Operation Bagration
Operation Bagration | |||||||||||||||||
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Teil von: Zweiter Weltkrieg | |||||||||||||||||
![]() Strategische Karte des Verlaufs der Operation | |||||||||||||||||
Datum | 22. Juni 1944 bis 19. August 1944 | ||||||||||||||||
Ort | Weißrussische SSR, Sowjetunion | ||||||||||||||||
Ausgang | Entscheidender Sieg der Sowjetunion | ||||||||||||||||
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Operation Bagration war der Deckname einer Sommeroffensive der Roten Armee im Juni und Juli 1944, die die Eroberung der weißrussischen Hauptstadt Minsk zum Ziel hatte. Diese führte zur vollständigsten Niederlage deutscher Truppen in einer kriegerischen Auseinandersetzung und zur Vernichtung der Heeresgruppe Mitte.
Vorgeschichte
Nach den anhaltenden Niederlagen und Rückzügen, welche die an der Ostfront eingesetzten deutschen Truppen im Verlauf des zweiten Halbjahres 1943 bis zum Frühling 1944 hinnehmen mussten, wurde für die kommandierenden Offiziere der deutschen Heeresgruppe Mitte immer deutlicher, dass auch das Gebiet der Weißrussischen SSR, welches dieser Verband verteidigte, auf Dauer nicht zu halten war. Diese Erkenntnis wurde auch an das Oberkommando der Wehrmacht durch Generalfeldmarschall Ernst Busch weitergegeben. Busch schlug im April 1944 mehrfach vor, den weißrussischen Frontvorsprung zu verkürzen, was in mehreren Schritten geschehen sollte. Seine Pläne stießen jedoch auf den Widerstand Adolf Hitlers, welcher nicht bereit war, Rückzüge in größerem Umfang zuzulassen.
Als Konsequenz aus dieser ambivalenten Befehlslage begann man das Gebiet zu befestigen. Hierzu wurden beispielsweise im Bereich der 3. Panzerarmee zwischen 15.000 und 25.000 Einwohner für den Stellungsbau zwangsrekrutiert. Da die Bevölkerung entweder aufgrund von Hunger nicht arbeitsfähig oder nicht gewillt war, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten, gingen die Arbeiten schleppend voran. Die Befestigungsarbeiten wurden bis zum Beginn der sowjetischen Offensive fortgesetzt.
Zeitgleich wurden die arbeitsfähigen Bewohner des durch die Heeresgruppe Mitte besetzten Gebiets seit März 1944 zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Die nicht arbeitsfähigen Bewohner der Stadt Witebsk wurden am 22. Mai 1944 in ein Lager in Frontnähe gesperrt, wo sie von der erwarteten sowjetischen Offensive überrollt werden sollten. Orte in einem Abstand von weniger als 100 Km zur Front waren zum Beginn der russischen Offensive bereits vollständig geräumt und teilweise durch Anwendung der Taktik der verbrannten Erde unbewohnbar gemacht worden.
Weiterhin fanden seit Anfang 1943 großangelegte Operationen der Wehrmacht und SS gegen Partisanen im Gebiet der Heeresgruppe Mitte statt. Diese Operationen resultierten in der Tötung tausender weißrussischer Bewohner sowie in der Deportierung tausender Menschen zur Zwangsarbeit nach Deutschland. Die von den vermeintlichen oder echten Partisanen bewohnten Orte wurden dem Erdboden gleichgemacht. So wurden im Verlauf von Partisanenbekämpfungsaktionen während der Monate April und Mai 1944 insgesamt 7.011 Menschen getötet, 6.928 Gefangene gemacht sowie 11.233 Menschen als Arbeitskräfte nach Deutschland deportiert.
Die Moral der in der Heeresgruppe Mitte eingesetzten Soldaten war aufgrund von Versorgungsengpässen, allgemeinem Stillstand und schlechten Nachrichten von anderen Kampfplätzen nicht positiv. So hatten einige deutsche Soldaten nach der Landung der Allierten in der Normandie die Hoffnung, das diese den Krieg bald beenden würde. Die Anzahl von Desertierungen häufte sich.
Auf sowjetischer Seite wurden nach dem Ende der Kesselschlacht von Kamenez-Podolski am 15. April offensive Operationen an der westlichen Frontlinie bis zum Beginn des Juni 1944 gestoppt, um Kräfte für große Offensiven zur Vertreibung sämtlicher Besatzungstruppen vom Staatsgebiet der Sowjetunion zu sammeln. Bis in den Mai fanden lediglich auf der Halbinsel Krim Kämpfe mit der deutschen 17. Armee statt, die mit der Eroberung der Hafenstadt Sewastopol durch sowjetische Truppen und der Vernichtung dieser Armee ihren Abschluss fanden.
