Apostasie im Islam
Apostasie im Islam, meist Ridda oder Irtidad genannt, (arabisch ردة ridda, ارتداد irtidâd) bezeichnet den Abfall vom Islam und wird nach islamischem Recht (Schari'a) in einigen Ländern mit der Todesstrafe bedroht.
In islamisch geprägten Ländern ohne islamische Gerichtshöfe hat der bekundete „Abfall vom islamischen Glauben“ zivilrechtliche (Erbrecht, Eherecht, Strafrecht ) Konsequenzen.
Islamisches Recht
Derjenige, der vom Islam abgefallen ist, wird Murtadd (Apostat) genannt. Nach dem klassischen islamischen Recht ist die Todesstrafe die allgemein anerkannte und in der Sunna des Propheten verankerte Strafe für Apostaten. Dabei beziehen sich die verschiedenen Rechtsschulen auf überlieferte Aussagen des Propheten Mohammed, Hadith, wie: „tötet denjenigen, der seine Religion wechselt“. Diese für die Verurteilung eines Apostaten maßgebliche Anweisung des Propheten wird schon im Muwatta' des Malik ibn Anas im 8.Jahrhundert und in den kanonischen Hadithsammlungen der Traditionswissenschaft einstimmig überliefert. Seltener wurden Koranstellen zur Untermauerung des Todesurteils herangezogen, etwa 9:11-12 oder 16:106.
Der o.g. Prophetenspruch bezieht sich ausschließlich auf den Abfall vom Islam, denn die Schari'a kümmert sich naturgemäß nicht um den Religionswechsel der Angehörigen der anderen monotheistischen Religionen. Selbst in Fällen, in denen der Abfall vom Islam keine strafrechtlichen Konsequenzen hat, drohen in vielen islamischen Ländern zivilrechtliche Folgen, die dort mit dem klassischen islamischen Recht begründet werden. Strafen können sein:
- Die Ehe zwischen dem Apostaten und dem muslimischen Ehepartner wird aufgelöst (z.B. Nasr Hamid Abu Zaid),
- die gemeinsamen Kinder bleiben Muslime und sind vom muslimischen Elternteil zu erziehen,
- erbrechtliche Ansprüche eines Apostaten/Apostatin sind islamrechtlich erloschen,
- das Vermögen des Apostaten wird vom Staat eingezogen.
Mit Ausnahme der hanafitischen Rechtsschule ist nach historischer Rechtsauffassung auch die Apostatin zu töten; Schwangere aber erst nach der Niederkunft. Für Frauen ist bei den Hanafiten lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen.
Arten der Apostasie im islamischen Recht
Das islamische Recht zählt, auch in seinem zeitgenössischen Verständnis, vier Arten der Apostasie – im folgenden nach dem islamischen Begriff „Ridda“ genannt – auf: [1] -
- Ridda in Glaubensfragen und:
- Ridda durch Aussagen
- die Leugnung von Gottes Attributen; Gott andere Wesen (wie Gottessohn) zuschreiben;
- den Koran oder Teile davon leugnen;
- Mohammed der Lüge bezichtigen;
- Verbotenes, für erlaubt erklären (wie „Unzucht“ und Alkoholgenuß);
- Gotteslästerung, sei es aus Überzeugung, aus Spaß, oder durch Verspottung; denn im Koran steht:
- „Und wenn du sie fragst (und wegen ihrer spöttischen Bemerkungen zur Rechenschaft ziehst, sagen sie: 'Wir haben nur geplaudert und gescherzt (w. gespielt).' Sag: Wie konntet ihr euch über Gott und seine Zeichen (oder: Verse) und seinen Gesandten lustig machen? Ihr braucht keine Entschuldigungen vorzubringen. Ihr seid ungläubig geworden, nachdem ihr gläubig waret...“ (Sure 9:65-66)
- Verspottung oder Beleidigung des Propheten. Es herrscht Übereinstimmung unter den Gelehrten aller Rechtsschulen darüber, daß die Verspottung Mohammeds, seiner Abstammung, die Leugnung seiner Sendung Ridda ist. Denn in einem solchen Fall liegt Religionswechsel vor und konnte somit genauso bestraft werden wie jeder Apostat: so die Hanafiten und Hanbaliten. Der Lehre der Schafiiten nach ist dieses Vergehen mehr als nur Ridda: derjenige, der den Propheten verspottet, beleidigt oder verleugnet ist zum einen ein kafir, zum anderen ein Lästerer über den Propheten.
- Ridda durch Taten
- Die Mißachtung des Korans dadurch, daß man ihn oder Teile davon wegwirft: das gilt als Mißachtung von Gottes Wort und somit der Tatbestand der Ridda erfüllt.
- Die Verehrung von Götzenbildern, der Sonne oder dem Mond ist „Unglaube“ (kufr) und somit Ridda des Muslims, der es praktiziert.
