Investigativer Journalismus
Als investigativen Journalismus (v. lat. investigare „genauestens untersuchen“) bezeichnet man eine Form des Journalismus, bei der der Veröffentlichung eine sehr tiefgehende und detaillierte Recherche vorausgeht. Thema sind meistens politische oder wirtschaftliche Skandale. Im Englischen wird er als investigative journalism oder investigative reporting bezeichnet. Die investigativen Journalisten werden in den USA umgangssprachlich auch als Muckraker (engl. für Schmutzaufwühler, Nestbeschmutzer) bezeichnet. Im deutschen Sprachraum spricht man oft abwertend von Enthüllungsjournalisten. Dabei erfüllen sie eine wichtige Funktion bei der Kontrolle der Staatsorgane und Wirtschaftskonzerne in modernen Demokratien (Checks and Balances).
Gegenstand dieser aufwendigsten und die höchsten Ansprüche an das Können und Durchhalten stellende Form der Berichterstattung sind meist skandalöse Vorfälle oder demokratiegefährdendes Fehlverhalten leitender Personen aus Politik und Wirtschaft. Eine Hochphase erlebte der investigative Journalismus in den 1970er Jahren in den USA als Reporter großer Zeitungen eine Reihe von politischen Skandalen aufdeckten.
Beispiele
Deutschland
In Deutschland wurden die CDU-Schwarzgeldaffäre und die Flick-Affäre von Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung aufgedeckt. Weitere Beispiele sind die Kießling-Affäre, aufgedeckt von Udo Röbel, und die Barschel-Affäre, aufgedeckt vom Nachrichtenmagazin Spiegel. Zuletzt legten 2005 die beiden deutschen Journalisten Cerstin Gammelin und Götz Hamann mit Die Strippenzieher : Manager, Minister, Medien - wie Deutschland regiert wird ein über viele Monate aufwendig und recherchiertes 300 Seiten starkes Buch über den Filz zwischen deutschen Ministerien, Wirtschaftskonzernlobbyismus und der interessegeleiteten Ausformulierung konkreter Gesetze vor. Der Frankfurter Publizist und Organisierte Kriminalität-Sachkundige Jürgen Roth legte 2004 mit Ermitteln Verboten! ein Reportage-Buch über die Grenzen polizeilicher Ermittlungsbemühungen vor. Im Jahr 2006 nimmt sein Buch Der Deutschland-Clan die Abhängigkeiten zwischen hochrangigen Politikern, führenden Managern und Justizbeamten ins Visier.
Sonderformen des recherchierenden Under-Cover-Journalismus sind die Veröffentlichungen von Günter Wallraff. Wallraff nahm pseudonyme Identitäten an, um Skandale aufzuklären.
Weitere deutschsprachige Recherche-Journalisten:
- Jürgen Bertram: mit seinem politischem Buch "Mattscheibe - Das Ende der Fernsehkultur" über Schleichwerbung;
- Ulrike Holler Frankfurter Hörfunk-Journalistin, die seit Jahrzehnten sehr viel Sozialberichterstattung, auch Sozialwissenschaftsjournalismus (Kinder, Arme, Asyl, Abschiebung) recherchiert und im Hessischen Rundfunk publiziert;
- Cerstin Gammelin und Götz Hamann mit Die Strippenzieher : Manager, Minister, Medien - wie Deutschland regiert wird. 5. Aufl. Econ, Düsseldorf 2006. 303 S. ISBN 3-430-13011-5 ; 978-3-430-13011-0;
- Jürgen Roth mit Die Gangster aus dem Osten 2003, Ermitteln Verboten! 2004 und Der Deutschland-Clan 2006.
- Sabine Rückert, Unrecht im Namen des Volkes. Ein Justizirrtum und seine Folgen, Verlag Hoffmann und Campe, erschienen im Januar 2007
Österreich
Ein bekannter wie erfolgreicher Investigativjournalist im frühen 20. Jahrhundert war der Wiener Max Winter, der mit seinen Reportagen unter anderem eine Reform der Militärgerichtsbarkeit in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie erzwang und zahlreiche soziale Missstände aufdeckte und Verbesserungen forderte.
