Mensur (Studentenverbindung)

Die Mensur (lateinisch mensura = Abmessung) bezeichnet seit dem 16. Jahrhundert beim Fechten den Abstand der Fechter zueinander. Heute versteht man - davon abgeleitet - unter Mensur das akademische Fechten mit scharfen Waffen (je nach Universitätsort mit Korbschläger oder mit Glockenschläger), wie es noch heute von zahlreichen Studentenverbindungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gepflegt wird. Durch Mensurverletzungen entstandene Narben auf dem Kopf und im Gesicht, die so genannten Schmisse, waren im 19. und 20. Jahrhundert ein typisches Merkmal mitteleuropäischer Akademiker.
Wesen der Mensur
Das Mensurfechten ist weder Sport noch Duell, obwohl es mit beiden Formen menschlichen Kräftemessens Gemeinsamkeiten hat. Wie beim Sport ist es durchaus üblich, mit seinem Kontrahenten ein freundschaftliches, zumindest einvernehmliches Verhältnis zu haben, auch wenn keiner dem anderen in der Auseinandersetzung etwas schenkt. (Ein gewisses Vertrauensverhältnis ist sogar die Voraussetzung für ein Paukverhältnis.) Der Unterschied zum Sport besteht darin, dass es bei der Mensur keinen Gewinner oder Verlierer gibt. Es gibt nicht mal Kriterien, nach denen ein Sieg entschieden werden könnte. Die Leistung eines jeden Paukanten wird einzeln von seinem Mensurconvent bewertet, ganz gleich, was der Gegenpaukant während der Partie gemacht hat. Die Partie wird nach "Stand", "Moral" und "Technik" bewertet. Wenn die Partie den Anforderungen des Mensurenkonventes genügt, "zieht" die Partie, ganz gleich, wer wem welche Schmisse beigebracht hat.
Die große Bedeutung des Antretens und Durchstehens ohne Rücksicht auf Austeilen und Einstecken hat die Mensur mit dem Duell gemeinsam. Aber der große Unterschied besteht in der Tatsache, dass ein Duell auf einer Ehrenstreitigkeit beruht, für die Satisfaktion (Genugtuung) gegeben werden muss. Das ist bei der Mensur ausdrücklich nicht der Fall. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht darin, dass eine Mensur nicht mit tödlichen Waffen ausgetragen wird, auch wenn eine Verletzung in Zeiten vor der Entdeckung des Penicillins manchmal einen tödlichen Ausgang nahmen. Der Verzicht auf tödliche Waffen wurde im Urteil des Göttinger Mensurenprozesses 1953 eindeutig als Bedingung für die Straffreiheit der Mensur festgelegt und ist durch den Einsatz ausgeklügelter Schutzvorrichtungen (Paukbrille, Halskrause etc.) sichergestellt.
Schlagende, besonders pflichtschlagende Verbindungen sehen die Mensur als ein (für ihre Gemeinschaft) unverzichtbares Erziehungsmittel zur Persönlichkeitsbildung. Kritisch zu sehen ist allerdings der dabei erfolgende Einsatz von Gewalt. Dabei gilt es nicht nur, sich diszipliniert und sorgfältig vorzubereiten (für saubere Technik), sondern auch, der bedrohlichen Situation gefasst entgegenzutreten und Ängste zu überwinden.
Ein Nebeneffekt ist es auch, dass Studenten, die nur von den materiellen Vorteilen einer Mitgliedschaft profitieren möchten, ohne sich selbst körperlich einzubringen, ferngehalten werden. Nichtschlagende Verbindungen haben es mit dieser körperlichen Auslese schwerer.
Arten der Mensur
Bestimmungsmensur
Wenn heute von Mensuren die Rede ist, so meint man damit meist eine Bestimmungsmensur auf Korb- oder Glockenschläger. Im Vorfeld werden die beiden Paukanten von ihrem Fechtchargierten, dem Zuständigen für den Fechtbetrieb einer schlagenden Verbindung, ausgehandelt. Sie bestimmen zum Wohle ihres Paukanten einen technisch ebenbürtigen Gegenpaukanten, daher auch der Name Bestimmungsmensur.
