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Morgenländisches Schisma

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Als Großes Schisma (von griechisch: σχισμα s-chísma Trennung, Spaltung) wird die Trennung zwischen den östlich-orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche bezeichnet.

Oft wird als Datum dafür 1054 angegeben, als sich Papst und Patriarch von Konstantinopel gegenseitig exkommunizierten, aber tatsächlich handelte es sich um einen Prozess, der sich etwa vom 5. bis ins 15. Jahrhundert hinzog. Heute stimmen Historiker darin überein, dass Ostkirche und Westkirche sich aufgrund von einer fortschreitenden Entfremdung trennten, die mit dem progressiven Wachstum der päpstlichen Autorität zusammenfiel. Entscheidend für die Trennung waren nicht theologische Differenzen sondern kirchenpolitische Faktoren.

Entfremdung zwischen Ost und West

Sprache

Am Anfang der Entfremdung stand der profane Umstand, dass es im Lauf der ersten Jahrhunderte in Rom und allgemein im Westen weniger und weniger üblich wurde, die griechische Sprache zu beherrschen, die jahrhundertelang um das ganze Mittelmeer lingua franca gewesen war. Das führte natürlicherweise auch in der Kirche zu geringerem theologischen Austausch. Bereits im vierten Jahrhundert gibt es nur noch vereinzelte Kirchenväter, die griechisch können (Ambrosius von Mailand, Hieronymus) - der führende lateinische Kirchenlehrer Augustinus gehört nicht zu ihnen. Auch der hochgebildete Gregor der Grosse, im 6. Jahrhundert Botschafter in Konstantinopel, konnte nicht griechisch. Umgekehrt wurden seine Werke erst im 14. Jahrhundert ins Griechichische übersetzt. Generell beherrschten die griechischen Patriarchen kein Latein, man war im gegenseitigen Verkehr also ständig auf Übersetzer, Sekretäre und Experten angewiesen.

Kultur

Ein weiterer Aspekt sind kulturbedingte Unterschiede, verschiedene geistige Werte und Haltungen. Griechen sehen Römer als ungebildet und barbarisch, Römer sehen Griechen als hochnäsig und spitzfindig.

Auch Bildung und beruflicher Hintergrund der Kirchenväter ist unterschiedlich:

  • Viele führende Theologen des Westens hatten die in der römischen Kultur übliche juristisch-politische Bildung: Tertullian, Ambrosius von Mailand, Augustinus. Von daher waren ihnen auch in der Theologie die juristischen Aspekte (Rechtfertigunglehre) und die organisatorischen Aspekte (Ekklesiologie) besonders wichtig.
  • Im Osten dagegen überwog die klassische Bildung einschließlich klassischer Philosophie, Rhetorik, Naturwissenschaften. (Origenes, Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz). Von daher ging es auch in der Theologie eher um grundlegende philosophische Fragen wie Christologie.

Interessanterweise geht es auch bei den Häresien, die am meisten Probleme bereiten, um parallele Fragen: beim Donatismus im Westen primär um Kirchenrecht, bei Arianismus, Monophytismus um christologische Fragen und das Verhältnis zur weltlichen Philosophie.

Im Osten gab es traditionell zahlreiche gebildete Laien, die sich aktiv am Kirchenleben und an der Theologie beteiligten, und von denen es manche (z.B. Photius) bis zum Patriarchen brachten. Im Westen kam es durch die politischen Entwicklung dazu, dass die Kirche ein Bildungsmonopol hatte - alle zukünftigen Kleriker konnten ihre Ausbildung nur innerhalb der Kirche bekommen.


Politische Entwicklung

Durch die Verlegung der Hauptstadt des römischen Reichs von Rom nach Konstantinopel und insbesondere durch den Fall des weströmischen Reichs kam es zu sehr unterschiedlichen politischen Konstellationen: Im Osten gab es den Kaiser als politisches Machtzentrum und in der Kirche mehrere Patriarchen in gleichem Rang von denen keiner Autorität über die andern hatte.

