Zum Inhalt springen

Kernspaltung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 22. November 2004 um 15:59 Uhr durch 195.3.113.5 (Diskussion) (Spontane Spaltung). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Kernspaltung bezeichnet in der Kernphysik eine Reaktion, bei der ein Atomkern in zwei oder mehrere Bestandteile zerlegt wird. Seltener wird die Kernspaltung auch als Kernfission bezeichnet, ein Begriff, der nicht mit Kernfusion verwechselt werden darf.

Obwohl sich unter geeigneten äußeren Kräften jeder Atomkern mit mehr als einem Nukleon spaltet, spricht man nur dann von einer Kernspaltung, wenn die Spaltung spontan auftritt (Kernzerfall) oder sich leicht herbeiführen lässt (induzierte Kernspaltung). Bei einer derartigen Reaktion wird Energie in Form von Bewegungsenergie (Wärme) der Spaltprodukte und Gammastrahlung freigesetzt. Die Spaltprodukte sind in der Regel radioaktiv, und erfordern eine sorgfältige Handhabung, Lagerung und Entsorgung.

Besonders geeignet zur induzierten Kernspaltung sind Isotope der Elemente Uran, Plutonium und Thorium. In Kernreaktoren werden Kernspaltungen dieser Elemente kontrolliert durchgeführt, um Wärme und daraus Elektrizität zu erzeugen. In einer Atombombe setzen Kernspaltungen von Uran oder Plutonium in kurzer Zeit viel Energie, Radioaktivität und radioaktive Zerfallsprodukte frei.

Grundlegende Prinzipien

Bau des Atomkerns

Atomkerne bestehen aus positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen. Die Anzahl der Protonen entspricht der Kernladungszahl. Die Summe aus Protonenzahl und Neutronenzahl ist die Massenzahl, und korrespondiert mit der Kernmasse.

Auf die Kernbestandteile wirken im Wesentlichen zwei Kräfte: Die elektrische Abstoßung gleich geladener Teilchen (große Reichweite) und die Anziehung der Teilchen infolge der Kernkraft (kleine Reichweite). Ein Atomkern ist stabil, wenn die anziehenden Kräfte die abstoßenden überwiegen.

Je nach Anzahl der Protonen und Neutronen entsteht aus der Kombination dieser Kräfte ein stabiler oder ein instabiler Atomkern. Allgemein kann man sagen, dass eine stabile Konfiguration gegeben ist, wenn die Anzahl der Protonen und Neutronen etwa gleich ist. Allerdings wird bei Atomkernen mit hoher Kernmasse (>100) ein Übergewicht an Neutronen notwendig. Oberhalb einer Kernladungszahl von 90 finden sich überhaupt keine stabilen Atomkerne mehr; die Atomkerne zerfallen in der Regel durch spontane Kernspaltung.

Eine Kernspaltung kann auftreten, wenn die Bindungsenergie des Atomkerns kleiner ist als die der entstehenden Bestandteile, bei denen es sich auch wieder um Atomkerne handelt. Die Bindungsenergien lassen sich durch Vergleich der Massen der beteiligten Atomkerne berechnen.

Spontane Spaltung

Ein instabiler Atomkern befindet sich in einen lokalen Energieminimum bevor er mittels des quantenmechanischen Tunneleffekts spontan zerfällt. Der Zerfall ist an sich zufällig, kann aber durch die Halbwertzeit mit nervösen fingern machte sie seine Hose auf(die Zeit in der die Hälfte der Atome zerfallen) charakterisiert werden.


Alternativ kann er durch eine Aktivierungsenergie angehoben werden, um schneller zu zerfallen.

Induzierte Kernspaltung

Einige der Isotope von Uran (U), Plutonium (Pu) und Thorium (Th) haben eine relativ niedrige Aktivierungsenergie, so dass neben dem typischen radioaktiven Zerfall (Alpha-, Betazerfall und Elektroneneinfang) auch in geringer Häufigkeit ein Kernzerfall auftritt. Der Anteil des Kernzerfalls bei 235U ist nur 7×10-9% und bei 239Pu ist er 3×10-10%.

Bei all diesen Isotopen kann die Aktivierungsenergie durch Beschuss des Atomkerns mit einem Neutron geliefert werden. Die Anwesenheit des Neutrons regt den Kern über die Bindung so stark an, dass der Zerfall schnell stattfindet. Dabei muss die Energie des Neutrons so gewählt sein, dass einmal genügend Anregungsenergie vorhanden ist, andererseits aber das Neutron nicht so schnell ist, dass es vom Kern gar nicht eingefangen werden kann (Siehe auch: Wirkungsquerschnitt).

