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Industrielle Revolution

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Unter der Industriellen Revolution versteht man die industrielle Umgestaltung der Arbeits- und Sozialordnung in Europa im 18. und hauptsächlich 19. Jahrhundert. Industrielle Revolution bezeichnet den "rapiden und sozial spannungsreichen Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft" [1].

Die Industrielle Revolution ging Ende des 18. Jh. von Großbritannien aus. Im 19. Jahrhundert breitete sie sich über West- und Mitteleuropa und die USA aus. Gegen Ende dieses Jahrhunderts wurden auch Russland und Japan erfasst. Manche Entwicklungsländer durchschreiten erst heute (gegen Ende des 20. Jahrhunderts – Beginn des 21. Jahrhunderts) diesen Prozess, oder haben ihn bis heute noch nicht begonnen.

Siehe auch: Industrialisierung Frankreichs, Industrielle Revolution in Deutschland

Der Begriff Industrielle Revolution wurde von Friedrich Engels und L. Blanqui geprägt. Im historischen Rückblick wird die Industrielle Revolution oft mit der Neolithischen Revolution, dem Übergang zur Jungsteinzeit, verglichen, da diese einen vergleichbar drastischen sozialen Wandel mit sich brachte. Neben einer enormen Entwicklung der Produktivität und der Wissenschaften war die Zeit der Industriellen Revolution allerdings auch geprägt von sozialen Missständen wie zum Beispiel Pauperismus (Ausbeutung und Massenelend): die soziale Frage.

Begriffsgeschichte

Der Begriff der industriellen Revolution begann sich in Frankreich während der französischen Revolution zu entwickeln. Zu Beginn diente er als Analogie um den politischen Wandel in Frankreich und den in etwa gleichzeitig ablaufenden Veränderungen der gewerblichen Produktionsformen vor allem in Großbritannien zu vergleichen. Ähnlich war die Verwendung auch in den folgenden Jahrzehnten so 1827 in einem Bericht der Zeitung Moniteur Universel oder 1837 als Adolphe Jérôme Blanqui den Begriff in diesem Sinn verwandte. Bereits zwei Jahre später wurde er von Natalis Briavoine als Prozess- und Epochenbegriff genutzt. Außerhalb Frankreichs taucht er erstmals 1843 bei Wilhelm Schulz und 1845 in der Schrift von Friedrich EngelsDie Lage der arbeitenden Klassen in England“ auf. Auch er verglich die politische Revolution in Frankreich und die gewerbliche Entwicklung in Großbritannien. Für ihn war die industrielle Revolution eine Epochenzäsur. „... kaum kennt die Weltgeschichte ein Ereignis, welches in dem kurzen Zeitraum weniger Menschenalter so außerordentliche Veränderungen hervorgebracht, so gewaltsam in die Schicksale der gebildeten Völker eingegriffen hat und noch eingreifen wird, als die industrielle Revolution, in welche unsere Zeit begriffen ist.“ Wurde der Begriff hier auf die von England ausgehende industrielle Entwicklung begrenzt, hatte schon Schulz ihn auch auf andere Epochen angewandt. Darin folgte ihm vor allen die angelsächsische Tradition etwa John Stuart Mill. Dieser verwandte den Begriff 1848 zur Kennzeichnung jedes schnellen technologischen und sozialen Wandels. Allgemeine Verbreitung fand er allerdings erst durch Arnold Toynbee, dem man deshalb lange auch die Prägung des Begriffs zugeschrieben hatte. Je länger der Beginn der industriellen Revolution zurücklag, bildeten sich zwei Begriffsebenen heraus. Als Epochenbezeichnung wurde die historische Einmaligkeit der Entstehung der Großindustrie betont, während er als Prozessbezeichnung den Umbruch (Gesellschaftswandel) noch als etwas unabgeschlossenes deutet. Die Bedeutungsebene als Prozessbegriff verlor im 20. Jahrhundert gegenüber dem Begriff der Industrialisierung allerdings deutlich an Bedeutung.[2]

