Jassir Arafat
Jassir Arafat (* 4., 24. oder 27. August 1929 in Kairo, Ägypten; † 11. November 2004 in Clamart, Frankreich) eigentlich Muhammad 'Abd al-Rahmān 'Abd al-Ra'ūf 'Arafāt al-Qudwa al-Husainī, arabisch: محمد عبد الرحمن عبد الرؤوف عرفات القدوة الحسيني, genannt Abū 'Ammār, arab.: أبو عمار) war zuletzt palästinensischer Politiker und vom 12. Februar 1996 bis zu seinem Tod am 11. November 2004 Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete.
Leben
Jassir Arafat wurde in Kairo, Ägypten, als Sohn eines erfolgreichen Kaufmanns geboren.
Als Führer der palästinensischen Nationalbewegung gibt er in seiner offiziellen Biografie jedoch Jerusalem als Geburtsort an. Sein Vater stammte aus Gaza und seine Mutter aus einer angesehenen Jerusalemer Familie. Sie hatten in den 1920er Jahren geheiratet und waren nach Kairo gezogen. Als Arafat etwa vier Jahre alt war, starb seine Mutter. Er kam zur Familie seiner Mutter nach Jerusalem, das damals zum britischen Mandatsgebiet Palästina gehörte. Er lebte teilweise auch in Gaza, bis sein Vater wieder heiratete. Nach Kairo zurückgekehrt, ging er dort zur Schule. Später besuchte er die Universität und studierte Elektrotechnik. Eine Zeitlang beschäftigte er sich mit jüdischer Kultur, hatte jüdische Bekannte und las zionistische Werke z. B. von Theodor Herzl.
1946 kam er unter den ideologischen Einfluss des SS-Mannes und in Europa als Kriegsverbrecher verfolgten Mohammed Amin al-Husseini, der in Ägypten Asyl gefunden hatte und hier versuchte, Mitstreiter für seine antijudaistischen Ziele zu finden. Dieser wurde später zum politischen Mentor der Palästinenser. Arafat, der ein Neffe al-Husseinis war, sah in ihm einen "großen Helden". Gelegentlich wird Arafat unterstellt, er habe seinen Namen geändert um die Verwandtschaft zu dem Kriegsverbrecher und Antisemiten zu vertuschen.
Arafat wurde nun ein palästinensischer Nationalist und beschaffte u. a. Waffen, die nach Palästina geschmuggelt wurden. In Kairo hatte sich Jassir Arafat mit Abdel Khader al-Husseini angefreundet, der die Einheiten palästinensischer Araber in der Region Jerusalem anführte. Als Arafat von Abdel Khader al-Husseinis Tod im Kampf am Kastel-Berg im April 1948 hörte, brach er sein Studium in Kairo ab und meldete sich zum Kampf in Palästina. Er trat der Moslem-Bruderschaft bei, die im Gazastreifen und in der Schlacht bei Kfar Darom kämpfte.
Als sich die ägyptische Armee am 15. Mai 1948 in den Palästinakrieg einschaltete, wurde ihm und seiner Einheit befohlen, abzuziehen. Dies war für Arafat ein prägendes Erlebnis. Er beschuldigte später die arabischen Staaten immer wieder des Verrates, weil sie den Palästinensern nicht geholfen hätten, die Schlacht zu gewinnen, und ihnen nicht erlaubt hätten zu kämpfen. Die palästinensischen Araber erlitten eine deutliche Niederlage gegen Israel. 750.000 Palästinenser waren nun staatenlos.
In den 1950er Jahren studierte er an der Universität Kairo. 1952 gründete er die Generalunion Palästinensischer Studenten (GUPS), der er bis 1957 vorstand. 1956 absolvierte er die Universität als Ingenieur und gründete die Union der Palästinensischen Hochschulabsolventen. Danach meldete er sich freiwillig zur ägyptischen Armee und kämpfte im Suezkrieg 1956 gegen Frankreich, Großbritannien und Israel. Er galt als Sprengstoffexperte und war Leutnant in der ägyptischen Armee. Danach ging er im selben Jahr nach Kuwait, wo er als Ingenieur arbeitete und ein erfolgreicher Bauunternehmer wurde.
1957 gründete er in Kuwait zusammen mit Abu Jihad die erste Zelle der Bewegung zur Befreiung Palästinas (Al-Fatah), aus der 1959 die gleichnamige politische Partei hervorging. Ab 1958 war Arafat Vorstandsmitglied und ab 1968 Vorsitzender der Fatah.
1964 ruft er die PLO mit ins Leben. Durch aktive Teilnahme bei der Schlacht von Karame 1968 begründet er seinen Heldenmythos und ist seit 1969 Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO.
Wurde die Schlacht von Karame als ein erster historischer Sieg der PLO angesehen, so erlitt diese unter seiner Führung 1970 mit dem Schwarzen September eine schwere Niederlage. Er musste zunächst nach Kairo fliehen, während die PLO-Stützpunkte aus Jordanien in den Libanon verlegt werden mussten.
