Massaker von Bleiburg
Das Massaker von Bleiburg ist eine von antikommunistischen Kreisen verwendete Bezeichnung für Vergeltungsmorde der jugoslawischen Partisanen an kroatischen, serbischen, slowenischen und muslimischen faschistischen Milizen am Ende des Zweiten Weltkrieges. Es begann am 15. Mai 1945 nahe der Kärntner Städte Bleiburg und Viktring.
Hintergrund
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs begann der faschistische Ustascha-Staat zu zerfallen. Viele Soldaten der kroatischen Heimwehren (Domobranen) wechselten zu den kommunistischen Partisanen über. Die gemäßigten Ustascha-Minister Ante Vokić und Mladen Lorković versuchten, die radikalen Führer der Ustascha-Bewegung von der Spitze zu verdrängen, um mit den Alliierten Verhandlungen über ein unabhängiges Kroatien aufzunehmen. Der Putschversuch wurde jedoch von Ante Pavelić mit deutscher Hilfe im Keim erstickt, die Verschwörer wurden verhaftet und hingerichtet.
Als Tito-Partisanen Anfang Mai 1945 vor Zagreb standen, begab sich die Ustascha-Führung in Begleitung des Vorsitzenden der Kroatischen Bauernpartei, Vladko Maček, auf die Flucht. Ihnen folgten Zivilisten, die aus Angst vor Vergeltung die Ankunft der jugoslawischen Partisanen nicht abwarten wollten. Der Ustascha-Miliz und den Heimwehren wurde befohlen, nach Österreich aufzubrechen.
Der kroatischen Flüchtlingskolonne schlossen sich unterwegs etwa 40.000 deutsche Soldaten, ungefähr 10.000 Soldaten der slowenischen Landwehr und 5.000-10.000 Tschetniks an. Die genauen Zahlen sind strittig: Während rechtsextreme kroatische Kreise dazu neigen, die Opferzahl hochzutreiben, nannten jugoslawische, slowenische, serbische und britische Historiker meist niedrigere Opferzahlen. Der kroatische Historiker Ivo Goldstein schätzt die Gesamtzahl der Flüchtlinge nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen auf etwa 134.000 Personen. Die Kolonne aus Menschen und Fahrzeugen soll insgesamt 45-65 Kilometer lang gewesen sein.
Die Flüchtenden wussten, dass die britischen Truppen das Gebiet kontrollierten. Die Briten hatten jedoch vor der Ankunft der Flüchtlinge mit Titos Partisanen vereinbart, Gefangene auszuliefern. Der nachrückende Teil der Kolonne wurde in Slowenien in heftige Kämpfe mit den jugoslawischen Partisanen verwickelt, die auf beiden Seiten zahlreiche Opfer forderten. Die in Bleiburg angekommenen Ustascha und Heimwehren wurden von den Briten nach Slowenien zurückgeschickt, wobei eine Gruppe von 20.000-25.000 Kroaten fliehen konnte.
Todesmärsche
Nach der Auslieferung an die Tito-Partisanen wurden einige Gefangene sofort hingerichtet. Höhergestellte Personen wurden ausgesondert und meist von Standgerichten zu langen Haftstrafen verurteilt. Die meisten Zivilisten wurden nach wenigen Tagen in die Freiheit entlassen. Die übrigen Gefangenen mussten in so genannten Todesmärschen (kroat. križni put, Kreuzweg) auf dem Weg zu ihren endgültigen Bestimmungsorten in verschiedenen Teilen Jugoslawiens bis zu 1.000 km zu Fuß zurücklegen. Jene, die den Anstrengungen des Marsches nicht gewachsen waren, wurden unterwegs getötet.
Nach neueren wissenschaftlichen Untersuchungen des kroatischen Historikers Vladimir Žerjavić sollen bei Bleiburg und auf den Todesmärschen 45.000 bis 55.000 Heimwehr- und Ustascha-Soldaten getötet worden sein. Die überlebenden Soldaten wurden zu Gefängnis oder Arbeitslager verurteilt.
Der unmittelbare Hintergrund dieser Ereignisse ist die vorangegangene Kollaboration der faschistischen Verbände mit den Besatzungsmächten, die einen Genozid (vorwiegend an Serben, Juden und Zigeunern) und grausame Partisanenbekämpfung zur Folge hatte.
Opferzahlen
Gesicherte Angaben über die Zahl der Flüchtenden und die Gesamtzahl der Opfer liegen bisher nicht vor. Weder von jugoslawischer noch von britischer Seite gibt es offizielle Opferzahlen, da die Ereignisse in der SFR Jugoslawien nicht öffentlich thematisiert werden durften und auch von Seiten der Westalliierten keine amtliche Untersuchung erfolgte.
