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Kritias (Platon)

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Der Kritias (griechisch Κριτίας, auch Ἀτλαντικός Atlantikos genannt[1]) ist ein in Dialogform verfasstes Spätwerk des griechischen Philosophen Platon. Er greift darin den im Dialog Timaios erwähnten platonischen Mythos vom Krieg zwischen Athen und Atlantis wieder auf und beschreibt beide Staaten detailliert, bricht seine Ausführungen jedoch ab. Der Kritias ist Teil einer ursprünglich geplanten Trilogie, zusammen mit Timaios und Hermokrates.[2] Aufgrund der Kürze des Kritias und seiner inhaltlichen Überschneidung mit dem Timaios werden beide Dialoge häufig als Timaios-Kritias zusammengefasst.[3]

Entstehung und Überlieferung

Überlieferung

Den modernen Editionen des Kritias liegen im wesentlichen zwei Handschriften zu Grunde. Zum einen der Codex Parisinus Graecus 1807, fol. 145-152 aus dem 9./10. Jahrhundert[4] und zum anderen der Codex Vindobonensis 55, supl. phil. gr. 39 aus dem 13./14. Jahrhundert.

Auftretende Figuren

Der Kritias umfasst die gleichen Figuren wie der Timaios.

Timaios

Hauptartikel: Timaios von Lokri

Im Gegensatz zu den drei anderen auftretenden Figuren ist bei Timaios nicht sicher, ob es sich um eine historische oder fiktive Gestalt handelt, da die beiden platonischen Dialoge Kritias und der nach ihm benannte Timaios die einzigen Erwähnungen seiner Person darstellen. Während manche Forscher von einer historischen Gestalt namens Timaios ausgehen,[5] sprechen sich andere entschieden dagegen aus,[6], und nehmen vielmehr an, dass Platon die Figur des Timaios anhand mehrerer historischer Vorbilder erfunden hat.[7] Eines dieser Vorbilder könnte der pythagoreische Philosoph Archytas von Tarent gewesen sein,[8] mit dem Platon befreundet war, den er aber nicht an Timaios' Stelle in den beiden Dialogen auftreten lassen konnte, da er zum fiktiven Zeitpunkt des Gespräches erst 17 Jahre alt war.

Kritias

Hauptartikel: Kritias

Kritias ist der Haupterzähler und daher Namensgeber des Kritias-Dialogs. Er war über seinen Urgroßvater Dropides[9] mit dem berühmten athenischen Staatsmann Solon verwandt[10] und wurde daher von Platon als Erzähler der vorzeitlichen Geschichte Athens gewählt. Zudem war Kritias mit Platon verwandt.[11] Kritias gibt an, von seinem gleichnamigen Großvater die Geschichte vom Krieg zwischen Athen und Atlantis vernommen zu haben, der sie wiederum von Solon vorgetragen bekommen hatte.[10]

Während zuvor alle Kommentatoren des Timaios und Kritias, von der Antike[12] bis in die Neuzeit[13], den literarischen Kritias ohne jeglichen Zweifel mit dem Mitglied der Dreißig Tyrannen identifizierten, entbrannte im frühen 20. Jahrhundert eine Debatte darüber, ob Platon nicht den Großvater des Tyrannen Kritias gemeint habe, der ebenfalls Kritias hieß und auch einen Großvater gleichen Namens hatte.[14] Diese Frage fand bis heute keine endgültige Antwort, da nach wie vor beide Theorien in der Fachliteratur auftauchen.

Auf der einen Seite wird argumentiert, dass zwischen dem jüngeren Kritias (460 – 403 v. Chr.) und Solon (638 – 558 v. Chr.) eine zu große Zeitspanne läge, und so die von Platon beschriebene Überlieferungskette von Solon zu Kritias unmöglich sei. Dem entgegen gehalten wird die Tatsache, dass Platons Werk voll von Anachronismen ist.[15] Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Solon von den Griechen vor Aristoteles in eine spätere Zeit datiert wurde.[16] Aus Platons Sicht mochte Solon kurz vor Anakreon gelebt haben, der noch bis zum Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. lebte.[17]

Ohnehin ist vom älteren Kritias keinerlei politische Leistung überliefert. Da er zudem bereits lange Zeit vor der Veröffentlichung des Timaios und Kritias verstarb, hätte es für Platon wohl keinen Sinn ergeben, einen Staatsmann in diesen beiden Dialogen auftreten zu lassen, der für die Zeitgenossen uninteressant weil nahezu unbekannt war.[18]

