Kinderbetreuung
Kinderbetreuung ist als zusammenfassender Begriff für die pflegende, beaufsichtigende, erziehende Tätigkeit Erwachsener gegenüber Kindern zu verstehen. Kind ist nach deutschem Recht in der Regel jeder junge Mensch, der das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 7 Abs. 1 SGB VIII). Kinderbetreuung erfolgt zuerst und zumeist in der Familie, in der Vergangenheit und in reicheren Familien auch durch Kindermädchen. Heute ist neben der Erziehung in der Familie die Form der öffentlich oder privat organisierten Kindertagesbetreuung in Kindertagesstätten und Kindertagespflege vorherrschend. In Österreich und der Schweiz wird hierfür ebenfalls der Begriff "Kinderbetreuung" oder auch "familienexternen Tagesbetreuung" verwendet.
Kontroverse
Die Kontroverse zur öffentlichen Kinderbetreuung wird politisch, ideologisch und fachlich geführt. Während die Betreuung durch ErzieherInnen im Kindergarten ab dem 3. Lebensjahr in Deutschland allgemein akzeptiert wird, gibt es über die Vor- und Nachteile der Fremdbetreuung von Kleinkindern unter 3 Jahren Uneinigkeit. Kritiker der Fremdbetreuung, z.B. das Familiennetzwerk, argumentieren, dass in der Regel die Eltern, zu denen eine lange und vertrauensvolle Bindung aufgebaut werden kann, die emotionale, geistige und soziale Entwicklung des Kindes am besten fördern (s. Bindungstheorie. Nach einer Studie des US-amerikanischen National Institute of Child Health and Development (NICHD) sind Kinder, die früh und lange fremdbetreut wurden, oft aggressiver als solche, die hauptsächlich von engen Bezugspersonen betreut wurden. Allerdings sind die Ergebnisse der Studie insgesamt sehr differenziert. Zum einen ist die Aggressivität zwar messbar, aber nicht sehr unterschiedlich. Zum anderen ist die Sprachentwicklung der Kinder, die in Gruppen betreut werden, oftmals besser. Hier zeigen sich teilweise Entwicklungsvorsprünge gegenüber Gleichaltrigen, die zuvor nur wenig Kontakt zu anderen Kindern hatten. Insgesamt, so wohl das wichtigste Ergebnis der Studie, ist die Qualität der Betreuung von ausschlaggebender Bedeutung. [1]
Das Anfang 2005 in Kraft getretene Tagesbetreuungsausbaugesetz [2] SGB VIII sieht selektive Subventionen für ein Angebot an Betreuungsplätzen vor, das auf staatlichen Bedarfsplänen beruht. [3] Kritiker bemängeln, dass das, ebenso wie die Zuteilung der Plätze an bestimmte Eltern, stark an Planwirtschaft erinnere. [4] Aktuell ist eine kontroverse öffentliche Debatte über das Für und Wider von staatlich subventionierten Kinderkrippen im Gange. Insbesondere Eltern, die sich dafür entscheiden, ihre Kinder selbst zu betreuen, sehen sich benachteiligt und in ihren Grundrechten nach Art. 3 Abs. 2 GG (Gleichbehandlung) und Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) verletzt [5]. Eltern können nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz derzeit keine öffentlichen Zuschüsse für ihre Betreuungs- und Erziehungsarbeit beantragen. In den meisten Bundesländern können aber immerhin auch privatwirtschaftliche Anbieter Zuschüsse erhalten. Einer Förderung ist jedoch immer die staatliche Anerkennung als Träger vorgeschaltet, und über die konkrete Zuteilung der Subventionen entscheiden die Bundesländer und Kommunen. Voraussetzung für einen Zuschuss ist, dass auch laut der durch die Bundesjugendämter aufgestellten Bedarfspläne eine Nachfrage nach zusätzlichen Betreuungsplätzen besteht. [6] Für Eltern und insbesondere Mütter, die ihren Beruf nicht durch längere Erziehungspausen unterbrechen