Zum Inhalt springen

Piltdown-Mensch

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 3. Juni 2007 um 09:42 Uhr durch 62.47.23.78 (Diskussion) (Artikel von H. De Vries und K. P. Oakley in "Nature", 1959). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der so genannte Piltdown-Mensch war eine wissenschaftliche Fälschung. Er besteht aus den Fragmenten eines Schädels und eines Unterkieferknochens, die vor 1912 in einer Kiesgrube bei Piltdown gefunden wurden. Der Piltdown-Mensch wurde benannt nach dem Dorf Piltdown in der Nähe von Uckfield, Grafschaft Sussex, Südostengland. Von diesen Fragmenten behaupteten die damaligen britischen Experten, dass es die Überreste einer bisher unbekannten Form des frühen Menschen seien. Dem Exemplar wurde der lateinische Name Eoanthropus dawsoni gegeben, zu Ehren seines Entdeckers Charles Dawson (1864–1916), eines britischen Amateurarchäologen.

Die Suche nach dem Urheber dieser Fälschung dauerte jahrzehntelang an und brachte einen umfangreichen Bestand an Literatur hervor.

Der Fund

Die besonderen Merkmale des Fundes waren eine große, dem modernen Menschen ähnelnde Schädelkapsel und ein Unterkiefer, der an einen Menschenaffen erinnerte. Aus dieser Kombination wurden weit reichende Schlussfolgerungen zur Stammesgeschichte des modernen Menschen abgeleitet. Unter anderem wurde daraus geschlossen, dass die Entwicklung zum modernen Menschen in Europa stattgefunden habe und dass sich beim Menschen bereits sehr früh ein großes Gehirn entwickelte. Die ersten Australopithecus-Funde, so das Kind von Taung, wurden daher von britischen und US-amerikanischen Paläoanthropologen jahrzehntelang nicht als Vormenschen anerkannt.

Deutsche und französische Forscher hatten hingegen aufgrund genauer Kenntnis der Neandertaler-Funde von Beginn an Zweifel an der Aussagekraft der Piltdown-Fragmente. Die Bedeutung des Piltdown-Menschen blieb daher 40 Jahre lang umstritten, bis er 1953 als Fälschung entlarvt wurde. Unbekannte hatten den Schädel eines modernen Menschen und den geschickt manipulierten Unterkieferknochen eines Affen im Steinbruch von Piltdown vergraben.

Die Entdeckung

Die genauen Umstände, unter denen der Piltdown-Schädel entdeckt worden ist, wurden nur unzureichend dokumentiert. Dawson zufolge sei ihm 1908 bei einem Besuch der Piltdown-Kiesgrube von einem Arbeiter ein erstes Fragment eines menschlichen Schädels übergeben worden. Er habe daher in den folgenden Jahren die Kiesgrube wiederholt aufgesucht und mehrere weitere Schädelfragmente entdeckt. Diese Funde übergab er jeweils Arthur Smith Woodward, dem Kustos der geologischen Abteilung des British Museum. Woodward war an den Fundstücken sehr interessiert und begleitete Dawson mehrfach zur Fundstelle, wo sie gemeinsam zwischen Juni und September 1912 weitere Teile des Schädels und eine Hälfte eines Unterkieferknochens fanden, bei dem der Gelenkansatz fehlte. Zeitweise beteiligte sich auch Pierre Teilhard de Chardin an den Grabungen in der Kiesgrube.

Am 18. Dezember 1912 gaben Arthur Smith Woodward und Charles Dawson während eines Treffens der Geological Society of London bekannt, die Schädelfragmente seien ein epochemachender Fund. Die von ihm anhand der gefundenen Fragmente angefertigte Rekonstruktion des Schädel ähnele weitgehend dem eines modernen Menschen, mit Ausnahme des Occiput (einer Region am Übergang des Schädels zur Wirbelsäule), der Größe des Gehirns (die nur ungefähr Zweidrittel eines modernen Menschen ausmache), der bloß annähernd menschenähnlichen Zähne und des Kieferknochens, der sich nicht von dem eines heutigen jungen Schimpansen unterscheide. Gestützt auf die hohe wissenschaftliche Autorität des British Museum interpretierte Woodward die Funde von Piltdown als ein Missing Link zwischen Menschenaffe und Mensch. Die Bekanntgabe der Entdeckung fand sofort ein großes Interesse sowohl in der Fachwelt als auch in der britischen Bevölkerung: Die Tageszeitung Manchester Guardian hatte bereits Anfang Dezember 1912 über den Fund berichtet, mit der Folge, dass das Treffen der Geological Society of London so gut besucht war wie keines zuvor.

