Filibuster
Als Filibuster, be[ ] ae[ ] wird eine Dauerrede im Senat der Vereinigten Staaten bezeichnet, mit der eine Minderheit eine Beschlussfassung durch die Mehrheitsfraktion zu verhindern oder wenigstens durch Verschiebung politisch zu zermürben sucht. Dabei wird hinter den Kulissen meist zugleich fieberhaft versucht, Überzeugungsarbeit bei einzelnen Senatoren der Mehrheitsfraktion gegen den Beschluss zu leisten (Lobby-Politik). Der Filibuster ist kein neues Phänomen, sondern geht auf die römische Tradition der Ermüdungsrede zurück.
In den deutschen Sprachraum ist der verallgemeinerte Begriff der Filibusterei eingesickert, der jede zermürbende Abstimmungstaktik bezeichnet. Auch im englischen Sprachraum gibt es diese Verallgemeinerung (filibustering). Nahezu alle demokratischen Systeme kennen geschichtlich eine Form der Filibusterei, auch wenn die Redezeit im Parlament begrenzt ist, etwa durch Anträge zur Tagesordnung, Anfragen zur Klärung einzelner Punkte und Nutzung von verlängerten Pausen.
Filibuster
Möglich wird diese Taktik der Marathonrede durch die im Vergleich zum Repräsentantenhaus sehr freizügige Geschäftsordnung des Senats: Die Senatoren haben das Recht, so lange sie wollen zu reden, ohne dass dies mit dem zur Debatte stehenden Thema etwas zu tun haben muss. Die längste Einzelrede (24 Stunden und 18 Minuten) hielt Senator Strom Thurmond im Jahr 1957, um ein Bürgerrechtsgesetz zu verhindern. Insgesamt dauerten die "Beratungen" für den Civil Rights Act von 1964 57 Tage, in denen der Senat keine anderen Beschlüsse fassen konnte. Berühmt wurde der 15 stündige 1935er-Filibuster von Huey Pierce Long, in dem dieser unter anderem seine Rezepte für gebratene Austern kund gab. Den ersten langen Filibuster seit Einführung der Live-Übertragungen aus dem Senat hielt Alfonse D'Amato 1992 mit über 15 Stunden Rede und Gesang, um den Wegzug einer Schreibmaschinenfabrik aus seinem Heimatstaat New York zu verhindern.
Nachdem es bis 1917 überhaupt keine Regeln gab, die die Redezeit der Senatoren beschränkten, kann heutzutage eine Debatte von 3/5 der Senatoren (normalerweise 60) abgebrochen werden. Jedoch muss eine solche Abstimmung über Schluss der Debatte mehrere Tage im Voraus beantragt werden, so dass sich mit einem Filibuster immer noch eine Menge Zeit gewinnen lässt. Die vom ehemaligen demokratischen Mehrheitsführer Robert Byrd entwickelte "Nuclear Option" erlaubt es mit Hilfe eher arkaner Geschäftsordnungsinterpretationen auch mit einfacher Mehrheit einen Filibuster zu verhindern, allerdings ist die Zulässigkeit und politische Opportunität des Verfahrens mehr als nur umstritten.
Eine Änderung der Geschäftsordnung des Senats kann hingegen durch einfache Mehrheit von 51 Stimmen beschlossen werden. Dazu ist es aus politischem Kalkül bisher aber nicht gekommen, da beide Parteien zu verschiedenen Zeiten Nutzen aus dem Filibuster gezogen haben. Der Filibuster besitzt in der US-amerikanischen Demokratie eine geradezu mythische Tradition – er wird als Teil des checks-and-balances Systems gesehen, in dessen Folgerung der Senat anders gestaltet wurde als das Repräsentenhaus: er dient der Bewahrung und Kontrolle der Macht um Auswüchse zu verhindern. Es wird daher akzeptiert, dass im Senat langsamer gearbeitet wird, und die Filibusterei als typische Erscheinung seiner verfassungskonformen Aufgabe gesehen. Durch die jahrhundertelange Akzeptanz wird im Senat oft mit einem Filibuster gedroht, tatsächlich wahrgenommen wird er jedoch selten.
Der längste Filibuster seit 1988 wurde im November 2003 mit fast 40 Stunden gehalten, als sich die Demokraten gegen die Bestellung von drei politisch rechts stehenden Richterinnen in Appellationsgerichten (Federal Court of Appeals) durch Präsident George W. Bush zur Wehr setzten. 2005 beschlossen die demokratischen Senatoren nach erneuter Nominierung dieser Kandidaten, sich zumindest zwei der fünf Kandidaturen durch ein Filibuster zu widersetzen.