Veränderung der Produktionsweisen

Mit der Nutzung der Dampfmaschine als Grundlage der Energieerzeugung an Stelle von Wasser- und Windenergie wurde ein tief greifender technologischer Wandel eingeleitet. Mit der Umwandlung von Dampfkraft in mechanische Kraft wurde der Bau von Fabriken weit entfernt von Wasserläufen möglich. Handarbeit konnte mechanisiert werden; aus Manufakturen entwickelten sich Fabriken und damit eine neue Produktionsweise, die zuerst in der englischen Baumwollverarbeitung, dann in weiteren Industriezweigen Einzug hielt. Die Dampfmaschine beseitigte die Abhängigkeit von witterungsbedingten saisonalen Schwankungen der Energiequellen. Wind- und wassergetriebene Mühlen oder Pumpen wurden durch Dampfgetriebe ersetzt. Die Energiekapazitäten der kleinen Mühlen und Manufakturen vermochten nicht mit der Dampfenergie zu konkurrieren.

Dabei wurden vorhandene Prinzipien der Herstellung durch neue ersetzt (Landes, Wohlstand, S. 205): "menschliche Fertigkeit und Anstrengung durch die - ebenso schnell wie gleichmäßig, präzise und unermüdlich arbeitende - Arbeits-Maschine"; "belebte durch unbelebte Kraftquellen, insbesondere durch die Erfindung von (Kraft-)Maschinen, die Wärme in Arbeit umwandeln und damit eine nahezu unerschöpfliche Energie eröffnen"; "Verwendung neuer Rohmaterialien in größeren Mengen, vor allem die Ersetzung pflanzlicher und tierischer Substanzen durch anorganische und schließlich synthetisch hergestellte Materialien".

Technologische Entwicklung

Technischer Fortschritt

Allgemein ließ sich eine starke Entwicklung neuer Erfindungen feststellen, diese waren insbesondere bei der neuartigen Nutzung nicht-menschlicher Energie und im Textilgewerbe auszumachen. Die Zahl der gültigen Patente wuchs in England von 102 im Jahr 1750 auf 6155 im Jahr 1850. So überarbeitete James Watt 1769 die Dampfmaschine, die ehemals von Thomas Newcomen erfunden worden war. Sofort erkannten die Unternehmer die Effektivität dieser Dampfmaschine. Die Einführung der Dampfmaschine führte zu einer noch stärkeren Intensivierung der Industrie. So wurde z.B. die Textilindustrie von den vorher heimischen Kleinproduktionsstätten in große Fabriken umgelagert, wo dampfbetriebene Webstühle schnell und produktiv Stoffe herstellten. Die Textilindustrie gab weiteren Branchen den Anstoß sich zu entwickeln und wird daher als Schlüsselindustrie der Industriellen Revolution in England bezeichnet.

Folglich war eine höhere Nachfrage an Brennstoffen, was den Kohleabbau hervorbrachte, der durch weitere Erfindungen immer produktiver wurde. Aus der Dampfmaschine wurde die Eisenbahn erfunden und ermöglichte eine enorme Produktivitätssteigerung im Transportwesen. Nach und nach brachte die Industrialisierung so durch bis heute fortschreitende Spezialisierung neue Gewerbe hervor.

Die Spinnmaschine und der mechanische Webstuhl

Im 18. Jahrhundert waren zwei Kleidergarnituren ein Luxus; dies bot den Textilproduzenten die Möglichkeit zur Absatzsteigerung bei preiswerteren Produkten. 1760 wurden in England etwa 1.300 Tonnen Baumwolle verarbeitet; 1860 waren es 190.000 Tonnen - eine Steigerung auf fast das hundertfünfzigfache. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der größte Teil der aus den Kolonien importierten Baumwolle in Heimarbeit verarbeitet: Die ganze Familie war beschäftigt. Doch die Weber konnten mehr Garn verarbeiten als vier Spinner(innen) in der selben Zeit händisch produzieren konnten. Die Nachfrage an Garn führte dazu, dass der Preis enorm anstieg und sogar Preise für Erfindungen ausgesetzt wurden, die Garnproduktion und Qualität steigern konnten.