können oder wollen, gilt in der öffentlichen Diskussion die Möglichkeit der staatlich subventionierten Kleinkindbetreuung als wichtiger Aspekt in der Familienplanung. Der Mangel an solchen Betreuungsplätzen in Deutschland wird als eine der Ursachen für die niedrige Geburtenrate, besonders unter Akademikerinnen, angesehen. Demgegenüber verweisen Kritiker darauf, dass unter allen entwickelten modernen Industriestaaten die USA, Frankreich und Irland die höchsten Geburtenraten hätten (2005; ca. 2,07, 1,94 bzw. 1,88 Kinder pro Frau; Quelle: Eurostat, UN; zitiert bei WKO) [7]. Dabei gäbe es lediglich in Frankreich, nicht aber auch in den USA und in Irland nennenswerte Angebote an staatlich subventionierter Kinderbetreuung. Ob und inwieweit Traditionen, Familien- und Rollenbilder, soziale und politische Umwälzungen etc. die Geburtenrate entscheidender beeinflussen als staatlich subventionierte Betreuungsangebote, ist nicht geklärt und bedarf weiterer Forschungsarbeit. [8]
Der Ausbaugrad der öffentlichen Kindertagesbetreuung deutet auch auf das vorherrschende Familienbild in einer Gesellschaft hin. Die Frage, ob in erster Linie Mütter und Väter oder der Staat für die Betreuung und frühkindliche Förderung des Nachwuchses verantwortlich sein soll, ist dabei umstritten. Während die Befürworter eines Ausbaus öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen, die tendenziell eher dem sozialdemokratischen Lager zugerechnet werden können, beispielsweise auf die skandinavischen Länder verweisen (z. B. Schweden), berufen sich die Anhänger der elterlichen Erziehungsverantwortung, der eher Konservative und Liberale zuzurechnen sind, auf einen erkennbaren Gegentrend, beispielsweise in Frankreich, wo in einigen Teilbereichen eine (Re-)privatisierung der Kinderbetreuung stattfindet. Dass in Deutschland, Österreich und der Schweiz der elterlichen Verantwortung bei der Betreuung und Erziehung ein höherer Stellenwert als in vielen anderen EU-Staaten beigemessen wird, wird von Kritikern auf den konservativen Wohlfahrtsstaat zurückgeführt. Diese Unterschiede zeigen sich zum Beispiel auch in Umfang und Intensität der wissenschaftlichen Befassung mit dem Thema. Die (west-)deutsche Kleinkindforschung ist auf wenige Lehrstühle und Institute in Deutschland beschränkt (s. auch Frühpädagogik).
Quellen
- ↑ Familie ist Zukunft
- ↑ Tagesbetreuungsausbaugesetz
- ↑ Kleinkindbetreuung: Wahlfreiheit durch subventionierte Krippenplätze? Otto-Wolff-Institut für Wirtschaftsordnung, Köln, April 2007, S. 9
- ↑ Kleinkindbetreuung: Wahlfreiheit durch subventionierte Krippenplätze? Otto-Wolff-Institut für Wirtschaftsordnung, Köln, April 2007, S. 9
- ↑ Sog. Betreuungsurteil der Bundesverfassungsgerichts; BVerfG, 2 BvR 1057/91 vom 10.11.1998
- ↑ Kleinkindbetreuung: Wahlfreiheit durch subventionierte Krippenplätze? Otto-Wolff-Institut für Wirtschaftsordnung, Köln, April 2007, S. 9
- ↑ Geburten uns Sterberaten 2005, WKO Wirtschaftskammer Österreichs
- ↑ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Literatur
- Steve Biddulph: Wer erzieht Ihr Kind? München: Wilhelm Heyne, 2005. ISBN 3-453-67000-0
- Anne Salle, Frankreich auf dem Weg zur Reprivatisierung der Kinderbetreuung?, 2006. [1]
- Birgit Pfau-Effinger, Wandel der Geschlechterkultur und Geschlechterpolitiken in konservativen Wohlfahrtsstaaten – Deutschland, Österreich und Schweiz, 2005. [2]
Siehe auch
- Kindertagesbetreuung
- Kindertagesstätte
- Spielgruppe
- Mittagstisch
- Tageskindergarten
- Ganztagsschule
- Babysitter
- Nanny