Das Gesetz
Das Gesetz ist eine Erzählung, die Thomas Mann im Frühjahr 1943 als Auftragsarbeit verfasste. Ihre Handlung folgt eng dem 2. Buch Mose (hebr. Schemot, griech. Exodus) der Bibel.
Inhalt
In Manns Erzählung wird Mose in Ägypten als Sohn eines ebräischen Knechts geboren. Der Vater wird lange vor Moses Geburt von den Ägyptern erschlagen. Moses Mutter, nach Thomas Mann eine Tochter des Pharao Ramessu, setzt den Säugling aus. Das Kindchen wird im Nilschilf gefunden und wächst in einer ebräischen Familie auf. Seine leibliche Mutter, die Königstöchter, lässt ihn später ägyptisch erziehen. Mit den jungen Stutzern aus der ägyptischen Oberschicht kann sich Mose nicht anfreunden. So läuft er nach ein paar Jahren aus dem thebanischen Schulhaus davon und kehrt zu seinem unterjochten Volk zurück. Daheim auf dem Acker muss er mitansehen, wie ein ägyptischer Aufseher einen schuftenden Ebräer verprügelt. Im Zorn erschlägt Mose den Aufseher und verscharrt ihn. Das Gerücht seiner Tat geht um. Mose flieht nach Midian, nimmt die vornehme Midianiterin Zipora zur Frau und hütet die Schafe seines Schwagers in der Wüste Sin. Am Berg Horeb spricht der unsichtbare Gott JHWH (Jahwe) aus einem brennenden Busch zu dem erwählten Schafhirten Mose. Der göttliche Auftrag ist eindeutig. Mose soll sein geknechtetes Volk aus Ägypten herausführen und durch Wüsten ins Land der Verheißung leiten. Mose kehrt nach Ägypten zurück und geht bedachtsam ans Werk. Denn die geknechteten Ebräer wollen partout nicht einsehen, dass ein Schilfknabe - noch dazu einer mit einem Sprachfehler - ihr Oberster bei so einer riskanten Expedition sein soll. Doch Mose findet Verbündete. Der militante Jehoschua drillt eine Truppe junger Ebräer. Die Ägypter misstrauen Mose natürlich erst recht. Sie wissen wohl von seinem Totschlag, sind aber gegen Mose machtlos, weil er immer noch unter dem Schutz seiner leiblichen Mutter, der Königstochter, steht. Als Mose beim Pharao Ramessu mehrfach vorstellig wird und bei jeder dieser Gelegenheiten für sein Volk um Urlaub bittet, wagt es nicht einmal der allmächtige Herrscher, seinen Enkel erwürgen und verscharren zu lassen. Allerdings wird der Fron der Ebräer noch härter. So wird schließlich aus dem Urlaub ein Auszug aus Ägypten. Auf der Flucht nach Midian müssen die Ebräer durch einen Arm des Roten Meeres marschieren. Günstiger Wind erlaubt den Durchmarsch. Als ein Heer des Pharao sie ins nasse Element verfolgt, tritt zur rechten Zeit Windstille ein. Die Ägypter werden mit Pferd und Wagen vom Meer verschlungen. Bis nach Midian sind noch die Wüsten Sur, Paran und Sin zu überwinden. Das Trinkwasser wird knapp. Nur Manna-Flechte wächst in der Wüste hie und da als „Nahrungsmittel“. Mose ist beim Volk abwechselnd der, der sie aus der Knechtschaft geführt und der, der Unglück gebracht hat. Die Ebräer wollen kein Manna mehr essen. Die militärische Eroberung der Oase Kadesch ist die Überlebenschance. Mose, der Gottesmann, verfolgt die Schlacht von einer Anhöhe aus. Immer, wenn er beide Arme zu Gott erhebt, dringen die Ebräer gegen den Feind Amalek vor. Immer, wenn Mose die Arme erlahmen, wendet sich das Kriegsglück. Endlich kann Amalek dank der Kriegskunst Jehoschuas doch noch in die Wüste geschickt werden. Die siegreichen Ebräer bleiben in der Oase, auch weil der Berg Horeb, der Sitz Jahwes, in der Nähe liegt. Mose arbeitet fortan tagein tagaus an der sittlichen Erziehung seines widerspenstigen Volkes. Er macht alles selber - spricht stundenlang Recht am Prozesswasser. Mose will die Ebräer aufrichten zum heiligen Volk. Es gibt Rückschläge. Selbst Mose ist nicht ohne Fehl. Anstatt neben seiner Frau Zipora liegt er des Nachts bei einer fülligen Mohrin um seiner Entspannung willen. Das passt mit seiner persönlichen Erwähltheit als Jahwes alleiniges Mundstück auf Erden nicht recht zusammen.