Die Ratinger Textilfabrik Cromford gilt als erste Fabrik auf dem europäischen Kontinent

Die technologische Revolution begann zunächst in England: James Hargreaves entwickelte 1764 eine Spinnmaschine, die nach seiner Tochter „Spinning Jenny“ benannt wurde. Nur fünf Jahre später entwickelte Richard Arkwright die Waterframe, welche mit Wasserkraft betrieben wurde. Durch diese Kombination konnte der Techniker Samuel Crompton 1779 mit einer Weiterentwicklung noch viel feineres Garn herstellen. Anfangs gegenüber Ausländern geheim gehalten und in England durch Patente geschützt, wurde die Waterframe 1783 mittels Industriespionage für die deutsche Textilfabrik Cromford kopiert; von dort aus verbreitete sich das mechanisierte Spinnen über den europäischen Kontinent, später auch in die USA. Die Produktion wurde nochmals enorm gesteigert, als die Dampfmaschine die Wasserkraft ablöste. Das Ergebnis war, dass ein Spinner zu Beginn des 19. Jahrhunderts soviel Garn erzeugen konnte wie 200 Arbeiter vor der Erfindung der „Jenny“. Das bedeutete aber gleichzeitig das Ende der Heimindustrie – sie konnte nicht mehr mit den größeren, dampfbetriebenen Maschinen Schritt halten. Anfang des 19. Jahrhunderts arbeiten etwa 100.000 in den entstandenen Spinnfabriken. Der Preis des Garns sank enorm. Ergebnis: Die billig gewordenen Baumwolltextilien ließen den Absatz in England steigen und machten 1830 mehr als die Hälfte des Exports Englands aus.

Die Weberei blieb der Modernisierung in der Spinnerei lange zurück – bis der Londoner Pfarrer Edmund Cartwright 1784 den mechanischen Webstuhl erfand; aber er benötigte etwa 50 Jahre, bis er sich endgültig durchsetzen konnte. Der Grund war, dass gut 250.000 Handweber erbitterten und brutalen Widerstand leisteten und sogar Fabriken niederbrannten, aus Angst um ihren Berufsstand und vor der Modernisierung. Der Aufstand blieb aber erfolglos, denn die Idee der unbeschränkt freien Wirtschaft hatte sich durchgesetzt.

Die Dampfmaschine

James Watt

Vor der Industrialisierung waren die Menschen beim Produzieren auf die eigene Kraft und auf die von Wasser, Wind und Tieren angewiesen. Es gab aber schon Menschen, die sich mit dem Bau von Kraftmaschinen beschäftigten – es fehlte aber oft an technischen Möglichkeiten um ihre Ideen zu verwirklichen.

Erst James Watt verband Wissenschaft und Praxis: Als Mechaniker sollte der gelernte Uhrmacher an der Universität Glasgow ein kleines Modell der Newcomenmaschine reparieren und wurde dabei auf die Schwächen dieser Dampfmaschine aufmerksam. Von da an testete er in jahrelangen Versuchsreihen die Eigenschaften des Dampfes und die Verwendbarkeit verschiedener Metalle. Trotzdem lag zwischen seiner neuen Dampfmaschine als Modell (1765) und einer kaufmännisch verwertbaren, wesentlich leistungsfähigeren Arbeitsmaschine mehr als ein Jahrzehnt. Unterstützt und finanziert wurde Watt von dem Industriebaron Matthew Boulton, der die hohen Entwicklungskosten und die erste Fertigung der Maschine mitfinanzierte.

Diese Dampfmaschine wurde innerhalb kurzer Zeit zur wichtigsten Arbeitsmaschine in den verschiedensten Bereichen (Pumpen, Hämmer, Gebläse und Walzen wurden dadurch angetrieben).Ein Grund, wieso Boulton soviel Geld in dieses Projekt steckte war wohl der, dass Watt seine Erfindung hatte patentieren lassen – somit war jegliche Konkurrenz ausgeschaltet. Mit dem königlichen Patent durfte man schon seit dem 17. Jahrhundert Erfindungen auf begrenzte Zeit alleine nutzen. Das Patent wurde sogar vom Parlament verlängert.