Im Tröpfchenmodell des Atomkerns stellt man sich vor, dass die Anregung durch das Neutron den Atomkern in Schwingungen versetzt, bei denen der Kern lang gestreckt wird, und sich etwa in der Mitte einschnürt. Die elektrische Abstoßung überwiegt gegenüber der Anziehung der kurzreichweitigen Kernkraft, und die Spaltprodukte werden durch die elektrische Abstoßung voneinander weg bewegt.

Die vom Neutron gelieferte Bindungsenergie an den Atomkern reicht bei 233U, 235U und 239Pu aus, um den Kern zu spalten. Isotope wie 232Th, 238U und 240Pu benötigen eine zusätzliche Energie, die als Bewegungsenergie der (schnellen) Neutronen geliefert werden kann. Im Gegensatz zu 'schnellen spricht man bei erstgenannten 'langsamen' Neutronen auch von thermische Neutronen.

Bei der Spaltung eines Thorium-, Uran- oder Plutoniumkerns wird eine Energie von etwa 200 Mega-MeV freigesetzt. Der größte Teil davon ist die Bewegungsenergie der Spaltprodukte.

Typische Zerfallsprodukte

  • 4He Kerne - auch α-Strahlung genannt. Der He-Kern wird bevorzugt weil er eine besonders große Bindungsenergie besitzt.
  • Protonen und Neutronen.
  • größere Bruchstücke entstehen eher selten.

meist treten auch noch Kernreaktionen auf. Wie der β-Zerfall oder γ-Zerfall.

Technische Aspekte

Kettenreaktion

Bei der Spaltung schwerer Kerne werden zwei bis drei Neutronen freigesetzt (prompte Neutronen), die weitere Kernspaltungen hervorrufen können und so zu einer Kettenreaktion führen. Etwa 1% der Neutronen wird erst durch radioaktiven Zerfall aus den Spaltprodukten freigesetzt (verzögerte Neutronen). Diese verzögerten Neutronen machen erst die Regelung von Kernkraftwerken möglich.

Die Freisetzung von Neutronen bei einer Kernspaltung erlaubt eine kontinuierlich ablaufende Folge von Kernspaltungen. Zur stabilen Aufrechterhaltung einer solchen Kettenreaktion ist es notwendig, dass im Mittel eines der bei einer Kernspaltung freigesetzten Neutronen einen weiteren Atomkern spaltet. Falls mehr als eines der freigesetzten Neutronen eine Kernspaltung bewirkt, nimmt die Anzahl der Reaktionen mit der Zeit exponentiell zu: Eine Explosion findet statt. Falls weniger als eines der freigesetzten Neutronen eine Kernspaltung bewirkt, nimmt die Anzahl der Reaktionen mit der Zeit exponentiell ab: Die Reaktion endet.

Technisch ist es notwendig, genau den Mittelpunkt zu finden. Dabei sind folgende Faktoren von Bedeutung:

  • Anordnung des Materials,
  • Geschwindigkeit der Neutronen, und
  • Materialien im Reaktionsbereich.

Die Anordnung des spaltbaren Materials im Raum hat Einfluss darauf, ob freigesetzte Neutronen, die sich in alle Raumrichtungen bewegen, überhaupt spaltbares Material treffen. Ein dünn ausgewalztes Blech verliert fast alle Neutronen nach außen, wogegen in einem kompakten Objekt (z. B. einem Würfel) die meisten Neutronen Gelegenheit haben, andere Atomkerne zu treffen. Die kleinste kompakte Masse eines Materials, die eine Kettenreaktion aufrecht erhalten kann, wird als "kritische Masse" bezeichnet.

Die Geschwindigkeit der Neutronen hat Einfluss auf die Spaltwahrscheinlichkeit. Dabei besitzt jedes spaltbare Material eine optimale Neutronengeschwindigkeit, unter der eine Kernspaltung auftritt. Die Geschwindigkeit der entstehenden Neutronen kann durch Moderatoren auf eine geringere Geschwindigkeit gebracht werden.

