Gesamtschule
Die Gesamtschule in Deutschland ist eine Form der weiterführenden Schule, die Kinder nach der Grundschule mindestens bis zur 10. Klasse besuchen können. Sie ist in mehreren Bundesländern eine Alternative zum traditionellen dreigliedrigen Schulsystem (mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium) geworden. Nach der 10. Klasse kann an die Gesamtschule eine gymnasiale Oberstufe anschließen, während ein Teil der Schüler in berufliche Ausbildungsgänge außerhalb der Gesamtschule wechselt.
Wird die Gesamtschule nicht neben dem dreigliedrigen Schulsystem, sondern als alleinige Schulform mindestens bis zur 9. Klasse etabliert, wird im 20. Jahrhundert meist nicht von "Gesamtschule", sondern von Einheitsschule gesprochen.
In der Schweiz wird unter einer "Gesamtschule" eine Dorfschule verstanden, in der die Schüler mehrerer Jahrgänge gemeinsam unterrichtet werden (vgl. Zwergschule).
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Ziele
Gesellschaftspolitisch soll das Konzept der Gesamtschule, verstärkt als Ganztagsschule, einer Entwicklung entgegen wirken, in der sich Schüler aus unterschiedlich sozialisierten Gesellschaftsgruppen (z. B. Akademiker, Arbeiter etc.) frühzeitig fremd werden. Heranwachsende aus potenziellen Randgruppen lernen mit und von leistungsmäßig "besseren" Schülern - und alle gemeinsam lernen, mit Mitmenschen aus allen Schichten umzugehen und diese bei Bedarf auch anzuleiten. Dieses Ziel wurde jedoch bisher nur ansatzweise erreicht, da die Gesamtschule zum einen mit dem dreigliedrigen Schulsystem (Gymnasium, Realschule, Hauptschule) konkurriert und zum anderen die schichtspezifische Zusammensetzung einer Schulklasse sehr von der Struktur des Einzugsgebietes der Schule (Arbeitersiedlung, wohlhabender Vorort etc.) abhängt.
Ein politisches Ziel der Gesamtschule ist es, möglichst vielen Schülern einen höheren Bildungsabschluss zu ermöglichen. Kritiker wenden allerdings ein, dies gehe häufig mit einer Reduzierung des Niveaus einher.
Deutlich zu sagen ist, dass die Schulform der Gesamtschule besondere didaktische Kompetenzen der Lehrer erfordert: Denn wenn eine äußere Differenzierung nach Leistung entfällt, muss sich der Unterricht weitaus stärker am Prinzip der Binnendifferenzierung ausrichten.
Einie Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen haben außerdem an allen Gesamtschulen des Landes Schulsozialarbeit installiert. Diese und andere Unterstützungen in der Ausstattung von Gesamtschulen sollen die besonderen Umfeldprobleme dieser Schulart auffangen helfen. Schulsozialarbeiter sind aber auch an anderen Schulformen tätig.
Aufbau von Gesamtschulen in Deutschland
Unterschieden werden integrierte Gesamtschulen und kooperative Gesamtschulen. In der integrierten Gesamtschule werden die Schülerinnen und Schüler nur in einzelnen Fächern nach Leistung und Anforderungen in verschiedene Kurse aufgeteilt. In der kooperativen Gesamtschule gibt es nebeneinander Klassen des Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweiges. Lediglich einzelne Fächer wie Sport werden gemeinsam unterrichtet.
In Deutschland ist die Gesamtschule neben dem Gymnasium die einzige Schulform, die Kinder und Jugendliche in der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II durchgehend besuchen können, wenn die örtliche Gesamtschule über eine gymnasiale Oberstufe verfügt.
Geschichte der Gesamtschule in Deutschland
Die Geschichte der Gesamtschule ist, gemessen etwa an der des Gymnasiums, relativ kurz. Die zugrunde liegende Idee, eine Schule für alle Kinder und Jugendlichen einzurichten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Fähigkeiten und Neigungen und ihrem künftigen Beruf, reicht dagegen weit zurück.