Im Westen gab es während Jahrhunderten keine zentrale politische Macht mehr, sondern nur streitende Lokalfürsten, und einen Patriarchen, der als Einziger Stabilität und Kontinuität gewährleisten konnte und dadurch zu einer zentralen Autorität wurde - und der sich aus dieser Situation heraus auch gegenüber den Lokalfürsten politisch engagieren musste.

Das politische Element im Amtsverständnis verstärkte sich noch, als der Papst durch Pippin zum weltlichen Grundherrn des Kirchenstaats gemacht wurde und sich dadurch mehr und mehr auch in der Rolle eines weltlichen Monarchen sah.

Als Pippins Sohn Karl der Große 800 im Westen von Leo III. zum Kaiser gekrönt wurde, weil beide während der Regentschaft von Irene von Athen den byzantinischen Kaiserthron als vakant ansahen, war das ein weiterer Bruch mit dem Osten. Die Griechen, Politiker wie Kleriker, waren entsetzt, dass der römische Bischof eigenmächtig einen Barbarenfürsten zum römischen Kaiser krönte, als gäbe es den römischen Kaiser nicht mehr - das war Verrat an Staat und Kirche!


Theologie

Die Theologie hatte auf beiden Seiten schon bald unterschiedliche Schwerpunkte entwickelt, die sich zuerst gegenseitig befruchteten, dann aber durch den geringeren Austausch zu einer Auseinanderentwicklung führten.

Bei der Dreifaltigkeit betonte der Osten mehr die drei Personen - einschließlich dem Heiligen Geist - während der Westen mehr die Einheit betonte und den Heiligen Geist eher in den zweiten Rang einordnete.

Im Westen entwickelte Augustinus das Dogma der Erbsünde, wonach jeder Mensch von der Zeugung an durch die Schuld Adams angesteckt und juristisch schuldig ist (was in der Folge die unbefleckte Empfängnis Marias nötig macht) - der Osten sieht die Erbsünde in den Konsequenzen der Schuld Adams: Tod, Begierde und die menschlichen Neigung zur Sünde.

Daraus folgert auch eine unterschiedliche Sicht der Erlösung: im Westen geht es primär um den juristischen Freispruch, den Jesus bewirkt hat, indem er die Strafe für die menschliche Sünde auf sich nahm - im Osten bewirken Tod und Auferstehung Jesu Christi die Freiheit von Tod und Sünde, durch die der Mensch wieder gottähnlich werden und in Ewigkeit mit Gott leben kann. Die westliche Kirche sah Christus als das Opfer, die östliche Kirche sah Christus als den Sieger.

Das nicäische Glaubensbekenntnis bekam in der westlichen Kirche den Filioque-Zusatz, in der östlichen Kirche blieb es in der Originalform. Das war ein konkreter Konflikt, der sich nicht als gegenseitige Ergänzung interpretieren ließ.

Bedeutung des Bischofsamts: Im Osten gab es viele lokale Kirchen, die sich auf die Gründung durch einen Apostel berufen konnten - von daher wurden alle Bischöfe prinzipiell als gleichberechtigt angesehen. Allgemein gültige Entscheide konnten nur durch ein ökumenisches Konzil getroffen werden. Im Westen dagegen konnte sich nur die römische Kirche auf Apostel berufen, und dadurch hatte der Bischof von Rom eine monarchische Sonderstellung. Die östlichen Kirchen, die dem Bischof von Rom schon immer traditionell den Ehrenvortritt gegeben hatten, hatten mit dieser monarchischen Haltung kein Problem, solange sie sich auf den Westen, also auf das römische Patriarchat, beschränkte. Der Bischof von Rom kam jedoch mehr und mehr zur Ansicht, dass seine absolute Autorität sich nicht nur auf den Westen, sondern auf die gesamte Kirche erstreckte - und als die Bischöfe des Ostens sich auf einmal in der Rolle der Befehlsempfänger von Rom sahen, fragten sie zurück, welches Konzil das entschieden habe. Auch hier war es zu einer Entwicklung gekommen, wo die Ansichten sich gegenseitig ausschlossen.