Eröffnet und beendet wird die Mensur heutzutage mit einem Scheingang, dem Ehrengang, bei dem die Paukanten ihre normalen Mützen aufbehalten und bei dem sich lediglich die Klingen kreuzen. Vor dem ersten scharfen Gang werden diese abgenommen. Ein Unparteiischer leitet den Ablauf der Partie und ist eine Art Schiedsrichter. Eine Partie geht je nach Comment meist über 30 bis 40 Gänge zu jeweils vier bis sechs Hieben.
Unterstützt werden die Paukanten durch jeweils einen Sekundanten, der bei Gefahr für seinen Paukanten einschreiten kann. Der Testant hat vorwiegend die Aufgabe die Klinge zu desinfizieren und gerade zu biegen. Sowohl dem Sekundanten als auch dem Testanten ist es gestattet den Unparteiischen zu konsultieren. Außerdem gibt es noch einen Schleppfux der den Arm samt Schläger zwischen den Gängen hält und lockert.
Heutzutage sind bei Einhaltung aller Sicherheitsbestimmungen bei einer Mensur tödliche Verletzungen ausgeschlossen. Dafür sorgt die ritualisierte Technik, die mit Hilfe eines Fechtlehrers ausgiebig gelernt und geübt wird. Außerdem werden die Paukanten einer ärztliche Mensuruntersuchung, auf zum Beispiel nicht richtig zusammengewachsene Fontanellen, unterzogen. Die umfangreiche Schutzbekleidung verhindert alle nicht vorgesehenen Verletzungen. Dazu gehört ein stichfestes Hemd und darüber ein Kettenhemd oder stattdessen ein Plastron, Halskrause, Stulpen und eine Paukbrille. Je nach Comment können auch Ohrenleder und / oder Wangenleder hinzukommen.
Für die möglichen kleinen Schnittverletzungen im Kopfbereich, im verbindungsstudentischen Sprachgebrauch Schmiss genannt, steht der Paukarzt zur Verfügung. Dieser kann die Partie aus medizinischen Gründen abbrechen.
Pro-Patria-Suite-Forderung und Viritim-Forderung
Viritim-Forderung oder die Pro-Patria-Suite-Forderung (PP-Suite) kamen um 1800 auf. Bei der Viritim-Forderung forderte ein Einzelner (viritim, d. h. Mann für Mann). Heute wird dies Persönliche Contrage (PC) genannt. Pro-Patria-Suite (für das Vaterland in Folge) Forderungen, werden 3 Chargen- und ebensoviele Burschen-Partien gefordert.
Mit einer Mensur-Forderung konnte Satisfaktion (Genugtuung) erlangt werden. Je nachdem, ob ein Einzelner oder eine ganze Studentenverbindung beleidigt wird, kommt es zu einer Virtim- oder PP-Suite-Forderung. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war bei den schlagenden Verbindungen das Prinzip der unbedingten Satisfaktion weit verbreitet. Dies bedeutete, dass bei einer Beleidigung unbedingt gefordert und angenommen werden musste.
Das Austragen von Mensuren zur Bereinigung von Ehrenhändeln ist heutzutage nicht mehr erlaubt (siehe Göttinger Mensurenprozess).
Säbelmensur
Die Säbelmensur mit dem schweren Säbel und scharfer Klinge wird heute nicht mehr praktiziert. Sie ist ein Duell und deshalb in Deutschland und in Österreich verboten.
Mensurbeteiligte
- 1 Unparteiischer
- 2 Paukanten
- 2 Sekundanten
- 2 Testanten
- 2 Protokollführer
- 1 Paukarzt (mindestens)
Unparteiischer
Der Unparteiische ist ein Waffenstudent, der bereits selbst eine gewisse Anzahl von Mensuren nach dem entsprechenden Paukcomment geschlagen haben muss, um als "Schiedsrichter" tätig sein zu können. Er hat während der Partie zu gewährleisten, dass sich die Anwesenden und die Mensurbeteiligten regelgerecht verhalten. Er kann jeden Anwesenden bei Störungen des Ablaufs der Partie sowie jeden an der Partie Beteiligten bei Commentverstößen aus dem Pauklokal verweisen. Grundsätzlich urteilt der Unparteiische nur auf Anfrage von anfrageberechtigten Beteiligten. Das sind in der Regel die beiden Sekundanten und die beiden Testanten. Der Unparteiische darf keiner der beiden paukantenstellenden Studentenverbindungen angehören. Er hat nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen und ist während der Partie unverletzlich und darf weder ausgelacht noch herausgefordert werden.
