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Mauricio Rosenmann Taub

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Mauricio Rosenmann Taub (* 1932 in Santiago) ist ein chilenischer Komponist und Schriftsteller. Biografie: Vita
Er studierte Komposition, Klavier, Orgel, Musikwissenschaft und Sprachwissenschaft in Santiago, Stuttgart, Freiburg und Paris.
1974 wurde er als Professor für das Hauptfach Musiktheorie an die Folkwang-Hochschule Essen berufen, wo er bis 1999 tätig war.
Er ist Sohn der jüdisch-polnischer Einwanderer Manuel Rosenmann Levin und Dora Taub Bermann und Bruder des Schriftstellers David Rosenmann Taub.
«Für Mauricio Rosenmanns Textherstellung ist das Junktim von Schrift/Sprache und ihrer graphischen Realisation zentral» (Stefan Fricke). «Mauricio Rosenmann ist ein glänzender Erneuerer, der mit Klängen und Worten spielt und ihnen erleuchtende Nuancen und Bedeutungen entlockt.» (Antonio Skármeta). «Man schärft dabei Auge und Gehör und nimmt etwas wahr, das von weither kommt und weit in die Zukunft weist» (Eugen Gomringer). [1] «Ich bin sicher, daß Sie ohne die europäische Erfahrung nie an solche tieferen Perspektiven Ihres eigenen Ichs gekommen wären. Ich nenne es auch private Speläologie.» (Mauricio Kagel in einem Brief vom 17.01.97).


Werkauswahl (Musik)

  • fasolauta für Flöte, Klavier, Synthesizer und Tonband (1973-76)
  • vis-à-vis für zwei Klaviere und einen Pianisten (1977), Pfau-Verlag
  • Maquinación für Solo-Flipper und Kammerensemble, Rollen-Musik (1979-80), ISBN M-50085-008-3
  • Frankenstein-OperAzione für Software-Solo, Darsteller, Sänger, Sprechchor, Instrumentalisten, Workstation und Tonband (1992)
  • Ground per pianoforte e basso profondo (Konzertflügel und Keyboard), 1996, ISBN M-50085-007-6
  • Scenata (szenische Sonaten) - vier szenische Sonaten für Darsteller, eine Sängerin und Kammerensemble, (1994-97), ISBN M-50085-010-6
  • Solomisazione - Opera per una persona sola (1997-2002), Javier Hagen [2] gewidmet, ISBN M-50085-034-2
  • fa-Solstice für zwei Flöten, Klavier, eine Sängerin/Sprecherin und Tonband (2006), Renate Greiss-Armin [3] gewidmet
  • MadaM Czerny für Klavier solo (2007)
  • Hija mia, Wig-lid von Dora Taub für Mezzosopran, Engl. Horn, Viola, Harfe und Klavier (Instrumentation: M. Rosenmann), befoco-verlag [4]

Literaturauswahl (Lyrik)

Musikwissenschaftliche und literaturwissenschaftliche Veröffentlichungen

  • Lieder ohne Ton - Anmerkungen zu Federico Mompou: «Canción»; Ralf R. Ollertz: «Toy T» [6]; Carlos Saura: «Cría Cuervos»; Frédéric Chopin: «Préludes», Saarbrücken 1995, ISBN 3-930735-35-0
  • Die Entstellung als Analyse- und Kompositionsverfahren, Sonderdruck aus der Zeitschrift «Musiktheorie», 14. Jahrg., Heft 4, 1999
  • Ton- und Fingersatz im Finale der h-Moll-Sonate op. 58 von Chopin und in Ondine von Ravel. «Musiktheorie», 19. Jahrg., Heft 2, 2004
  • Irrealer Klang – irrealer Satz. Einige Bemerkungen über den Anfang von Tristan und über zwei Préludes von Chopin. «Musiktheorie», 19. Jahrg., Heft 2, 2004

Über Mauricio Rosenmann Taub

  • Fricke, Stefan: Mauricio Rosenmann Taub, in: «Komponisten der Gegenwart». Hrsg. von Hanns-Werner Heister. - München : Edition Text u. Kritik, 1992 ff.
  • ders.: Zu den Sehtextbüchern von Mauricio Rosenmann, in: «Positionen 42», Beiträge zur Neuen Musik, Februar 2000
  • Felipe Cussen: Entrevista a Mauricio Rosenmann Taub: De todos los modos posibles: [7]
  • Paul Guillén: Entrevista a Mauricio Rosenmann Taub: [8]

Werkbeispiel

Maquinación für Solo-Flipper und Kammerensemble, Rollen-Musik für 12 Spieler/Darsteller (1979-80).
Das Stück besteht aus neun szenischen Bildern. Reale Sprache kommt nur im VIII. Bild zur Geltung. Bis dahin vollzieht sich die sprachliche Entwicklung imaginär: einerseits subjektiv/pronominal von «wir» (I. Bild, Ball in Play) über «sie» (fem. Singular/
mask. Plural: One to Four Can Play), «es» (Hole Scores Lit Value), «ihr» (Advance), wiederum «wir» (Gate Open) bis zum Schluss — «jeder» (Game Over), andererseits objektbezogen: der Interpret, das Instrument - die Glasscheibe - die Werkstatt - das Flipperbild - der Text - die Maske.
Maquinación heißt auf spanisch Intrige, Machenschaften. Da das Wort máquina in der alltäglichen spanischen Sprache die Flippermaschine bezeichnet (jugar a las máquinas), kann maquinación auch im Sinne von Verwandlung der Maschine aufgefasst werden: von Waffe (I. Bild), Instrument, Spiegel, Werkstatt, Sarg, Dirigent, Darsteller, Text (VIII. Bild) — erstarrend oder aufblühend, wie man es nimmt — zur leuchtenden Maske (Game Over): Persona.