Daneben war es auch bei weniger wesentlichen Dingen zu unterschiedlichen Entwicklungen gekommen: Im Osten konnten Priester heiraten, der Westen bestand auf dem Zölibat, es gab unterschiedliche Regelungen bezüglich Fasten, im Westen wurde ungesäuertes Brot für die Eucharistie verwendet, im Osten normales Brot.

Entwicklung des Schismas

Photius-Schisma

Bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts waren die östliche und die westliche Kirche trotz aller dieser Unterschiede in voller Kommunion miteinander.

Ein erster ernster Konflikt kam 857. Kaiser Michael III. hatte den Patriarchen Ignatius abgesetzt und an seine Stelle kam der Theologe Photius. An einem Konzil 861 in Konstantinopel wurde Photius anerkannt, auch von den Legaten des Papstes. Papst Nikolaus berief jedoch ein zweites Konzil 862 in Rom ein, das Photius absetzte und kommunizierte diesen Entscheid im Ton eines absoluten Herrschers nach Konstantinopel, wo er von Patriarch und Kaiser ignoriert wurde.

Photius engagierte sich sehr in der Slawenmission (er sandte die beiden Slawenapostel Cyril und Methodius]]. Zum Konflikt zwischen ihm und Rom kam es, als Papst Nikolaus I. in Bulgarien fränkische Missionare unterstützte, die das Glaubensbekenntnis mit Filioque lehrten (bisher war Rom in der Filioque-Frage neutral gewesen). Photius, ein brillanter Theologe, konterte mit einer scharfen Enzyklika und berief ein Konzil in Konstantinopel ein, wo Nikolaus exkommuniziert wurde.

867 starb Nikolaus und Photius wurde abgesetzt. Im viertes Konzil von Konstantinopel wurde entschieden, dass Bulgarien zum Patriarchat von Konstantinopel kommt.

879, bei einem weiteren Konzil in Konstantinopel wurde Photius vollständig rehabilitiert und es kam zu einer vollständigen Versöhnung zwischen Rom (Johannes VIII.) und Konstantinopel (wieder Photius), wobei der Papst (kein Freund der Franken) in einem privaten Brief an Photius erklärte, dass das Filioque in Rom nie in Gebrauch gewesen und Ketzerei sei. Auf diesem Konzil wurde, als weiser Kompromiss, für den Westen der traditionelle römische Primat anerkannt, für den Osten aber jede päpstliche Jurisdiktion abgelehnt.


Schisma von 1054

Zum nächsten ernsthaften Konflikt kam es, als die Normannen das bisher byzantinische Süditalien eroberten. Papst Leo IX. versprach dem Gouverneur Hilfe, unter der Bedingung, dass die bisher östlichen Kirchen den westlichen Ritus übernehmen sollten (um so die Jurisdiktion von Rom und de facto durchzusetzen), also ungesäuertes Brot in der Eucharistie, lateinische Sprache in der Liturgie und das Glaubensbekenntnis mit Filioque. Der Gouverneur war einverstanden, der Klerus in keiner Weise. Michael Kerullarios, der Patriarch von Konstantinopel, ordnete seinerseits den byzanitischen Ritus für die lateinischen Kirchen in Konstantinopel an, und als diese sich ebenfalls wehrten, liess er die Kirchen schliessen.

