Quelle (Geschichtswissenschaft)
Als Quelle bezeichnet man in der Geschichtswissenschaft alles, was dazu verwendet wird, um primäre Kenntnis von der Vergangenheit zu erhalten.
Die Auswahl und Interpretation einer Quelle muss nach bestimmten Regeln erfolgen, so muss man etwa überlegen, ob ein Autor objektiv oder parteiisch ist, um so den Wert seiner Aussagen zu beurteilen. Trotzdem kann man schlecht sagen, eine Interpretation ist richtig oder falsch, man kann nur sagen, ob sie mehr oder weniger plausibel ist - es sei denn, eine Interpretation beruht auf falschen Grundannahmen oder mangelndes Verständnis der Quelle.
Von den Quellen zu trennen ist die so genannte Sekundärliteratur, die als wissenschaftliche Fachliteratur zu Rate gezogen wird. Die Grenzen zwischen Quellen und Sekundärliteratur können verschwimmen, etwa bei der Frage, ob ein antiker Historiker tatsächlich als Quelle anzusehen ist (wie man es gemeinhin tut). Ferner kann z. B. die Römische Geschichte von Theodor Mommsen, also Fachliteratur zum Alten Rom, selbst als Quelle herangezogen werden, nämlich von einem Wissenschaftshistoriker, der sich für die Altertumswissenschaft des 19. Jahrhunderts interessiert.
Quellen sind daher nicht mit Anmerkungen in einer wissenschaftlichen Arbeit oder einem enzyklopädischen Artikel gleichzusetzen. Eine Anmerkung kann sich aber durchaus auf eine Quelle beziehen.
Die Quellenkritik wurde von Johann Gustav Droysen und Barthold Georg Niebuhr in die Geschichtswissenschaft eingeführt.
Gängige Einteilungen von Quellen
Einteilung nach äußerer Form
Grundsätzlich unterscheidet man hier zwischen Sachquellen, Bildquellen und Textquellen. Sachquellen sind zum Beispiel Bau- und Kunstwerke, auch Münzen, oder Gegenstände aus Arbeitswelt und Alltag (beispielsweise eine Pfeilspitze oder ein Pflug). Bildquellen sind profane oder künstlerische Darstellungen; ein Gemälde ist zwar auch ein konkreter Gegenstand, die Abbildung darauf hat jedoch ihren eigenen Wert. Textquellen sind ursprünglich ebenso an einen Beschreibstoff gebunden, lassen sich aber getrennt davon bearbeiten. Die Textquellen sind die wichtigsten und meist aussagekräftigsten Quellen, zumindest aus Sicht der Historiker. Archäologen hingegen behandeln der Natur der Sache wegen nur Sach- und eventuell auch Bildquellen.
Nähe zum historischen Geschehen
Quellen kann man auch nach der zeitlichen, personellen und sonstigen Nähe des Quellenschaffenden zum betreffenden Ereignis beurteilen. Es ist ein Unterschied, ob man ein Ereignis noch am selben Tage im Tagebuch beschreibt, oder Jahre später in seinen Memoiren.
Primärquelle und Sekundärquelle
Siehe Hauptartikel: Primärquelle
Die Sekundärquelle dient dazu, etwas über den Inhalt einer (verloren gegangenen) Primärquelle in Erfahrung zu bringen. Meistens, aber nicht immer, ist die Primärquelle quellennäher (bzw. ereignisnäher).
Tradition und Überrest
Siehe Hauptartikel: Traditionsquelle und Überrestquelle
Diese Einteilung, die noch von Droysen stammt, hantiert mit dem Unterschied, ob eine Quelle "absichtlich" erstellt wurde oder nicht. Das Wort "Absicht" kann dabei missverstanden werden; es geht dabei nicht um die eventuelle Absicht, die Nachwelt zu informieren bzw. zu täuschen, oder um eine Absicht, aufgrund derer das Schriftstück (darum handelt es sich meist) bewahrt wurde.
Bei einer Traditionsquelle berichtet jemand über etwas, während der Überrest von einer sonstigen Handlung überbleibt. Eine Traditionsquelle ist beispielsweise eine Rede, ein Brief, ein altes Geschichtswerk, die über Vergangenes berichten. Dabei hatte der Verfasser die Absicht, andere Menschen über etwas zu informieren. Ein Überrest ist beispielsweise eine Rechnung, die durch den Geschäftsverkehr zwischen zwei Kaufleuten entstanden ist. Durch sie wird ein Geschäftsvorgang belegt, dazu wurde sie ausgestellt. Aber für einen späteren Historiker kann sie als Quelle dienen.
Die Überrestquelle gilt im Allgemeinen als zuverlässiger als die Traditionsquelle, da ein Redner oder Briefschreiber oder Geschichtsschreiber sich irren kann oder gar täuschen will. Dennoch könnte auch, um im Beispiel zu bleiben, die Rechnung bereits fehlerhaft oder in betrügerischer Absicht ausgestellt worden sein. Jedenfalls wurde der Überrest wenigstens nicht längere Zeit nach dem Ereignis hergestellt, während Traditionsquellen eventuell über lange Vergangenes berichten.
