Geldschöpfung
Geldschöpfung ist ein Vorgang, bei dem dem Wirtschaftskreislauf Geld zugeführt wird. Dies geschieht durch die Kreditvergabe von Zentralbanken an Geschäftsbanken und von Geschäftsbanken an Unternehmen und Privatpersonen (so genannte Nichtbanken).
Geldschöpfung ist neben der Geldvernichtung ein Element zur Steuerung der Geldmenge, deren Kontrolle Aufgabe der Zentralbank eines Landes oder Währungsraums ist. Diese Kontrolle ist notwendig, um die Geldwertstabilität und somit die Wirtschaft eines Währungsraumes zu sichern.
Begriff der Geldschöpfung
Geld wird durch Aufnahme von Krediten vermehrt und durch Rückzahlung dieser vermindert. Diese Vorgänge nennt man Geldschöpfung und Geldvernichtung.
Die Ausgabe von Geld an die Bevölkerung eines Währungsraums erfolgt durch das Bankensystem. Geld wird durch die Zusammenarbeit von Zentralbanken, Geschäftsbanken und Nichtbanken geschaffen. (Zu den Nichtbanken zählen alle Unternehmen ohne Banken, die privaten Haushalte und die öffentliche Hand.) Geldschöpfung basiert vorwiegend auf der Gewährung von Krediten.
Aus der Sicht der Geldschöpfung sind zwei unterschiedliche Arten von Geld zu unterscheiden: Zum einen das Zentralbankgeld, das von der Zentralbank geschaffen oder vernichtet wird. Hierzu zählt auch das Bargeld. Zum anderen spricht man von Geschäftsbankengeld, ein Buch- bzw. Giralgeld rein auf Bankkonten, das bei den privaten Geldinstituten entsteht oder verschwindet.
Der Anstoß zur Geldschöpfung geht von der Nachfrage der Nichtbanken nach Krediten aus. Wenn Geschäftsbanken Wirtschaftsunternehmen Kredite erteilen wollen, für welche sie über zu wenig Mittel verfügen, nehmen sie ihrerseits bei der Zentralbank Kredite auf. Im Gegenzug verpfänden sie der Zentralbank Wertschriften als Sicherheiten. Die Geschäftsbanken verschulden sich also bei der Zentralbank.
Aufgrund solcher Kredite erhalten die Geschäftsbanken von der Zentralbank Zentralbankgeld in Form von Gutschriften auf ihren Konten bei der Zentralbank. Zu Lasten dieser Gutschriften können die Geschäftsbanken von der Zentralbank auch Bargeld beziehen (Geldscheine und Münzen), das sie selbst nicht schaffen dürfen. Das Zentralbankgeld gibt den Geschäftsbanken die Voraussetzung, selbst Kredite zu erteilen. Auch die kreditsuchenden Unternehmen überschreiben ihren Banken Sicherheiten für die Kredite.
Damit ist Geld vom Standpunkt der Geschäftsbanken aus Schuldbeleg. Für die Zentralbank ist Geld Guthaben bei den Banken. Da alles Geld heute als Kredit geschaffen wird, sei es von der Zentralbank gegenüber den Geschäftsbanken, sei es bei Geschäftsbanken gegenüber ihren Kreditkunden, ist Geld Schuldanerkenntnis. Wesentlich dabei ist, von wem und an wen diese Schuldanerkenntnis besteht. Für diejenigen hingegen, die außerhalb des Bankensystems über einen Geldschein verfügen, ist er nicht Schuldschein, sondern Zahlungsmittel.
Aus diesen Vorgängen ist ersichtlich, dass die Menge des vorhandenen Geldes vom Umfang der Kredite abhängt und ständig schwankt. Außerdem ist die Geldschöpfung abhängig von Vermögenswerten, welche von den Kreditnehmern ihren Banken als Sicherheiten für ihre Kredite verpfändet werden können und ohne welche es keine Kredite gibt. Unter den derzeit üblichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann nur eine verschuldete Gesellschaft über Geld verfügen. Aus diesem Grund ist - bis auf wenige Ausnahmen wie bei umlaufgesichertem Geld - alles Geld von vorn herein mit Zins belastet. Geld ist darum stets an Zinsen gebunden, und das Zahlen von Zinsen an die herausgebenden Banken ist Voraussetzung für das Vorhandensein von Geld.
