aus einem Brief des Kronprinzen Assurbanipal an seinen Vater Assurhaddon ist bekannt, daß die Kimmerer die Stadt Kudana eingenommen hatten. Der sehr stark zerbrochene Brief erwähnt auch den "Sohn von Kyaxares" (ú-ak-sa-ta) und Phrao[rtes]? (pa-ra-m[u]). Ein weiterer Brief (83-1-18,283) erwähnt ihre Anwesenheit in Minda. In den Annalen des Assurbanipal wird berichtet, dass Guggu (Gyges), König von Luddu, zwei Häuptlinge der Gimirri gefangen nach Ninive schickt und sich um ein Bündnis mit Assyrien bemühte. Kurz danach verbündete sich Guggu allerdings mit Psammetich und schickte diesem kleinasiatische Söldner. Ardys, der Sohn von Guggu, stellte dann wieder freundschaftliche Beziehungen zu Assurbanipal her (um 646). Assurbanipal besiegte den kimmerischen König Dugdamme.
Bibel
In der Bibel wird "Gomer", ein Volk aus Mitternacht, also aus dem Norden, "von den Enden der Erde" erwähnt, das oft mit den Kimmerern gleichgesetzt wird. 1. Moses 10,2 führt Gomer unter den Kindern Japhets auf. Die anderen Nachfahren Japhets sind Magog, Madai (=Meder), Thubal (Tabal in der heutigen Osttürkei), Mesech (Phrygier) und Thiras. Gomer wurde im Mittelalter und der frühen Neuzeit auch als Kimbern gedeutet und wurde so, zum Beispiel, zum Vorfahren der Briten. Unter den Kindern Gomers findet sich Aschkenas, der mit den Skythen gleichgesetzt wird. Ezechiel (38, 6) nennt Gomer zusammen mit dem Haufen Thogarma unter den Gefolgsleuten Gogs im Lande Magog und Oberherr von Mesech und Thubal (39, 2) und prophezeit, dass er zu Rosse über Israel kommen werde wie eine Wolke (38, 16). Aber JHWH werde ihn mit Pestilenz, Blut und Feuer- und Schwefelregen vernichten und ihm den Bogen aus der Hand schlagen. In einem Bild beschreibt der Prophet, wie die Bewohner Israels die Schilde, Bögen, Pfeile, Keulen und Spieße von Magog und Gomer verbrennen und so sieben Jahre kein Feuerholz brauchen (39, 10). Die Reste des Heeres werden im Tal Abarim oder Hamon Gog östlich des Toten Meeres bestattet.
Jesaja (5, 26-28) beschreibt die Bögen, Pferde und Wagen von Gomer.
Herrscher der Kimmerer
- Te-usch-pa
- Dugdamme
Archäologische Funde
Die Funde der Cernogorovka- und Novocerkassk-Kulturen der frühen Eisenzeit, zwischen dem 9. und 7. Jahrhundert v. Chr., am Nordufer des Schwarzen Meeres werden traditionell den Kimmerern zugeschrieben. Diese Kulturen lösten die Belozerka-Kultur ab, deren Träger feste Siedlungen bewohnten und sich von Ackerbau und Viehzucht ernährten. Mit dem Beginn der frühen Eisenzeit lässt sich ein Wechsel der Wirtschaftsweise zur nomadischen Viehzucht erkennen. Die Funde beschränken sich fast völlig auf die Waldsteppe und die Steppe, bewaldete Gebiete werden gemieden, hier findet sich die Cernyi les-Kultur. Deren befestigte Siedlungen werden von einigen Forschern als Schutz gegen nomadische Überfälle gedeutet. Jedoch ist Handel zwischen Cernyi les und Novocerkassk wahrscheinlich, da auch Vollnomaden auf gewisse Erzeugnisse des Ackerbaus angewiesen sind.
Cernogorovka
Die Cernogorovka-Kultur wird in das 9. und frühe 8. Jahrhundert v. Chr. datiert. Typisch sind Ost-West orientierte Hockerbestattungen unter Grabhügeln, manchmal in Nischen, die von einem zentralen unterirdischen Schacht ausgehen. Männer erhielten eherne Tüllenpfeilspitzen, Pferdegeschirr und Eisendolche mit Bronzegriff als Beigaben. Die Metallurgie der Cernogorovka-Kultur ist vermutlich durch die nordkaukasische Koban-Kultur beeinflusst.
