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Otto Witte (Schausteller)

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Otto Witte (* 16. Oktober 1872 (oder 1871) Dortmund, Berlin-Pankow oder Diesdorf bei Magdeburg, † 13. August 1958 Hamburg) war ein deutscher Jahrmarktskünstler und Hochstapler. Er wurde in Darstellung als „ehemaliger König von Albanien“ an seinem langjährigen Wohnsitz in Berlin-Pankow zu einem stadtbekannten Original.

Seit den 20er Jahren trat er mit einer Schaubude auf Jahrmärkten auf und erzählte den Schaulustigen, er habe in der Türkei eine Blitzkarriere als Geheimagent gemacht. Er habe sich wenige Monate nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Albaniens vom Osmanischen Reich am 28. November 1912 in Vlora in das Land, dessen politische Strukturen ebenso wenig feststanden wie seine Grenzen, begeben. Er habe seine Ähnlichkeit mit einem angeblichen Neffen des Sultans, Prinz Halim ed-Din (auch Halim Eddin(e), bei Witte selbst „Halim Etti“ geschrieben), festgestellt, der von albanischen Muslimen eingeladen worden sein soll, um König des neuen Staates zu werden. Witte will mit einem Freund, dem Schwertschlucker Max Schlepsig, nach Durrës in Albanien gereist sein und sich den osmanischen Truppen als Prinz Halim ed-Din präsentiert haben; er sei von ihnen am 15. Februar 1913 zum König ausgerufen worden. Er habe eine Regierung eingesetzt, Kommandeure ernannt, sich an einem Harem erfreut und einen Krieg gegen Serbien oder Montenegro geplant, bis seine Täuschung entdeckt worden sei. Er und Schlepsig hätten sich (unter Mitnahme eines beträchtlichen Anteils der königlichen Schätze) am 19. Februar 1913 abgesetzt und Albanien verlassen.

Die ganze Darstellung ist jedoch offensichtlich vollkommen fiktiv. Im Februar 1913 stand Mittelalbanien unter serbischer Besatzung. Auch gibt es keinerlei zeitgenössische Quellen, die Wittes Geschichte stützen. Trotz gelegentlicher Versuche Wittes, Details seiner Geschichte abzuwandeln und sie z. B. auf den August 1913 umzudatieren, hält sie keiner Überprüfung stand.

Witte behauptete auch, er habe nach dem 1. Weltkrieg eine politische Partei gegründet und beim ersten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl 1925 kandidiert. Er habe 25.000 bis 230.000 Stimmen erhalten, aber seine Bewerbung zugunsten von Paul von Hindenburg zurückgezogen. Auch dies lässt sich nicht mit den Daten dieser Wahl vereinbaren. Wittes Partei war, wenn sie überhaupt existierte, allenfalls eine Stammtischgründung

Er bestand bis zu seinem Tode darauf, als „ehemaliger König von Albanien“ angesprochen zu werden. Die Berliner Polizei gestand ihm diesen Titel auch im Sinne eines Künstlernamens in seinem Pass zu, und er findet sich noch auf seinem Grabstein in Hamburg-Ohlsdorf (Parzelle Q 9, 430–433). Er war offenbar im Sinne einer Pseudologia phantastica nicht mehr fähig, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden.

Obwohl schon früh auf die Unglaubwürdigkeit von Wittes Geschichte hingewiesen wurde, hatte sie über seinen Tod hinaus eine sehr starke Nachwirkung in der Presse und in verschiedenen Büchern über historische Betrüger und Originale. Literarisch wurde das Thema in einer Theaterfarce von Alfred Lux und einem Roman von Harry Turtledove (Every Inch a King) bearbeitet.

Ein weiteres Mitglied der Schaustellerfamilie Witte, Enkel Norbert Witte, wurde später durch die Verwicklungen um den Rummelbetrieb des Spreeparks in Berlin aktenkundig und sitzt derzeit eine siebenjährige Haftstrafe wegen Drogenschmuggels ab. Wittes Urenkel, Marcel Witte, wurde im Oktober 2006 von einem peruanischen Gericht ebenfalls wegen des Drogenschmuggels zu einer 20-jährigen Haftstrafe verurteilt.[1]

Literatur

  • Alfred Lux: Otto der Große. Berlin 2000
  • Michael Schmidt-Neke: Pseudologia phantastica und Orientalismus: Albanien als imaginäre Bühne für Spiridion Gopčević, Karl May und Otto Witte, in: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (2006), S. 151–183
  • Friedrich Wencker-Wildberg: Ungekrönte Könige. Graz u. a. 1934
  • Otto Witte: Fünf Tage König von Albanien. Hamburg 1932
  • Otto Witte: Fünf Tage König von Albanien. Berlin-Pankow 1939

Einzelnachweise

  1. Kokain im Karussell: 20 Jahre Haft. In: Berliner Zeitung. Berliner Zeitung, 11. Oktober 2006, abgerufen am 12. Oktober 2006.