Begriffsbildung
Der Begriff wurde vom spanischen filibustero übernommen, wobei dieser Begriff vom französischen flibustier abgeleitet ist, das sich wiederum aus einer entstellten Aussprache des niederländischen vrijbuiter (Freibeuter) herleitet – gemeint waren damit ursprünglich die Piraten, die zwischen ca. 1680 und 1800 die Karibik zwischen Kuba und Nicaragua unsicher machten.
In die Filmgeschichte eingegangen ist die Marathonrede, die James Stewart als Senator (erfolgreich) im Spielfilm "Mr. Smith geht nach Washington" von 1939 hält.
Weitere Filibuster findet man zum Beispiel im Comic Lucky Luke Die Brücke am ol'man river, in dem Senator Bridges von Lucky Luke gebeten wird, ihm etwas Zeit zu verschaffen, damit die letzten Arbeiten an der Brücke vollendet werden können, und Senator Bridges daraufhin beginnt, die Bibel vorzulesen.
Hintergrund
Zeit ist in Beschlussorganen ein teures Gut. Durch eine lange Diskussion wird nicht nur das aktuelle Vorhaben blockiert, sondern auch alle nachfolgenden Punkte einer Tagesordnung sind blockiert und können nicht zur Abstimmung gebracht werden. Die Filibusterei ist so ein effektives Mittel, womit eine bedeutende Minderheit in einem Parlament die Geschicke der Gesetzesfindung insgesamt bestimmt. Die möglichen Verzögerungen sind zwar letztlich begrenzt, die Amtszeit der Beschlussträger jedoch auch.
Das Mittel der Filibusterei ist keine Erfindung der USA. Schon im alten Rom gab es Marathonreden, so beschwert sich Julius Caesar in seinem Buch De Bello Civili darüber, dass sein Erzfeind Cato den ganzen Tag im Senat redet.
Andere Staaten
Vereinigtes Königreich
Im Vereinigten Königreich wird ein erfolgreich zerredetes Gesetzesvorhaben als talked out (hinweggeredet, ausgeredet) bezeichnet.
Im Britischen Unterhaus darf eine Rede, sofern sie beim Thema bleibt, beliebig in die Details gehen. Der Rekord für eine ununterbrochene Rede liegt mit sechs Stunden bei Henry Brougham, gehalten 1828. John Golding hielt 1983 eine Rede, einschließlich mehrerer Pausen, von zusammen 11 Stunden zur Thema der Reform der British Telecom. Die längste ununterbrochene Rede im letzten Jahrhundert wurde von Sir Ivan Lawrence gehalten, der zur Fluorisierungs-Verordnung eine Rede von vier Stunden 32 Minuten hielt.
Eine besondere Note dieses Verfahrens wird in der kürzlichen Rede von Andrew Dismore (Labour) deutlich, der eine Rede von drei Stunden 17 Minuten hielt. In seiner Rede zur Änderung des Eigentumsschutzes im Kriminalitätsrecht akzeptierte er mehrfach Einsprüche aus dem parlamentarischen Block, auf die er jeweils sehr genau einging, um dann mit der eigenen Rede fortzufahren. Mit dieser Taktik wird ein eigentlich beschränktes Thema deutlich in die Länge gezogen.
Irland
Im Irischen Unterhaus, mit ähnlicher Geschäftsordnung wie im Britischen Unterhaus, liegt der Rekord einer Marathonrede bei neuneinhalb Stunden (um vier Uhr morgens endend), gehalten 1936 von Tommy Henderson (Direktmandat) zum Thema der Änderung der Beamtenzulassungsordnung. Da dieses Thema die Ausgaben aller Geschäftsbereiche betrifft gab es ihm Gelegenheit eine Fülle von Details vorzubringen, bei der er umfängliche Kritik an der herrschenden Unionist-Partei vornahm.
Japan
Verlängerte Abstimmungsprozesse nennt man gern den langsamen Gang, englisch slow walk, und meint oft speziell Verspätungen bei der Stimmabgabe. In Japan gibt es davon eine besonders theatralische Variante, bei der die Abgeordneten sich einzeln zum Urnengang aufrufen lassen, um sich dann besonders langsam zu erheben, und in demonstrativ kleinen Schritten in Richtung der Wahlurne zu bewegen. Während die Regierungspartei ihre Stimmen binnen 15 Minuten abgegeben hat, braucht die Opposition hierzu fast zwei Stunden. Dieses Gebaren hat im japanischen Sprachgebrauch den Namen "den Kuhgang einlegen" (ushi aruki) bekommen.
