Ethnie
Ethnie (die ethnische Gruppe) oder Ethnos (von griech.: εθνος "éthnos" = Volk) ist ein Begriff aus der Ethnologie. Völkerkundler (Ethnologen) fassen mit diesem Begriff Menschen mit gleichen sprachlichen und kulturellen Eigenschaften bzw. Merkmalen zusammen.
Begriff
Die sich mit Ethnien befassenden Wissenschaften sind die Ethnologie, die Völkerkunde, die Europäische Ethnologie (Volkskunde), die Kulturanthropologie/Sozialanthropologie, Soziologie (Konfliktsoziologie), sowie die Ethnosoziologie. Als Ausweichbegriff und zur Präzension zum Volksbegriff bezeichnet "Ethnos" in Abgrenzung zum politischen Volksbegriff Demos einen ethnischen Volksbegriff.[1]
Der Begriff Ethnie ist folglich dem der Volkszugehörigkeit und der Kulturnation verwandt. Beispiele sind europäische Ethnien - wie die Deutschen, die Russen oder asiatische Ethnien - wie die Turkvölker oder die Chinesen. Ob die Indogermanen (Indoeuropäer) einer gemeinsamen Ethnie zugeordnet werden können bzw. hierfür Ethnie als Oberbegriff einer höheren Ordnung einer Gruppe verwendet werden kann, ist umstritten.
Adjektiv ethnisch
Das Adjektiv "ethnisch" wird verwendet, um eine Volks- oder Volksgruppenzugehörigkeit von dem einer bloßen Staatsbürgerschaft zu unterscheiden, die verschieden sein kann. So sind nicht alle Staatsbürger Finnlands, Frankreichs, Deutschlands, Russlands, usw. auch ethnische Finnen, Deutsche, Franzosen, usw. und umgekehrt, sondern wohnen auch außerhalb ihrer Nationalstaaten oder wie die Kurden, ohne einen eigenen Nationalstaat in einem Kurdengebiet, das sich über mehrere Staaten erstreckt.
In Analogie zum angloamerikanischen Sprachgebrauch werden auch solche Kulturen und Kulturelemente ethnisch genannt, die in einer westlichen bzw. in der globalen Zivilisation als Überreste von Urbevölkerungen und deren Traditionen lebendig sind. Beispiel hierfür sind die indianischen Ureinwohner Nordamerikas, die sich als Angehörige einer „Indianischen Nation” („Indian Nation”) und damit einer gemeinsamen Ethnie verstehen. Entsprechendes gilt für die Ureinwohner Australiens.
Ethnische Gruppe
Der Mensch als soziales Lebewesen bildet Gruppen. Eine Gruppe definiert sich nach Außen hin in Abgrenzung zu anderen, nach Innen schafft sie eine gemeinsame Identität. Dies ist bei ethnischen Gruppen nicht anders. Meist ist die Selbstidentifikation mit der eigenen ethnischen Gruppe so stark, dass sie dem handelnden Individuum als "natürlich" erscheint. Die meisten Menschen denken nicht bewußt darüber nach "was" sie sind, ob Italiener, Deutsche oder Engländer- sie sind es einfach. Dennoch ist es dieses kollektive Gefühl des einander zugehörig seins, das für die konstitution einer ethnischen Gruppe ausschlaggebend ist. Ethnische Gruppen haben also weniger etwas mit unveränderlicher Faktizität zu tun, als vielmehr mit der Innen- und Außensicht von Kollektiven. Es gibt auf der Welt eine Vielzahl ethnischer "Wir-Gruppen", die einer Vielzahl von "anderen" ethnischen Gruppen gegenüberstehen. Allerdings sind diese Gruppen und ihr Verhältnis zu den "Anderen" nicht unveränderlich. Ethnische Gruppen können beispielsweise miteinander verschmelzen (vgl. die Mestizen in Südamerika) oder sich durch einen Konflikt abspalten (vgl. die Entstehung der heute oft als eigene ethnische Gruppe betrachteten Schiiten durch den Kampf um die Nachfolge des Propheten Mohammed im 7. Jh nach Christus). Das Verhältnis zwischen ethnischen Gruppen kann aufgrund der jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten entweder feindselig oder durch enge Kooperation geprägt sein. Die ethnische Zughörigkeit ihrer Mitglieder kann in einer Gesellschaft, die ethnisch niemals homogen ist, nebensächlich sein oder aber von essentieller Bedeutung für die soziale Stellung des Individuums. Kulturelle und ethnische Identität und ethnisches Selbstbewußtsein bilden sich in Abgrenzung zu den "Anderen". Dies kann auch zu Ethnozentrismus- die Interpretation der Umwelt durch die Maßstäbe der eigenen Gruppe- und Xenophobie- Angst vor Fremdem führen. Ethnozentrismus und Xenophobie kommen oft ins Spiel im Zusammenhang mit politischen Debatten zu Migration. Die Identität vieler politischer Bewegungen, vor allem der neuen Rechten, lässt sich im Kern auf diese beiden Begriffe reduzieren.
Im deutschen wird für ethnische Gruppe auch oft der Begriff "Volksgruppe" gebraucht. Oft leben verschiedene Volksgruppen in einem Staatsgebiet. Beispielsweise bestand der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn im 19./ 20. Jh. aus verschiedenen Ethnien (Deutschen, Ungarn, Slowenen, Bosniern, Italienern, usw.). Das gilt auch heute noch für die Schweiz, die keine ethnische Einheit bildet, sondern aus verschiedenen ethnischen Gruppen (Deutsche, Franzosen, Italiener und Rätoromanen) besteht. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass sogut wie kein Staat ethnisch homogen ist. Besonders heterogen sind Staaten, deren Existenz und willkürliche Grenzziehung auf die Kolonialzeit zurückgeht. So zum Beispiel die Staaten Süd- und Mittelamerikas, Afrikas, Asiens und Polynesiens (z.B. Indonesien).
Zusammensetzung
Ethnische Gruppen sind niemals homogen, auch wenn sie von außen oft so wahrgenommen werden. Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer ethnischen Gruppe ist vielschichtig und im Kontext von Migration und diasporischen Realitäten manchmal auch nicht eindeutig. Es gibt auch ethnische Gruppen, die überhaupt erst durch Migration entstanden sind. Als jüngeres Beispiel der Geschichte sei zum Beispiel die Gruppe der Afroamerikaner genannt. Eine ethnische Gruppe, die überhaupt erst durch die Ereignisse der letzten 500 Jahre, wie Verschleppung und Sklaverei, entstanden ist. So zum Beispiel auch die in Jamaika lebenden Maroons, deren Ursprung auf geflüchete Sklaven zurückgeht, die ihrerseits gewaltsam aus Afrika in die Karibik verschleppt wurden.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Emerich K. Erancis, Ethnos und Demos. Berlin 1965. Vgl. auch: Heckmann, Friedrich(1991): Ethnos, Demos und Nation bzw. Heckmann: [1] sowie Wolfram Stender; Ethnische Erweckungen. Zum Funktionswandel von Ethnizität in modernen Gesellschaften - ein Literaturbericht. In: Mittelweg 36, 24.6.2000 [2]
Weblinks
Quellen
- UNESCO-Bericht: The race concept. Results of an inquiry UNESCO Paris, 1952, S. 99