Am 13. November 1974 hielt Arafat in Uniform mit Kufiya und umgeschnallten Pistolenhalfter eine Rede vor der UN-Vollversammlung. Die PLO erhält später Beobachterstatus bei der UNO.
Als Ergebnis des israelischen Libanonfeldzugs gegen sein Hauptquartier in Beirut im Juli/August 1982 musste er nach Tunesien ausweichen. Arafat verläßt mit seinen Gefolgsleuten das von Israel besetzte Beirut und errichtet den PLO-Sitz in Tunis.
Im Jahre 1990 begrüßt Arafat den irakischen Einmarsch in Kuwait und solidarisiert sich mit Saddam Hussein. Die reichen arabischen Ölstaaten stellen daraufhin ihre Spendenzahlungen an die PLO ein.
Am 13.September 1994 kommt es bei der Unterzeichnung des Osloer-Abkommens in Washington zu einem historischen Handschlag zwischen Arafat und dem israelischen Ministerpräsidenten Jizhak Rabin.
Nach 27 Jahren Exil kehrte Arafat dann in Folge des Autonomieabkommens im Juli 1994 in die Palästinenser-Gebiete zurück und bildet in Gaza eine autonome Regierung, die Palästinensische Autonomiebehörde.
Im Dezember 1994 erhielt Arafat gemeinsam mit Shimon Peres und Jizhak Rabin den Friedensnobelpreis.
1995 erhielt Arafat den Deutschen Medienpreis in Baden-Baden.
2000 verhandelte Arafat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und US-Präsident Clinton in Camp David über die Schaffung eines palästinensischen Staates. Die Verhandlungen scheiterten jedoch. Der abtretende Präsident Clinton und Barak, der kurz darauf in allgemeinen Wahlen von seinem politischen Gegner Ariel Scharon abgelöst wurde, gaben Arafat die alleinige Schuld am Scheitern dieser Verhandlungen. Aus Clintons Umgebung war später zu erfahren, dass die US-israelischen Angebote an Arafat viel weniger weit gingen, als öffentlich behauptet wurde.
Stattdessen begann ein neuer Palästinenseraufstand, die so genannte zweite Intifada oder Al-Aksa-Intifada. Sie ist, im Gegensatz zur ersten Intifada, ein blutiger Aufstand, der auf palästinensischer Seite bisher fast 3000, auf israelischer über 1000 Menschenleben gekostet hat. Im Verlauf dieser zweiten Intifada hat Israel große Teile der autonomen Palästinensergebiete wieder besetzt und betreibt dort eine Politik der gezielten Tötung von Exponenten der radikalen Palästinenserorganisationen wie Hamas oder Dschihad. Die israelische Regierung macht Arafat für Selbstmordattentate verantwortlich Seit 2001 wurde der in Ramallah lebende Arafat von Israel mehrfach unter Hausarrest gestellt. Im Jahr 2002 zerstört die israelische Armee einen Großteil von Arafats Hauptquartier.
Am 11. September 2003 fasste die israelische Regierung den Beschluss, Arafat zu „beseitigen“. Mit einem Hubschrauber sollte er ins Exil nach Nordafrika gebracht werden. Der stellvertretende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert dachte sogar laut über Arafats Ermordung nach. Nach dem Ausweisungsbeschluss gingen zehntausende Palästinenser protestierend auf die Straße. Arafat appellierte an die Bevölkerung, Widerstand gegen den Beschluss zu leisten. Er wolle lieber „sterben, als sich zu ergeben“. Der Ausweisungsbeschluss wurde international kritisiert.
Am 14. September 2003 stellte der stellvertretende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert auch ein Attentat auf Arafat als eine legitime Möglichkeit seiner Entfernung dar. Am 16. September 2003 ließen die USA eine Resolution des Weltsicherheitsrates gegen die Ausweisung Arafats an ihrem Veto scheitern. Deutschland enthielt sich.
Verheiratet war er seit November 1991 mit Suhā at-Tawīl (سهى الطويل), mit der er eine Tochter namens Zahwa (* 24. Juli 1995 in Neuilly-sur-Seine) hat. Seit Beginn der zweiten Intifada, also seit 2001, leben Frau und Tochter in Paris und Arafat zahlte ihnen monatlich 100.000 US-Dollar.
Arafats Tod
Als in der Nacht zum 28. Oktober 2004 eine akute Verschlechterung von Arafats Gesundheitszustand eintrat, hatte er bereits über eine Woche wegen einer Entzündung seines Verdauungstraktes nichts gegessen. Israelische Medien vermuteten zunächst einen Schlaganfall. Nachdem er wiederbelebt worden war, verlor er immer wieder das Bewusstsein. Am folgenden Tag wurde Arafat zur weiteren Behandlung nach Paris geflogen. Die israelische Regierung hob aufgrund seiner schweren Krankheit das Reiseverbot auf und gestattete ihm auch, wieder ins Westjordanland zurückzukehren.
