Hentai
Mit Hentai (japanische Schreibweise 変態) bezeichnet man im Westen pornographische Manga/Anime. Darunter fallen zum einen im für japanische Animes "typischen" Stil gehaltene Pornographie, zum anderen pornographische Darstellungen von bekannten Figuren aus Comics, Zeichentrickfilmen oder Videospielen; ursprünglich stammten diese ausschließlich aus japanischen Vorlagen (z.B. Sailor Moon), mittlerweile aber auch westlichen (z.B. Figuren aus Disney-Filmen oder Superheldencomics).
In Japan bedeutet hentai lediglich abnormal, pervers. Der westliche Gebrauch wird von Japanern ohne Erklärung nicht verstanden.
Etymologie
Es stellt sich die Frage, warum das japanische Wort für Perversion zur allgemeinen Bezeichnung für pornographische Manga/Anime geworden ist. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig:
Verallgemeinerung
Frühe Beispiele von Anime mit Sexualdarstellungen im Westen stammen überwiegend aus dem Horrorgenre, so z.B. Urotsuki Douji, in dem junge Mädchen von Monstern mit Tentakeln vergewaltigt werden. Auch werden oft ausgefallene Praktiken und Fetische dargestellt, z.B. Bondage, Voyeurismus etc. Von daher erscheint die Bezeichnung also logisch, bedenkt man die Inhalte. Tatsächlich werden aber alle Anime mit expliziten Sexualdarstellungen, auch wenn diese der Norm entsprechen, als Hentai bezeichnet. Der Grund dafür ist, dass Perversion als Spektakel mitunter mehr Akzeptanz findet als ein simpler Porno, weil es als Horrorfilm oder Thriller o.ä. getarnt daher kommt. Erotische Anime wurden im Westen daher paradoxerweise durch Perversion schon früh salonfähig, und haben ihren Ruf beibehalten, auch nachdem reinrassige Manga-Pornos im Westen Einzug hielten.
Hang zu Euphemismen und Fremdwörtern
Besonders unter jungen (sexuell unerfahrenen) Leuten gibt es die allgemeine Tendenz, sexuelle Inhalte aller Art euphemistisch als pervers zu bezeichnen. Das trifft auch auf viele Fans von japanischen Manga/Anime zu, die außerdem noch gerne japanische Fremdwörter benutzen, darunter Manga, Otaku, oder eben Hentai (Perverser), das man auch in untertitelten Anime zu hören bekommt. Dieses Wort wurde dann entsprechend bestehender Gewohnheiten verwendet, um die "perversen" Leser von pornographischen Manga zu bezeichnen, und übertragen auch die Manga selbst.
Mißverständnis
In Japan werden pornographische Manga üblicherweise als Eromanga (エロマンガ, "erotische Manga"), Seinen Comic (成年コミック, "Comics für Volljährige") oder als 18-kin Manga (18禁漫画, "nicht für Leser unter 18 Jahren freigegebene Manga") bezeichnet, man kann sie aber auch als ecchi na manga (エッチな漫画, "versaute Comics") umschreiben. Ecchi ist die englische Aussprache des Buchstaben 'H', weswegen man auch H na manga (Hな漫画) schreiben kann. Ecchi/H ist höchstwahrscheinlich von Hentai abgeleitet (Details siehe Eintrag ecchi). Dieser Zusammenhang zwischen Ecchi und Hentai ist in Japan längst in Vergessenheit geraten, dank entsprechender Erklärungen westlichen Fans aber wohlbekannt. Auch wird H (na) Manga (H漫画) von westlichen Fans meist fälschlich als Hentai Manga gelesen, was dazu führte, das Hentai im Westen mittlerweile wie eine Genrebezeichnung benutzt wird.
Abgrenzung zu verwandten, im Westen gebräuchlichen Fachtermini
Hentai und Ecchi werden im Westen oft durcheinander geworfen. Anders als in Japan werden beide Wörter zur Bezeichnung von Manga/Anime mit sexuellen Inhalten gebraucht, aber nach Härte der Darstellung unterschieden. Im Gegensatz zum Begriff Ecchi, der im Westen üblicherweise für eher softerotische Anime/Manga verwendet wird und dessen Übergang zum Fanservice fließend ist, steht Hentai für harte gezeichnete Pornographie in allen Spielarten. Der Glaube, dass es umgekehrt wäre, stammt vermutlich von der Zeitschrift AnimaniA, die diese Meinung bis zu ihrem Redaktionswechsel verbreitete.
Computerspiele mit Hentai-Elementen werden hierzulande Hentai-Spiele genannt. Das einzige in Deutsch synchronisierte ist das RPG Knights of Xentar und lag seinerzeit verschiedenen Zeitschriften auf CD in einer jugendfreien P13-Version vor.
Zensur und Jugendschutz
Pornographie, d.h. obszöne Darstellung, ist in Japan gesetzlich verboten. Die Definition von Obszönität ist schwammig, beinhaltet aber die detaillierte und realistische Darstellung von Geschlechtsorganen und dem Geschlechtsakt. Obwohl dem Namen nach verboten, dürfen nach unserem Empfinden pornographische Materialien in Japan unter der Bezeichnung Erotika aber durchaus vertrieben werden, solange die obszönen Stellen mit Balken verdeckt oder mit Computer-Mosaik-Effekten verfremdet werden. Für photographische Pornographie gelten dabei schon lange Altersbeschränkungen, sogenannte Adult Videos (abgekürzt AVs) dürfen nur an über 18-jährige abgegeben werden; für entsprechende Comics (sogenannte Eromanga oder Seinen Comics) gibt es eine solche Altersbeschränkung jedoch erst seit Beginn der 90-er Jahre.
