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Kieler Schule

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Als Kieler Schule bezeichnet man eine Gruppe nationalsozialistischer Rechtswissenschaftler, die in der Zeit des Nationalsozialismus an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gewirkt haben.

Die Kieler Universität, die im NS-Sprachgebrauch "Grenzlanduniversität des nordischen Raumes Kiel" genannt wurde, war nach der nationalsozialistischen Machtergreifung besonders stark von jüdischen und politisch unliebsamen Professoren gesäubert worden. Ohne neue Professorenstellen zu schaffen, bot sich nun durch zielgerichtete Neubesetzung der Lehrstühle mit jungen systemkonformen Rechtswissenschaftlern die Möglichkeit, aus der Fakultät eine Art nationalsozialistische Musterfakultät ("Stoßtruppfakultät") zu schaffen, die der nationalsozialistischen Idee der Rechtserneuerung dienen sollte.

Angehörige und Entstehung der Kieler Schule

Die erforderliche Handhabe für die angestrebte personelle Neubesetzung der Lehrstühle der Kieler rechtswissenschaftlichen Fakultät boten das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 07. April 1933 sowie das "Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens" vom 31.01.1935. Diese Gesetze ermöglichten es, Professoren sowohl aus "rassischen" als auch aus "politischen" Gründen zu entlassen.[1]

Die folgenden Professoren wurden aufgrund der obigen Gestze abberufen oder frühpensioniert, bzw. verliessen die Universität Kielauf äußeren Druck (der teilweise auch von der Kieler Studentenschaft ausging):[2]

Zu den neu auf die Lehrstühle berufenen Dozenten, die die "Kieler Schule" bilden sollten, zählten:

Karl August Eckhardt lehrte nur sehr kurzfristig (von 1933 bis zum 21.03.1934) selbst an der Universität Kiel. Dennoch übte er Jörn Eckert zufolge einen überragenden Einfluss auf die personelle Besetzung und die inhaltlichen Positionen der Kieler Schule aus.[3] Als Hauptreferent der Hochschulabteilung des Wissenschaftsministeriums für die Fächer Recht, Staat, Politik, Wirtschaft und Geschichte sorgte er von Berlin aus unter anderem dafür, dass Hans von Hentig durch Friedrich Schaffstein ersetzt wurde.

Durch die personalpolitischen Massnahmen verjüngte sich das Durchschnittsalter der an der rechtswissenschaftlichen Fakultät Kiel tätigen Professoren von 53 Jahren im Jahre 1933 auf knapp 35 Jahre im Jahre 1935.Referenzfehler: Es fehlt ein schließendes </ref>.

Ebenfalls im Zusammenhang mit der Kieler Schule steht die von Karl August Eckhardt organisierte Dozentenakademie im Kitzeberger Lager. In diesem Gemeinschaftslager an der Kieler Bucht kamen nationalsozialistische Juristen zusammen, um über die völkische Rechtserneuerung zu referieren. Neben den Kieler Rechtswissenschaftlern kamen hierhin von außerhalb:

Lehre

Inhaltlich war die Kieler Schule zwar nicht homogen, deren Mitglieder bemühten sich aber stärker als andernorts, die nationalsozialistische Doktrin, das völkische Denken und die Rassenideologie im Recht zu verankern. Das Selbstverständnis der Kieler Schule wurde von in dem von Karl Larenz verfassten Vorwort zu dem Gemeinschaftswerk "Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft" wie folgt zusammengefasst:

„Es ist die gemeinsame Überzeugung der Mitarbeiter des Bandes, daß die deutsche Rechtswissenschaft an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung steht, daß sie von Grund auf neu zu beginnen hat, daß sie aber auch dazu berufen ist, voranzugehen in dem Ringen unserer Zeit um das artgemäße deutsche Rechtsdenken, das 'konkret' und 'ganzheitlich' zugleich ist[4].“

So hieß es beispielsweise ebenfalls bei Larenz in dessen Aufsatz mit dem Titel "Rechtsperson und subjektives Recht" von 1935:

„Nicht als Individuum, als Mensch schlechthin (..) habe er Rechte und Pflichten und die Möglichkeit, Rechtsverhältnisse zu gestalten, sondern als Glied (..) der Volksgemeinschaft. Nur als Glied der Volksgemeinschaft habe er seine Ehre, genieße er Achtung als Rechtsgenosse[5].“

Larenz schlug deshalb vor, die grundlegende Vorschrift des § 1 BGB, wonach die Rechtsfähigkeit des (also jedes) Menschen mit der Vollendung der Geburt beginnt, wie folgt zu ändern:

„Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist[6].“

Ernst Rudolf Huber, ein Schüler Carl Schmitts, der in der NS-Zeit einer der führenden Staatsrechtler war und ebenfalls bereits 1933 nach Kiel berufen wurde, lehrte die Nichtexistenz individueller Grund- und Freiheitsrechte. So hieß es in seinem Werk "Verfassung" von 1937:

„Insbesondere die Freiheitsrechte des Individuums (...) sind mit dem Prinzip des völkischen Rechts nicht vereinbar. Es gibt keine persönliche, vorstaatliche und außerstaatliche Freiheit des Einzelnen, die vom Staat zu respektieren wäre[7].“

Das Bestreben der Strafrechtler Georg Dahm und Friedrich Schaffstein war es, in scharfer Abgrenzung von der "überkommenen" juristischen Methodik, eine spezifisch nationalsozialistische Strafrechtsdogmatik zu entwickeln. Hierbei setzen sie auf eine "ganzheitliche und konkrete Wesensschau" als obersten Auslegungsgrundsatz (1), auf an mittelalterlichen Rechtsvorstellungen anknüpfende "Ehrenstrafen" (2) und auf das Konzept des "Verbrechens als Pflichtverletzung gegenüber der völkischen Gemeinschaft" (3). In seinem Aufsatz "Verbrechen und Tatbestand" (1935) forderte Georg Dahm:

„Begriff und Wort des Tatbestandes sollten aus der Strafrechtsdogmatik verschwinden[8].“

Die rechtswissenschaftlichen Beiträge der Kieler Schule waren nicht nur von rein akademischer Bedeutung, sondern lieferten auch der Rechtsprechung Auslegungstechniken und Argumentationsmuster zur Umgestaltung der bestehenden Rechtsordnung im Sinne der "nationalsozialistischen Rechtsidee".

Das Ende der Kieler Schule

Die Kieler Schule nahm ihr Ende schon vor 1945; die beteiligten Professoren lehrten mit Ausnahme von Larenz schon im Wintersemester 1937/38 nicht mehr in Kiel. Die anderen Dozenten wurden an andere Universitäten versetzt, da im Kultusministerium Bedenken aufgekommen sind, ob es bei dem allgemein herrschenden Mangel an politisch konformen Nachwuchskräften sinnvoll sei, die systemergebenen Rechtslehrer alle an einer Fakultät zu konzentrieren.

Auch inhaltlich nahmen einige Mitglieder der "Kieler Schule" – insbesondere Georg Dahm und Friedrich Schaffstein – spätestens ab 1938 einige Positionen, die sie zuvor vertreten hatten, teilweise wieder zurück. Diese Rücknahme ist auch auf die scharfe Kritik zurückzuführen, auf die die Ansätze der "Kieler" im Schrifttum gestossen waren. Insbesondere Erich Schwinge und Leopold Zimmerl hatten den methodologischen Ansatz Dahms und Schaffsteins in Bausch und Bogen verworfen und ihnen vorgeworfen, einen "strafrechtlichen Irrationalismus" zu vertreten.[9] Edmund Mezger hatte an Schaffsteins Versuchen , die Grenzziehung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld aufzuheben und an der ersatzlosen Streichung des Begriffes Rechtsgut durch das Konzept der sogenannten "Pflichwidrigkeit" Anstoss genommen. Dahm und Schaffstein reagierten auf diese Kritik[10]. Hatte Dahm 1935 die strafrechtliche Kategorie des Tatbestandes noch gänzlich abschaffen wollen, so behauptete er nun, lediglich eine "Akzentverschiebung" vorgenommen haben zu wollen. Ähnliche Relativierungen erfolgten im Bereich der Lehre vom "Rechtsgut" und der strafrecthlichen Systematik (Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld). Den den späteren Veröffentlichungen (nach 1935) von Karl Larenz lassen sich hingegen keine entsprechenden Positionswechsel entnehmen.[11]