- Ridda durch Unterlassung
- Die Unterlassung des Gebets aus Überzeugung gilt als Ridda. Die Unterlassung des Gebets aus Faulheit wird nach den überlieferten Aussagen vieler Prophetengefährten in der Lehre der Malikiten, Hanbaliten und Schafiiten als Ridda geahndet. Nach den Hanafiten ist eine solche Person ein Frevler/Sünder; er konnte solange eingesperrt werden, bis er die vorgeschriebenen fünf Gebete wieder verrichtetete.
- Die Bestrafung des Apostaten obliegt dem Herrscher; tötete ihn aber ein anderer Muslim, so wird er dafür lediglich getadelt (ta'zir), da er durch seine Tat die dem Herrscher vorbehaltenen Rechte, die Todesstrafe zu verhängen, ignoriert hatte.
- Die Aufforderung des Apostaten zur Reue
In der frühislamischen Geschichte bezeichnete die Ridda das Abfallen der arabischen Stämme Zentralarabiens von der Religion, die unmittelbar mit der Verweigerung der Zakat-Zahlungen an den ersten Kalifen Abu Bakr nach dem Tod des Propheten Mohammed verbunden war. Die abgefallenen Stämme wurden daraufhin gezwungen, den Islam anzunehmen. In jener Zeit waren auch einige nach der islamischen Tradition „falsche Propheten“ in Zentralarabien aktiv. Für die historische Bedeutung der Ridda spricht die Tatsache, dass islamische Historiographen des 8. Jahrhunderts diese Ereignisse in den sog. Ridda-Büchern (kutub al-ridda) nach älteren, überwiegend mündlichen Überlieferungen verarbeitet haben.
Heutige Situation in verschiedenen Ländern
Im Sudan, Jemen und Iran sowie in Saudi-Arabien, Qatar, Pakistan, Afghanistan, Somalia und in Mauretanien kann Abfallen vom Islam noch heute mit dem Tode bestraft werden, und es werden vereinzelt auch Hinrichtungen durchgeführt, so etwa im Jahre 2000 bei einem somalischen Staatsbürger. Der Gelehrte Mahmud Muhammad Taha wurde im Sudan am 18. Januar 1985 offiziell wegen „erwiesener Apostasie“ hingerichtet. Pakistan plant im Jahre 2007 die Einführung eines Gesetzes, das die Todesstrafe für männlicher Apostaten und lebenslange Haft für weibliche vorsieht. Zwei muslimische Zeugen sollen für eine Veruteilung ausreichen. [2]
Muslime im Iran, die zu einer anderen Religion konvertieren, gelten als der Apostasie schuldig und werden mit der Todesstrafe oder mit lebenslanger Haft bestraft. Frauen werden eher mit lebenslanger Haft bestraft. [3][4] Im Jahre 2002 wurde der Hochschullehrer Haschem Aghadschari im Iran wegen Apostasie zum Tode verurteilt, weil er gesagt hatte, die Muslime sollen islamischen Geistlichen nicht „wie Affen“ folgen. [5]
In anderen islamisch geprägten Ländern, in denen heute nicht mehr offiziell der Tod auf den Abfall vom Islam steht, wird der Mord an einem Murtadd oft nicht geahndet, da solch ein Mord von weiten Teilen der Bevölkerung gebilligt wird.
2005 wurde in Ägypten ein Mann, der zum Christentum übertrat, zwangsweise in die psychiatrische Anstalt eingewiesen und später auch von der Polizei gefoltert. [6] Ägypten ist ansonsten ein Land, das den Mord an Apostaten streng verfolgt, wie das Schicksal des Schriftstellers Faradsch Fauda zeigt, dessen Mörder hingerichtet wurden.
2006 drohte in Afghanistan Abdul Rahman wegen Konversion zum Christentum die Todesstrafe, bis das Verfahren – laut offiziellen Angaben wegen Verfahrensmängeln − vor der Prozesseröffnung eingestellt wurde. Er wurde für geisteskrank erklärt, und bekam von Silvio Berlusconi in Italien Asyl.
In Libyen wird ein Abfall vom Islam mit dem sofortigen Verlust der Staatsbürgerschaft sanktioniert.
Nach der Verfassung Malaysias sind per Dekret alle ethnischen Malaien von Geburt an Muslime. Ein Abfall vom Islam ist nach den neusten Urteilen nicht mehr möglich, da Scharia-Gerichte den Übertritt absegnen müssten. Die Scharia-Gerichte tun dies jedoch nicht, da nach der Scharia ein Abfall vom Islam nicht geduldet werden kann[7] Davor war er nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich und erforderte viel Zeit und Geduld. Dazu war ein Borang Keluar Islam (Formular zum Austritt aus dem Islam) auszufüllen und über einen längeren Zeitraum der Beweis anzutreten, wirklich nicht mehr zum Islam zurückkehren zu wollen (i.A. ca. zwei Jahre). Hierzu fanden regelmäßig Gespräche mit einem Imam statt. Die Verfassung verbrieft zwar Religionsfreiheit, de facto ist ist der Weg den Islam zu verlassen verbaut.
