Scharia
Die Scharia (arab.: "deutlicher, gebahnter Weg") ist das sunnitische islamische Gesetz. Sie stützt sich auf zwei Hauptquellen: den Koran und die Sunna des Propheten Mohammed, d.h. den gesamten Korpus aus Erzählungen und Aussprüchen des Propheten (hadith). Um auch Fragen rechtlich lösen zu können, die nicht im Koran oder der Sunna geregelt waren, griff man auf den Konsens (idjma) der muslimischen Gemeinde (umma) und die Entscheidung nach Analogieschluss (Qiyas) der Rechtsgelehrten (ulama) zurück. Das Konsensprinzip legitimierte man mit einem überlieferten Ausspruch Mohammeds, nach dem sich "seine Gemeinde nie in einem Irrtum zusammenfinden würde".
Im Lauf der Entwicklung des islamischen Rechts bildeten sich vier Rechtsschulen (madhahib) heraus:
- die Hanafiten nach Abu Hanifa (699-767)
- die Malikiten nach ihrem Gründer Malik Ibn Anas (gest. 795)
- die Schafiiten nach ash-Shafii (767-820)
- die Hanbaliten nach Ibn Hanbal
Die Sharia teilt die menschlichen Handlungen in fünf Kategorien ein: verpflichtend, lobenswert, erlaubt, missbilligt und verboten (haram).
Der Anspruch der Scharia erstreckt sich gleichermaßen auf den Bereich der religiösen wie auf den der zivilen Rechtssprechung. Neben rituellen Vorschriften regelt es das Familien-, Erb-, Sachen- und Obligationsrecht, das Strafrecht, genauso wie Gesetze zur Regierung und Verwaltung eines Staats.
Die Scharia ist geltendes Recht in:
Nigeria, Iran, Saudi-Arabien, Bangladesh, Afghanistan, Marokko, Sudan, Katar, Pakistan
Geschichte
Das, was heute als islamisches Recht bekannt ist, existierte zur Zeit Mohammeds noch nicht. In der präislamischen Stammeskultur wandte man sich zur Schlichtung von Rechtsstreitigkeiten an einen sogenannten hakam, der für besondere Weisheit bekannt war. Dieser besaß keinerlei Exekutivgewalt, um ein Urteil zu vollstrecken, daher forderte er von den Kontrahenten meist vorab, daß sie einen Eid schworen, und als Sicherheit einige Kamele einem neutralen Dritten übertrugen. Nach der Hidjra Mohammeds und seiner Anhänger nach Medina übernahm Mohammed die Rolle eines solchen hakam für die Muslime. Auch die ersten, sog. "rechtgeleiteten" Kalifen (Raschidun) amtierten als Schiedsrichter für die muslimische Gemeinde. Erst die Umayaden-Kalifen setzten Richter (qadi) ein, die in ihren Entscheidungen relativ frei waren, d.h. sie fällten ihre Urteile nach ray (Gutdünken, Meinung), wobei sie Rekurs auf den Koran, die Tradition und örtliches Gewohnheitsrecht nahmen.
Die wichtigsten ältesten Rechtsschulen im Islam waren die Schulen von Kufa und Basra im Irak und die von Medina und Mekka, die sich hauptsächlich nach lokalen Gewohnheitsrecht unterschieden. Im 8. Jahrhundert entstand die Bewegung der Traditionarier, die auf den Vorrang der Sunna des Propheten über die traditionsorientierte Rechtssprechung der älteren Rechtsschulen pochte.
Als 750 die Abbasiden die Umayadische Dynastie ablösten, errichteten sie formelle Gerichtshöfe und etablierten ein System von Berufungsgerichten. Die Richter waren theoretisch unabhängig von der Regierung und entschieden allein nach dem islamischen Recht.
(to be continued)
Prinzipien
Das islamische Recht (fiqh) ist geteilt in zwei Bereiche, die usul al-fiqh ("die Wurzeln des Rechts"), die Prinzipien, auf denen das islamische Recht fußt, und die furu' al-fiqh ("Die Zweige des Rechts"), die Sammlung von Fällen und Entscheidungen.
siehe auch: fatwa -- idjtihad -- qiyas -- idjma
Für das grundlegend verschiedene schiitische Recht siehe: Schia
Weiterführende Literatur
J. Schacht: The Origines of Muhammadan Jurisprudence, Oxford 1950
J. Schacht: An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964
Yasin Dutton: The Origines of Islamic Law 1999