Am 4. November verschlechterte sich der Zustand Arafats noch einmal erheblich, es wurde von einem tiefen Koma berichtet. Ab dem 9. November wurde jede Stunde mit Arafats Tod gerechnet. Am Tag darauf versagten die Nieren und die Leber. Ein Abschalten der lebenserhaltenden Geräte wurde aus religiösen Gründen abgelehnt. Vor dem Hintergrund der Leberschädigung und einer daraus resultierenden Störung der Synthese der Blutgerinnungsfaktoren kam es zu einer Gehirnblutung. Am 11. November 2004 um 3.30 Uhr (MEZ) starb Arafat. Nach Verabschiedung mit militärischer Ehre wurde der Leichnam am selben Tag mit einer französischen Militärmaschine nach Kairo geflogen. Mit an Bord war Arafats Witwe Suha.
In Kairo ist die zentrale Trauerfeier am Flughafen am 12. November um 10 Uhr (Ortszeit, 9 Uhr MEZ) geplant, wozu hochrangige Politiker aus aller Welt erwartet werden. Direkt im Anschluss an die Zeremonie in Kairo soll der Sarg nach Ramallah geflogen werden, wo die Beisetzungszeremonie am frühen Nachmittag stattfinden soll. Sein Wunsch in Ost-Jerusalem am Tempelberg begraben zu werden, wurde von den israelischen Behörden mit dem Argument abgelehnt, Bin Laden würde man auch nicht in Washington begraben.
Bereits kurz nach Arafats Tod kam es zu ersten gewaltsamen Ausschreitungen im Nahen Osten. In Ramallah warnten Extremisten die neue palästinensische Führung unter Mahmud Abbas vor einem "Ausverkauf der palästinensischen Sache" und drohten den Nachfolgern Arafats mit dem Tod, sollte es irgendwelche Zugeständnisse an Israel geben.
Als weitere Reaktion benannte sich die radikale Fatah-Splittergruppe Al-Aksa-Brigaden in Märtyrer-Jassir-Arafat-Brigaden um. Die Brigaden, aber auch die radikale Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad, machen Israel für den Tod Arafats verantwortlich und drohten mit Rache. So äußerte sich Dschihad-Anführer Chaled al Batesch, Israels Ministerpräsident Ariel Scharon habe "bei der Tötung Arafats seine Hand im Spiel".
Ärzte im Militärkrankenhaus bei Paris, in dem Arafat zuletzt behandelt wurde, und Vertraute Arafats schlossen nach Spekulationen aus, dass der Palästinenserchef vergiftet worden sei. Viele Palästinenser machten aber auch die Bedingungen unter denen Arafat in Ramallah unter Hausarrest stand für die schwere Erkrankung ihres Führers und letztlich auch für seinen Tod mitverantwortlich.
Die radikal-islamische Hamas teilte zudem in einem Flugblatt mit, Arafat sei das Symbol des palästinensischen Volkes gewesen. Die Organisation kündigt daraufhin an, den Kampf gegen Israel und den Widerstand gegen den "zionistischen Feind" fortzusetzen, bis der Sieg erreicht sei.
Nur wenige Stunden nachdem der Tod Arafats bekannt gegeben wurde, griffen militante Palästinenser die jüdische Siedlung Netsarim im Gaza-Streifen an.
Die israelische Armee hatte das Westjordanland nach Arafats Tod aus Angst vor Anschlägen vollständig abgeriegelt. Auch Palästinenser mit gültiger Arbeitserlaubnis durften nicht mehr nach Israel reisen.
Es wird befürchtet, dass der Tod von Jassir Arafat einen Rückschlag für den Nahost-Friedensprozess bedeutet.
Die Palästinenserführung ernannte den Parlamentspräsidenten Rauhi Fattu zum vorläufigen Nachfolger und rief eine 40tägige Trauer aus. Neuer PLO-Chef wird der bisherige Arafat-Vize Mahmud Abbas. Der Chef des Politbüros, Faruk Kaddumi, wurde zum neuen Führer von Arafats Fatah-Bewegung bestimmt.
Literatur
- Danny Rubinstein: Yassir Arafat. Vom Guerillakämpfer zum Staatsmann. Palmyra Verlag, Heidelberg 1996, ISBN 3-930378-09-4. (Übersetzung von The Mystery of Arafat, 1995)
Weblinks
- http://www.nobel.se/peace/laureates/1994/arafat-bio.html (englisch)
- Profil: Jassir Arafat (Munzinger-Archiv)
- Begrabt ihn in Jerusalem
Fotoarchiv:
- passia.org - Yassir Arafat (etwa 80 Fotos von Arafat 1940er bis 2004)
Psychologische Analyse Arafats:
Einige kritische Betrachtungen:
- Arafat bombt, Europa zahlt (Die Zeit)
- Arafat ist jämmerlich gescheitert (Die Zeit)
- Keine Kugel für Arafat (Die Zeit)
- Der Hoffnungsschimmerlügner (Süddeutsche Zeitung)
- Neben Palästinenserführer Jassir Arafat hat niemand Platz. Nur unter ihm (Die Zeit)
- Arafat wollte immer mehr, am liebsten ganz Israel. Was er bekam, war Scharon (Die Zeit)
- So opfert Arafat die Jugend Palästinas (Die Zeit)
- Mit dem süßen Gift der Korruption (Die Zeit)