Auch in Europa müssen Apostaten vom Islam mit Morddrohungen rechnen, beispielhaft ist nach eigener Darstellung die Situation für die Mitglieder des deutschen Zentralrates der Ex-Muslime.
Der Fatwa-Ausschuss der Azhar über die Tötung von Apostaten

Ein Rechtsgutachten (fatwa) des Fatwa-Ausschusses der Azhar, der renommiertesten Institution des sunnitischen Islam, über die Tötung von Apostaten aus dem Jahr 1978. Übersetzung des Originaldokumentes aus dem Arabischen:
- "al-Azhar. Fatwa-Ausschuss.
- Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes.
- Frage des Herrn Ahmad Derwisch; er hat diese Frage durch Herrn (Name nicht sichtbar), deutscher Staatsangehörigkeit, vorgelegt:
- Ein Mann muslimischen Glaubens und ägyptischer Staatsangehörigkeit heiratete eine Frau christlichen Glaubens und deutscher Staatsangehörigkeit. In Übereinstimmung der Eheleute trat der genannte Muslim in die christliche Religion ein und schloss sich dem christlichen Glauben an.
- 1 - Was ist das Urteil des Islams über den Status dieser Person mit Hinblick auf die islamischen Strafen?
- 2 - Werden seine Kinder als Muslime oder als Christen angesehen? Was ist das Urteil?"
Die Antwort:
- "Alles Lob gebührt Gott, dem Herrn der Welten. Segen und Friede sei mit dem Siegel der Propheten, unserem Herrn Muhammad, seiner Familie und allen seinen Gefährten.
- Hiermit erteilen wir Auskunft: Da er vom Islam abgefallen ist, wird er zur Reue aufgefordert. Zeigt er keine Reue, wird er islamrechtlich getötet.
- Was seine Kinder betrifft, so sind sie minderjährige Muslime. Nach ihrer Volljährigkeit, wenn sie im Islam verbleiben, sind sie Muslime. Verlassen sie den Islam, werden sie zur Reue aufgefordert. Zeigen sie keine Reue, werden sie getötet.
- Und Gott der Allerhöchste weiß es am besten.
- Siegel des Ausschusses. Der Vorsitzende des Fatwa-Ausschusses in der Azhar.
- (gez. unleserliche Unterschrift). Datum: 23. September 1978
- Siegel mit Staatswappen: Die Arabische Republik Ägypten. Al-Azhar. Der Fatwa-Ausschuss in der Azhar."
Meinungen britischer Muslime zur Apostasie
Bei einer repräsentativen Meinungsumfrage unter 1003 britischen Muslimen 2006 waren 36 Prozent der 16-24-Jährigen der Meinung, dass Muslime, die sich einem anderen Glauben zuwenden, getötet werden sollten. Auch sagen dies 19 Prozent der über 55-Jährigen.[8]
Siehe auch
Sachthemen
Personen
- Nasr Hamid Abu Zaid
- Aziz Nesin
- Taslima Nasreen
- Nagib Mahfuz
- Ayaan Hirsi Ali
- Abdul Rahman (Konvertit)
- Salman Rushdie
Literatur
- Frank Griffel: Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-Gazâlîs Urteil gegen die Philosophie und die Reaktion der Philosophen. Brill, Leiden 2000, ISBN 9004115668
- R. Peters, G.J.J. de Vries: Apostasy in Islam. In: Die Welt des Islams. 17/1976–1977, S. 1–25
- Yohanan Friedmann: Tolerance and Coercion in Islam. Interfaith Relations in the Muslim Tradition. Cambridge University Press, Cambridge 2003, ISBN 0521827035
- Ibn Warraq: Leaving Islam: Apostates Speak Out
- The Encyclopaedia of Islam. Supplement. Fasc.9-10. S. 692-695, Brill, Leiden 2004, ISBN 90-04-13214-7
Quellen
- ↑ Nach: Die Enzyklopädie des islamischen Rechts; al-mausūʿa al-fiqhiyya. Kuwait. Ministerium für religiöse Angelegenheiten und fromme Stiftungen (waqf). Bd. 22. S.180ff. Kuwait 2003.
- ↑ Asia News vom 9.5.2007
- ↑ Asylgutachten Amnesty International Deutschland Deutschland
- ↑ Spiegel online vom 5. Juni 2006
- ↑ Profile: Hashem Aghajari, BBC, July 9, 2003
- ↑ Meldung, IGFM, 5. Juli 2005
- ↑ .NZZ vom 31.5.2007
- ↑ Junge britische Muslime wenden sich verstärkt dem Islam zu
Weblinks
- Zentralrat der Ex-Muslime in Deutschland
- Wissenschaftlicher Aufsatz zur Apostasie im Islam (Grundlage dieses Artikels)
- [1] (Dr. Muhammad Salim Al-`Awwa: Ablehnug der Tötung auf Islamonline, Website auf Englisch)
- Fatwa über die Bestrafung für Muslime, die sich vom Islam abwenden