Kohleabbau und Schwerindustrie

Seit dem 16. Jahrhundert wurde in England Kohle für den Hausbrand und herkömmliche Industrie verwendet. Um 1800 nahm der Bedarf noch zu, als Holzkohle durch das Roden der Wälder knapper und teurer wurde. Anfangs wurde nur im Tagbau abgebaut – aufgrund der fehlenden Pumpen für den Untertagbau (Wasserpumpen für das Schmutzwasser). Seit der Dampfmaschine (als Antrieb für Wasserpumpen) konnte Kohle aus immer größeren Tiefen abgebaut werden. Sie wurde auch zum Befördern von Menschen und Material in den Schächten genutzt und ferner als Zugmaschine für beladene Karren auf Holz-, später dann Eisenschienen eingesetzt (gegen Ende des 18. Jahrhunderts).

Für die Eisenerzeugung wurde (bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts) Holzkohle verwendet – obwohl Abraham Darby schon 1709 aus Steinkohle Koks herstellte und damit Eisen zum Schmelzen brachte. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts konnte gutes Eisen billig und in großen Mengen erzeugt werden, welche anfänglich vor allem als Kriegsgerät verarbeitet werden sollten. Es wurden aber auch Gegenstände des Hausgebrauchs und für die Industrie hergestellt. Trotzdem brauchte man mehrere Tage um 10 Tonnen Stahl zu erzeugen. Henry Bessemer erfand 1855 die effizientere „Bessemerbirne“. Aber schon zuvor hatte Eisen Holz und Stein als Werkstoff abgelöst (kleine Gebäude, Brücken, Schiffe, Gegenstände aus Blei).

Datei:Over London by Rail.jpg
Eisenbahn durch London

Verkehrsmittel

Wichtige Bestandteile der Industriellen Revolution waren neben der Fortentwicklung der Dampfmaschine die Entwicklung maschinell betriebener Fahrzeuge wie der Dampflokomotive durch Richard Trevithick, Timothy Hackworth, John Blenkinsop und George Stephenson und des Dampfschiffs durch Robert Fulton zu Beginn des Jahrhunderts. Mit Lokomotiven und Dampfern konnten Waren über Land und Meer sehr schnell und innerhalb einer berechenbaren Zeit transportiert werden, da die Dampfaggregate gleich bleibende Energie lieferten.

Ökonomische Entwicklung

Adam Smith

Kapitalbildung und zentralisierte Produktion

Die Industrialisierung verlangte Kapital, welches von Banken, adeligen Großgrundbesitzern, Kaufleuten, dem Kolonialhandel und Handwerkern kam. Es wurden außerdem Kapitalgesellschaften gegründet, die es erlaubten die Investitionssumme auf mehrere Gesellschafter zu verteilen und gemeinsame wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Nordenglische Grubenbesitzer verbanden sich mit Londoner Kohlehändlern; Brauereibesitzer mit Malzlieferanten und Erfinder mit Kapitalgebern, Maschinenbauer mit Spinnereien. Neue Fabriken wurden gegründet (Gründerzeit), die vertikale Mobilität in der Gesellschaft erlaubte den Aufstieg zum Unternehmer. Technische Erfindung wurde genutzt und verbessert, die Arbeitsteilung und Spezialisierung vorangetrieben und die Betriebe vergrößert. Zudem nahm die Pro-Kopf-Erzeugung in der englischen Industrie stetig zu. Auch der Absatz der Massengüter war gesichert: In England, in den Kolonien und in Kontinentaleuropa, wo englische Produkte bis in das 19. Jahrhundert den Markt beherrschten. Als Hochkapitalismus wird schließlich die Zeit zwischen der ersten Weltwirtschaftskrise 1857 und 1918 bzw. der 2. Weltwirtschaftskrise 1929 verstanden.