Paukant
Der Paukant ist der Fechter, also derjenige der die Mensur schlägt. Bei einer Mensur gibt es daher immer nur zwei Paukanten.
Sekundant
Der Sekundant ist für den Schutz seines Paukanten verantwortlich. Er überprüft die Schutzmaßnahmen des eigenen, aber auch die des gegnerischen Paukanten, damit sein eigener Schützling nicht benachteiligt ist. Während der scharfen Gänge schirmt er seinen Paukanten vor nicht erlaubten Hieben ab und fragt Verstöße beim Unparteiischen an. Dies geschieht dadurch, dass einer der beiden Sekundanten "Halt" ruft und beide Sekundanten hochschnellen und sich vor ihren Paukanten aufstellen, um sie vor weiteren Hieben zu schützen.
Testant
Der Testant hat in Bezug auf das "Anfragen" die gleichen Rechte wie der Sekundant. Auch er darf so genannte nichtcomment gemäße Hiebe in Frage stellen. Zusätzlich hat er vor jedem Gang die Klinge des Paukanten zu desinfizieren und sie auf den regelgerechten Zustand zu überprüfen. Bei jeder Mensur gibt es zwei Testanten.
Protokollführer
Die beiden Protokollführer werden durch die beiden beteiligten Studentenverbindungen gestellt. Sie stehen unmittelbar neben dem Unparteiischen und halten auf der Mensurkarte die Namen aller Beteiligten, die geschlagenen Gänge, die Pausen und die Kreiden fest.
Paukarzt
Der Paukarzt, ein approbierter Arzt, auch Mensurarzt genannt, hat bei jeder Mensur anwesend zu sein. Er ist oft selbst Mitglied einer schlagenden Verbindung. Ab höheren Partien sind in der Regel zwei Paukärzte - für jeden Paukanten einer - anwesend. Der Paukarzt entscheidet, ob ein Schmiss derartig ist, dass bei Fortsetzung der Mensur ernsthafte Folgen eintreten können. Dann wird der Paukant durch den eigenen Sekundanten abgeführt und der Paukarzt näht die entsprechenden Schmisse.
Technik
Stoßfechten
Zunächst entsprach das studentische Fechten der allgemein üblichen Fechtpraxis (Stoßfechten). Hierbei kam es nicht selten zu tödlichen Verletzungen oder schwerwiegenden Spätfolgen durch direkte Stöße beziehungsweise Stiche in den Oberkörper (zum Beispiel den so genannten Lungenfuchser). Das studentische Stoßfechten wurde ab 1767 vom Hiebfechten verdrängt, hielt sich aber vereinzelt noch bis 1860.
Hiebfechten
Mit der Zeit wurde die Technik zunehmend ritualisiert. Die Distanz der Kontrahenten verkürzte sich bis auf eine Schlägerlänge. Damit wurden Stöße unmöglich. Es entwickelte sich die heute noch praktizierte Hiebfechtkunst. Die heute verwendeten Waffen haben daher auch eine stumpfe Spitze. Das Klingenende ist nun, je nach örtlichem Fechtregelwerk (Comment), rund, flach. Ebenso ist örtlich unterschiedlich, ob das Klingenende scharf geschliffen wird.
Geschichte
Da die Schüler (Studenten) weit zu ihren Studienorten reisen mussten, wurden ihnen 1514 von Kaiser Maximilian I. von Habsburg gestattet aus Gründen der Selbstverteidigung Waffen zu tragen. Zum Erlernen der Fechtkunst beschäftigten viele Universitäten eigene Fechtlehrer. Bald wurden auch innerstudentische Auseinandersetzungen mit der Waffe ausgetragen.
Siehe auch: Waffenring, Fecht-Comment, pennales Fechten, Pauken, Paukverhältnis, Paukzeug, Schmiss, Paukant, Pauklokal, Mensurprotokoll.