Nachdem die Verbände der Heeresgruppe Süd, welche das ganze Jahr 1943 bis zum April 1944 die Hauptlast der Kämpfe an der Ostfront getragen hatten, bedeutend geschwächt und weitgehend von sowjetischen Territorien verdrängt waren, stellte die Heeresgruppe Mitte immer noch ein starkes Hindernis für die sowjetschen Truppen dar. Dementsprechend wurde vorbereitend eine große Anzahl von Einheiten konzentriert, um ein für einen Erfolg als notwendig erachtetes Übergewicht gegenüber den deutschen Truppen zu erreichen. Die nun sehr leistungsfähig gewordene sowjetische Rüstungsindustrie ermöglichte durch ihren enormen Ausstoß, welcher den der deutschen Industie nun bei weitem übertraf, der sowjetischen Seite eine enorme Ansammlung von Kriegsmaterial, welche alle bis dahin erreichten Dimensionen sprengte. Zusätzlich dazu erhielt die Sowjetunion nun wirksame Unterstützung durch alliierte Waffenlieferungen. So waren die sowjetischen Truppen vollmotorisiert, während die deutschen Truppen sich häufig Pferdegespannen zum Transport der Infanterieeinheiten bedienten.
Die Moral der sowjetischen Soldaten am weißrussischen Frontabschnitt war bis in den Juni hinein ebenfalls schlecht, was auf allgemeine Kriegsmüdigkeit sowie die Ereignislosigkeit des Geschehens an diesem Frontabschnitt zurückzuführen war. Hinzu kam noch, das eine Anzahl sowjetischer Offiziere sich durch die Plünderung von Hilfslieferungen, welche an die Bevölkerung der von der Roten Armee befreiten Gebiete gerichtet war, bereicherte.
Nach dem Beginn der unter dem Tarnnamen Operation Overlord am 6. Juni 1944 stattfindenden Landung der Alliierten in Frankreich wurden deutsche Kräfte von der Ostfront auch aus dem Bereich der Heeresgruppe Mitte abgezogen. Dies schwächte die Verteidigungsfähigkeit der Deutschen zusätzlich. So standen am 21. Juni 1944 4050 sowjetischen Panzern und Sturmgeschützen 250 deutsche gegenüber. Das Kräfteverhältnis in Bezug auf die Mannschaftsstärke belief sich auf 600.000 Soldaten auf deutscher Seite gegen 2.150.000 Soldaten auf sowjetischer Seite.
Verlauf
Am 22. Juni 1944 - auf den Tag genau drei Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion und kurz nach der alliierten Landung in Frankreich - rückten vier sowjetische Fronten mit insgesamt 2,5 Millionen Soldaten gegen die stark unterlegenen und schlecht ausgerüsteten Truppen der deutschen 4. Armee und der 9. Armee, sowie der 3. Panzerarmee der deutschen Heeresgruppe Mitte vor. Diese hatten zum Zeitpunkt des Angriffs eine Stärke von lediglich einer halben Million Soldaten.
Dem Angriff ging eine massive Artillerievorbereitung voraus, teilweise verfügte die Rote Armee über genug Munition, um eine doppelte Feuerwalze schießen zu können. Der vom sowjetischen Hauptquartier konzipierte Plan sah für die erste Phase des Angriffs die Zerschlagung der Frontverbände an der nördlichen, sowie der südlichen Flanke der Heeresgruppe vor, auf die dann ein auf Minsk gerichteter Zangenangriff folgen sollte, gefolgt von Vorstößen zu den ehemals polnischen Orten Lemberg und Sandomierz.
Trotz des massiven sowjetischen Truppenaufmarsches waren die deutschen Frontverbände vom Ausmaß des Angriffs völlig überrascht. Dies lag zum einen an der Tatsache, dass die deutsche Feindaufklärung nur noch mangelhaft durchgeführt werden konnte. Zum anderen wurde die drohende Gefahr noch immer durch das Oberkommando der Wehrmacht unter Adolf Hitler ignoriert, da er zusammen mit der Mehrheit der zuständigen Generäle Wehrmacht einen Angriff in Richtung der Heeresgruppe Nordukraine erwartete. Aufgrund dieser Annahme wurde dieser Großverband und nicht die Heeresgruppe Mitte unter Generalfeldmarschall Busch verstärkt.
Die Rote Armee nutzte ihre Überlegenheit (das Vierfache an Soldaten, das Zwanzigfache an Artillerie, das 23fache an Panzern und das Zehnfache an Flugzeugen) und erzielte auf ganzer Linie Durchbrüche, in die dann Panzerkeile vorstießen. Die sowjetischen Truppen wendeten damit zum ersten Mal die von den Deutschen drei Jahre zuvor erfolgreich praktizierte Blitzkriegtaktik gegen ihren Gegner an. Begünstigt wurde dies durch Hitlers Befehle, zu halten und „Feste Plätze“ zu bilden, anstatt zur beweglichen Verteidigung überzugehen.
Nachdem die durch die Heeresgruppe Mitte gehaltene Front bereits am zweiten Tag nach Beginn der Offensive durchbrochen worden war und das Ausmaß der Katastrophe für das OKW und Hitler sichtbar wurde, wurde Busch dafür verantwortlich gemacht und seines Postens enthoben. Am 28. Juni übernahm Generalfeldmarschall Model das Kommando über die Heeresgruppe. Er konnte aber tatsächlich nichts weiter ausrichten, als den totalen Zusammenbruch der Front zu verhindern.