Wirtschaftsliberalismus

Parallel dazu war der englische Wirtschaftsliberalismus, genauer die Klassische Nationalökonomie eine wichtige wirtschaftspolitische Voraussetzung für den Beginn der industriellen Revolution. Die liberale Wirtschaftsordnung Englands im 18. Jh. wurde durch den schottischen Moralphilosophen Adam Smith erstmals detailgetreu beschrieben und als ursächlich für den Wohlstand der Nationen bewertet.

Adam Smith wurde maßgeblich durch das Zeitalter der Aufklärung geprägt, dass in der Folge das Ende des Feudalismus in Europa, die Aufhebung der Zünfte und die Gewerbefreiheit mit sich brachte.

Die Klassische Nationalökonomie brach mit der politischen Ökonomie des bis dahin vorherrschenden Merkantilismus. Im Gegesatz zu diesem hält die klassische Nationalökonomie jede nützliche Arbeit für produktiv. Indem sie dem persönlichen Wohl dient, nützt sie auch der Gesellschaft. Monopole, die im Merkantilismus als nützliche Einnahmequelle für den Staat angesehen wurden, lehnte Adam Smith ab. Die Unsichtbare Hand wurde zur vorherrschenden Wirtschaftstheorie. Auf der moralphilosophischen Seite formulierte Smith, nicht eine höhere Instanz, sondern der Mensch selbst setze sich seine Schranken. Das war ein positives Bild vom Menschen als Persönlichkeit und brach mit dem bis dahin vorherrschenden Menschenbild eines Leviathan von Thomas Hobbes'.

Der Staat zog sich zurück, übernahm verstärkt ordnungspolitische Funktionen, garantierte den Bürgern Eigentumsrechte und England führte 1799 die income tax ein. Das industrielle Bürgertum konnte sich herausbilden.

Bevölkerungswachstum und Urbanisierung

Eine wichtige Antriebskraft für die Industrialisierung war die Bevölkerungsexplosion ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis spät ins 19. Jahrhundert. Während im 18. Jahrhundert die Sterberate etwa so hoch war wie die Geburtenrate, erhöhte sich die Zahl der Bevölkerung während der industriellen Revolution explosionsartig. Erst reichte die ursprüngliche Form der Landwirtschaft nicht aus, um die schnell wachsende Bevölkerung Englands zu ernähren, da diese noch auf der Dreifelderwirtschaft basierte. Folglich musste eine Agrarrevolution für mehr Nahrung sorgen. Die Dreifelderwirtschaft wurde durch die viel produktivere Fruchtwechselwirtschaft und ertragreichere Feldfrüchte ersetzt. Das Bevölkerungswachstum durch die Landwirtschaftliche Revolution Groß-Britanniens des 16. bis 19. Jh. wurde durch die Industrielle Revolution noch zusätzlich durch die Mechanisierung der Landwirtschaft beschleunigt. Weitere Gründe für die Bevölkerungszunahme waren, neben der besseren Nahrungsmittelversorgung, Fortschritte in der Medizin (Entdeckung der Viren und Bakterien) und Hygiene (Gesunderhaltung durch generalisierte Verhaltensweisen) auch die Bauernbefreiung und somit die selbstverantwortliche landwirtschaftliche Bodennutzung auf Basis von Eigentum oder Pachtverträgen. Ausführlich wurden die daraus resultierenden wirtschaftlichen Anreize in Investitionen in eine höhere Ertragkraft des landwirtschaftlich genutzten Bodens im Gegensatz zum Feudalsystem von Adam Smith in seiner Publikation "Wohlstand der Nationen" beschrieben.