Forderungen, alle Kinder des Volkes in einer Einheitsschule (Gesamtschule) zu unterrichten, lassen sich in Deutschland bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Comenius setzte sich in seinem Werk "Große Didaktik", im Unterschied zu zeitgenössischen Forderungen, drei verschiedene grundständige Schulen – Bauern-, Bürger- und Gelehrtenschulen – einzurichten, für ein einheitliches, in Stufen gegliedertes Schulsystem ein. Den Ausgangspunkt seiner pädagogischen Überlegungen stellte die Gleichheit aller Menschen vor Gott dar.
Die erste ausführliche Konzeption für eine Gesamtschule legte 1809 der preußische Kultusminister Wilhelm von Humboldt vor. Das von ihm de facto angeregte humanistische Gymnasium wurde allerdings in sozialer Hinsicht das genaue Gegenteil.
Erst 1919 führte die Weimarer Verfassung eine Gesamtschule ein, und zwar die vierjährige Grundschule für die Sechs-bis Zehnjährigen. Gleichzeitig wurde die Unterrichts- oder genauer Schulpflicht eingeführt - zuvor konnten reiche Eltern ihre Kinder auch zuhause oder in einer auf das Gymnasium vorbereitenden Vorschule unterrichten lassen. Weiterhin gab es so genannte Mittelschulen bzw. Gymnasien, die neben oder nach der Volksschule zu höheren Abschlüssen führten. In Österreich gibt es bis heute eine Beschulungspflicht (dort Unterrichtspflicht genannt); jedoch keine Schulpflicht.
Die Odenwaldschule, Heppenheim, ist eine integrierte und die älteste Gesamtschule (1910 gegründet). Eine der ersten Gesamtschulen in Deutschland war die Waldorfschule in Stuttgart (1919 gegründet).
1947 verordnete der Alliierte Kontrollrat auf amerikanische Initiative den Deutschen in der Kontrollratsdirektive 54 der Intention nach ein Gesamtschulsystem. Alliierte Bildungsexperten hielten es für zu früh, Kinder bereits nach vier Jahren Grundschule in verschiedene Schultypen zu verteilen. Sie sahen darin einen der Gründe für die Anfälligkeit der Deutschen für die rassistische NS-Ideologie, denn das gegliederte Schulsystem löse bei einer kleinen Gruppe ein Überlegenheits- und bei der Mehrzahl der Schüler ein Minderwertigkeitsgefühl aus. Doch gelang es den deutschen Bildungspolitikern, durch Verzögerung der Umsetzung wieder stärker an die Weimarer Schultradition anzuknüpfen.
Im Bildungssystem der DDR wurde auf diktatorischem Weg die Einheitsschule wie in allen Ostblockstaaten durchgesetzt, die von der SED zur einheitlichen Erziehung zum "sozialistischen Menschen" genutzt wurde. Sie reichte von der Grundschule (Unterstufe) bis zur 8. Klasse bzw. ab spätestens 1984 bis zur 10. Klasse in der Polytechnischen Oberschule (POS). Die Erweiterte Oberschule (EOS), die nur gut 10 Prozent der Schüler in vier bzw. zwei Jahren zum Abitur führte, schloss sich erst ab der 9. Klasse bzw. ab der 11. Klasse an.
Der Begriff Gesamtschule wurde 1963 auch als Abgrenzung zur sozialistischen Einheitsschule in der DDR vom West-Berliner Schulsenator Carl-Heinz Evers geprägt.
Die Kritik am horizontal gegliederten Schulsystem der Bundesrepublik und die positiven Erfahrungen mit ausländischen Schulreformen, vor allem in England und Schweden, führten zur Wiederaufnahme der Diskussion. Zugleich war der Blick auf die Schulsysteme in den USA, der UdSSR und der DDR gerichtet. Jedoch nicht nur eine Veränderung der Struktur des Schulsystems, sondern auch der Unterrichtsorganisation, der Unterrichtsmethoden sowie der Bildungsziele und –inhalte wurden gefordert. Also zielten die Motive einerseits auf mehr Modernisierung, andererseits auf mehr soziale Gerechtigkeit. Integration benachteiligter Gruppen anstatt "Aussonderung" war das Ziel.