Nach einem Erdbeben - Mose versteht den göttlichen Fingerzeig - begibt sich der Erwählte zu Fuß und allein auf Jahwes qualmenden Sitz, den Berg Horeb, erfindet die ebräischen Schriftzeichen, meißelt die Zehn Gebote Jahwes in zwei Steintafeln und malt die Schrift mit dem eigenen Blut rot an. Als er, beide Tafeln unterm Arm, zu den Seinen nach 40 Tagen angespannter Steinmetzarbeit heimkehrt, sind die Ebräer Götzendiener geworden, tanzen im Luderreigen um das Goldene Kalb. Mose zerschlägt im Zorn mit seinen Gesetzestafeln den Götzen. Dabei zerbrechen die Tafeln. Jehoschua richtet mit seinen Getreuen jene Götzendiener hin, die besonders frenetisch um das Machwerk tanzten. Mose muss noch einmal hinauf zu Jahwe und neue Tafeln meißeln. Aber er gesteht, als er mit den beiden Originaltafeln das Kalb zerschlug, hatte er im Ausholen wohl bedacht: Einige Schriftzeichen sind missraten. Um die Originale ist es nicht schade.
Schließlich sind die neuen Tafeln nach weiteren 40 Tagen fertig und Mose bittet Jahwe, den Ebräern die Sünden zu verzeihen. Selbstverständlich verzeiht Gott und bestimmt freilich, nur Kinder dürfen hinein ins Land der Verheißung. Erwachsene sind mit ihren Leibern der Wüste verfallen. Mose bringt seinem Volk die mit dem eigenen Blut beschriebenen Steintafeln vom Berg Gottes herab - das Gesetz.
Kommentar
Die Erzählung beschreibt in scherzhaftem Ton und zugleich mit hintergründigem Ernst die Mühen des biblischen Moses, aus einem losen hebräischen Sippenverbund das Volk der Juden zu gründen, indem er das „Geblüt“ zur Gesittung erzieht, wie es ihm gelingt, aus dem „Gehudel“ dem Herrn ein heiliges Volk aufzurichten.
Am Schluss steht ein sehr ernster Fluch auf denjenigen, der das Volk beredet, Gottes Gebote der menschlichen Gesittung zu brechen. Gemeint ist Hitler [Thomas Mann an Alexander Moritz Frey am 14.05.1945].
Zur Aktualität des "Gesetzes": Bei der Verurteilung des Holocaustleugners Ernst Zündel verlas der Richter den oben genannten Schlussfluch aus Thomas Manns Erzählung (SZ vom 16.2.2007)
Literatur
- Thomas Mann: Das Gesetz. Erzählung. Stockholm: Bermann-Fischer Verlag 1944, 160 S.
- Thomas Mann: Sämtliche Erzählungen, Band 1. © 1966 by Katia Mann, S.329-395. ISBN 3103481160
- Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Revidierte Fassung der deutschen Übersetzung Martin Luthers (1912).
- Hans R. VAGET in: Helmut Koopmann (Hrsg.), Thomas-Mann-Handbuch. Stuttgart 2001. S.605-610. ISBN 3520828030
Weblink
Abbildungen der Erstdrucke in Internet-Atlas der Erstausgaben Thomas Manns Nr. [64.1] und [64.2]