Nowotscherkassk
Die Nowotscherkassk-Kultur wird aus der bronzezeitlichen Balkengrabkultur abgeleitet. Sie datiert in das 8. und 7. Jahrhundert und ist nach einem Fundort im Kreis Rostow benannt. Sie ist zwischen Donau und Wolga verbreitet. Typisch sind West-Ost ausgerichtete gestreckte Bestattung unter niedrigen Grabhügeln Kurganen, auch Nachbestattungen in älteren Hügeln kommen vor. Die Grabbeigaben der Männer bestehen aus Waffen, Kompositbögen, rautenförmigen Tüllenpfeilspitzen sowie Lanzen, Schwertern und Dolchen aus Eisen, Steinkeulen, Wetzsteinen und Pferdegeschirr aus Bronze und Bein. Pferdebestattungen (Girejewa Mogila) sind selten. Frauengräber enthalten hauptsächlich Keramik. Einzelne Gräber sind sehr reich ausgestattet, unter anderem mit Goldschmuck, dies deutet auf gesellschaftliche Differenzierung. Die Nowotscherkassk-Kultur endet im 7. Jahrhundert abrupt und wird durch Funde abgelöst, die man den Skythen zuschreibt. Dies stützt die Angaben Herodots über den Einfall der Skythen in kimmerisches Gebiet.
Funde im Koban-Gebiet beweisen Kontakte mit Assyrien. So wurde in einem Hockergrab in Klin-Jar bei Kislowodsk ein assyrischer Helm aus der Zeit Sanheribs oder Assurbanipals zusammen mit Pferdegeschirr kimmerischen Typs gefunden. Es könnte sich um das Grab eines Söldners oder um Beutegut handeln. Um eindeutig kimmerische Funde zu identifizieren, untersuchte I. Askold das nördliche Kleinasien, Gebiete, in denen nach Auskunft griechischer Schriftsteller Kimmierer, aber keine Skythen siedelten. Er schreibt auch zwei Gräber in Norsun-Tepe den Kimmerern zu, sowie zwei Gräber in Imirler und bei Amasya in der Türkei (ohne genaue Herkunft), die von Ünal den Skythen oder Sarmaten zugeschrieben werden.
Kleinasien/Vorderer Orient
Ein Zerstörungshorizont in Sardis wird den Kimmerirn zugeschrieben, er enthielt jedoch keine kimmerischen Funde, nicht weiter verwunderlich, zogen diese doch vermutlich nach kurzer Plünderung weiter. Ebenso verhält es sich mit der Zerstörungsschicht in Gordion. Pfeilspitzen, die in Ephesos gefunden wurden, werden zuweilen den Kimmerern zugeschrieben. Jedoch kann nicht bewiesen werden, dass sie tatsächlich von kimmerischen Angreifern stammen.
Reiterdarstellungen auf Reliefs in Nimrud (Assur-Nasirpal II., 884-858) werden manchmal als Kimmerer oder Skythen gedeutet, nach Ivanchik (2001) reiten sie jedoch auf typisch vorderasiatische Weise und sind daher nicht als Mitglieder von Reitervölkern zu identifizieren.
Mitteleuropa
In Mitteleuropa wurde der sogenannte Thrako-Kimmerische-Horizont (vor allem Dolche mit durchbrochener Griffplatte und bestimmte Formen von Pferdetrensen) auf die Kimmerer zurückgeführt. Tatsächlich ähneln diese in Ungarn, Polen und Deutschland verbreiteten Pferdetrensen Funden aus der Schwarzmeergegend und dem Kaukasus (Koban-Kultur), es ist jedoch unklar, ob diese auf die historisch belegten Kimmerer zurückgehen. Östlicher Einfluss zu Beginn der Hallstattkultur, z.B. die Einfuhr größerer Pferde wird ebenfalls gerne diesem Steppenvolk zugewiesen.
Chronologie
- 721-715 Sanherib erwähnt ein Land Gamirr nördlich von Urartu
- 714 Selbstmord von Rusa I. von Urartu.
- 705 Tod des Sargon II. in einem Feldzug gegen die Kulummu.
- Sieg Assurhaddons über die Kimmerer unter Te-usch-pa.