Bargeld (Münzen und Banknoten) kann nur von der Zentralbank geschaffen werden, Buchgeld auf Sichtguthabenkonten (Giralgeld) sowohl von der Zentralbank wie auch von Geschäftsbanken.
Ablauf der Geldschöpfung
Der Ablauf der Geldschöpfung beinhaltet die Wirtschaftssubjekte Zentralbank, Geschäftsbank und Endverbraucher. Die Initiative zur Geldschöpfung geht von der Zentralbank aus, die Nachfrage muss jedoch vom Endverbraucher stammen. Der Zentralbank stehen zur Geldschöpfung verschiedene Methoden zur Auswahl, die je nach Wirtschaftsverhältnissen mehr oder weniger gut wirksam werden.
Funktion der Zentralbank
Der Zentralbank eines Landes obliegt die Erstversorgung ihres Währungsraums mit Geld. Dabei beschreitet sie den Weg über die Geschäftsbanken.
Die Zentralbank schöpft Geld einerseits über Kredite, die sie an die Geschäftsbanken gegen die Verpfändung von Sicherheiten vergibt. Die von den Geschäftsbanken verpfändeten Schuldtitel sind häufig von der Bank selbst oder von anderen Banken ausgegeben, emittiert worden. Andererseits kann die Zentralbank Geld durch den Ankauf von Devisen, Edelmetallen oder Wertpapieren von den Geschäftsbanken erzeugen (Offenmarktpolitik). In beiden Fällen erhalten die Geschäftsbanken Zentralbankgeld in Form von Guthaben auf Konten gutgeschrieben, die sie bei der Zentralbank unterhalten.
Das vom Bankenpublikum bei den Geschäftsbanken angeforderte Bargeld wird von der Zentralbank in Form von Münzen und Geldscheinen abgegeben, welche die Geschäftsbanken bei der Zentralbank zu Lasten ihrer Guthaben an Zentralbankgeld beziehen können.
Die Zentralbank erhebt auf den von ihr an die Geschäftsbanken vergebenen Krediten die sogenannten Zentralbankzinsen. Diese werden von den Banken ihren eigenen Kreditnehmern weiterbelastet.
Die Vergabe von Krediten an die öffentliche Hand durch die Zentralbank ist im Euroraum seit der zweiten Stufe der Europäischen Währungsunion von 1994 verboten, d. h. der Staat muss sich Geld bei Geschäftsbanken leihen. Ganz anders in den USA: Dort machte beispielsweise am 17. November 2004 der Posten "U.S. Treasury" sogar 89,3% der gesamten Aktiva des Federal Reserve Systems aus. Das heißt: Der US-Dollar ist fast ausschließlich durch die US-Staatsverschuldung gedeckt.
Funktion der Geschäftsbanken
Die Geschäftsbanken geben die von der Zentralbank erhaltenen Kredite ebenfalls in Form von Krediten an die Endverbraucher – die Unternehmer und Privatpersonen (Nichtbanken) – weiter. Der Zinssatz, den die Geschäftsbank für den Kredit bei der Zentralbank zahlen muss, wird bei der Vergabe von Krediten an Endverbraucher zur Deckung eigener Aufwände und zur Erwirtschaftung eines Gewinnes erhöht.
Methoden der Geldschöpfung
Die Steuerung der Geldschöpfung obliegt ausschließlich den Zentralbanken. Da die nominale Geldmenge aber nur zu einem geringen Teil dem unmittelbaren Einfluss der Zentralbank unterliegt, erfolgt diese Steuerung über Geschäftsbanken, die als Zwischenhändler zwischen der Nationalbank und dem Endverbraucher, der Nichtbank, auftreten. Die Beeinflussung durch die Zentralbank findet entweder durch die Erhöhung oder Senkung des Leitzinssatzes statt, zu dem sich Geschäftsbanken Kredite aufnehmen können (Refinanzierungspolitik) oder durch den An- und Verkauf von Wertpapieren, um auf diese Weise dem Wirtschaftskreislauf Geld zuzuführen oder wegzunehmen (Offenmarktpolitik).
durch die Zentralbank
Refinanzierungspolitik
Bei der Refinanzierungspolitik stellt die Zentralbank den Geschäftsbanken in unterschiedlichem Umfang Bargeld (Zentralbankgeld) für die Kreditvergabe zur Verfügung. Sind die dafür berechneten Zinsen (Diskontsatz bzw. Lombardsatz, wobei der Lombardsatz in der Regel höher als der Diskontsatz ist) niedrig, werden die Banken viele Papiere verpfänden, damit viel Geld erhalten, und sie können so auch mehr Kredite vergeben. Verteuert die Zentralbank diese Beschaffung von Geld, sinkt die Kreditvergabe entsprechend. Dies ist die bedeutendste Form der Kreditgewährung der Zentralbanken an die Geschäftsbanken.
