Frau Holle
Frau Holle ist eine mitteleuropäische Sagengestalt und Figur im gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm (siehe Grimms Märchen).
Das Märchen
Inhalt
Ein Mädchen wird von seiner Stiefmutter gegenüber deren leiblicher Tochter immer zurückgesetzt. Schließlich springt es aus Angst vor der Stiefmutter in einen Brunnen, um eine verlorene Spindel zu finden. Es trifft in der Brunnenwelt, die sich gleichzeitig aber auch über den Wolken befindet, auf mehrere Bewährungsprüfungen. So will ein reifer Obstbaum geschüttelt und ein fertiges Brot vor dem Verbrennen im Ofen gerettet werden. Das Mädchen kommt den Hilferufen ganz selbstverständlich nach. Zuletzt trifft es auf Frau Holle, eine „alte Frau“, die „lange Zähne hatte“. Es tritt in ihre Dienste und hat nunmehr vor allem ihre Betten auszuschütteln, worauf es dann auf der Erde schneit. Nach einiger Zeit bittet das Mädchen um seinen Abschied, wird mit einem Regen von Gold überreichlich überschüttet und kehrt nach Hause zurück, begrüßt vom Hahnenschrei: „Kikeriki! Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie!“
Ihre hässliche und faule Stiefschwester nimmt daraufhin den gleichen Weg, versagt bei den Prüfungen und versieht auch ihren Dienst erwartungsgemäß ungenügend, wird daher von Frau Holle entlassen und mit einem lebenslang an ihr haftenden „Pechregen“ bestraft.
Sozialer Hintergrund
Im Märchen wird der ehedem häufige innerfamiliäre Konflikt behandelt, als viele Frauen im Kindbett starben, die Witwer oft neu heirateten und miteinander konkurrierende Halbgeschwister zeugten.
Die Heimat dieses Märchens ist nicht eindeutig festzulegen, da es mehrere Regionen gibt, in welchen die Bewohner behaupten, Frau Holle sei in einem ihrer Berge zu Hause (so werden der Hohe Meißner zwischen Kassel und Eschwege, die Hörselberge bei Eisenach bzw. der Hörselberg und der Ort Hollerich genannt).
Interpretation
Mythologisch scheint das Märchen älteren Stoff zu verarbeiten. So ist zunächst einmal das Springen in den Brunnen mit der sich anschließenden Reise in die Anderswelt zu nennen (siehe unten).
Eugen Drewermann interpretiert Frau Holle als ein Märchen, das auf die philosophische und religiöse Frage nach dem Sinn des Leidens eine Antwort gibt und die scheinbare Unordnung und Ungerechtigkeit des Seins erklärt. Alles, was Frau Holle an Wesenseinsichten vermittelt, lässt sich im Rahmen der Naturmythologie an den Gestalten von Sonne, Mond, Erde ablesen. Die Goldmarie als Sonnenmädchen, die Pechmarie als Mondgestalt. Frau Holle (Hulda, Berchta) als die große Göttin, die Mutter Erde, zu der man gelangt, wenn man den Weltenbrunnen in die Unterwelt hinabsteigt. Und die Stiefmutter als die Frau Welt, die Schlechtigkeit der äußeren, materiellen Welt, die Gegenspielerin von Frau Holle.
Eine andere psychologische Interpretation des Märchens [1] weist darauf hin, dass die Station am Apfelbaum mit der Akzeptanz des Frauenkörpers und der Sexualität, die Station am Ofen mit der Akzeptanz der Weiblichkeit und des Kinder gebärens zusammenhänge.
Belletristik
Das Motiv der Gaben der Zauberfrau aus dem Brunnen findet sich bei den Brüdern Grimm auch in Das blaue Licht. Auch Die Regentrude von Theodor Storm wohnt in der durch eine hohle Weide zugänglichen Unterwelt.
Sonstiges
Das Märchen wurde im Jahre 2006 mit dem Preis Deutschlands schönstes Märchen ausgezeichnet.
Weitere Sagen

Neben dem bekannten Märchen der Gebrüder Grimm existieren noch weitere Sagen um Frau Holle, die der Volkskundler Karl Peatow gesammelt hat. Zahlreiche archaische Motive in diesen Sagen deuten nach der Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth auf das hohe Alter dieser Gestalt, die ihrer Meinung nach auf eine großen Muttergöttin der Jungsteinzeit zurückgeht[2].
Häufig wird 'Frau Holle' mit der germanische Totengöttin Hel, nach anderen Theorien auch mit Frigg identifiziert.
Sie wurde auf zahlreichen Bergen verehrt. Viele Sagen um Frau Holle sind in der Region des Hohen Meißners in Osthessen überliefert. Der Frau-Holle-Teich soll unendlich tief und der Eingang zu ihrer Anderswelt sein, die auch im Märchen der Gebrüder Grimm beschrieben wurde.
Nach anderen Sagen segnet Frau Holle die grünenden Fluren im Frühjahr, indem sie über Felder und Wiesen schreitet, wodurch der Saft in die Pflanzen schießt und die Natur erwacht. Frau Holle soll auch den Menschen zahlreiche Kulturtechniken wie Spinnen und Weben gelehrt haben.
Einige Sagen berichten davon, wie Frau Holle in der Gestalt der Muhme Mählen die Seelen der Menschen prüft: Als alte und hilflose Frau bittet sie um Nahrung und Obdach. Diejenigen, die ihr helfen, werden reich belohnt. Wenn Menschen aber aus Geiz diese Hilfe ablehnen, werden sie bestraft. So schlug z.B. der reiche und hartherzige Bauer des Honighofes in Wickenrode (Hessen) seine Tochter, weil sie einer alten Frau (Frau Holle) zu essen und trinken gegeben hatte und hetzte seine Hunde auf diese. Als Strafe verbrannte Frau Holle den Hof. Der Bauer und sein Sohn kamen im Feuer um, während seine Tocher von den Flammen beschützt wurde.
Zur Zeit der Raunächte, zwischen 23. Dezember und 5. Januar (in dieser Zeit musste die Hausarbeit ruhen), soll sie zur Erdoberfläche aufgestiegen sein, um nachzusehen, wer das Jahr über fleißig oder wer faul war. Daher wird sie heute auch mit der von Tacitus erwähnten Mythengestalt Nerthus in Verbindung gebracht.
Im hessischen Volksmund ist Frau Holle für die Schneemenge im Winter verantwortlich, denn je gründlicher sie ihre Betten ausschüttelt, desto mehr schneit es auf der Erde.
Im süddeutschen Raum findet sich eine ähnliche Sagengestalt unter dem Namen Perchta, auch Harke oder Harre sind Namen verwandter Gestalten.
Heide Göttner-Abendroth hat in ihrem Buch „Frau Holle – das Feenvolk der Dolomiten“ versucht, die Sagen um Frau Holle chronologisch zu ordnen und entsprechend der von ihr vertretenen Matriarachtstheorie zu rekonstruieren.
Einzelnachweise
- ↑ [1]
- ↑ vgl. Heide Göttner-Abendroth: Frau Holle – Das Feenvolk der Dolomiten, Königstein / Taunus 2006, S. 136
Literatur
- Gebrüder Grimm: Kinder und Hausmärchen (Wikisource)
- Karl Peatow: Frau Holle. Volksmärchen und Sagen, Husum 1986
- Heide Göttner-Abendroth: Frau Holle – Das Feenvolk der Dolomiten, Königstein / Taunus 2006