Der autokratische Kardinal Humbert von Silva Candida, der führende Theoretiker einer absolutistischen Papstherrschaft, wurde als Gesandter nach Konstantinopel geschickt, um den Konflikt beizulegen. Humbert brachte einen (von ihm selbst verfassten) Brief als Legitimation, in dem der Papst erklärte, Jurisdiktion über den Patriarchen von Konstantinopel zu haben. Er bestritt dem ökumenischen Patriarchen seinen Titel, bezweifelte die Gültigkeit seiner Weihe, beschimpfte einen Mönch, der die östlichen Bräuche verteidigten, er sei wohl nicht aus einem Kloster sondern aus einem Bordell entsprungen, verlangte die Korrektur mehrerer "Irrtümer" in der östlichen Kirche, die von Rom schon zu lange vernachlässigt worden seien - und als er verständlicherweise mit den Verhandlungen nicht vorankam legte er in einem Anfall von "gerechtem Zorn" Humbert eine Bulle mit der Exkommunikation von Kerullarios und weiteren orthodoxer Kleriker auf den Altar der Hagia Sophia. In dieser Bulle wird die orthodoxe Kirche als "Quelle aller Häresien" bezeichnet und Kerullarios ironischerweise unter anderem angeklagt wurde, das Filioque aus dem Glaubensbekenntnis gestrichen zu haben (die östliche Kirche wurde also angeklagt, das Glaubensbekenntnis verändert zu haben, das tatsächlich von der westlichen Kirche verändert worden war). In der Folge verlangte Humbert noch, dass der Kaiser und Klerus die aufgeführten "Irrtümer" sofort beseitigten, was dazu führte, dass er von der Bevölkerung beinahe gelyncht wurde und vom Kaiser in Schutzhaft genommen werden musste.

Nach der ziemlich raschen Abreise von Humbert wurde er und seine Begleiter seinerseits nicht überraschend von Kerullarios und einem Konzil exkommuniziert (Humbert und Begleiter, nicht der Papst). Die übrigen Patriarchen stellten sich klar auf die Seite von Konstantinopel und wiesen die Ansprüche Roms ebenfalls zurück.

Heute wird dieser Bruch oft möglichst heruntergespielt und gesagt, es hätten sich ja nicht die Kirchen gegenseitig sondern nur Einzelpersonen exkommuniziert. Damals war es ein Bruch: der Name des Papstes wurde von da an in der byzantinischen Liturgie nicht mehr genannt und die Kirchen in Konstantinopel blieben für lateinische Riten geschlossen.

Plünderung von Konstantinopel

Auf dem vierten Kreuzzug wurde Konstantinopel erobert, während dreier Tage geplündert (sogar die Kirchen!). Der byzantinische Kaiser wurde vertrieben und für einige Jahrzehnte durch einen Kaiser von Papstes Gnaden ersetzt, die griechische kirchliche Hierarchie durch eine parallel strukturierte lateinische. Griechische Geistliche werden zu einem Gehorsamseid gegenüber Rom gezwungen.

Ab diesem Zeitpunkt war die Trennung zwischen Ostkirche und Westkirche nicht mehr nur eine Frage von Theologen und Kirchenpolitikern sondern für die gesamte Basis der östlichen Kirche eine Realität.

Wiedervereinigung?

Auf dem zweiten Konzil von Lyon 1274 und dem Konzil von Florenz 1429 wurde versucht, eine neue Einigung der Ost- und Westkirche herbeizuführen.

Diese Einigung wurde von den byzantinischen Kaisern wegen der Türkengefahr angestrebt, das Kirchenvolk und der grössten Teil der kirchlichen Hierarchie war entschieden dagegen und empfand sie als totale Kapitulation vor Rom - was von Rom durchaus auch so gedacht war.

Das Schisma wurde durch diese Einigungsversuche sogar verschärft, nicht beseitigt.

Es dauerte über 500 Jahre, bis zu einer neuen Verständigung zwischen der römisch-katholischen und den östlichen Kirchen. Am 7. Dezember 1965, am Ende des zweiten vatikanischen Konzils hoben Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras die gegenseitige Exkommunikation auf.

Die theologischen Differenzen bezüglich Riten und liturgischen Formen, die vom 11. bis 14. Jahrhundert eine solche Rolle gespielt haben, werden heute auf beiden Seiten als überwunden angesehen, das einzige ernsthafte Hindernis für eine weitere Annäherung liegt heute in der Frage des römischen Primats.