Vor allem für die britischen und einige US-amerikanischen Paläoanthropologen stellte der Fund eine Bestätigung ihrer theoretischen Überlegungen dar, dass die Entwicklung eines großen Gehirns Voraussetzung für die Menschwerdung gewesen sei und das Größerwerden des Gehirns der Ausbildung anderer Merkmale des modernen Menschen voraus gegangen sei. Daher blieb die früh einsetzende Kritik an Woodwards Rekonstruktion der Piltdown-Fragmente weitgehend unbeachtet. Am Royal College of Surgeons wurden beispielsweise Kopien der Fragmente für eine Rekonstruktion verwendet, die hinsichtlich der Größe des Gehirns und anderen Eigenschaften dem modernen Menschen wesentlich stärker ähnelte als Woodwards Rekonstruktion. Das Ansehen, das Woodward unter seinen Fachkollegen genoss, verhinderte jedoch letztlich jede offene Kritik an seiner Rekonstruktion.

1915 behauptet Dawson, dass er Fragmente eines zweiten Schädels (Piltdown II) an einer Stelle gefunden habe, die etwa zwei Meilen vom Ort der ursprünglichen Funde entfernt lag. So weit bekannt, wurde die in Frage kommende Stelle niemals identifiziert und die Funde scheinen völlig undokumentiert zu sein.

Gedenken an die Entdeckung

Am 23. Juli 1938 enthüllte Sir Arthur Keith in der Nähe von Barkham Manor ein Denkmal, um die Stelle zu kennzeichnen, wo der Piltdown-Mensch von Charles Dawson entdeckt wurde. Sir Arthur beendete seine Ansprache mit den Worten:

So lange wie ein Mensch an seiner seit langem vergangenen Geschichte interessiert ist, an den Unbeständigkeiten, die unsere frühen Vorfahren durchmachten und an den wechselnden Ereignissen, die sie ereilten, so lange ist der Name von Charles Dawson unseres Gedenkens sicher. Wir tun gut daran, seinen Namen mit dieser malerischen Ecke von Sussex zu verbinden – dem Schauplatz seiner Entdeckung. Ich habe nun die Ehre, diesen Monolithen zu enthüllen, der seinem Andenken gewidmet ist. Originaltext

Die (übersetzte) Widmung auf dem Gedenkstein lautet:

Hier im alten Flusskies fand Mr. Charles Dawson, FSA, 1912–1913 den fossilen Schädel des Piltdown-Menschen. Die Entdeckung wurde von Herrn Charles Dawson und Sir Arthur Smith Woodward im Quarterly Journal of the Geological Society 1913–15 beschrieben.

Der nahe gelegene Pub wurde zu Ehren des Fundes in „The Piltdown Man“ umbenannt.

Die Entlarvung der Fälschung

Die Entlarvung der Piltdown-Fälschung am 21. November 1953 durch Angestellte des British Museum und anderen Institutionen wurde in vielen akademischen Kreisen mit Erleichterung aufgenommen. Der Piltdown-Mensch war zuvor bereits als Abweichung betrachtet worden, die vollständig im Widerspruch zur wesentlichen Hauptrichtung menschlicher Evolution stand, wie sie zwischenzeitlich entdeckte fossile Hominiden zeigten, die an anderen Orten gefunden worden waren. Es wurde gezeigt, dass der Piltdown-Mensch eine zusammengesetzte Fälschung ist, zur Hälfte Affe und zur Hälfte Mensch. Er bestand aus einem menschlichen Schädel des Mittelalters, dem 500 Jahre alten Unterkiefer eines Sarawak Orang-Utans und aus den fossilen Zähnen eines Schimpansen. Das Aussehen von Alter wurde erzeugt, indem man die Knochen mit einer Eisenlösung und Chromsäure einfärbte. Für den Fälscher machte der Bereich Schwierigkeiten, wo sich der Kiefer an den Schädel anschließt. Dieses Problem wurde dadurch gelöst, indem er die Enden des Kiefers abbrach. Die Zähne im Kiefer wurden passend gefeilt, und es war dieses Feilen, das zu Zweifeln über die Glaubwürdigkeit des gesamten Stücks führte: Man bemerkte durch Zufall, dass die Spitze eines der Backenzähne im Vergleich mit den anderen Zähnen in einem stark unterschiedlichen Winkel abgeschrägt war. Mikroskopische Untersuchungen zeigten Schleifspuren an den Zähnen, und man folgerte daraus, dass die Zähne bearbeitet worden waren, um ihre Form zu verändern, da Affenzähne eine andere Form als menschliche Zähne haben. Die vielleicht unglaublichste Enthüllung war ein „Artefakt“ in der Nähe der Knochen, von dem die Wissenschaftler glaubten, es sei ein Werkzeug oder der Teil eines Skeletts, von dem sich aber später herausstellte, dass es ein Kricketschläger ist.