Auch gibt es in dem Sinne keine Prüfstelle für pornographische Materialien, erst nach Veröffentlichung kann ein Werk für obszön befunden und dann verboten werden. Die Hersteller müssen daher Selbstzensur üben, um eine für sie teure Beschlagnahmung zu vermeiden. Da sich aber weniger stark zensierte Werke deutlich besser verkaufen, werden die Grenzen für Obszönität ständig herausgefordert, und auch immer wieder überschritten. Besonders gewagte Comics werden oft probeweise in kleiner Auflage veröffentlicht, um das finanzielle Risiko gering zu halten. Im Falle einer Beschlagnahmung erscheint dann eine stärker zensierte 2. Auflage und die bereits verkauften Exemplare der Erstauflage werden auf dem Gebrauchtmarkt verständlicherweise zu begehrten Sammlerstücken.
Die gesetzliche Definition von Obszönität ermöglicht(e) aber verschiedene Schlupflöcher: so waren in der ursprünglichen Version nur die Darstellung von erwachsenen Genitalien verboten, was den Erfolg von sogenannten Lolicon-Manga (Abkürzung für Lolita Complex) nicht unerheblich gefördert haben mag. Um die Überhandnahme von Sexcomics mit teils sehr jungen Mädchen zu unterbinden, wurde das Gesetz in den 80-er Jahren geändert: das bisherige Verbot von Schamhaaren (ein Kriterium für erwachsene Genitalien) wurde aufgegeben, und dafür ausdrücklich die Darstellung aller Genitalien verboten. Daher wurde die Schamgegend besonders in frühen Eromanga einfach freigelassen, oder nur die Sillhoutte eines Penis gezeichnet. Detailliertere Darstellungen mußten mit Balken verdeckt werden. Ein weiteres Schlupfloch stellen phallusähnliche Objekte wie Dildos oder Tentakel dar, die von solcher Zensur ausgenommen sind. Zumindest solange, bis sie in eine Vagina eindringen. Letztendlich läßt sich die Zensur also nicht völlig vermeiden.
Auch in Mainstream-Werken, die man nicht unbedingt als pornographisch ansehen würde, wurde die Darstellung von Sex immer gewagter, und in den frühen 90-er Jahren lösten Comics wie Blue von Yamamoto Naoki und Angel von U-Jin eine Kontroverse aus, die schließlich zur Einführung des Seinen Comic-Labels führte. Dieser Aufdruck bedeutet Comics für Volljährige und markiert die oben erwähnte Altersbeschränkung. Da damit aber offiziell ein Genre von Comics für Erwachsene geschaffen und ein System für Jugendschutz etabliert worden war, wurde gleichzeitig auch der Weg geebnet für weniger Zensur. Die Balken wurden von da ab immer kleiner und verdecken meist nur noch einen Teil der Eichel oder der Klitoris.
Inhaltlich decken Eromanga schon seit jeher ein breites Spektrum an sexuellen Praktiken und Fetischen ab. Zwar wird penibel auf die Zensur der Genitalien Wert gelegt, die Handlung ist von der Zensur aber kaum betroffen und teils viel extremer, als es im Westen möglich wäre. Für westliche Veröffentlichungen werden die Balken meist entfernt, dafür aber inhaltliche Änderungen vorgenommen (z.B. Dialoge, Alter der auftretenden Personen u.ä.) Im Internet wird unter der Bezeichnung Hentai aber auch viel unverfälschtes japanisches Originalmaterial verbreitet.
Öffentliche Wahrnehmung in Deutschland
Das Hentai-Genre ist auch für den Nicht-Hentai-Fan von Bedeutung, da in der Öffentlichkeit "Anime" und "Hentai" häufig gleichgesetzt werden. Dies hat mit der Berichterstattung in den Medien (sowohl Zeitung als auch Fernsehen) zu tun. Vor dem größeren Erfolg der Mangas und später auch der Animeserien, die das Thema in Deutschland gesellschaftsfähig machten, beschränkte sich die Berichterstattung in den meisten Medien nach dem Grundsatz "Sex sells" auf dieses spezielle Genre. Die Tatsache, dass die "handelnden" Charaktere in Hentais meist extrem jung aussehen, tat ihr Übriges. Außerdem war die Verbreitung von Hentais in den Videoveröffentlichungen in Deutschland am Anfang sehr hoch (über 30 Prozent) und man konnte in Videotheken gar keine anderen Animes finden.
In der breiten Bevölkerung hat sich so die Meinung festgesetzt, dass diese "Trickfilme guckenden jungen Erwachsenen" nicht als völlig normal gelten können und dass diese Fans pervers oder sogar pädophil sind. Zum Glück läßt dieses Randgruppendenken inzwischen fühlbar nach.
Tatsächlich machen Hentais nur einen Prozentsatz von fünf bis zehn Prozent der produzierten Animes aus - sind damit allerdings tatsächlich eines der wichtigsten Einzelgenres. Natürlich kann man viele der Hentai-Anime auch anderen Anime-Genres wie Fantasy, Science Fiction oder Magical Girl zuordnen.
Links
- The 'H' does not mean 'hentai' page at the Internet Archive
- Knights of Xentar
Siehe auch: Futanari