Diskontpolitik
Bei der Diskontpolitik können Geschäftsbanken Wechsel, die sie von Unternehmen angekauft haben, bei der Zentralbank verpfänden. Die Zentralbank kann mengenmäßig durch die Festlegung von Obergrenzen (Refinanzierungsplafond) eingreifen, bis zu welchen eine Bank Wechseldiskont in Anspruch nehmen kann. Die Diskontpolitik hat auch eine qualitative Komponente, da nur Handelswechsel mit bester Bonität und mit höchstens 90-tägiger Laufzeit angekauft werden.
Lombardpolitik
Bei der Lombardpolitik können Geschäftsbanken kurzfristige Darlehen bis zu drei Monaten bei den Zentralbanken aufnehmen, wenn sie im Gegenzug Wertpapiere verpfänden. Obergrenzen (Refinanzierungsplafonds) begrenzen diese Möglichkeit der Geldaufnahme durch Banken.
Die EZB verzichtet auf eine Diskontpolitik und an Stelle der Lombardpolitik traten die Spitzenrefinanzierungsfazilitäten. Daneben bietet die EZB die Möglichkeit, über die Einlagefazilität, eine niedrig verzinste Einlage der MFI beim Eurosystem, überschüssige Liquidität zu absorbieren. Die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität bilden eine Ober- und Untergrenze für die kurzfristigen Zinssätze des Interbankenmarktes wie den EONIA. Somit leisten die ständigen Fazilitäten neben dem kurzfristigen Liquiditätsausgleich einen wichtigen Beitrag zur Begrenzung der Volatilität am Geldmarkt.
Offenmarktpolitik
Bei der Offenmarktpolitik bilden Offenmarktgeschäfte heute das Rückgrat der Notenbankpolitik. Sie dienen der Liquiditätsversorgung und der Zinssteuerung. Durch An- und Verkauf von Wertpapiere durch die Zentralbank erhalten die Geschäftsbanken Alternativen zur Kreditvergabe. Sind die Zinskonditionen der Zentralbank gut, werden die Banken Offenmarktpapiere kaufen anstatt Kredite zu vergeben und die Geldschöpfung wird geringer. Die EZB betreibt diese Politik mittels ihres Hauptrefinanzierungsinstruments, welches mit etwa 75 % den größten Anteil an der Liquiditätsversorgung umfasst. Bedarfsweise können auch Feinsteuerungsoperationen (meist als so genannte Schnelltender) oder strukturelle Operationen durchgeführt werden. Dies bildet jedoch die Ausnahme.
Devisenkurspolitik
Bei der Devisenkurspolitik kauft und verkauft die Zentralbank Devisen. Dies sind zumeist kurzfristig fällige Bankguthaben im Ausland. Beim Devisenzukauf wird der Volkswirtschaft Geld entzogen, beim Verkauf fließt ihr Geld zu.
Devisenswappolitik
Mit der Devisenswappolitik kann die Zentralbank durch Devisenswap- und Zinsswapgeschäften den Devisenimport und -export beeinflussen sowie die Liquidität der inländischen Banken erhöhen. Dies geschieht, indem die Zentralbank den Geschäftsbanken Devisen zum Kassakurs verkauft, diese aber sofort wieder zum höheren Terminkurs per Termin 30, 60 oder 90 Tage zurückkauft. Die Banken legen diese Devisen für diesen Zeitraum zinsgünstig im Ausland an und nehmen sie nach Fälligkeit zurück um sie zum vereinbarten Termin wieder an die Zentralbank zurückzugeben. Die Swappolitik ist überflüssig, wenn das ausländische Zinsniveau höher ist.