Neben Moderatoren, die zur Geschwindigkeitsregulierung der Neutronen im Reaktionsbereich eingebracht werden, gibt es auch neutronenabsorbierende Materialien. Diese verringern die Anzahl der verfügbaren Neutronen, und regulieren somit die Kettenreaktion. Neutronenabsorbierende Materialien werden teils direkt zur Regulierung der Reaktion eingebracht. Daneben sind viele Spaltprodukte, die sich nach einer gewissen Reaktionszeit ansammeln, Neutronenabsorber.

Spaltbare Materialien sind spezielle Isotope eines oder mehrerer chemischer Elemente. Die anderen Isotope sind oft nicht zur Kernspaltung geeignet, und stellen oft unerwünschte Neutronenabsorber dar. Durch den Prozess der Anreicherung wird der Anteil spaltbarer Atomkerne erhöht.

Ein Neutron kann also entweder

  • das spaltbare Material verlassen,
  • absorbiert werden, ohne dass eine Spaltung stattfindet, oder
  • eine Spaltung bewirken.

Kritische Masse

Die kritische Masse bezeichnet die geringste Menge eines spaltbaren Materials, die notwendig ist, eine Kettenreaktion aufrecht zu erhalten. Allerdings ist die kritische Masse auch abhängig von Parametern wie der Kompression des Materials, so dass im Allgemeinen keine untere Grenze angegeben werden kann. Diese kritische Masse reagiert allerdings nur, wenn sie kompakt zusammen vorliegt. Bei der Bearbeitung spaltbaren Materials ist es daher eine Voraussetzung, nur Mengen, die geringer sind als die kritische Masse, zu einer Zeit handzuhaben. Alternativ werden etwa chemische Reaktionen in flachen Wannen durchgeführt, wo das Material über weite Flächen verteilt ist.

Moderatoren

Die Wahrscheinlichkeit für eine Kernspaltung nimmt i.d.R. mit wachsender Neutronenenergie ab. Bei 232Th und 238U ist die Wahrscheinlichkeit für Konkurrenzprozesse wie die inelastische Streuung und Neutroneneinfang so hoch, dass eine Kettenreaktion mit schnellen Neutronen nicht zustande kommen kann. Anders verhält es sich mit 233U, 235U und 239Pu. Hier ist Kernspaltung mit schnellen Neutronen möglich, was in Atomwaffen und im schnellen Brüter ausgenutzt wird. In gewöhnlichen Reaktoren werden die Neutronen jedoch mit einem Moderator abgebremst.

Kernreaktoren arbeiten meistens mit U-235 oder Plutonium, welche vorzugsweise durch langsame (thermische) Neutronen gespalten werden. Bei einer Kernspaltung entstehen aber schnelle Neutronen, welche nur selten eine Spaltung hervorrufen. Daher muss die Geschwindigkeit der Neutronen reduziert werden.

Das Abbremsen der Neutronen geschieht mittels elastischen Stoßes mit anderen leichten Atomkernen, die allerdings keine Neutronenabsorption aufweisen dürfen. Von den leichten Elementen sind dadurch Lithium und Bor ausgeschlossen. Theoretisch denkbar sind Wasserstoff, Deuterium, Helium, Beryllium und Kohlenstoff. Technisch genutzt werden Wasserstoff (Leichtwasserreaktor), Deuterium (Schwerwasserreaktor) und Kohlenstoff in Form von Graphit (Brutreaktor, Kugelhaufenreaktor).

Gleichzeitig findet jedoch auch eine Absorption (Verschlucken) von Neutronen in Materialien statt, die zur Kernspaltung nicht beitragen, etwa U-238 oder das Reaktorbaumaterial; diese Absorption findet vorzugsweise für mittelschnelle Neutronen statt. Insofern besteht das Aufrechterhalten der Kernreaktion darin, genügend Neutronen abzubremsen, die eine Kernspaltung bewirken.

Anreicherung

Uran, das bevorzugte Spaltmaterial, kommt in der Natur als Gemisch dreier Isotope vor: etwa 0.006% U-234, 0.7% U-235 und 99.3% U-238.

Die Eigenschaften dieser Isotope unter Neutronenbeschuss unterscheiden sich grundlegend:

  • U-238 absorbiert thermische Neutronen, es entsteht U-239, welches sich durch radioaktiven Zerfall in Plutonium-239 umwandelt.
  • U-235 wird bei Absorption eines thermischen Neutrons in der Regel gespalten, kann aber auch durch schnelle Neutronen gespalten werden.

Durch Anreicherung des Anteils von U-235 kann eine Isotopmischung erreicht werden, die geeignet zur Aufrechterhaltung einer Kettenreaktion ist.