Liste verbindungsstudentischer Begriffe
Rechtsprobleme der Mensur
Die Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Deutschland
Im Göttinger Mensurenprozess (1951-1953) bestätigte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, dass durch die Mensur zwar gefährliche Körperverletzungen im Sinne des Strafgesetzbuches entstehen können, diese aber durch Einwilligung des Verletzten straflos seien, wenn sie nicht im Rahmen von Ehrenhändeln vor sich gehen und wenn bei ihrer Durchführung alle erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen für die Beteiligten getroffen würden.
Österreich
Die Rechtslage in Österreich ist vergleichbar: § 90 öStGB entspricht der deutschen Einwilligungsregelung nach § 228 dStGB.
Schweiz
In der Schweiz stellte das Strafgesetzbuch von 1937 das Duell zwar als Delikt gegen Leib und Leben unter Strafe. Da es aber keine die Mensur einschließende Definition des Begriffs des Duells enthielt, blieben Mensuren meist straflos.
Die Rechtslage nach kanonischem Recht
Nach katholischem Recht waren Mensuren früher, selbst wenn sie nicht auf Tötung abzielten, unsittlich und wurden mit Kirchenstrafen bis zur Exkommunikation belegt, da sie körperlich und mental auf echte Duelle vorbereiteten.
Nachdem das Duell aufgegeben wurde, entfiel auch das Argument, dass die Mensur die Vorbereitung für das Duell wäre. Nach der neuesten Fassung des codex juris canonici (1983) steht die Bestimmungsmensur auch offiziell nicht mehr unter expliziter kirchlicher Strafandrohung, da sie nicht mehr als Vorbereitung zum Duell anzusehen ist, und wenn keine Gefahr schwerer Verletzungen besteht. Sie wird aber nach wie vor von kirchlicher Seite als sittlich verwerflich angesehen. In Betracht kommt allenfalls eine Bestrafung wegen Verstoßes gegen das allgemeine Verbot der Körperverletzung in Canon 1397; dieser sieht jedoch nur Sühnestrafen vor, hingegen keine Exkommunikation.
Die "Pflichtmensur"
Je nach Ausprägung werden heute folgende Formen von schlagenden Verbindungen unterschieden:
- Pflichtschlagende Verbindungen fordern von Ihren Mitgliedern das Schlagen (Fechten) von Mensuren in einer meist in der Satzung der Verbindung festgelegten Anzahl.
- Fakultativ schlagende Verbindungen ermöglichen ihren Mitgliedern auf deren Wunsch hin das Schlagen einer Mensur. Die Bandbreite reicht hierbei von Studentenverbindungen, deren Satzung dieses Prinzip noch enthält, aber kein Mitglied das Pauken (das Üben der Mensur) mehr erlernt hat bis hin zu Studentenverbindungen, die sich auf Grund regen Interesses der Mitglieder kaum noch von pflichtschlagenden Studentenverbindungen unterscheiden.
- Nichtschlagende Verbindungen lehnen das Schlagen von Mensuren und das Duell grundsätzlich ab. Dies kann auf Grund der religiösen Überzeugung, aber auch auf der Tradition der eigenen Verbindung beruhen.
Es gibt in Deutschland drei pflichtschlagende Korporationsverbände, die das Schlagen von Mensuren für alle ihre Mitgliedsverbindungen zwingend vorschreiben: den Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV, Kösener Corps), den Weinheimer Senioren-Convent (WSC, Weinheimer Corps) und den Coburger Convent (CC, Turnerschaften und Landsmannschaften). Die Deutsche Burschenschaft und die Deutsche Sängerschaft sind fakultativ schlagend, d.h. den Mitgliedsverbindungen ist es freigestellt, Mensuren zu verlangen oder nicht.
Weblinks
- "Warum wir fechten": Gedanken und stehend-freihändige Assoziationen zur Notwendigkeit der Mensur im 21. Jahrhundert
- Umfangreiche Erklärungen und Geschichte der Mensur
- Ein Artikel im Financial Times Magazine auf Englisch von Jonathan Green als eingescannte Bilder.
- "Hoch bitte - Los!" Erlebnisbericht von der ersten Mensur