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Ferdinand Sauerbruch

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Ernst Ferdinand Sauerbruch (* 3. Juli 1875 in Barmen (heute zu Wuppertal); † 2. Juli 1951 in Berlin) war ein deutscher Arzt. Er gilt als der bedeutendste und einflussreichste Chirurg der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Leben und berufliche Laufbahn

Da sein Vater früh verstorben war, wuchs Sauerbruch bei seinem Großvater, einem Schuhmacher, auf. 1895 machte er Abitur und begann das Studium der Naturwissenschaften an der Universität Marburg. Hier wurde er Mitglied beim Naturwissenschaftlich-Medizinischen Verein Studierender zu Marburg, einer naturwissenschaftlichen Studentenverbindung und Vorläuferin der heutigen Landsmannschaft Nibelungia, die er allerdings noch während seiner Fuxenzeit wegen "ungebührlichen Verhaltens auf dem Haus" wieder verlassen musste. Er wechselte dann an die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig, wo er – nach kurzem Studienaufenthalt in Jena – 1901 Arzt wurde. In der Nähe von Erfurt arbeitete er kurz als Landarzt, bevor er Assistent am Kasseler Diakonissenkrankenhaus wurde. Er wechselte im selben Jahr als Assistent an die Chirurgie des Erfurter Krankenhauses, wo er 1902 Erster Assistenzarzt wurde. Ab 1903 arbeitete Sauerbruch kurz im Krankenhaus Berlin-Moabit und ging noch im selben Jahr an die Chirurgische Universitätsklinik in Breslau, wo er als Assistent von Geheimrat Prof. Johannes von Mikulicz-Radecki nach mehreren Misserfolgen mit der von ihm entwickelten Unterdruckkammer (Druckdifferenzverfahren) die Thoraxchirurgie, d. h. die Operation am offenen Brustkorb, begründete und damit den Weg zur Thoraxchirurgie ermöglichte. Dort habilitierte er sich 1905 als Chirurg und wechselte anschließend zum Klinikum Greifswald. Sauerbruch wurde 1908 Professor und Oberarzt in Marburg und ab 1910 am Kantonsspital (Universitätsspital) in Zürich. Von 1918-1928 arbeitete er an der Universität München, danach an der Charité in Berlin (1928-1949). Während der Münchner Räterepublik operierte er 1919 den Mörder von Kurt Eisner, Anton Graf von Arco auf Valley und den Sozialdemokraten Erhard Auer.

1932 wurde Sauerbruch von Max Liebermann, mit dem er sich in Berlin angefreundet hatte und dessen Nachbar er war, porträtiert. Trotz der zunehmenden Repressalien, der sich der jüdische Liebermann durch die Nationalsozialisten ausgesetzt sah, blieb die freundschaftliche Beziehung der Nachbarn bestehen, so dass Sauerbruch und sein Sohn zu den wenigen zählten, die am Trauerzug für Max Liebermann nach dessen Tod 1935 in Berlin teilnahmen. Im November 1933 beteiligte sich Sauerbruch in einem Brief "An die Ärzteschaft der Welt" am weltweit verbreiteten Bekenntnis deutscher Ärzte und Wissenschaftler zu Hitler und zum Nationalsozialismus. Im darauf folgenden Jahr ernannte Göring ihn zum Staatsrat. Im Januar 1937 warnt Sauerbruch noch davor, dass Hitler, den er seit 1920 kennt, der "verrückteste Kriminelle der Welt" werden könne, gleichwohl lässt er sich im September 1937, zusammen mit dem Asien- und Südpolarforscher Wilhelm Filchner, auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg den von Hitler gestifteten Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft (geteilt) verleihen. Die Einführung dieses Preises war die Antwort der Nationalsozialisten auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky.

1937 wurde Sauerbruch in den Reichsforschungsrat berufen, nachdem er seit Mitte der dreißiger Jahre dem Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft angehört hatte. Der Reichsforschungsrat unterstützte auch "Forschungsprojekte" der SS, zu denen die Menschenversuche in den Konzentrationslagern gehörten. 1942 wurde er zum Generalarzt des Heeres ernannt und bewilligte in dieser Rolle im gleichen Jahr Mittel für Senfgasversuche an Häftlingen im KZ Natzweiler.

Andererseits protestierte Sauerbruch gegen das Euthanasie-Programm und bot der regimegegnerischen "Mittwochsgesellschaft" zeitweise Raum in seinem Haus am Wannsee. Da einige Mitglieder der Mittwochsgesellschaft zu den Verschwörern des 20. Juli 1944 gehörten, wurde auch Sauerbruch mehrfach vernommen, entging aber einer Verhaftung. Sein Engagement gegen die Machthaber und seine zunehmende Distanz war ihm möglich, da man im Krieg nicht auf seine Fähigkeiten als Chirurg und in der Amputationstechnik verzichten konnte.

Am 12. Oktober 1945 wurde er unter dem Vorwurf, im Dritten Reich zur Steigerung des Ansehens der nationalsozialistischen Diktatur beigetragen zu haben, aus dem Amt des Berliner Gesundheitsstadtrats entlassen. Sauerbruch wandte sich außerdem deutlich gegen die Aufarbeitung der Beteiligung deutscher Ärzte an nationalsozialistischen Verbrechen durch Alexander Mitscherlich.