- Die kroatischen Historiker Ivo Goldstein und Vladimir Žerjavić schätzen die Zahl der Bleiburg-Opfer auf 45.000-55.000.
- Der jugoslawische Historiker Milovan Djilas schätzt die Zahl auf 20.000-30.000.
- Der slowenische Historiker Uroš Šušterič schätzt die Zahl auf etwa 40.000.
- Der russisch-britische Historiker Nikolai Tolstoi behauptet, dass die Briten den Partisanen bei Bleiburg 26.339 Personen ausgeliefert hätten, davon 12.196 Kroaten, 5.480 Serben, 8.263 Slowenen und 400 Montenegriner.
- Der kroatisch-amerikanische Historiker Jozo Tomašević behauptet, dass sich etwa 116.000 kroatische Soldaten in Bleiburg ergaben.
- Von kroatischen Emigranten wurden Schätzungen verbreitet, denen zufolge die Zahl der Opfer zwischen 200.000 und 500.000 liegt.
Die Gesamtzahl der Opfer von Säuberungen durch die jugoslawischen Partisanen soll nach Tomaševićs Untersuchungen insgesamt 200.000 Menschen betragen haben. Der britische Historiker Noel Malcolm spricht von bis zu 250.000 Opfern. Der russisch-britische Historiker Nikolai Tolstoi spricht von insgesamt 100.000 Opfern.
Beurteilung der Ereignisse

Im ehemaligen Jugoslawien war es tabu, über Bleiburg zu sprechen. Die Weltöffentlichkeit war informiert, aber das Thema wurde in Zeiten des Kalten Krieges, in dem sich Jugoslawien von Stalin abwandte, von westlichen Politikern nicht aufgegriffen. Der montenegrinische Dissident Milovan Đilas schrieb in seinen Memoiren: „diese Soldaten mussten sterben, damit Jugoslawien leben kann“. Demnach wurde eine mögliche Opposition gegen das kommunistische Regime „liquidiert“.
In der kroatischen Emigration und im heutigen Kroatien wurden und werden die Bleiburger Ereignisse nationalistisch instrumentalisiert und als Nationaltragödie dargestellt. In Bleiburg stand bereits zu Zeiten Jugoslawiens ein Denkmal, das von Bleiburg-Überlebenden und der kroatischen Diaspora finanziert und errichtet wurde. Es trug die Inschrift („U čast i slavu poginuloj hrvatskoj vojsci - svibanj 1945. Zum Gedenken an die gefallenen Kroaten - Mai 1945“). Die korrekte deutsche Übersetzung der kroatischen Inschrift lautet jedoch „Zu Ehren und zur Feier der gefallenen kroatischen Armee - Mai 1945“. Das Denkmal wurde nach der Ära Tudjman neu errichtet und trägt heute eine neue Inschrift, die nicht mehr der „gefallenen Armee“, sondern „unschuldigen Opfern“ gewidmet ist.
Die Ereignisse um Bleiburg stellen seit der Ära Tudjman einen wichtigen kroatischen Geschichts- und Nationalmythos dar. Jedes Jahr finden am 15. Mai auf dem Bleiburger Feld und in vielen Städten Kroatiens Gedenkfeiern und Kranzniederlegungen statt, bei denen zigtausende Kroaten und Bosniaken aus aller Welt der Gefangennahme der faschistischen kroatischen Truppen gedenken.
1999 erschien in Kroatien der Film Četverored (Viererreihe), der sich mit den Leiden der an den Todesmärschen teilnehmenden Soldaten befasst. Der Film enthält zahlreiche Gewaltszenen und erhielt großteils schlechte Kritiken.
In den vergangenen Jahren wurde von englischen Historikern eine Diskussion über das Massaker von Bleiburg angestoßen. Dass Großbritannien eine Mitschuld an dem Massaker trägt, da es die kroatischen Flüchtlinge aus Österreich auswies ist unbestreitbar. Jedoch wird die Frage gestellt, ob die britischen Militärs wussten, dass es zu einem Massaker kommen würde.
Literatur
- Tamara Griesser-Pecar: Das zerrissene Volk. Slowenien 1941-1946. Böhlau Verlag, Wien 2003. ISBN 3-205-77062-5
- Ivo Goldstein: Hrvatska povijest. Novi Liber, Zagreb 2003. ISBN 953-6045-22-2
- Tatjana Šarić: Bleiburške žrtve na stranicama 'Hrvatske revije'. In: Časopis za suvremenu povijest. 2. Jahrgang, 2004, S. 505–521 (ceeol.com).