Während manche Quellen wie Rechnungen recht leicht als Überrest auszumachen sind, kann die Einteilung auch von der Fragestellung des Historikers abhängen. Ein Brief von Person A an Person B informiert beispielsweise über ein Ereignis. Im Hinblick auf das Ereignis ist der Brief eine Traditionsquelle. Andererseits aber ist der Brief selbst ein Überrest bezüglich der Tatsache, dass Person A der Person B eine bestimmte Darstellung zu einem bestimmten Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt geliefert hat. Anders ausgedrückt: Interessiert sich der Historiker für das Ereignis, dann ist der Brief eine Traditionsquelle, interessiert er sich für die Beziehung zwischen A und B, hingegen ein Überrest.
Arbeit mit Quellen
Erschließung
Die Erschließung von Quellenmaterial bedeutet, dass man das Material feststellt, eine Übersicht erhält und den Zugang ermöglicht. Durch eine Archivierung, Registrierung usw. wird es dem Erschließenden, aber auch anderen Interessierten, möglich, das Material zu nutzen. Wichtig ist ein Ordnungssystem, dass es ermöglicht, zielgerichtet zu suchen und später zu zitieren.
Umgang in Forschung und Darstellung
Ein Historiker muss bestimmte Überlegungen angestellt haben, bevor er eine Quelle verwendet. Die Regeln der Quellenkritik schließen beispielsweise die Frage ein, ob die Quelle überhaupt "echt" ist, wer sie hergestellt hat usw. Die Quellenkunde, Teil der Historischen Hilfswissenschaften, befasst sich ausführlich mit solchen Fragen.
Eine Quelle ist im Zusammenhang mit anderen Quellen zu verwenden und einzuordnen. Ein Quellenzitat in einer Darstellung darf sich nicht mit dem bloßen (ausgewählten) Quellentext begnügen; es muss begleitet sein von Sachkommentar und Interpretation.
Belege in einer wissenschaftlichen Arbeit
Quellenzitate bzw. Aussagen, die auf einer Quelle beruhen, müssen in einer wissenschaftlichen Arbeit belegt werden, und zwar mit genauer Angabe darüber, wo die Quelle zu finden ist. In der Regel verwendet man dazu den Anmerkungsapparat.
Am Ende der Arbeit erwähnt man -zusätzlich zum Anmerkungsapparat - die Quellen gesondert. Dabei kann man sinnvoll noch unterscheiden zwischen veröffentlichten und unveröffentlichten Quellen. Erst danach listet man in einem anderen Abschnitt die verwendete Sekundärliteratur auf.
- Beispiel aus: Daniel Körfer: Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer, 2. Auflage, Berlin 1998 (Stuttgart 1987), S. 927
- Quellenverzeichnis
- Archiv der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn (AdLES)
- Nachlaß Ludwig Erhard
- I 1)3 Korrespondenz mit Konrad Adenauer 1953
- I 1)4 Korrespondenz mit Konrad Adenauer 1956 (...)
- -NE Nr. 1502: Redemanuskript Straßburg, 20. 11. 1962 (...)
- Archiv der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn (AdLES)
- Bundesarchiv Koblenz (BA)
- Nachlaß Heinrich von Brentano (Nr. 239)
- Bd. Nr. 45: Politische Sachakten. A:Fraktion. Fraktionsunterlagen (...)
- Schriftwechsel mit Bundeskanzler Adenauer:
- Bd. Nr. 154/1: 18.10. 1949-27.12.1951 (...)
- Nachlaß Heinrich von Brentano (Nr. 239)
- Bundesarchiv Koblenz (BA)
Je nach Sitten des einzelnen Faches oder auch je nach Autor weisen die Quellen- und Literaturverzeichnisse größere Unterschiede auf. Der hier genannte Daniel Körfer beispielsweise nennt in seinem "Quellenverzeichnis" nur unveröffentlichte Quellen und alles andere unter der "Bibliographie". Nils Havemann (Fußball unterm Hakenkreuz, Bonn 2005) erwähnt zunächst die "ungedruckten Quellen" und danach die "gedruckten", wozu er nicht nur Quelleneditionen, sondern auch Memoiren , zeitgenössische Schriften und Jahrbücher usw. rechnet. Letztere deswegen, weil sie als Quelle, nicht als Sekundärliteratur verwendet wurden. Danach nennt Havemann die durchgesehenen Zeitschriften (mit Laufzeit) und erst danach die "Darstellungen" (die Sekundärliteratur).
Letztlich geht es darum, dem Leser das Finden der benutzten Quellen zu erleichtern. Die Ausführlichkeit des Quellenverzeichnisses hängt z.T. von der Organisation des Archives ab, oder davon, ob Standortinformationen bereits in den Anmerkungen verstärkt angegeben wurden.
Siehe auch
Literatur
Allgemein wird auf die Quellenproblematik in jeder geschichtswissenschaftlichen Einführungsliteratur eingegangen, wobei epochenspezifische Besonderheiten (Altertum, Mittelalter, Neuzeit) zu beachten sind.
- Friedrich Beck, Eckart Henning (Hrsg.): Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 4., durchgesehene Auflage, Köln, Weimar, Wien 2004.
- Ahasver von Brandt: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die historischen Hilfswissenschaften. (= Urban Taschenbücher 33), Erstaufl. Stuttgart 1958, 11. Auflage 1986.
- Regine C. Hrosch: Das Bild als historische Quelle? Abbildungen zur Reformation in Geschichtsbüchern. Dissertation, Universität Oldenburg 2006 (Volltext)
- Günter Johannes Henz: Elemente einer Allgemeinen historischen Quellenkunde. In: Archiv für Kulturgeschichte 59, 1974, S. 1–24.
- Michael Maurer (Hrsg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften. Bd. 4 (Quellen). Ditzingen 2002.