Der Deutsche Bildungsrat forderte die Einrichtung von Schulversuchen mit Gesamtschulen, um die anstehenden gesellschaftspolitischen Entscheidungen über die Strukturveränderungen der Schule auf wissenschaftlich begleitete und kontrollierte Versuche stützen zu können. In Deutschland wurden staatliche Gesamtschulen ab Mitte der 1960er Jahren als Schulversuche eingerichtet.
Wurde anfangs der Beschluss des Bildungsrates auch von CDU-Politikern mitgetragen, so kam es in den folgenden Jahren doch zu einem "Schulkampf" zwischen CDU und SPD. Dies hatte mit der zeitgleichen Machtverschiebung im Bund und den Ländern zugunsten der SPD zu tun. Diese Partei machte in der 1970er Jahren die Gesamtschule zum schulreformerischen Kernstück ihrer Politik. Daraufhin expandierte die Gesamtschule, was in Gymnasien und - nicht nur bei konservativen Politikern - auf Ablehnung stieß.
Ein Höhepunkt dieses Konfliktes war 1978 der Versuch der SPD/FDP-Landesregierung, in NRW die Gesamtschule flächendeckend einzuführen. Die oppositionelle CDU, die Mehrzahl von Lehrer- und Elternverbänden sowie die Kirchen veranstalteten Großkundgebungen und Flugblattaktionen. Es bildete sich die Initiative "Stoppt das Schulchaos", die vom 16. Februar bis 1. März 1978 mehr als 3,6 Millionen Unterschriften gegen die kooperative Gesamtschule sammelte und so die erforderliche 20 Prozent-Hürde für ein Volksbegehrens weit übertrafen[1]. Das neue Schulgesetz wurde so verhindert.
"Zwischenfazit"
Vorgesehen wurde 1972, nach 10 Versuchsjahren zu entscheiden, ob die Gesamtschule das bessere Konzept sei, und im positiven Fall sollte sie als alleinige Schulform eingeführt werden. Die Bewertung blieb strittig. 1982 endete der Schulversuch "Gesamtschule". Je nach parteipolitischer Ausrichtung der Regierung der einzelnen Bundesländer wurden diese Versuche als hochgradig erfolgreich angesehen oder für gescheitert erklärt.
Hier drei Beispiele: Berlin baute die Gesamtschule zur Regelschule aus, Bayern löste fast alle Gesamtschulen bis 1993 wieder auf (Ausnahmen: Bertolt-Brecht-Gesamtschule Nürnberg (aufgelöst 2004), schulartunabhängige Orientierungsstufe München-Neuperlach, Gesamtschule Hollfeld und Willy-Brandt-Gesamtschule München) und Nordrhein-Westfalen entwickelte danach eine gemischte Schullandschaft, in der ein dreigliedriges System neben vielen Gesamtschulen existiert.
Konzeptionell als Alternative zum dreigliedrigen System gedacht, konkurriert die Gesamtschule aber gegenwärtig mit den anderen Schulformen, insbesondere mit den Gymnasien um den Abschluss Abitur sowie vor allem mit Hauptschulen bei der Rekrutierung von neuen Schülern. Der ursprünglich beabsichtigte sozialpolitische Effekt (Motto: Miteinander und voneinander lernen, um miteinander leben zu lernen) kann somit heute nicht mehr erreicht werden.
Die Schülerschaft vieler Gesamtschulen spiegelt nicht das gesamte Leistungsspektrum eines Jahrgangs wieder. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung kam zu dem Fazit, dass die Leistungen an den Gesamtschulen deutlich schlechter sind als an Gymnasien. Dies hat jedoch nicht zwingend mit einem schlechterem Konzept zu tun, sondern vielmehr damit, dass die meisten Gesamtschulen vorwiegend von Schülern mit Hauptschulempfehlungen besucht werden.