Einige Teile hängen improvisatorisch vom Ablauf des Kugelspiels ab. In anderen Teilen kommen traditionelle Verfahren zum Vorschein: Präludium, Invention, Rhapsodie, Toccata, Quodlibet. Die Darsteller haben zu beiden Momenten wesentlich beigetragen.
Die rhythmische Hauptgestalt von Maquinación ist ein einfacher Rhythmus, der fünf Anschläge enthält und im Herzen der Maschine, in ihrer Mitte (Hole Scores Lit Value) hörbar wird: ein Choriambus mit Auflösung des ersten Wertes. Ausgegangen von einem Herzgeräusch wurde dieses Gebilde nach einem bestimmten Plan aus dem Subaudiobereich in den Audiobereich beschleunigt bis zum Umschlagen in die Dimension der Klangfarbe. Im Studio der Folkwang-Hochschule stand bei der Realisierung (1979) kein Interface zum Synthesizer zur Verfügung. Der Komponist Klaus Damm [9] schuf ein eigenes dazu geschriebenes Programm, das den Synthesizer ansteuerte. Das Tonband im VII. Bild (Advance) ist das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit im Studio.
Der Einsatz des Tonbandes in Advance wird von Wanderungen der Spieler/Darsteller auf der Bühne vorbereitet: Die Bühne wird dafür in mehrere Tempibereiche geteilt. Drei Krummhornspielerinnen bilden dabei ein Dreieck. Sie wandern bis an den Rand der Bühne, die Krummhörner mit der rechten Hand haltend, wie Spazierstöcke. Am Bühnenrand heben sie sehr langsam den «Stock», um die Anblasstellung zu erreichen (dabei werden die Instrumente für einen Augenblick zur Waffe). Sie blasen dann den Summton des Flippers (100 Hz) an.
Das Tonmaterial ist ausschließlich durch den Summton, die acht Flipperglocken und ihre Resonanz bestimmt. Im IV. Bild (Looking-Glass) werden in der Celesta im Verlauf eines Solos tiefere Töne durch Umkehrung des ursprünglichen Tonmaterials gewonnen. Das Tonmaterial ermöglicht Zitate: im VIII. Bild (Gate Open) aus einem Nocturne von Chopin, aus der Ferne. Töne, die dem Material fremd sind, werden herausgefiltert und durch Pausen ersetzt.
Die Aktion wird wesentlich von den beiden Hauptdarstellern getragen — Anima (Violoncello) und Hintermann (Mundharmonika) —, die sich aber im Verlauf des Stückes nicht direkt begegnen.
In VIII. Bild kommt Sprache zum ersten Mal real zur Geltung: Die Texte, die auf dem Flippergerät (außen und innen) sichtbar sind, werden laut gelesen. Am Anfang des Stückes stand der Hintermann ungeahnt hinter dem Flipper. Während des folgenden, letzten Bildes (Game Over) geht er so langsam wie möglich — noch langsamer — diagonal über die Bühne hinter den Flipper zurück und bleibt da stehen, unsichtbar. Wie eine Maske leuchtet und blinkt das Flipperbild weiter. Vertraute Klänge (The Beatles, fortissimo: Hey Jude, The Fool on the Hill, Happiness is a Warm Gun) werden maximal verzerrt und verderben allmählich.
Es ist möglich, Maquinación als ein Stück Musik(hochschul)leben aufzufassen. Das Werk wurde am 4. 06. 1980 in der alten Aula der Folkwang Hochschule Essen uraufgeführt mit Alfred Widmaier und Salome Kammer in den Hauptrollen.

Instrumente: ein mechanischer Flipper Modell "Honey" von Williams mit 11 Kugeln, präparierten Glocken und verschiedenen Einrichtungen; 2 Querflöten, Blockflöten, Oboe, 3 Basskrummhörner, Trompete, Melodika, 2 Mundharmonikas, 2 Okarinas; eine kleine elektr. Orgel, Klavier, Celesta, Gitarre; Viola da gamba, Violoncello, Kontrabass; Schlagzeug; Synthesizer, Tonbandgeräte; Sprechstimme. (Aufführungsdauer: ca. eine Stunde.)
Der mechanischer Flipper wurde so präpariert, dass nach Abnahme der Abdeckscheibe die ansonsten durch die Kugeln ausgelösten Kontakte von Hand bedient werden konnten. Die Glocken wurden leicht verstimmt. Im Flipper wurden Kontaktmikrophone angebracht mit im Zuschauerraum aufgestellten Lautsprechern verbunden, wodurch sich der Saal akustisch in ein großes Flipperfeld verwandelte, in dem der Klang der Glocken und das Rollen der Kugeln (Rollenmusik) räumlich wahrgenommen werden konnten. Bei der Präparierung der Glocken waren Dieter Dauter und K. H. Kuballa beteiligt. Elektronik, Technik und Beleuchtung wurden von Ralf Galberg und Theo Jagla geleitet.

Einzelnachweis