Mindestreservenpolitik
Die Mindestreservenpolitik verpflichtet die Banken, einen Teil ihrer Einlagen als Mindestreserve bei der Zentralbank zu hinterlegen. Der Mindestreservesatz bestimmt dabei, wie hoch der Anteil des Guthabens ist, der an die Zentralbank ohne Sicherheiten verliehen werden muss. Bei einer höheren Mindestreserve können die Banken weniger Kredite vergeben und umgekehrt. Bei der EZB liegt der Mindestreservesatz, um die Wettbewerbsfähigkeit der Geschäftsbanken nicht zu beschränken, bei maximal 2% des Guthabens und wurde bisher noch nicht verändert, also für die Geldpolitik eingesetzt. Die Mindestreserven werden inzwischen auch zum Hauptrefinanzierungssatz verzinst. Bei der Deutschen Bundesbank gab es zeitweise bis zu 27 Mindestreservesätze, die differenziert nach Bankengröße und Einlageform galten. In der Schweiz sind keine Mindestreserven vorgesehen. Ursprünglich diente diese Politik zum Gläubigerschutz (Sicherung eines Teils der Spareinlagen). Heute ist sie ein kreditpolitisches Instrument.
durch die Geschäftsbanken
Krediterteilung
Aufgrund von Krediten der Zentralbank (Zentralbankgeld-Guthaben) und von Spareinlagen von Bankkunden (Nichtbanken) können Geschäftsbanken ihren Kunden Kredite erteilen. Durch diesen Vorgang wird Buchgeld geschaffen. Nach Zusage des Kredits kann der Kreditnehmer von einem Sichtguthabenkonto bei seiner Bank aus Zahlungen per Überweisungen auf Konten von Kunden der gleichen oder einer anderen Bank vornehmen lassen oder darauf Schecks ausstellen oder sich Bargeld auszahlen lassen.
Das von Kreditkunden abgehobene Bargeld kann außerhalb des Bankensystems zu Barzahlungen verwendet werden. Auf diese Weise gelangt Bargeld grundsätzlich immer unter die Bevölkerung. Eine Ausnahme davon war in Deutschland 1948 die direkte Barauszahlung von 40 D-Mark von den Gemeindeverwaltungen an jeden Landesbürger als Startgeld bei der Währungsreform.
Bei Geschäftsbanken entsteht Buchgeld, indem Bargeld von Bankkunden auf Sichtguthabenkonten eingezahlt wird. Danach liegt das Bargeld zunächst bei der Bank, und der Kunde verfügt über ein Kontoguthaben. Das Guthaben stellt eine Forderung auf Bargeld dar, gegen welches der Kunde die Wiederauszahlung von Bargeld zugute hat. Jede Einzahlung von Bargeld hinterlässt bei den Banken zahlungsfähiges Buchgeld in Form von Guthaben, das so lange im Bankensystem erhalten bleibt und als Zahlungsmittel von Konto zu Konto umläuft, bis eine Bank dem Einzahler wieder Bargeld ausbezahlt. Das Entstehen von Buchgeld aus einer Bargeldeinzahlung kann noch nicht als eigentliche Geldschöpfung verstanden werden, weil hier keine Geldvermehrung stattfindet, sondern lediglich eine Geldform in eine andere umgewandelt wird – Bargeld in Sichtguthaben.
Echte Geldschöpfung hingegen ist es, wenn die Menge des Buchgeldes zunimmt, indem das gleiche Bargeld mehrfach wiederholt zur Kreditgewährung verwendet wird, dann das Bankensystem wieder verlässt und erneut auf Konten eingezahlt wird. Dies wird als multiple Geldschöpfung bezeichnet.
Multiple Geldschöpfung
Nachdem grundsätzlich einmal Bargeld in der Bevölkerung in Umlauf gekommen ist – in der Regel auf dem Kreditweg von der Zentralbank über Geschäftsbanken an kreditnehmende Unternehmen und dann als Zahlungen an deren Lieferanten und Lohnempfänger –, kann es bei Geschäftsbanken auf Konten eingezahlt werden. Damit sind die Banken in der Lage, Kredite zu erteilen. Soweit die Kredite in Form von Bargeld ausbezahlt werden, kann Bargeld außerhalb des Bankensystems für Zahlungen verwendet werden und früher oder später wieder als Einzahlung zu den Banken zurückkehren. Wird Bargeld auf das Kreditkonto eines Kreditnehmers eingezahlt, so bedeutet diese eine Minderung oder Tilgung seines Kredits. Kehrt Bargeld jedoch auf andere Bankkonten als diejenigen von Kreditnehmern ins Bankensystem zurück, so verfügen die Banken erneut über Geld, um weitere Kredite vergeben zu können. Auf diese Weise bildet sich bei den Banken eine Kette von empfangenen Einlagen und vergebenen Krediten. Jedes Mal entstehen Sichtguthaben, welche zusätzlich zum Bargeld Zahlungsmittel sind.