Gesamtschulen werden mancherorts weniger aus pädagogischen Gründen als aus kommunalpolitischen und demografischen errichtet: Die Unterhaltung eines gemeinsamen Schulzentrums er scheint gerade kleineren Gemeinden als eine kostengünstige Alternative zum traditionellen System. Der Rückgang der Schülerzahlen erlaubt nicht mehr die Verteilung auf mehrere Schulformen, um ein wohnortnahes Schulangebot zu erhalten. In einer kooperativen (auch additiven) Gesamtschule wird die Zwei- oder Dreigliedrigkeit des Schulsystems nicht aufgehoben. Man erhofft sich vorrangig Synergieeffekte durch diese räumliche oder organisatorische Zusammenlegung. Die ursprüngliche Form des Unterrichtes (Gemeinsam lernen) von Gesamtschule wird hierbei um mehrere Jahre verkürzt.
Aktuelle Entwicklungen
1982 wurde eine Vereinbarung der Kultusministerkonferenz getroffen, welche die gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse gewährleistet, d.h. dass Gesamtschulabschlüsse auch in Bundesländern, die das Modell Gesamtschule nicht fortgeführt haben (z.B. Bayern), anerkannt werden. Dies gilt auch für das Abitur an Gesamtschulen. Die diese Schulform ablehnenden Länder, vor allem Bayern, fürchteten, die für das dreigliedrige System geltenden Niveaunormen könnten unterlaufen werden. Lernziele und Lerninhalte müssen laut KMK-Vereinbarung den jeweiligen Anforderungen des nach Schularten gegliederten Schulwesens entsprechen. Eine Folge davon ist, dass Gesamtschulen gezwungen sind, ab der 7. Klasse unterschiedliche Niveaugruppen einzurichten mit einer Leistungsdifferenzierung in Deutsch, Englisch und Mathematik, die mit der 2. Fremdsprache zusammen gut die Hälfte der Unterrichtszeit ausmachen.
Zu einer Neuauflage der Gesamtschuldiskussion kam es Anfang der 1990-er Jahre im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung. Während westdeutsche Gesamtschulbefürworter hofften, die bereits vorhandenen Einheitsschulen der DDR in Gesamtschulen umzuwandeln, wollten erhebliche Teile der ostdeutschen Bevölkerung ihr Recht auf das Gymnasium verwirklicht sehen. Die Einheitsschule der DDR beruhte also nicht auf einer einhelligen Zustimmung. So kam es nur in Brandenburg in Folge der Landespartnerschaft mit dem von der SPD regierten Nordrhein-Westfalen zu einer quantitativ bedeutsamen Einführung der Gesamtschule.
Weitgehend unbemerkt von der westdeutschen Öffentlichkeit haben Sachsen und Thüringen nach der "Wende" 1990 ein zweigliedriges Schulsystem eingeführt, in dem Haupt- und Realschulen zusammengelegt werden als Mittelschule bzw. als Regelschule. Mecklenburg-Vorpommern hat dies später ebenso gemacht unter der Bezeichnung "Regionale Schule", Brandenburg unter der Bezeichnung "Oberschule". Im Saarland ist als erstem westdeutschen Bundesland die Hauptschule abgeschafft worden. Auch Hamburg wird mit Stadtteilschulen statt Haupt- und Realschulen 2009 ein zweigliedriges System einführen, in das auch die bestehenden Gesamtschulen eingehen sollen. Allerdings bleibt es bei den drei traditionellen Abschlüssen und eigenständigen Gymnasien. Bayern hat dagegen 1999 noch den jahrzehntelang üblichen gemeinsamen Unterricht von Haupt- und Realschülern in der 5. und 6. Klasse abgeschafft.
In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern besteht außerdem in der 5. und 6. Klasse eine gesamtschulartige Orientierungsstufe, in der die Kinder zusammen unterrichtet werden. Die Ausnahmen für die Einrichtung von 5. Klassen an Gymnasien sind selten. Niedersachsen hat dageben die in den 1970er Jahren eingeführte gemeinsame Orientierungsstufe unter Kultusminister Busemann (CDU) wieder abgeschafft, Bremen folgte unter der Großen Koalition 2005.
