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Überraschung (Militär)

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Überraschung gilt in der Kriegführung als eines der wesentlichen Erfolgsgeheimnisse. Klassische Schriftsteller der Strategie wie Sun Tzu und Liddell Hart stützen sich in ihren Betrachtungen fast vollständig auf die Überraschung des Gegners, als Möglichkeit entscheidende Siege zu erringen. Schlachten und Feldzüge, bei denen es einer Partei gelang, ihren Gegner zu überraschen, finden sich in Listen großer Schlachten und Siege besonders häufig.

Grund der Bedeutung von Überraschung

Der Gefechtswert einer Truppe beliebiger Größe hängt von drei Hauptfaktoren ab, die sich in fünf Unterpunkte gliedern:

  1. Kampfkraft
    • Menge des verfügbaren Personals und Materials (größere Zahl gewinnt gegen kleinere, bessere Versorgung gegen schlechtere)
    • Güte des verfügbaren Personals und Materials (bessere Waffe gewinnt gegen schlechtere, bessere Ausbildung gegen schlechtere)
    • Bereitschaft des verfügbaren Personals und Materials (ausgeruhter, belastbarer, lebhafter, vorbereiteter gewinnt gegen weniger ausgeruht, vorbereitet usw.)
  2. Dislozierung
    • die Kampfkraft kann durch die Wahl des Geländes günstig oder nachteilig beeinflusst werden. Panzer im Wald können weniger manövrieren, ihre große Schussweite nicht ausnutzen, ihr Gefechtswert ist also trotz hoher Kampfkraft gering. Infanterie im offenen, deckungsarmen Gelände ist ungeschützt, leicht einseh- und bekämpfbar, sie kann ihren Gefechtswert durch Verschanzung erheblich erhöhen. Anlehnung an natürliche oder künstliche Hindernisse oder an benachbarte Truppen, die eine Umgehung unmöglich machen, beeinflussen den Gefechtswert günstig.
  3. Eignung für den Auftrag
    • Infanterie ohne Fahrzeuge hat bei gleicher Kampfkraft unterschiedlichen Gefechtswert, je nachdem sie in der Verteidigung eingesetzt wird oder in der Verzögerung, die ständig rasche Absetzbewegungen verlangt.

Diese Faktoren sind durch militärische Führer nur in begrenztem Umfang zu beeinflussen. Eine Veränderung der Menge oder Güte der verfügbaren Streitkräfte ist gewöhnlich nicht mehr durchführbar. Das Gefecht muss mit den vorhandenen Kräften geschlagen oder vermieden werden. Der Wunsch, ein möglichst geeignetes Gelände für die eigene Kampfführung zu finden, hat seine Grenzen immer dort, wo eine Entscheidung angestrebt werden muss. Hat ein Gegner eine unangreifbare Stellung gefunden und besetzt, wird er dort zwar nicht angegriffen, kann aber auch keine Entscheidung herbeiführen. Das Manövrieren endet sobald Postionen erreicht sind, die einem der Beteiligten einen Angriff ermöglichen. Sind Menge und Güte bei den eigenen Kräften nur schwer veränderbar, entziehen sich die des Gegners vollständig dem unmittelbaren Einfluss. Seine Dislozierung ist gegebenenfalls durch eigene Bewegungen zu beeinflussen.Da die Kräfte und der Auftrag einmal festgelegt sind, entzieht sich auch die Eignung für den Auftrag dem Einfluss des militärischen Führers.
Als einzig beeinflussbarer Faktor bleibt die Bereitschaft. Es kann sowohl die Bereitschaft der eigenen Truppen, als auch die des Gegners beeinflusst werden.

Bereitschaft bedeutet im militärischen Sinne, dass eine Truppe mental auf den Kampf vorbereitet und in der Lage in durchzuhalten ist. Diese Bereitschaft kann herabgesetzt werden durch Erschöpfung oder Ermüdung, die Folge längerer Überbeanspruchung oder mangelnder Versorgung sind. Einwirkungen auf die Kampfmoral können sie ebenfalls beeinflussen. Die Vorbereitung einer Truppe auf den Kampf, die sich nicht nur mental auswirkt, sondern auch in der Aufstellung zeigt, ist in den meisten Fällen auf eine bestimmte Erwartung gestützt. Ein Ansatz der Kräfte, der keine Erwartung des Gegners erfüllt, wirkt überraschend. Über die geringe Bereitschaft (Vorbereitung auf diesen Kampf), die Folge einer Überraschung ist, werden die Kampfkraft und der Gefechtswert des Gegners gemindert und in Relation dazu die eigenen Werte erhöht.

Herbeiführung von Überraschung

Da nur das Unerwartete überrascht, müssen die Erwartungen des Gegners hinsichtlich

enttäuscht werden. Gelingt dies, ist seine Bereitschaft für diesen Kampf zunächst gering und er tritt mit verminderter Kampkraft in das Gefecht.