Erstmals galt die heute selbstverständliche freie Berufswahl, die Gewerbefreiheit, die freie Wahl des Wohnsitzes und des Ehepartners im damaligen England. Viele Bauern verkauften ihr kleines, oft unrentables Stück Boden oder gaben ihren Pachtvertrag auf. Die vorwiegend ländlichen Heimarbeiten konnten mit der wachsenden und billigeren Konkurrenz der Fabrikerzeugnisse nicht mehr mithalten. Hunger und wachsende Armut trieb die schnell wachsende ländliche Bevölkerung in die neu gegründeten und schnell wachsenden Industriestädte. Die einsetzende Landflucht war eine direkte Folge der Industrialisierung. Kleinbauern und Landlose fingen an, in die Städte abzuwandern und dort Arbeit zu suchen. Diesen Vorgang nennt man Urbanisierung. Arbeiter für die Industrielle Revolution standen also ausreichend zur Verfügung. Millionen von Menschen wanderten auch in die USA oder andere Staaten in „Übersee“ aus, weil sie keine Zukunft in den heimischen Städten sahen.

Der Übergang zur Industrialisierung verlief dabei nicht konfliktfrei, so kam es in England zur Erhebung der Maschinenstürmer ("Ludditen"). Arbeiter sahen ihren Lebensunterhalt bedroht und protestierten gegen diese Entwicklung teilweise mit Gewalt und Sabotage von Fabriken.

Soziale Frage

Hauptartikel: Soziale Frage
Gustave Doré, Ein Hundeleben, 1872

Mit der landwirtschaftlichen Revolution ging die Zeit der Hungersnöte in Westeuropa zu Beginn der industriellen Revolution zu Ende. Die jedoch nun schnell wachsende landlose Bevölkerung, die in die Städte strömte, traf auf eine für eine wesentlich kleinere Stadtbevölkerung ausgelegte Infrastruktur. Rechtsstaatliche Regelungen für die neu entstehenden Arbeitsverhältnisse gab es noch gar nicht. Die Lebenserwartung des Arbeiters blieb gering. Die sozialen Missstände wurden im 19. Jahrhundert unter dem Begriff Soziale Frage diskutiert und verschiedene Lösungsansätze bildeten sich heraus.

Arbeitsbedingungen

Durch das Angebot an Arbeitskräften aus dem Zustrom überzähliger Landarbeiter und in der industriellen Konkurrenz unterlegener Handwerker konnten Unternehmer teilweise mit Löhnen nahe dem Existenzminimum produzieren und erzielten einen bis heute unerreichten relativen Reichtum.

Die Arbeitsbedingungen waren schwer und es herrschte strenge Arbeitsdisziplin. Arbeiter die aufbegehrten oder arbeitsunfähig waren, konnten mangels wirksamer Arbeitsmarktgesetzgebung durch neue Landflüchtlinge ersetzt werden. In englischen Industriestädten betrug die durchschnittliche Lebensarbeitszeit bis zur "Arbeitsunfähigkeit" etwa 15 Jahre. Das Durchschnittsalter der Industriearbeiter in Manchester lag bei nur 18 Jahren. Der Arbeitslohn konnte bei zehnminütigem Zuspätkommen um einen halben Tageslohn gekürzt werden. Ebenso konnten bei fehlerhafter Arbeitsleistung oder Werkzeugbruch Lohnabzug verhängt werden. Üblich waren auch Verlängerung der täglichen Arbeitszeit (bis zu 18 Stunden), keine Sonntagsruhe, unzureichender oder fehlender Arbeitsschutz (Transmissionsbänder der Dampfmaschinen waren eine große Gefahrenquelle). Es gab auch keine Altersversorgung, Unfallversicherung oder Schutz gegen Willkür durch Vorgesetzte, wie z.B. Kündigungsschutz.

Der Gesetzgeber kannte zu dieser Zeit keine oder kaum regulierende ordnungspolitische Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt (s.a. Manchesterkapitalismus). Polizei und Militär dienten innenpolitisch primär der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Arbeiterunruhen und Hungerdemonstrationen wurden oft brutal niedergeschlagen und führten zu Verletzten, Toten sowie Inhaftierungen und auch Hinrichtungen der Anführer.

