Boatpeople

Der Begriff Boat People wurde in den 1970 er Jahren aus dem amerikanischen Sprachgebrauch übernommen. Er bezog sich zu der Zeit auf Bootsflüchtlinge in der Folge des Vietnamkrieges. Im ursprünglichen Sprachraum spricht man genauer von indochinese boat people (Bootsflüchtlinge Indochinas), da der Kriegsschauplatz auch Kambodscha betraf.
Der englische und deutsche Begriff sind weitgehend synonym, wobei der englische Begriff Boat People durch den bekannten historischen Bezug affektierter ist, und stärker die Verzweiflung der Flüchtlinge transportiert, sich sogar seeuntüchtigen Schiffen anzuvertrauen. Demgegenüber ist der deutsche Begriff Bootsflüchtlinge auch neutraler anwendbar auf Formen des Menschenschmuggels Asylsuchender per Boot, die auch bessere Organisation und Material einschließen.
Vietnamflucht
Am 30. April 1975 marschierten die nordvietnamesischen Truppen in Saigon ein. Der amtierende Präsident Duong Van Minh unterzeichnete die bedingungslose Kapitulation Südvietnams – der dreissigjährige Krieg um die Macht im Lande war beendet. Doch mit dem Ende des Krieges war das Leiden der Bevölkerung noch lange nicht beendet. Viele Vietnamesen flohen aus Angst vor kommunistischen Repressalien, Hungersnöten und wegen deutlicher Verschlechterung der Lebensbedingungen. Der Krieg hatte die gesamte Infrastruktur zerstört. Dazu beigetragen hat aber auch das amerikanische Embargo, das erst unter Präsident Clinton im Februar 1994 aufgehoben wurde. Die meisten Flüchtenden waren Hoas, chinesisch-stämmige Vietnamesen, deren Vorfahren vor Jahrhunderten aus dem Norden einwanderten. Viele Hoas haben während des Krieges auf der Seite der US-Armee gekämpft oder für die südvietnamesische Regierung gearbeitet. Fluchtmöglichkeiten gab es jedoch kaum, da Vietnam ausschliesslich von Nationen umgeben war, welche sich kaum als Refugium eigneten. In Kambodscha wütete Pol Pot (Rote Khmer) unter dessen Terrorregime vier Millionen Kambodschaner starben. China war seinerseits mit der Kulturrevolution beschäftigt und sandte im Jahre 1979 sogar eigene Truppen nach Vietnam, da es um eine vietnamesische Vorherrschaft in Indochina fürchtete. Laos steckte im Krieg und war des Weitern mit der Abschaffung der Monarchie beschäftigt. Es blieb also nur die Flucht über das Meer. Es war die grösste Massenabfahrt asylsuchender Menschen über das Meer in der modernen Geschichte. Über 1,6 Millionen Vietnamesen versuchten verzweifelt per Boot über das Südchinesische Meer in eine bessere Welt zu gelangen. Man nannte diese Leute „Boat People“. Praktisch jedes Boot war ihnen recht, Hauptsache es schwamm. Die meisten dieser Boote trugen zwischen 150 – 600 Leuten, waren jedoch immer überladen und baufällig. Oft kenterten die Boote in den unberechenbaren Monsun-Winden oder sie wurden von Piraten angegriffen. Viele dieser Piraten hielten sich auf dem Meer vor Thailand auf um die hilflosen Boat People zu überfallen. Wegen diesen Umständen wählten die Flüchtlinge immer öfters den Seeweg nach Malaysia obwohl die Risiken dieser Reise grösser waren. Aufgrund der längeren Reise und der damit verbundenen längeren Zeit auf Meer, wurde das Elend noch grösser. Häufig litten die Flüchtlinge unter Nahrungsmangel, Wasserknappheit, Krankheiten oder die Sonne verbrannte ihnen den Rücken. Mehrmals erreichten diese „Nussschalen“ die Küste jedoch nicht. Fast 250'000 Boat People fanden im südchinesischen Meer den Tod. Immer wieder wurden Familien auseinander gerissen und diese fanden sich, wenn überhaupt, erst Jahre später in einer neuen Heimat wieder. Wer diese Strapazen überlebte und an eine Küste Südostasiens gespült wurde, hatte aber mit weiteren Schwierigkeiten zu kämpfen. Die meisten Boat People landeten in geschlossenen Lagern, wo sie sich um Asyl in anderen Ländern bewerben konnten. Oftmals wurden sie ohne viel Aufsehen mit neuen Vorräten und Wasser wieder auf See geschickt, da die umliegenden Auffanglager hoffnungslos überfüllt waren. Erst Ende der achtziger Jahre ebbte der Flüchtlingsstrom ab, zum Teil weil sich die wirtschaftliche Lage in Vietnam besserte, teils aber auch, weil immer weniger Boat People Aufnahme in Drittländern fanden.
Die Fälle von Flucht mit hochseeuntauglichen Booten sind allerdings nicht auf Vietnam beschränkt, sondern treten auch in den Fluchtländern Kuba, Haiti, Marokko und Albanien auf. 2001 ertranken 353 Asylsuchende, die von Indonesien nach Australien zu fahren versuchten, als ihr Schiff, die SIEV-X, sank.
Mittelmeer
Auch im Mittelmeer, nahe der sizilianischen Küste, sank 1996 - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - ein Schiff mit Bootsflüchtlingen auf dem Weg von Afrika nach Europa. 283 Menschen - vorwiegend Flüchtlinge aus Indien, Sri Lanka und Pakistan - ertranken. Es wird vermutet, dass seit 1992 insgesamt mehr als 10.000 Bootsflüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind.
Das Komitee Cap Anamur wandte sich daher auch diesen aktuellen Fällen zu. Umstritten war allerdings die aufsehenerregnde Rettungsaktion dieser Hilfsorganisation von Schiffbrüchigen im Mittelmeer im Juli 2004, die von europäischen Regierungen zum Teil als "Nötigung der italienischen Behörden" und als "indirekte Unterstützung von Schleusertum und Menschenhandel" gewertet wurde. Die von Cap Anamur geretteten Bootsflüchtlinge wurden von den italienischen Behörden in einem weniger als zwei Wochen dauernden Schnellverfahren wieder abgeschoben.
Das Phänomen der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer entstand infolge der Einführung einer Visumspflicht für die nordafrikanischen Länder und der immer strikteren Abschottungsmaßnahmen seitens der EU.
Siehe auch: Cap Anamur
Weblinks
- Appell des Grundrechtekomitees Deutschland
- Ralf Streck:Europa rüstet auf gegen Einwanderer, Telepolis, 15. Mai 2005
- Ralf Streck:Libyen wird Vorposten der EU, Telepolis, 6. Juli 2005
Quellen
"Flucht in den Tod Das Meer, das Dorf und das Schweigen - eine Schiffskatastrophe vor Sizilien"; TV-Dokumentation von Marc Wiese und Karl Hoffmann; gesendet am 10. Juli 2005 auf ARTE.