Dazu das Modellbeispiel einer Kreditkette:
- Eine Bank hat von ihren Kunden 1.000,– € als Einlage auf Sichtguthabenkonten erhalten (1. Einlage). Davon führt sie den von der Zentralbank festgelegten Mindestreservesatz an die Zentralbank ab oder behält – falls eine solche Verpflichtung, wie beispielsweise in der Schweiz, nicht besteht – eine Sicherheitsreserve (Liquiditätsreserve) zurück (hier angenommen zu 10% = 100,– €, tatsächlich heute wesentlich weniger), so dass ihr 900,– € verbleiben, die sie als Kredit an einen Kunden vergibt. Diese 900,– € werden vom Kreditnehmer als Bargeld abgehoben und ausgegeben und landen als weitere Einlage auf einem anderen Sichtguthabenkonto (2. Einlage). Hiervon behält die Bank erneut 10% = 90,– € als Reserve ein und verleiht die verbleibenden 810,– € als neuen Kredit. Dieser Kreditbetrag wird erneut als Bargeld abgehoben und ausgegeben und wieder auf ein Sichtguthabenkonto eingezahlt (3. Einlage). Erneut werden 10% = 81,– € als Reserve zurückbehalten, und es bleiben 729,– € übrig, die wieder als Kredit vergeben werden, u. s. w.
- Die Sichtguthaben aus den Einlagen ergeben zusammen 2710 € als Buchgeldmenge (1000 + 900 + 810 €) und können zu Zahlungen von Konto zu Konto verwendet werden. Demgegenüber hat sich die in Verkehr stehende Menge von Bargeld um die Reserven verringert, also um 100 + 90 + 81 = 271 €. Damit stehen noch 1000 – 271 = 729 € an Bargeld in Verkehr. Infolgedessen können mit 2710 € an Sichtguthaben und mit 729 € an Bargeld im gleichen Zeitpunkt von verschiedenen Inhabern Zahlungen ausgeführt werden. Genauer: Zur gleichen Zeit, wie der letzterwähnte Kreditnehmer mit Bargeld von 729 € zahlt, können die drei Sichtguthabenbesitzer mit ihren Guthaben Zahlungen von zusammen 2710 € ausführen, indem sie die Guthaben auf Konten anderer Kontoinhaber überweisen. Die zahlungsfähige Geldmenge M1 ist also gegenüber der Ausgangsmenge von 1000 € auf 2710 + 729 = 3439 € angewachsen! Diese Geldvermehrung gilt, solange keiner der Einzahler eine Bargeldabhebung von seinem Sichtguthaben vornimmt.
Die Kreditkette könnte unbegrenzt fortgesetzt werden, doch werden die neu zu vergebenden Kredite immer geringer. Wie stark sich die Geldmenge letztlich theoretisch erhöhen kann, gibt der Geldschöpfungsmultiplikator an, der von der Höhe des Mindestreservesatzes abhängt. Er beträgt 1/Mindestreservesatz. (Im Beispiel mit 0.1 als Mindestreservesatz beträgt der Geldschöpfungsmultiplikator 10.) Eine natürliche Begrenzung der Geldschöpfung ergibt sich dadurch, dass die Banken in der Lage sein müssen, ihren Kunden auf Verlangen Bargeld auszuzahlen. Dazu müssen sie eine Sicherheitsreserve in Bargeld halten, die erwähnte Liquiditätsreserve, und können die Einlagen nicht in voller Höhe für Kredite bereitstellen. Die Liquiditätsreserve muss nicht den vollen Bestand an Sichtguthaben umfassen, weil das einmal eingezahlte Bargeld von den Bankkunden praktisch nie mehr in vollem Umfang zurückgezogen wird – bargeldloses Zahlen ist vorteilhafter.