Sauerbruch stand trotz seiner Funktionen dem Dritten Reich von Anfang an sehr kritisch gegenüber. Nach dem Zweiten Weltkrieg forderte er eine Rückbesinnung auf Menschlichkeit und Demokratie. So unterzeichnete er den Gründungsaufruf der CDU in Berlin und forderte alle Männer und Frauen auf, sich aktiv für den Wiederaufbau des Landes einzusetzen. In seinen letzten Lebensjahren war Sauerbruch immer noch als Operateur in einer Privatklinik in Berlin-Grunewald tätig. Probleme traten auf, als er trotz des Nachlassens seiner Fähigkeiten, das durch eine fortschreitende Demenz bedingt war, an dieser Tätigkeit festhielt.

Im Jahr seines Todes erschienen Sauerbruchs heiter-melancholische Lebenserinnerungen (Das war mein Leben), die hohe Auflagen erzielten und 1954 verfilmt wurden. Der Film stellt das Leben und Wirken Sauerbruchs allerdings deutlich positiv-verzerrt dar; so finden sich keine Hinweise auf eine Affinität zum NS-Regime und auch das als geradezu selbstlos dargestellte Wesen Sauerbruchs wird nahezu nicht relativiert.

Sein Grab befindet sich auf dem Neuen Friedhof in Berlin-Wannsee.

Ferdinand Sauerbruch ist der Großvater von Matthias Sauerbruch.

Leistungen

Sauerbruch war der bedeutendste und einflussreichste Chirurg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Schüler besetzten zahlreiche chirurgische Lehrstühle in Deutschland und dem Ausland, seine Klinik wurde von ausländischen Chirurgen reichlich frequentiert.

Berühmt wurde Sauerbruch für die Einführung eines Verfahrens, das die operative Öffnung des Brustkorbes erlaubte. Normalerweise bedingt eine Öffnung des Brustraumes, dass sich Luft im Brustfellraum ansammelt und dadurch den dort herrschenden Unterdruck aufhebt: die Lunge fällt zusammen (Pneumothorax). Sauerbruch konstruierte 1904 eine große Kammer, in der ein Unterdruck von etwa neun hPa herrschte; darin konnten Brustoperationen - was die Druckverhältnisse betrifft - gefahrlos stattfinden. Wenig später wurde das Druckdifferenzverfahren so verändert, dass nicht außen ein Unterdruck erzeugt, sondern die Lunge mit geringem Überdruck von innen stabilisiert wurde. Dieses Verfahren, meist kombiniert mit einer vorübergehenden Stilllegung der Atemmuskulatur, wird in Form der Intubationsnarkose bis heute angewendet.

Sauerbruch entwickelte auch eine Oberarmprothese (so genannter Sauerbruch-Arm), bei der ein Kanal durch die Oberarmmuskulatur gelegt wurde. Die Prothese hatte einen Bolzen, der durch diesen Kanal geführt wurde. Auf diese Weise wollte er die noch vorhandenen Bewegungsreflexe für die Handhabung des Unterarmes der Prothese nutzen. Diese Prothese war jedoch problematisch, weil an diesem Kanal häufig Entzündungen auftraten. Der wohl prominenteste Patient Sauerbruchs war Claus Graf Schenk von Stauffenberg, eine der Hauptpersonen des militärischen Widerstands gegen Adolf Hitler. Stauffenberg hatte jedoch eine andere als diese von Sauerbruch entwickelte Prothese.

Um die Lunge von Tuberkulosekranken zu heilen, lähmte Sauerbruch deren Zwerchfell; waren die Lungen schon zu stark verwachsen, entfernte er Teile der Niere, um einen therapeutischen (künstlichen) Pneumothorax erzeugen zu können. Auch in die Herz-, Magen- und Speiseröhrenchirurgie brachte Sauerbruch bedeutende Verbesserungen ein. Nicht zuletzt durch die Weltkriege fanden die von ihm entwickelten bewegbaren Prothesen weite Verbreitung. 1911 erschien Sauerbruchs Technik der Thoraxchirurgie, die in den folgenden Auflagen Chirurgie der Brustorgane hieß (1920-1925, zweibändig) und ab 1937 als Thoracic surgery auch in englischer Sprache verlegt wurde.

Sauerbruch war jedoch auch außerhalb der Chirurgie ein aufmerksamer Arzt. So beschrieb er als einer der ersten Mediziner akuten Stress als Auslöser für Morbus Basedow, einer autoimmunen Form der Schilddrüsenüberfunktion. Während seiner Tätigkeit als Militärarzt im Ersten Weltkrieg war ihm das ungewöhnlich häufige Auftreten dieser Erkrankung bei Soldaten nach extremen psychischen Belastungen aufgefallen.

Verfilmung

Sonstiges

Literatur

  • Ferdinand Sauerbruch: Das war mein Leben, Autobiographie, 639 Seiten, Kindler u. Schiermeyer 1951
  • Martin Friedrich Karpa: Die Geschichte der Armprothese unter besonderer Berücksichtigung der Leistung von Ferdinand Sauerbruch. Dissertationsschrift als Volltext (PDF, 4,65 MB)
  • M. Dewey, U. Schagen, W. U. Eckart, E. Schönenberger: Ernst Ferdinand Sauerbruch and his ambiguous role in the period of National Socialism. In: Annals of Surgery, August 2006, 244(2), S. 315–321. [1]