Die Mitglieder der Kieler Schule hatten aufgrund der damit verbundenen Verfehlungen später in der Nachkriegszeit teilweise größere Probleme, wieder in der Wissenschaft akzeptiert zu werden. Das einzige ehemalige Mitglied der Kieler Schule, das sich öffentlich und selbstkritisch - wenn auch erst in den 90er Jahren - zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit bekannte, war Friedrich Schaffstein, der in der Nachkriegszeit zu einem der einflussreichsten Jugendstrafrechtler avancierte. Karl Larenz äußerte sich öffentlich niemals bezüglich seiner Verstrickungen in die NS-Lehre, sondern ging zur wissenschaftlichen Tagesordnung über und wurde nach 1945 schon bald wieder einen der führenden deutschen Zivilrechtler. Erst nach seinem Tod wurde ein Brief von Karl Larenz veröffentlicht, in dem dieser einerseits einräumte, in den Jahren nach 1933 zu blauäugig gewesen zu sein, andererseits jedoch bestritt, als Neuhegelianer einen nennenswerten Einfluss gehabt zu haben. Huber hingegen war es nach 1945 lange Zeit nicht möglich, seine akademische Karriere fortzusetzen. Dahm, der als Strafrechtler nach dem Krieg diskreditiert zu sein schien, wandte sich nunmehr stillschweigend dem Völkerrecht zu. Als charakteristisch für den Umgang mit der eigenen wissenschaftlichen Vergangenheit mag eine Bemerkung Georg Dahms in der dritten Auflage seines rechtswissenschaftlichen Grundlagenwerkes "Deutsches Recht" (1963) dienen:

Über den Nationalsozialismus zu sprechen ist es noch nicht an der Zeit. [...]. Maßloser Überschätzung ist die maßlose Verwerfung und Herabsetzung [...] gefolgt. [...] Weder die eine noch die andere Betrachtungsweise scheint uns angemessen zu sein.[12]

Literatur

  • Georg Dahm, Ernst Rudolf Huber, Karl Larenz, Karl Michaelis, Friedrich Schaffstein, Wolfgang Siebert (Hg.): Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin, Junker und Dünnhaupt Verlag, 1935.
  • Bernd Rüthers: Entartetes Recht, München, C.H.Beck; 2. Auflage, 1989, ISBN 3406329993, S. 42 ff.
  • Ingo Müller: Furchtbare Juristen, Kindler-Verlag München 1987, ISBN 3-463-40038-3
  • Jörn Eckert: Was war die Kieler Schule? in: Franz Jürgen Säcker: Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus. - Baden-Baden : Nomos VG, 1992. - ISBN 3-7890-2452-X
  • Ralf Frasek: Karl Larenz (1903-1993) - Privatrechtler im Nationalsozialismus und Nachkriegsdeutschland. In: Juristische Schulung (JuS), 1998, S. 805 ff.

Quellen

  1. Jörn Eckert, Was war die "Kieler Schule", in: Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus, Baden-Baden 1992, S. 37-70, S. 41 ff.
  2. Jörn Eckert, Was war die "Kieler Schule", in: Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus, Baden-Baden 1992, S. 37-70, S. 43-45
  3. Jörn Eckert, Was war die "Kieler Schule", in: Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus, Baden-Baden 1992, S. 37-70, S. 50
  4. Karl Larenz, Vorwort, in:Georg Dahm, Ernst Rudolf Huber, Karl Larenz, Karl Michaelis, Friedrich Schaffstein, Wolfgang Siebert (Hg.): Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin, Junker und Dünnhaupt Verlag, 1935, S. 9
  5. Karl Larenz, Rechtsperson und Subjektives Recht - zur Wandlung der Rechtsgrundbegriffe, in:Georg Dahm, Ernst Rudolf Huber, Karl Larenz, Karl Michaelis, Friedrich Schaffstein, Wolfgang Siebert (Hg.): Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin, Junker und Dünnhaupt Verlag, 1935, S. 225-258, S. 241
  6. Karl Larenz, a.a.O.
  7. Ernst Rudolf Huber, Verfassung, Hamburg 1937, S. 213
  8. Georg Dahm, Verbrechen und Tatbestand, in:Georg Dahm, Ernst Rudolf Huber, Karl Larenz, Karl Michaelis, Friedrich Schaffstein, Wolfgang Siebert (Hg.): Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin, Junker und Dünnhaupt Verlag, 1935, S. 62-107, S.
  9. in: Erich Schwinge und Leopold Zimmerl, Wesensschau und konkretes Ordnungsdenken im Strafrecht, Bonn 1937
  10. vgl. Georg Dahm, Der Methodenstreit in der heutigen Strafrechtswissenschaft sowie Friedrich Schaffstein, Rechtswidrigkeit und Schuld im Aufbau des neuen Strafrechtssystems, in: Georg Dahm und Friedrich Schaffstein, Methode und System des neuen Strafrechts, Berlin 1938
  11. vgl. nur Karl Larenz, Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens, Berlin 1938
  12. Georg Dahm, Deutsches Recht, 3. Aufl., Stuttgart 1963, S. 268