Durch die taktischen Fehler der Wehrmacht wurde die Bildung dreier Kessel bei Witebsk, Bobruisk und Minsk begünstigt und somit die Vernichtung der drei deutschen Armeen der Heeresgruppe verursacht. Die deutschen Verluste beliefen sich auf ca. 300.000 Gefallene, 250.000 Verwundete sowie 120.000 Soldaten, die von der Roten Armee gefangen genommen wurden. Diese wiederum hatte im gleichen Zeitraum lediglich 60.000 Tote und 110.000 Verwundete zu beklagen.
Am 13. Juli 1944 wurde die Offensive auf den von der Heeresgruppe Nordukraine gehaltenen Frontabschnitt ausgeweitet. Auch diese auf sowjetischer Seite als Lemberg-Sandomierz-Offensive bezeichnete Operation endete mit der Einkesselung und Vernichtung großer Teile dieser Heeresgruppe in der Nähe der Stadt Brody. Nachdem auf sowjetischer Seite ein Geländegewinn von 500 Kilometern in Richtung Westen erzielt worden war, kam der Vormarsch der Roten Armee erst Mitte August auf der Linie Warschau-Przemysl-Karpaten zum Stehen.
Ergebnisse
Bedingt durch die katastrophalen Verluste verlor die Wehrmacht ihre operative Handlungsfähigkeit an der Ostfront vollständig und war in Folgezeit nur noch zu hinhaltendem Widerstand gegenüber der Roten Armee fähig. Eine Auffrischung der Kräfte war nicht mehr möglich, da das Deutsche Reich zum Zeitpunkt des Endes der Offensive in einen Drei-Fronten-Krieg verwickelt war. Somit war es nur eine Frage der Zeit, bis die Rote Armee in das Deutsche Reich einmarschieren würde.
Eine kontrovers diskutierte Theorie besagt, dass der Vormarsch der Roten Armee auf Warschau bewusst gestoppt wurde, um es den deutschen Truppen zu ermöglichen, den zur gleichen Zeit stattfindenden Warschauer Aufstand niederzuschlagen. Dies soll die spätere Bildung einer kommunistischen polnischen Regierung nach sowjetischem Muster erleichtert haben.
Die katastrophale Niederlage der deutschen Wehrmacht an der Ostfront war eine wichtige Motivation für die Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler zu verüben und durch einen Putsch den als verloren erkannten Krieg vorzeitig zu beenden.
Zeitgleich verursachte der Vormarsch der Roten Armee bei der deutschen Bevölkerung Ostpreußens Panik. Trotz eines durch die NSDAP aussprochenen strikten Verbots setzten sich erste Flüchtlingstrecks in Richtung Westen in Bewegung.
Die Heeresgruppe Nord wurde durch den Durchbruch der sowjetischen Einheiten zur Ostsee von allen Landverbindungen abgeschnitten, hielt sich jedoch bis zum Kriegsende im Mai 1945 im Kurland.
Am 20. August begann die Rote Armee auf dem Gebiet der Heeresgruppe Südukraine mit einer weiteren, auf sowjetischer Seite mit Operation Jassy-Kischinew bezeichneten Offensive, in deren Ergebnis ein großer Teil des Balkans sowjetisch besetzt wurde.
Sonstiges
Die Operation wurde vom sowjetischen Oberkommando nach dem Namen des Generals Pjotr Iwanowitsch Bagration benannt, welcher in der Schlacht von Borodino 1812 gegen die napoleonischen Truppen gefallen war.
Zitate
"Das Verhalten der deutschen Soldaten in ihren befestigten Arealen war dumm [...] Unser Beschuss machte sie fertig. Unmengen an Granaten gingen auf sie nieder und man hörte nichts als ein Donnern. Die befestigten Anlagen konnten völlig zerschmettert werden. Es war tödlich [...] Die Deutschen hielten den Boden bis zum letzten Mann. Sie waren alle todgeweiht." Wenjamin Fjodorow, ehemaliger Soldat der Roten Armee in einer britischen Fernsehserie über den russischen Angriff am 22. Juni 1944
Quellen
- Willy Peter Reese, Stefan Schmitz (Hrsg.); >>Mir selber seltsam fremd<< - die Unmenschlichkeit des Krieges, Russland 1941 - 1944; Claasen-Verlag 2003; ISBN 3-546-00345-4
Literatur
- Steven J. Zaloga; "Bagration 1944: The Destruction of Army Group Centre"; Osprey 1996; ISBN 1-855-32478-4; (Quelle der im Artikel angegebenen Zahlen)
- Austellungskatalog "Verbrechen der Wehrmacht - Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 - 1944" (Wehrmachtsausstellung); Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft GmBH Oktober 2002; ISBN 3-930908-74-3