Der Grad der technischen Kompetenz, der an der Piltdown-Fälschung gezeigt wurde, bleibt weiterhin ein Diskussionsthema. Jedoch liegt das besondere Wesen der Fälschung darin, dass sie den damaligen Experten genau das anbot, was sie suchten: Den überzeugenden Beweis, dass die menschliche Evolution vom Gehirn ausging — und in Europa stattgefunden hatte. Sie glaubten an die Gültigkeit der Rekonstruktion, weil sie ihnen das spiegelte, wonach sie suchten. Es wurde auch vermutet, dass Nationalismus und Rassismus ebenso eine Rolle bei der Akzeptanz des Fossils als Original spielten: Es war zuvor nämlich bereits gefordert worden, dass die Briten einen „Ersten Briten“ bräuchten, um ihn gegen die fossilen Funde von Hominiden zu stellen, die in anderen Teilen der Welt, inklusive Frankreich und Deutschland, gefunden worden waren.

Der Fälscher

Die Identität des Piltdown-Fälschers bleibt unbekannt. Verdachtsmomente zeigten auf Dawson, Woodward, Teilhard de Chardin, und sogar der Name von Arthur Conan Doyle wurde, neben vielen anderen, erwähnt. So gut wie jeder, der jemals mit dem Fund in Berührung kam, wurde irgendwann der Tat verdächtigt. Die Motive des Fälschers bleiben ebenfalls unbekannt, es wurde aber vermutet, dass die Täuschung ein Streich war, der außer Kontrolle geriet.

Einige Wahrscheinlichkeit spricht heute dafür, dass Martin A.C. Hinton, der zur Zeit des Fundes Kurator des Museums war, der vielversprechendste Kandidat für die Rolle des Piltdown-Fälschers ist. Er hinterließ einen Schrankkoffer im Lager des Naturgeschichtlichen Museums in London, der 1970 gefunden wurde. Der Koffer enthielt Tierknochen und Zähne, die in einer Art und Weise gefeilt und gefärbt waren, die den Piltdown-Funden ähnelten. Erst nach Erfindung der Altersbestimmung durch die Radiokarbonmethode konnte man 1959 nachweisen, dass sowohl Schädel als auch Unterkiefer nur wenige hundert Jahre alt waren. Unmittelbar nach der Entlarvung des Fundes im Jahre 1953 war eine Datierung mit Hilfe der Radiokarbonmethode noch nicht möglich, da zur Gewinnung der erforderlichen Menge an Kohlenstoff (2 Gramm) die Objekte vollständig zerstört werden hätten müssen. Im Jahr 2003 veranstaltete das Naturgeschichtliche Museum eine Ausstellung, um an den 50. Jahrestag der Entlarvung zu erinnern.

Populäre Kultur

Mike Oldfield führt auf seinem Album Tubular Bells (von 1973) den „Piltdown man“ als eines der Instrumente an, die er in seinem Album spielt. Dies verweist auf einen Teil des Albums (dem zweiten Stück), das zweifellos durch die frühen Hominiden inspiriert wurde und einer rauen Stimme gesungen wurde. In der Neubearbeitung des Albums von 2003 heißt dieser Teil „Caveman“.

Im März 1994 führte Apple Computer den Power Macintosh 6100 ein. Er war der erste aus der Power-Macintosh-Reihe, der den Codenamen „Piltdown Man“ trug. Etwas später im selben Jahr wurde das Macintosh Computerspiel Marathon 2 herausgebracht, das ein Computerterminal besaß und in dessen Kopfzeile das Wort „piltdown“ stand. Vermutlich soll seine Verwendung darauf hindeuten, dass die Mitteilung des Terminals nicht vollständig wahr ist und der vermutete ‚Sender’ nicht existiert.

Im Buch Scientology: A History of Man des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard wird der Piltdown-Mensch als einer der Vorfahren der Menschheit angeführt. Er beschreibt, dass er „riesige“ Zähne habe und „ziemlich unvorsichtig ist, wen oder was er beisst“. Mehrere Monate nach der Veröffentlichung von Hubbards Buch wurde der Piltdown-Mensch als Täuschung entlarvt.

Die Kurzgeschichte „Dagon“ von H. P. Lovecraft verweist auf den Piltdown-Menschen.

In „Der Psychiater“, einer Episode der Fawlty Towers, wurde Basil Fawlty auf einen Besucher aus der Unterschicht als ein „Piltdown Weichei“ hingewiesen.

Siehe auch