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Maurice Blanchot

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Maurice Blanchot (* 22. September 1907 in Quain im Département Saône-et-Loire; † 20. Februar 2003 in Paris-Yvelines) war ein französischer Journalist, Literaturtheoretiker und Schriftsteller.

Er wuchs mit drei Geschwistern in wohlhabenden, katholisch geprägten Verhältnissen auf. Ab 1925 studierte er Philosophie und Deutsch in Straßburg. Dort befreundete er sich mit Emmanuel Levinas.

Blanchot befürwortete während des Aufstiegs des Nationalsozialismus einen Präventionsschlag gegen Deutschland. Darum wurde er zu Beginn als "Rechter" beschimpft. Mitglied der Résistance. Er unterschrieb das Manifest der 121, das französische Soldaten zur Gehorsamsverweigerung im Algerienkrieg aufrief.

Sein Einfluss auf die späteren poststrukturalistischen Theoretiker wie Jacques Derrida ist nur schwer zu überschätzen. Sein Werk lässt sich nicht als kohärente, umfassende Theorie bezeichnen, da es auf Paradoxien und Unmöglichkeiten aufbaut. Ein roter Faden innerhalb seines Schreibens ist die konstante Beschäftigung mit dem "Problem der Literatur", das er als ein simultanes Zulassen und Infragestellen der zutiefst prekären Erfahrung des Schreibens beschreibt.

Sein bekanntestes literarisches Werk ist "Thomas der Dunkle" (1941), ein verstörend abstrakter Roman über die Erfahrung des Lesens. Leslie Kaplan sieht ihr Schreiben vor allem von Blanchot beeinflusst. Joseph Hanimann schreibt über ihn:

M.B. hat die narrative Ereignisabstraktion auf die Spitze getrieben. Sein in Frankreich fast schon als klassisch geltendes Verfahren, nicht Ereignisse selbst, sondern nur Ereignisspuren in Blicken, Gedankenspielen, Verhaltensstörungen, inneren oder erinnerten Dialogen zu erzählen, ist in Deutschland noch immer nicht richtig bekannt. ...(Eine) Erzählkunst in solcher Perfektion, dass jeder Übersetzungsanlauf an den Rand des Unmöglichen führen muss.

Textproben

Das Desaster ruiniert "alles" und läßt doch "alle" bestehen. Es trifft nicht den einen oder den anderen, "ich" werde nicht von ihm bedroht. In dem Maße, wie mich (weil verschont, beiseite gelassen) das Desaster bedroht, bedroht es in mir das, was außer mir ist, einen Anderen als mich, der ich, passiv, ein Anderer werde. Man wird vom Desaster nicht getroffen. Außer Reichweite ist der, den es bedroht, man kann nicht einmal sagen, ob von nah oder fern - das Unendliche der Bedrohung hat in gewisser Weise jede Begrenzung durchbrochen. Wir stehen am Rand des Desasters, ohne daß wir es in der Zukunft verorten könnten, es ist vielmehr immer schon vergangen, und trotzdem stehen wir am Rand oder unter der Androhung - alles Formulierungen, die die Zukunft einbezögen, wäre das Desaster nicht das, was nie kommt, was jede Ankunft verweigert hat.

Das Desaster denken (wenn das möglich ist, und es ist in dem Maß nicht möglich, wie wir ahnen, daß das Desaster "das Denken" ist), heißt, keine Zukunft mehr zu haben, um es überhaupt zu denken.

Der Roman hat von der These als solcher nichts zu fürchten - unter der Bedingung, dass die These akzeptiert, ohne den Roman nichts zu sein. Denn der Roman hat seine eigene Moral: Doppelsinn und Zweideutigkeit. 1945

Werke (Auswahl)

