Biografiearbeit
Biografiearbeit ist eine im Bereich der sozialen Gerontologie angewandte Methode, mit Hilfe biographischer Methoden auf spielerisch-künstlerische Art und Weise Ereignisse, Erfahrungen, Begegnungen, Erfolge, Misserfolge, Trennungen, Krankheiten usw. zu untersuchen und einen darin verborgenen inneren Zusammenhang aller Ereignisse zu finden.
- >>Verstehen kann man das Leben nur rückwärts; leben muss man es vorwärts.<< S.Kierkegaard
Zur Entstehung
In der Vergangenheit war die Altenhilfe auf das ausgerichtet, was der `alte Mensch´ nicht mehr kann. Dieser sog. `defizitäre Ansatz´ wurde später von der `aktivierenden Pflege´ abgelöst. Der Fokus wurde vermehrt darauf gerichtet, was der alte Mensch kann, welche Kompetenzen er noch hat. Seit ca. 10 Jahren stellen sich Experten immer häufiger die Frage „Wie wurde der Mensch zu dem was er ist?“. Um dieser Frage nachzugehen, müssen möglichst vielfältige Informationen aus der Biografie eines alten Menschen gesammelt werden. Dabei sollte der jeweilige Lebenslauf ganzheitlich betrachtet werden. Als Hilfsmittel können hier verschiedene biografische Stränge herangezogen werden:
- Soziobiografie: Materielle und soziale Aspekte, z.B. Familienverhältnisse; wichtige Personen; Beziehungen; vermögend; unvermögend;
- Kulturbiografie: z.B. kulturelle Herkunft; persönliche Traditionen; Ess-, Wohn-, Freizeitkultur;
- Körper-und Öko- Biografie: z.B. der eigene Körper; Wege zur Sexualität; Natur; Umwelt; Stadt/Land; Kindheit;
- Mytho- Biografie: z.B. mythologische Elemente; Religion; Spiritualität; Gottesbilder;
- Persönlichkeits- Biografie: z.B. Kognition; Emotion; Verhalten; Bewältigung;
- Bildungs-und Lern- Biografie: formal: z.B. Schule; Schulpflicht; Studium; funktional: z.B. angeeignetes Wissen; Techniken; Tanzkurse;
Methoden der Biografiearbeit
Man unterscheidet zwischen der gesprächsorientierten und der aktivitätsorientierten Biografiearbeit.
Zur gesprächsorientierten Biografiearbeit zählen Einzel- und Gruppengespräche, welche zu vorgegebenen Themen angeboten werden. Es können Themen wie z.B. Feste, Feiertage, Schulzeit, Familienleben behandelt werden.
Die aktivitätsorientierte Biografiearbeit zeichnet sich durch eine aktive Tätigkeit aus. Beispiele hierfür sind: Singen und sprechen über bekannte traditionelle Lieder, Museumsbesuche, handwerkliche Aktivitäten, Basteln. Auch das Ausführen von Alltagshandlungen (z.B. Tisch decken) gehört zu dieser Art der Biografiearbeit.
Bei beiden Formen ist es wünschenswert, Angehörige miteinzubeziehen und u.U. eine dementengerechte Kommunikation anzuwenden (nur ein Sachverhalt, einfache Sprache, vertraute Redewendungen, aktives Zuhören, Gesprächspausen, etc).
Es ist förderlich und wichtig, visuelle Anreize zu schaffen. So können beispielsweise gut sichtbare `Erinnerungsecken´ mit verschiedenen Objekten (z.B. vertrautes Mobiliar, plastische Lebensbilder, Lebensbücher, Lebenskiste o.ä.) Erinnerungen wachhalten und zurückrufen, aber auch die Verständigung in der Alltagskommunikation mit dem alten Menschen erleichtern.
Die Biografiearbeit muss außerdem mit allen drei Zeitdimensionen arbeiten:
An die Vergangenheit soll sich erinnert werden - „Lebensbilanz“.
In der Gegenwart geht es hauptsächlich um Begleitung - „Lebensbewältigung“.
Für die Zukunft geht es beim alten Menschen um die „Lebensplanung“.
Dieses Zusammenwirken der Zeitdimensionen ist sehr wichtig, da sich alle drei gegenseitig beeinflussen können, d.h. `was habe ich aus der Vergangenheit gelernt´, `wie gehe ich jetzt damit um´ und `was zeigt mir diese Erkenntnis für die Zukunft...´. Sich beispielsweise immer nur mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, würde eigentlich bedeuten nur Nostalgiearbeit zu leisten und `in der Asche zu wühlen´ aber nicht vorwärtszugehen und das noch verbleibende Leben positiv zu meistern.
Ziele von Biografiearbeit
Das in Amerika entwickelte Konzept des „life-review“ (=Lebensrückschau) nach Robert N. Butler besagt, daß viele Menschen mit zunehmendem Alter den Wunsch verspüren, dem vergangenen Leben einen Sinn zu geben. Im Allgemeinen verleiht die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit persönliche Sicherheit, stärkt das Selbstvertrauen und hilft dabei sich mit schwierigen Situationen des Älterwerdens auseinanderzusetzen und diese besser zu bewältigen. Es kann eine rückwirkende Aussöhnung mit der Vergangenheit folgen: Die Diskrepanz, welche sich aus den Hoffnungen und Träumen der Jugend und dem tatsächlichen Verlauf des Lebens ergibt, wird aufgehoben.
Mit dem Alter, besonders bei an Demenz leidenden Menschen, nimmt das Erinnerungsvermögen ab und oftmals kann somit Biographiearbeit der Schlüssel zu noch vorhandenen Fähigkeiten sein, die es bewußt zu fördern gilt, um sie noch möglichst lange zu erhalten.
Man kann also drei Grobziele der Biografiearbeit zusammenfassen:
- Die Stärkung autobiographischer Kompetenzen: d.h. fähig zu werden, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen; den Mut zum Erzählen vermitteln - denn besonders in den Geschichten der Kriegsgeneration liegen verborgene Schätze für die nachfolgenden Generationen.
- Die Rekonstruktion der Lebensgeschichte des Einzelnen: d.h. einzelne Geschichten sollen `wiederbelebt´ werden, um so ein ganzheitliches Verständnis der Biografie zu bekommen.
- Die Integration der Lebensgeschichte: durch positive Verarbeitung können Brüche, Widersprüche und Scheitern zu einer versöhnten Lebensgeschichte reifen. Gewonnene Erkenntnisse können so sinnvoll für die Zukunft genutzt werden.