Frankreich
In Frankreich wird vornehmlich die Form massiver Geschäftsanträge gebraucht. Hierbei spekuliert die Opposition darauf, dass der Präsident nach Artikel 49-3 der Verfassung eine Ersatzbeschluss vornimmt, mit der Begründung mangelnder Beschlussfähigkeit des Parlaments. Allerdings ist diese Aushebelung der parlamentarischen Rechte äußerst unpopulär und wird auch aus dem Regierungslager strikt abgelehnt – der Präsident würde sich somit massiv öffentlich in Misskredit bringen.
Bemerkenswerte Rekorde liegen hier mit 13000 Anträgen bei der UDF zur europäischen Regionalisierungsreform im Februar 2003, kurz danach im Juni 2003 noch übertroffen von 60000 Anträgen der kommunistischen Fraktion zur Fusion von GDF-Suez – dieser allein übertrifft die Zahl aller normalen Geschäftsordnungspunkte des gesamten Jahres um das Dreifache.
Canada Megacity Bill
Eine besondere Form der Filibusterei wurde im April 1997 von der Neuen Demokratischen Partei Ontarios (eine sozialdemokratische Partei) in der Nationalversammlung von Ontario gebraucht. Dies war gegen ein Gesetz der regierenden Fortschrittlich-Konservativen Partei gerichtet, das eine Megacity Toronto schaffen sollte. Die NDP-Fraktion generierte mit Hilfe eines Computers 11.500 Änderungsvorschläge, indem zu jeder Straße der neuen Stadt eine öffentliche Anhörung gefordert wurde, bei der die Bürger der jeweiligen Straße beteiligt werden sollten. Die Liberale Partei Ontarios beteiligte sich an der Filibusterei mit einer etwas kleineren Zahl an Anträgen, bei denen es um den Geschichtsbezug der benannten Straße ging.
Der Filibuster begann am 2. April mit dem Abbeywood Trail (Abteiwaldweg) und beschäftigte das Parlament Tag und Nacht, wobei sich die Mitglieder in Schichten abwechselten. Am 4. April kam durch die Übermüdung der Abgeordneten sogar ein NDP-Antrag unbeabsichtigt durch, und die einigen Dutzend Einwohner von Cafon Court (Cafonhof) im Stadtteil Etobicoke erhielten das Recht, einer öffentlichen Befragung zum Gesetzesvorhaben, allerdings wurde dies durch ein folgenden Änderungsantrag der Regierung wieder ausgesetzt. Am 6. April, als man in der alphabetischen Liste in den Straßen beginnend mit E angekommen war, bestimmte der Parlamentspräsident Chris Stockwell, dass die 230 identischen Worte jedes Antrags nicht mehr laut vorgelesen werden sollen, sondern nur noch der Name der Straße genannt werde. Dennoch musste zu jedem Antrag abgestimmt werden, und es dauerte bis zum 8. April um zuletzt die Zorra Street (Zorrastraße) zu erreichen. Anschließend wurde die Anträge der Liberalen einer nach dem anderen abgelehnt, wobei ein ähnlicher, abgekürzter Prozess angewendet wurde. Der Filibuster endete schließlich am 11. April.
- Referenz: Archive der parlamentarischen Debatten im Provinzarchiv. Der Filibuster läuft von Sektion L176B bis L176AE; der Cafon Court Vorfall ist bei L176H, Stockwell Regelung bei L176N, und Zorra Street bei L176S.
Österreich
Während solcherlei in den angelsächsischen Vorzeigeparlamenten als legitime Mittel des Parlamentarismus verstanden werden, gab es solche Fälle im österreichischen Reichsrat wegen einer unzweckmäßigen Geschäftsordnung. Hier war nicht nur die Redezeit uneingeschränkt, sondern hier wurde nicht von und in alle Sprachen des Reiches übersetzt, so dass auch lange und wichtige Reden unübersetzt blieben. Obendrein durften die Parlamentarier auch nach freier Entscheidung Krach machen, wenn ein Kollege sprach (Rasseln, Ratschen, Kindertrompeten, Absingen von Liedern z. B. Nationalhymnen etc.). So waren die frei gewählten Parlamente (also auch die Landtage) unbeweglich und zugleich wurde der Parlamentarismus in ein schlechtes Licht gestellt. Hitlers Eindrücke von Parlamentsarbeit stammen aus dem Wiener Reichsrat. Über die Zu- und Missstände wurden damals in der Weltpresse berichtet, wenn z. B. der tschechischradikale Lisy allein mit Präsidium und Stenografen redete, ab und zu einen Bissen vom Wurstbrot nahm und einen Cognac trank.[1]
Quellen
- ↑ Brigitte Hamann, Hitlers Wien, München 2001