- 679/678 Einfall der Gimirri aus Hubuschna (südliches Kappadokien?) nach Assyrien im Jahr 4 von Assurhaddon.
- 676-674 Zerstörung des Phrygischen Reiches, Selbstmord des Königs Midas (Mi-ta-a) durch die Kimmerer, Vorstoß nach Paphlagonien.
- 644 Tod des Lydischen Königs Gyges (Guggu) in der Schlacht gegen die Kimmerer, Einnahme von Sardis (Hdt. I,15). Die Kimmerer plündern zusammen mit den Treren die ionischen Städte.
- um 600 Vertreibung der Kimmerer durch den Lyderkönig Alyattes (Hdt. I,16)
Sprache
Von den Kimmerern sind lediglich einige Personennamen überliefert (Te-usch-pa, Lygdamis/D/Tug-dam-me), einige Sprachforscher versuchen ihnen auch Ortsnamen (Toponyme) zuzuweisen. Viele Sprachwissenschaftler rechnen sie zur iranischen Sprachgruppe, es wird jedoch, griechischen Quellen folgend, auch eine thrakische oder, selten, auch eine keltische Sprache in Betracht gezogen. Die Einordnung als Thraker mag aber auf die häufige Verwechslung mit den Treren zurückgehen. Nach C. F. Lehmann-Haupt ist die Sprache der Kimmerer ein Bindeglied zwischen Thrakisch und Iranisch.
Kimmerer und die Krim
Der Name der Kimmerer soll sich in der Bezeichnung der Krim erhalten haben. Allerdings wurde in der Antike diese Halbinsel landläufig als Taurische bzw. Skythische Chersonesos (Strab. VII 4,1), "rauhe" Chersonesos (Hdt. IV 99,3) oder einfach nur als Chersonesos (Amm. Marc. XXII 8,32) bezeichnet. Der Name "Krim" ist vielmehr deutlich jünger als diese antiken Bezeichnungen und lässt sich - ohne dazu den Namen der Kimmerer bemühen zu müssen - auf das turk-tatarische "qyrym" = "Festung" zurückführen.
Literarische Umsetzungen
Der amerikanische Schriftsteller Robert E. Howard erdachte ein Volk der Kimmerier, das mit den historischen Kimmerern fast nur den Namen gemeinsam hat. Howards Kimmerier leben im fiktiven Hyborischen Zeitalter und sind die Nachfahren der Atlanter. In dem Gedicht "I Remember" wird Cimmeria im Refrain als "Land of darkness and deep Night" bezeichnet, Howard kannte also vermutlich Homer. Howards berühmteste Romanfigur, Conan der Barbar, ist ein Kimmerier.
Literatur
1. Übersichten
- J. B. Bury, The Homeric and the historic Cimmerians. Klio 6, 1906, 79-88.
- Askold I. Ivantchik Les Cimmériens au Proche-Orient (Fribourg-Göttingen 1993).
- Askold I. Ivantchik, Kimmerier und Skythen. Kulturhistorische und chronologische Probleme der Archäologie der osteuropäischen Steppen und Kaukasiens in vor- und frühskythischer Zeit. Steppenvölker Eurasiens 2 (Moskau, Paleograph Press 2001).
- Carola Metzner-Nebelsick, "Thrako-Kimmerische" Fundkomplexe in der Drau-, Mur-, Raab-Region und angrenzenden Gebieten sowie ihre Bedeutung für die Kulturentwicklung während der frühen Eisenzeit. In: A. Lippert (Hrsg.), Die Drau-, Mur- und Raab-Region im 1. vorchristlichen Jahrtausend. Internat. Symp. Bad Radkersburg 2000. Universitätsforsch. prähist. Arch. (Bonn, Habelt 2001).
- Renate Rolle et al. (Hrsg.), Gold der Steppe, Archäologie der Ukraine (Schleswig 1991).
- Hermann Sauter: Studien zum Kimmerierproblem (Saarbrücken 2000). ISBN 3-7749-3005-8
2.
- Kurt Bittel, Grundzüge der Vor- und Frühgeschichte Kleinasiens (Tübingen 1945).
- Mikko Kuukko/Greta van Buylaere, The political correspondence of Essarhaddon. State Archives of Assyria 16 (Helsinki 2002).