Frauen- und Kinderarbeit

Die Arbeiter verdienten oftmals zu wenig um ihre Familie zu ernähren. So mussten vor allem in kinderreichen Familien auch Frauen und Kinder Lohnarbeiten annehmen. Frauen arbeiteten in Heimarbeit anstatt wie früher im Verlagssystem, sowie in der bedeutenden Textilindustrie. Frauen waren bei Arbeitgebern sehr beliebt, da sie psychisch sehr belastbar waren und somit auch länger und intensiver arbeiten konnten.

Die Kinderarbeit gibt es in der ländlichen Familienwirtschaft seit Menschengedenken, aber mit der Industrialisierung nahm sie im 18. und 19. Jahrhundert in Europa und den USA Ausmaße an, die die Gesundheit und Bildung der Arbeiterkinder massiv beeinträchtigte. Kinder wurden auch im Untertagebau eingesetzt, da sie kleiner waren und deswegen in kleinen Schächten effektiver arbeiteten als Erwachsene. In England arbeiteten Kinder im Sommer bis zu 64 und im Winter 52 Stunden in der Woche unter Tage. In Webereien (Cotton Mills) waren sogar 80 Stunden pro Woche üblich.

1833 wurde das erste Gesetz zum Schutz der Kinder in England erlassen: Arbeitsverbot für Kinder unter 9 Jahren in Textilfabriken, Nachtarbeitsverbot und maximal 12-Stundentag für Jugendliche unter 18 Jahren. Etwa zehn Jahre später folgte ein Verbot der Untertagearbeit für Kinder (Mindestalter: 10 Jahre) und Frauen. Ähnliche Gesetze wurden bald darauf in Deutschland und Österreich (Arbeitsverbot für Kinder unter 12) erlassen. Preußen erließ deshalb 1839 das Preußisches Regulativ, das Kindern unter zehn Jahren die Arbeit in Fabriken verbot, sowie ein Sonntags- und Nachtarbeitsverbot für 10-16 jährige. Im Jahr 1853 wurde das Mindestalter für die Fabrikarbeit auf zwölf Jahre angehoben (9 Jahre plus 3 Jahre Schulpflicht). Die Gewerbeaufsicht wurde zur Durchsetzung der Gesetze gegründet. Im Handwerk, Gewerbe und vor allem in der Landwirtschaft gab es weiterhin keinen gesetzlichen Schutz für Kinder. Obwohl Kinder fast genauso viel wie ein Erwachsener arbeiten mussten, bekamen sie nur ca. 1/10 des durchschnittlichen Lohnes eines Mannes.

Die Wohnungssituation

Datei:Glasgow-slum.png
Slum in Glasgow, 1871

Durch das Wachstum der Städte wuchs auch die Wohnungsnot. Es bildeten sich Slums, behelfsmäßige Wohnbezirke ohne Anbindung an die städtische Infrastruktur sowie Mietskasernen. Zudem war es üblich sich einen Schlafplatz im Schichtbetrieb mit einem Schlafburschen zu teilen. Die Wohnungsnot war für heutige Verhältnisse in Industrienationen ohne Gleichen, bis zu 10 Personen wohnten auf 14m². Es fehlte in den Slums an Wasser- und Abwasserleitungen (für mehr als hundert Menschen gab es nur eine Toilette). Später wurden für die Arbeiter massiver gebaute, mehrgeschossige Mietskasernen errichtet. Wasser und Klosett gab es für alle gemeinsam am Gang. Die Wohnungen der Industriellen Revolution hatten bis zum Bauhaus durch die Bauweise mit Innenhof nur wenig Licht (Berliner Zimmer) und waren oft feucht. Die Wohnungsknappheit verursachte hohe Mietkosten für die Arbeiter, die bis zu drei Viertel des Lohns ausmachte.

Lösungsversuche der Sozialen Frage

Zur Lösung der sozialen Frage bildeten sich verschiedene gesellschaftliche und politische Organisationen und Parteien neu: Die Arbeiterbewegung, die Organisationen der Kirchen, die auf den Grundsätzen der christlichen Soziallehre aufbauen, die neu gegründeten Gewerkschaften und neue politische Parteien wie die SPD die Labour Party (England), die SP (Schweiz) und die kommunistische Partei.