Sokrates

Hauptartikel: Sokrates

Hermokrates

Hauptartikel: Hermokrates

Bei der literarischen Figur des Hermokrates handelt es sich um den syrakusanischen Politiker und General, der auch von Thukydides,[19] Xenophon,[20] Plutarch[21] und Polyainos[22] erwähnt wird. Er hat den geringsten Anteil am Gespräch, jedoch wird ihm im Timaios ein ausführlicher Vortag in Aussicht gestellt.[23] Unklar ist, ob Hermokrates dabei noch im Kritias die Rede des Kritias hätte ergänzen sollen, oder ob seine große Rede gänzlich für den (nie geschriebenen) Hermokrates geplant war.

Inhalt

Einzelnachweise

  1. Diogenes Laertios III 60.
  2. J. Eberz: „Die Bestimmung der von Platon entworfenen Trilogie Timaios, Kritias, Hermokrates“, in: Philologus 69, 1910, S. 40-50.
  3. So etwa von Calvo & Brisson.
  4. H. D. Saffrey: „Nouvelles observations sur le manuscrit Parisinus graecus 1807“, in: American Journal of Philology 119, 1998, S. 293-307.
  5. Kranz (1967), S. 343.
  6. So etwa F. M. Cornford (1937), S. 2: „The very fact that a man of such distinction left not the faintest trace in political or philosophic history is against his claim to be a historical person. The probability is that Plato invented him because he required a philosopher of the Western School, eminent both in science and statesmanship, and there was no one to fill the post at the imaginary time of the dialogue.
  7. Thesleff (1982), S. 190: „Plato's picture of him has probably borrowed traits from various quarters.
  8. Frank (1923), S. 379.
  9. Dropides war 593/2 v. Chr. Archon, im Jahr nach Solon, laut Philostratos, Vitae sophistarum I 16,2: Vorlage:Polytonisch. Zu Dropides auch Prosopographia Attica 4573.
  10. a b Platon, Timaios 20d ff.
  11. Platons Mutter Periktione war die Tochter des Glaukon, welcher wiederum Bruder von Kritias' Vater Kallaischros war.
  12. Proklos, Kommentar zu Platons ‚Timaios‘ I p. 70, 21-24 Diehl = Schol. Plat. Tim. 20a.
  13. Etwa Jowett (1871), S. 526; oder Wilamowitz-Moellendorf (1919), S. 466.
  14. Zuerst bei Burnet (1914), S. 338.
  15. E. Zeller: Über die Anachronismen in den platonischen Gesprächen. Berlin 1873, S. 79-99.
  16. D. Fehling: Die sieben Weisen und die frühgriechische Chronologie. Bern 1985, S. 111-112.
  17. T. G. Rosenmeyer: „The Family of Critias”, in: American Journal of Philology 70, 1949, S. 404-10, insb. S. 408.
  18. Pančenko (1990), S. 137
  19. Thukydides IV 58, 65; VI 32, 35, 72f., 75, 81, 96, 99; VII 21, 73; VIII 26, 29, 45, 85.
  20. Xenophon, Hellenika I 1, 27.
  21. Plutarch, Nikias 21.
  22. Polyainos I 43.
  23. Timaios 20c5f.

Literatur

  • John Burnet: Greek Philosophy, Part 1: Thales to Plato, London 1914.
  • Tomás Calvo & Luc Brisson (Hgg.): Interpreting the ‚Timaeus-Critias‘, Sankt Augustin 1997. ISBN 3-89665-004-1
  • Benjamin Jowett: The dialogues of Plato, Bd. 3, Oxford 1871.
  • Erich Frank: Plato und die sogenannten Pythagoreer. Ein Kapitel aus der Geschichte des griechischen Geistes, Halle 1923.
  • Walther Kranz: Studien zur antiken Literatur und ihrem Fortwirken, Heidelberg 1967.
  • Dmitrij V. Pančenko: Platon i Atlantida, Leningrad 1990. ISBN 5-02-027177-2
  • Holger Thesleff: Studies in Platonic chronology, Helsinki 1982. ISBN 951-653-108-3
  • Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Platon, Band 1: Leben und Werke, Berlin 1919.