Erwartungen stützen sich immer auf Informationen. Dazu gehören neben den Nachrichten über Ort, Art, Stärke und Absicht eines Gegners auch das, was in der Ausbildung vermittelt wurde und was an Erfahrungen gesammelt wurde. Wichtige Voraussetzung von Überraschung ist daher, dem Gegner keinen Zugang zu zutreffenden Informationen zu gewähren. Informationen können vorenthalten werden, indem die eigenen Kräfte der gegnerischen Aufklärung entzogen werden (japanischer Flugzeugträgerverband beim Anmarsch auf Pearl Harbor). Es können gezielt falsche Informationen gegeben werden (Rommel ließ auf seinem rechten Flügel LKW herumfahren, um beim Gegner durch die Motorengeräusche den Eindruck zu erwecken, er ziehe dort Kräfte für den Angriff zusammen, der aber auf dem linken Flügel geplant war). In der heutigen Zeit besteht auch die Möglichkeit, den Gegner mit Informationen zu überfluten, so dass er nicht mehr in der Lage ist, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, und die Informationen nicht rechtzeitig bearbeiten und auswerten kann. Eine der wirksamsten Methoden, dem Gegner ein unzutreffendes Lagebild zu geben, stützt sich auf die Vorurteile des Gegners (Die Ardennen sind für Panzerdivisionen ungeeignet).


Erfolg von Überraschung

Voraussetzung für den Erfolg einer Überraschung ist die nachhaltige Wirksamkeit. Erholt sich der Gegner zu schnell von der Überraschung (sofern sie nur mental wirkt), oder kann er durch neue Anordnungen den durchschlagenden Erfolg der Überraschung verhindern, kann sie ihre Wirkung nicht entfalten.

  • Es war für die Soldaten der Wehrmacht zwar überraschend, von Kavallerie attackiert zu werden, trotzdem schlugen sie den Angriff mit ihren MG ab.
  • Nach der ersten Begegnung mit Kriegselefanten ließen die römischen Legionäre diese durch die Lücken der ersten Treffen hindurchstoßen und machten sie hinter Front, wo sie keinen Schutz durch eigenes Fußvolk mehr hatten, nieder.
  • Die Spartaner waren bei Leuktra nachdem die Schlacht begonnen hatte, nicht mehr in der Lage, ihre Schlachtaufstellung zu ändern und an die neuen Bedingungen anzupassen.
  • Nachdem die Österreicher bei Leuthen zunächst dem als Abmarsch missverstandenen Flankenmarsch Friedrichs des Großen zugesehen hatten, waren sie nach der erneuten Linksschwenkung der preußischen Armee nicht mehr in der Lage, rechtzeitig genügend Kräfte an den bedrohten Flügel zu bringen.

Überraschung auf verschiedenen Führungsebenen

Überraschung ist auf allen Führungsebenen wirksam. Je höher die Führungsebene ist, auf der Überraschung wirkt, desto größer ist die zu erwartende Wirkung. Während taktische Überraschungen örtlich und zeitlich nur begrenzt wirksam sind und durch geeignete Maßnahmen benachbarter Truppen, sofern überhaupt notwendig, rasch eingedämmt werden können, wirken Überraschungen auf der operativen und strategischen Ebene gewöhnlich wesentlich nachhaltiger. Überraschungen auf einer der Ebenen sind nicht zwingend von Überraschung auf den anderen Ebenen begleitet.

  • Während die deutschen Truppen in der Normandie von der Invasion nur geringsfügig überrascht wurden (da sie zur Abwehr einer Invasion dort eingesetzt waren), wirkte die Überraschung auf die operative Führung, die noch weitere Invasionen an anderer Stelle erwartete und deswegen weitere Truppen zur Abwehr nur verzögert freigab.
  • Der Angriff auf Pearl Harbor überraschte die dort stationierten Soldaten so sehr, dass keine wirksame Abwehr aufgebaut werden konnte. Großbritannien wurde durch die Eroberung Norwegens durch die Wehrmacht überrascht und konnte in der Kürze der Zeit keine ausreichenden Kräfte zur Abwehr heranführen.
  • Die Alliierten waren strategisch und operativ auf einen Angriff der Wehrmacht durch Holland und Belgien vorbereitet, wurden taktisch jedoch durch die schnelle Einnahme des Forts Eben-Emael überrascht, und sowohl operativ wie strategisch durch den schnellen Panzervorstoß durch die Ardennen.
  • Die Besatzungen der alliierten Bomber und ihrer Begleitjäger waren nicht auf Angriffe von unten vorbereitet (Schräge Musik) und hatten dem zunächst nichts entgegen zu setzen; die luftkampftaktische Überraschung wirkte sich jedoch wegen der begrenzten Wirksamkeit nicht auf ihre Luftherrschaft aus.


Literatur

  • Basil Liddell Hart, Strategie, Bonn/Herford 1954
  • Sun Tzu, Die Kunst des Krieges, München 1988
  • Geschichte der Kriegskunst, Berlin 1973