  • Thomas l'obscur 1941 (Dt. Thomas der Dunkle 1987) Interpretation: siehe Lit. unter "Pabst"
  • L'Arrêt de mort 1948. Übers. Guggenheimer: Die Frist 1962; Übers. Laederach: Das Todesurteil 1990
  • L’espace littéraire 1955. Dt.: Die wesentliche Einsamkeit Henssel, Berlin 1959, 1984; dt. Auszüge in: M.B.: Das Unzerstörbare. Ein unendliches Gespräch über Sprache, Literatur und Existenz Übers. Hans-Joachim Metzger & Bernd Wilczek. Hanser, München 1991, S. 9 - 79; Neuaufl. dieses Sammelbandes ebd, 2007
  • L'Entrétien infini 1969. Dt. Auszüge in: Das Unzerstörbare... wie vor, S. 83 - 204 & 238 - 267): im wesentlichen über Robert Antelmes KZ-Bericht.
  • Le Dernier à parler Dt. Der als letzter spricht Gatza, Berlin 1993 (über Paul Celan)
  • De Kafka à Kafka Dt. Von Kafka zu Kafka Fischer TB, Frankfurt 1993
  • Au moment voulu Dt. Im gewollten Augenblick. Erzählung Übers. Jürg Laederach, Urs Engeler, Basel 2004
  • Le dernier homme Dt. Der letzte Mensch. Erzählung Übers. und Verlag wie vor, 2005
  • Celui, qui ne me accompagnait pas Dt. Jener, der mich nicht begleitete. Erzählung Übers. und Verlag wie vor, 2006
  • L'écriture du désastre 1980. Dt. Die Schrift des Desasters Fink, München 2005
  • L'attente, l'oubli Dt. Warten, vergessen Suhrkamp, Frankfurt 1964, 1987, 2006
  • Wiederholung und Verdoppelung. Notiz über Literatur und Interpretation in: Neue Rundschau, 1988, Heft 2, S. 121 -130 Fischer TB ISBN 3596290309 (vor allem über Franz Kafka, Das Schloss; auch über Cervantes' Don Quichotte).
  • Kampf mit dem Engel Nachwort zu: Michel Leiris: Die Spielregel. 1. Streichungen Matthes & Seitz, München 1982, S. 389 - 403
  • Le Livre à venir Übers. Karl August Horst: Der Gesang der Sirenen. Essays zur modernen Literatur Hanser, München 1962; Frankfurt u.a., Ullstein TB 1982: ISBN 3548351395; ebd., Fischer TB 1988 ISBN 3596274028; Neuauflage: 2008 Berlin, Matthes & Seitz
  • Paix, paix au lointain et au proche in: Colloque des intellectuels juifs (Hg): Difficile justice. Dans la trace d'Emmanuel Levinas (Actes du 36ème Colloque des intellectuels juifs de langue française. Textes reunis par Jean Halperin et Nelly Hansson) Albin Michel, Paris 1998, S. 7 - 12)
  • Das Neutrale. Philosophische Schriften und Fragmente Übers. Marcus Coelen. Diaphanes, Zürich & Berlin ISBN 9783037340196 (Nov. 07)
  • Politische Schriften 1958 – 1993 ISBN 978303734009 Übers. und Verlag wie vor (Okt. 07) diaphanes
  • Die uneingestehbare Gemeinschaft (zuerst frz. 1983) Übers. und Nachwort Gerd Bergfleth. Matthes & Seitz, Berlin 2007 (Sept.) ISBN 9783882218923
    • Dazu eine Antwort: Jean-Luc Nancy: Die herausgeforderte Gemeinschaft Diaphanes, Zürich u.a. 2007 (Sept.) ISBN 9783037340011
  • L'instant de ma mort 1994. Dt. Der Augenblick meines Todes Übers. Hinrich Weidemann. Gimlet, Köln 1995; Merve, Berlin 2003 (hier zugefügt: Jacques Derrida: Ein Zeuge von jeher. Nachruf auf MB (=Un témoin de toujours Le Monde 2003) Übers. Susanne Lüdemann ISBN 3883961930

Literatur

  • Gerhard Poppenberg Ins Ungebundene: über Literatur nach Blanchot Tübingen: Niemeyer, 1993 (= Diss.phil, FU Berlin 1991) ISBN 3-484-55020-1
  • Timo Obergöker Totalitär krank. Krankheit und absoluter Staat in M. Blanchots "Le Très-Haut" in: T.O., Danielle Risterucci-Roudnicky, Brigitte Sändig (Hgg) Gegenbilder der Demokratie. Beiträge zum Franko-Romanisten-Kongress Freiburg/Br. 2004 Würzburg: Königshausen-Neumann, 2006 ISBN 3-8260-3161-X
  • Peter Köppel Die Agonie des Subjekts. Das Ende der Aufklärung bei Kafka und Blanchot (von M.B. beh. Werk: Le Très-Haut) Wien: Passagen, 1991 ISBN 3900767653
  • Pabst, Walter (Hg) Der moderne französische Roman. Interpretationen Berlin: E.Schmidt, 1968 (darin: über MB Thomas der Dunkle)
  • Andreas Gelhard Das Denken des Unmöglichen. Sprache, Tod und Inspiration in den Schriften MBs. München: Fink, 2005 ISBN 3770539753
  • Vorlage:PND
  • [1] Im Katalog der BNF (2007: 122 Titel)
  • [2] Ein Blog über M.B. (frz.): Konferenz in Paris über Blanchot - Levinas Nov. 2006
  • [3] Rez. von Christian Moser über das Buch von A. Gelhard
  • [4] MB über René Char
  • [5] Liste aller von MB in Franz. verfassten sonstigen Schriften: Zeitungs-/Zeitschriften-Artikel, Vor- und Nachworte usw. (genaue Quellenangabe) 1931 - 1998
  • [6] Leslie Kaplan über MB (2003) (frz.)
  • [7] Francois Bon, Nachruf auf MB, sowie Links zu vielen anderen Nachrufen (u.a. Derrida, Jean-Luc Nancy (nur frz.)
  • [8] Noli me legere. Maurice Blanchots Schweigen über seine faschistischen Schriften Stefan Ripplinger 1998