Aus der jüngeren Geschichte ist etwa Alfred Worm zu nennen, der unter anderem den AKH-Skandal, eine Schmiergeldaffäre im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien, Ende der 1970er-Jahre aufdeckte.
Schweiz
Ein schweizerischer Investigativjournalist war Niklaus Meienberg, der mit seinen Veröffentlichungen maßgeblich zur öffentlichen Diskussion nicht nur über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg beitrug.
USA
Das bekannteste Beispiel ist die Aufdeckung der Watergate-Affäre durch die amerikanischen Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein von der Washington Post. Ein weiterer bedeutender Fall war der Bericht von Seymour Hersh über das Massaker von My Lai 1968, bei dem amerikanische Soldaten über 500 Bewohner eines vietnamesischen Dorfes umgebracht hatten. Im Jahr 2004 brachte Hersh den Folterskandal um das Abu-Ghuraib-Gefängnis im Irak in die US-amerikanischen Medien.
Weitere bekannte Muckraker in den USA:
- Jack Anderson (Watergate-Affäre)
- Helen Hunt Jackson (Indianer-Politik)
- Michael Moore (Satire, u. a. Kritik am Schusswaffengebrauch)
- Ralph Nader (Verbraucherschutz)
- Upton Sinclair (u. a. Kritik an den Schlachthöfen, in diesem Artikel findet sich eine historische Erklärung des Begriffs)
- Gary Webb schrieb in der Artikelserie „Dark Alliance“ über die Verwicklung der CIA in den Kokainhandel
- Robert Ezra Park (Berichtete über die sozialen Verhältnisse in Chicago - und bekam später einen Ruf an die soziologische Fakultär der University of Chicago. )
Literatur
- Johannes Ludwig: Investigativer Journalismus, Recherchestrategien - Quellen - Informanten. UVK 2002, ISBN 978-3-89669-348-8
- Manfred Redelfs: Recherche mit Hindernissen: Investigativer Journalismus in Deutschland und den USA. in: Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.): Die Kommunikationsfreiheit der Gesellschaft (2003), S. [208] - 238
- Alan Taylor: "We, the media...", Peter Lang, Frankfurt & New York, 2005, pp.418 ISBN 3631518528
- Wolfgang Janisch: Investigativer Journalismus und Pressefreiheit : ein Vergleich des deutschen und amerikanischen Rechts. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1998. 167 S. (Zugl.: Dissertation Rechts- und Wirtschaftswiss. Univ. Mainz, 1997) ISBN 3-7890-5316-3
- Klaus Stute: Investigativer Journalismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk : dargestellt am Selbstverständnis von Moderatoren des Bayerischen Rundfunks. Diplomarbeit der Universität Eichstätt 1987. 138 Bl.
Siehe auch
- Journalismustheorie
- Netzwerk Recherche
- Initiative Nachrichtenaufklärung
- Whistleblower
- Medienethik
- Muckraker
- Chantage
- Günter Wallraff
Weblinks
- Zentrum für Investigativen Journalismus - Rumänien
- Interview u.a. mit Hans Leyendecker zur Recherche bei der CDU-Spendenaffäre
- Netzwerk Recherche e.V. - unterstützt Journalisten bei investigativen Recherchen
- Die Online-Version und laufende Ergänzungen zum Buch von J. Ludwig: Investigativer Journalismus
- Rezension zu J. Roths "Ermitteln Verboten!" 2004 (PDF)
- We, the media...". The Hollywood representation of US TV news broadcast journalism, 2005 Book Publication and University Film Studies Course, J.F.K-I, F.U., Berlin, 2007: (Pacino, Reford, Hoffmann, Pfeiffer, Dunaway, Hunter) 1976-1999: http://wethemedia.edublogs.org