Zudem erließ der Gesetzgeber nach und nach zahlreiche Gesetze und Verordnungen und gründete zu deren Durchsetzung neue Exekutiven, die schließlich in der umfangreichen Sozialgesetzgebung heutiger Industrienationen mündete.

Ursachen der Industriellen Revolution

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Zu den Ursachen bzw. Gründen der Industriellen Revolution in England zählen:

  • Wirtschaft
    - eine gut entwickelte und leistungsstarke Geld- und Kreditwirtschaft
    - im Gegensatz zu Kontinentaleuropa ein hoch entwickelter Wirtschaftsliberalismus ohne Zunft- und Zollschranken
    - eine mit Investitionen - vornehmlich aus dem Überseehandel - vertraute Gesellschaft
  • Gesellschaft und Arbeit
    - genügend verfügbare Arbeitskräfte durch ein kräftiges Bevölkerungswachstum im 18. und 19. Jh.
    - die religiöse Weltanschauung in GB (Calvinismus) förderte Tugenden wie Fleiß, Gewinnstreben und Investitionsbereitschaft
    - Erfahrungen mit zentralisierter Produktion, Manufakturen
    - hohe landwirtschaftliche Produktivitätsverbesserungen, Landwirtschaftliche Revolution, Fruchtfolge
    - hohes Maß an Rationalität und Naturbeherrschung im europäischen Denken
    - geringere gesellschaftliche Unterschiede zwischen Adel und Bürgertum
    - wirtschaftliche Betätigung des englischen Adels in Handel und Kreditwirtschaft
  • Politik
    - Parlamentarismus
    - Bestreben wirtschaftliche Verluste durch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung auszugleichen
    - Rechtssystem mit Eigentums-, Handels- und Patentrecht
    - politische Emanzipation des Bürgertums
    - Hoher Konkurrenzdruck zwischen den europäischen Staaten
  • Infrastruktur und Ressourcen
    - günstige Verkehrswege (Meer, Flüsse, Kanäle und Straßen) und deren effizienter Ausbau
    - natürliche Rohstoffressourcen (Kohle, Erze, Baumwolle)
    - das Empire als Rohstofflieferant und Markt
    - Vormachtstellung als Handels- und Kolonialmacht: England hatte sich im Dreißigjährigen Krieg, im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und den Kriegen zuvor diese Position erkämpft
    - Umstellung auf Steinkohle durch Mangel an Holz und da Holz nicht heiß genug verbrannte, um die zur Stahlerzeugung notwendige Temperatur zu erhalten.

Quellen

  1. http://www.bpb.de/wissen/NAIUWJ,0,0,Industrielle_Revolution.html
  2. Dietrich Hilger: Industrie als Epochenbegriff: Industrialismus und industrielle Revolution. In: Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd.3. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982. S.286-296

Siehe auch

Industrialisierung, Automatisierung, Technischer Fortschritt;
Urbanisierung;
Kapitalismus;
Zweite industrielle Revolution, Digitale Revolution
Revolution; Sozialer Wandel

Literatur

  • Christoph Buchheim: Industrielle Revolutionen. Dtv, München 1994, ISBN 3-423-04622-8
  • Fernand Braudel: Sozialgeschichte des 15. - 18. Jahrhunderts. 3 Bände. Kindler, München 1985/86 (Originaltitel: Civilisation matérielle, économie et capitalisme, XVe - XVIIIe siècle)
  • Hans-Werner Hahn: Die Industrielle Revolution in Deutschland. 2. Auflage. Oldenbourg, München 2005, ISBN 3-486-57669-0
  • Friedrich Hayek: Capitalism and the Historians, The University of Chicago Press, ISBN 0-226-32072-3 (Taschenbuch 1963)
  • Eric Hobsbawm: The Age of Revolution, 1962, Nachdruck 1996, B&T, ISBN 0679772537
  • David Landes: Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind. Siedler-Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-88680-525-5
  • Toni Pierenkemper: Umstrittene Revolutionen. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Fischer, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-596-60147-9