Auftrieb erhielt die Diskussion um die Leistungsfähigkeit dieser Schulform, als die PISA-Werte 2000/2003 für deutsche Gesamtschulen deutlich schlechter ausfielen als etwa von Realschulen. Dem kann entgegengehalten werden, dass mit die besten PISA-Werte auch an einigen deutschen Gesamtschulen erreicht wurden (z. B. Helene-Lange-Schule (Wiesbaden) oder an der Laborschule Bielefeld. Umgekehrt gibt es Untersuchungen, die den deutschen Gesamtschulen eine bessere Förderung von schwachen Schülern als im gegliederten System bescheinigen. In den Gesamtschulen wird seit PISA stärker über effizienten und nachhaltigen Unterricht nachgedacht, zumal viele Bundesländer zum Zentralabitur übergehen, das alle Schulformen mit gleichen Aufgaben überprüft.
Einen neuen Anlauf zur Steigerung der Schülerleistungen bedeutet die Einführung der nationalen Bildungsstandards für den mittleren Abschluss in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik sowie den Naturwissenschaften. Ihre Einhaltung soll über Vergleichsarbeiten, die in allen Schulformen gleich sind, überprüft werden. Viele Schulen müssen sich jetzt einem Vergleich mit anderen stellen.
Eine weiterer Fokus der aktuellen Diskussion liegt auf dem hohen Anteil ausländischer Schüler zumindest an Berliner und westdeutschen Gesamtschulen in Ballungszentren. Viele deutschsprachige Eltern fürchten, dass ihre Kinder sprachlich zu wenig gefördert werden können, und weichen deshalb in das gegliederte System aus. Dies betrifft aber neben den Gesamt- auch und vor allem die Hauptschulen.
Gegenwärtige Gesamtschulkonzepte in Deutschland
Deutsche Gesamtschulen (in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und Schleswig-Holstein: "Integrierte Gesamtschulen") unterrichten Kinder und Jugendliche zunächst unabhängig vom Leistungsstand in sehr heterogenen Klassen: Beginnend mit Klasse 7 werden in den Kernfächern (Deutsch, Englisch, Mathematik) Differenzierungskurse (sog. Erweiterungs- und Grundkurse-Kurse / E- bzw. G-Kurs) eingerichtet. In welchen weiteren Fächern die Kurse eingerichtet werden, entscheidet jeweils die Schulkonferenz. Manche Gesamtschulen haben zudem ab Klasse 9 eine Profilbildung eingeführt. Sie bilden organsatorisch neue Klassen nach der Anzahl der E-Kurse, die die Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt belegt haben. Berücksichtigt werden zudem auch die Talente sowie bestehende Freundschaften.
Um feste Bezugspersonen für die Schüler zu gewähren, wird an manchen Gesamtschulen das "Team-Kleingruppen-Modell" praktiziert, bei dem ein fester Stamm von Lehrkräften die eine Klasse über mehrere Jahre begleitet.
Mit diesen konzeptionellen Erweiterungen der ursprünglichen Gesamtschulidee reagieren sie auf die sich verändernde Arbeitsmarktsituation und die neuen Lebensbedingungen der Jugendlichen. Angeboten wird mehr Ganztagsförderung, und dies in Lerngruppen, die eine Binnendifferenzierung noch erfolgversprechend machen. Ab Klasse 9 zeigen sich in der Praxis so große Leistungsunterschiede, dass eine sinnvolle Binnendifferenzierung kaum noch planbar ist. Erst hier trennt die Gesamtschule die Jugendlichen - so wie es in den Schulen der meisten Nachbarländer geschieht.
Diskussion
Unter Eltern, Politikern und Pädagogen liegen die Meinungen über die Gesamtschule weit auseinander. Daher ist die Gesamtschule auch in den einzelnen Bundesländern, mit ihren unterschiedlichen politischen Mehrheiten und Traditionen, unterschiedlich weit verbreitet.