Die Krediterteilung von jeweils neun Zehnteln der eingezahlten Bargeldmenge bei einer Sicherheitsreserve von zehn Prozent wie im Beispiel entspricht der üblichen Größenordnung. Dieses Verhältnis kann je nach dem Bedarf der Banken an Sicherheitsreserve schwanken. Steigt dieser Bedarf, so nimmt ihre Krediterteilungsfähigkeit ab, und die Buchgeldmenge muss sinken. Die Krediterteilung von neun Zehnteln führt in der Praxis zu einer Buchgeldmenge, die das Zwei- bis Zweieinhalbfache derjenigen Bargeldmenge ausmacht, die sich in der Bevölkerung in Umlauf befindet.
Nach einer Krediterteilung, die auf eingezahltem Bargeld beruht, können zwei verschiedene Zahlungen gleichzeitig und nebeneinander ausgeführt werden, wo zuvor nur eine einzige möglich war, nämlich einerseits durch Weitergabe von Bargeld außerhalb des Bankensystems, andererseits durch Überweisen von Buchgeld innerhalb des Bankensystems. Diese Möglichkeit besteht, weil nun Bargeld und Buchgeld gleichzeitig im Spiele sind, anstatt nur Bargeld allein. Das über den Kredit wieder ausgegebene Bargeld kann ein weiteres Mal und von einem neuen Besitzer auf ein Sichtguthabenkonto eingezahlt werden, entweder auf sein eigenes oder auf dasjenige eines anderen. Dieses mehrfache Verwenden des gleichen Bargeldes in abnehmendem Umfang ist Grundlage der multiplen Geldschöpfung der Geschäftsbanken. Charakteristisch dabei ist das wiederholte Wechseln der Art des Zahlungsmittels zwischen Bargeld und Buchgeld.
Die multiple Geldschöpfung ist Voraussetzung und Erklärung der Tatsache, dass die Buchgeldmenge wesentlich größer sein kann und ist als die Bargeldmenge. Auf die gleiche Weise konnte vor der Zeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs aus einer begrenzten Menge Münzgeld eine wesentlich größere Menge Banknotengeld entstehen.
Geschäftsbanken können von sich aus und absichtlich keine (aktive) Buchgeldschöpfung betreiben, wenn sie keine neuen Bareinlagen erhalten, weil sonst ihre Bilanzen aus dem Gleichgewicht geraten würden. Die multiple Buchgeldschöpfung ist ein allgemeiner banktechnischer Vorgang, der bei den Banken unbeabsichtigt (passiv) abläuft und ihnen oft nicht bewusst ist, weil jeder der daran beteiligten Vorgänge ein einzelnes unabhängiges Bankgeschäft darstellt. Obwohl dadurch die Geldmenge mit der Gefahr der Inflation zunimmt, tragen die Banken selbst keine Verantwortung dafür. Stattdessen sucht die Zentralbank diesen Prozess durch das Festlegen ihrer Zentralbankzinssätze und – sofern praktiziert – des Mindestreservesatzes zu steuern, die den Geschäftsbanken das Erteilen von Krediten verteuern oder verbilligen und sie dadurch zum Eindämmen oder Ausweiten ihrer Kredite und damit der Buchgeldmenge motivieren. Um die Geldschöpfung der Geschäftsbanken völlig auszuschalten, wurde schon eine 100-prozentige Mindestreserve gefordert, so von Milton Friedman.
Fiat Money
Siehe Hauptartikel Fiat Money
Die Folgen des veränderten Umgangs mit Geld
Diese (übliche) Art der Erklärung der multiplen Geldschöpfung durch Geschäftsbanken wird aber immer realitätsferner, weil die Nachfrage der Bankkunden nach Bargeld relativ immer mehr sinkt. Die bargeldlosen Zahlungsmöglichkeiten im täglichen Leben nehmen deutlich zu. Die Geschäftsbanken können somit auch immer mehr Giralgeld durch Kreditvergabe einfach erzeugen, ohne dann Zentralbankgeld (Bargeld) abgeben zu müssen. Somit ist auch die Annahme, dass wirklich Bargeld bei Geschäftsbanken eingelegt wird, immer weniger realistisch. Spareinlagen werden vorzüglich vom Girokonto direkt auf das Sparkonto getätigt. Damit nimmt aber die Möglichkeit der Zentralbanken, die Geldmenge zu steuern, ab.
Literatur
- Martin Scheidt: Theoretische Grundlagen der bankgeschäftlichen Kreditgewährung (Dissertation), 1962, Duncker & Humblot