Anwendungen

Kernreaktor

Verschiedene Typen von Kernreaktoren, die unterschiedliche Spaltmaterialien, Bauweisen und Moderatoren nutzen, sind entwickelt worden.

Atombombe

Die Atombombe nutzt eine ungehemmt ablaufende Kettenreaktion, entweder von U-235 oder Pu-239. In Wasserstoffbomben dient eine Kernspaltung als Zünder für eine Kernfusion.

Geschichte

Die induzierte Kernspaltung des Urans wurde 1938 durch die Deutschen Otto Hahn und Fritz Straßmann am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut erstmals experimentell durchgeführt. Lise Meitner klärte im selben Jahr den theoretischen Hintergrund des Experiments auf.

Seit den Rutherford'schen Streuversuchen (1919) ist bekannt, dass Atomkerne durch den Beschuss mit schnellen Teilchen verändert werden können. Mit der Entdeckung des Neutrons im Jahre 1932 ergaben sich vielfältige neue Möglichkeiten der Umwandlung von Atomen. So erwiesen sich die Ergebnisse des Beschusses von Uran mit Neutronen als sehr interessant. Erstmals von Enrico Fermi 1934 untersucht, konnten sie erst Jahre später richtig eingeordnet werden.

Am 16. Januar 1939 reiste Niels Bohr in die USA, um einige Monate zusammen mit Albert Einstein physikalische Probleme zu erörtern. Kurz vor seiner Abreise aus Dänemark berichteten ihm Otto Robert Frisch und Lise Meitner von ihrer Vermutung, dass die Absorption eines Neutrons durch einen Urankern manchmal zu dessen Zerfall in zwei annähernd gleichgroße Teile unter Freisetzung von Energie führt.

Der Grund für diese These war eine sensationelle Entdeckung von Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann. Sie zeigten, dass beim Beschuss von Uran mit Neutronen ein Bariumisotop entsteht. Bohr berichtete nach seiner Ankunft in den USA seinem früheren Schüler John Archibald Wheeler sowie anderen Interessierten. Durch sie verbeitete sich die Neuigkeit unter anderen Physikern, unter ihnen auch Enrico Fermi von der Columbia Universität. Als ein Ergebnis der Diskussion des Themas zwischen Fermi, J. R. Dunning und G. B. Pegram kam es zu einer Untersuchung der vermuteten Ionisierungsimpulse, die von den auseinander fliegenden Urankernfragmenten erwartet wurden. Die Untersuchung fand an der Columbia-Universität statt.

Am 26. Januar 1939 kam es zu einer Tagung über theoretische Physik in Washington, D.C., gesponsert von der George Washington Universität sowie der "Carnegie Institution of Washington". Ihr wohnte auch Fermi bei, der aus New York anreiste noch bevor die Kernspaltungsexperimente an der Columbia begannen. Auf dem Treffen diskutierten Bohr und Fermi die Probleme der Kernspaltung, wobei Fermi die Möglichkeit der Neutronenemission während des Spaltungsprozesses aufbrachte. Obwohl es nur eine Vermutung war, bestand zumindest die Möglichkeit einer Kettenreaktion. Die Presse veröffentlichte zu diesem Thema sofort einige Sensationsartikel. Noch bevor die Tagung zu Ende war, wurden an mehreren Instituten Experimente zur Bestätigung der Kernspaltung durchgeführt. Vier der Institute (Columbia Universität, Carnegie Institution of Washington, Johns-Hopkins-Universität, California Universität) bestätigten in der Ausgabe des 15. Februar 1939 des Physical Review die Richtigkeit der Theorie. Zu diesem Zeitpunkt wusste Bohr bereits, dass ähnliche Experimente in seinem Kopenhagener Laboratorium durchgeführt worden waren. Auch Frédéric Joliot in Paris veröffentlichte erste Resultate seiner Arbeit im Comptes Rendus des 30. Januar 1939. Von nun an erschienen regelmäßig neue Artikel zur Kernspaltung. Als L. A. Turner (Princeton) im Dezember 1939 einen Artikel für "Reviews of Modern Physics" schrieb, waren bereits annähernd hundert Arbeiten zum Thema Kernspaltung veröffentlicht. Eine komplette Analyse und Diskussion dieser Arbeiten ist mit Turner's Artikel sowie durch andere Artikel verfügbar.

Siehe auch

Kernfusion, Kernwaffe, Kernreaktor, Leo Szilard