- Befürworter betonen, dass die - sozial und der Bildung nach - schwächeren Schüler besonders zu fördern seien und sie daher möglichst lange mit den starken Schülern gemeinsam lernen sollten. Dies habe auch positive Rückwirkungen auf die starken Schüler und letztlich die gesamte Gesellschaft. Diese Auffassung wird vor allem von der politischen Linken (SPD, Grüne, PDS) vertreten und dominiert anscheinend auch unter Erziehungswissenschaftlern (nicht jedoch Lehrern). Als positives Modell werden gerne die skandinavischen Bildungssysteme herangezogen.
- Gegner der Gesamtschule befürchten, dass das gemeinsame Lernen den unterschiedlich begabten Schülern nicht gerecht werde: die schlechten seien über-, die guten unterfordert. Die schlechten "zögen" die guten "herab". Abzulehnen sei auch die Größe vieler Gesamtschulen (fünf oder gar sechs Klassen nebeneinander), die wegen des komplizierteren Kurssystems nötig sei. Die wissenschaftliche Begleituntersuchung zur niedersächsischen Orientierungsstufe unterstützt diese Sicht.
Die Diskussion um die Gesamtschule wird deshalb so heftig geführt, weil Eltern praktisch um das Wohl ihrer Kinder besorgt sind, und weil theoretisch die Diskussion an elementare Fragen von Erziehung und Bildung heranführt. Die grundlegendste dieser Fragen ist die, ob die unterschiedliche Stärke von Schulkindern an einer (genetisch bedingten) Begabung liegt oder aber an beeinflussbaren äußeren Bedingungen. Die Anhänger der ersten Auffassung befürworten eher das gegliederte Schulsystem, die Anhänger der letzteren die Gesamtschule.
In der Diskussion werden gern einzelne Bundesländer miteinander vergleichen und auch ausländische Beispiele herangezogen. Aufgrund der sozialen Unterschiede allein schon in Deutschland ist der Vergleich mitunter schwierig: Die besseren Leistungen bayerischer Schüler können mit dem dort praktizierten gegliederten Schulsystem zusammen hängen, aber auch mit der starken wirtschaftlichen Lage Bayerns. Erst recht sind Vergleiche mit dem Ausland problematisch, beispielsweise mit dem Gesamtschulland und PISA-Sieger Finnland, das eine teils erheblich andere Sozialstruktur hat und dessen Schulsystem noch diverse weitere Unterschiede aufweist.
Ebenfalls verweisen Gesamtschulgegner gerne auf die Tatsache, dass sämtliche PISA-Verlierer, also die gesamte untere Hälfte der Punkteskala, Gesamtschulsysteme haben. Dies kann man jedoch auch darauf zurückführen, dass es weltweit fast ausschließlich Gesamtschulsysteme gibt. Hier gilt es wieder, keine Bestandteile eines Systems isoliert zu betrachten: In England gibt es zwar fast nur "Gesamtschulen", allerdings auch ein stark entwickeltes Privatschulwesen. Und auch in den USA dürften die Kinder des Millionärs und seiner Putzfrau kaum die gleiche Schulbank drücken, da beide in ganz verschiedenen Stadtteilen wohnen.
Siehe auch
- Odenwald-Schule, Heppenheim
- High School
- Integrierte Gesamtschule
- Kooperative Gesamtschule
- Landerziehungsheim
Literatur
- Jürgen Diederich, Heinz Elmar Tenorth: Theorie der Schule, Ein Studienbuch zu Geschichte, Funktionen und Gestaltung, Berlin 1997
- Manfred Bönsch: Die Gesamtschule. Die Schule der Zukunft mit historischen Hintergrund. Hohengehren 2006
Weblinks
- ↑ [http://www.general-anzeiger-bonn.de/index.php?k=regi&itemid=10464&detailid=208069 General Anzeiger Bonn, 21. Juli 2006