Offensive 77
Der Begriff Offensive 77 wird sowohl von der Roten Armee Fraktion selbst, wie auch von Medien und Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit den Terroranschlägen der RAF im Jahr 1977 verwendet. Die "Offensive 77" beginnt mit dem Mordanschlag auf den Generalbundsanwalt Siegfried Buback am 7. April 1977 und endet mit dem Selbstmord der RAF-Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim am 19. Oktober 1977. Ihr Ziel war die Befreiung der Gefangenen der RAF aus den Gefängnissen und der Durchbruch hin zu einem allgemeinen Umsturz der politischen Verhältnisse in Deutschland.
Hintergrund
Der Hungertod des RAF-Häftlinges Holger Meins im November 1974 und der dadurch ausgelöste Besuch von Jean-Paul Sartre bei Andreas Baader in Stammheim erzeugten ein grosses Medienecho und bewirkten eine neue Radikalisierung der Linken.
Es bildeten sich zahlreiche Gefangenen-Komitees, die gegen die angebliche "weiße Folter" und die vermeintlich unzumutbaren Haftbedingungen der RAF-Häftlinge protestierten. Aus Teilen dieser Gruppen bildete sich ab dem Frühjahr 1975 eine neue Generation der RAF (die sogenannte 2. Generation). Am 25. April überfiel das "Kommando Holger Meins" die deutsche Botschaft in Stockholm und nahm die Botschaftsangehörigen als Geiseln, mit dem Ziel, die Häftlinge in Stammheim freizupressen. Dieser erste Versuch einer Häftlingsbefreiung durch die RAF endete jedoch in einem Fiasko.
Der Medienrummel und das öffentliche Interesse an der RAF wurde weiter aufgeheizt durch den Beginn des Stammheimer Prozesses am 21. Mai 1975 und dem Selbstmord von Ulrike Meinhof am 9. Mai 1976.
Vorbereitung
Andreas Baader wahrte auch nach seiner Verhaftung seinen Einfluss in der RAF. Mit Hilfe der Anwälte der Stuttgarter Anwaltskanzlei von Klaus Croissant gelang es ihm und Gudrun Ensslin, ein ausgedehntes Infosystem aufzubauen, welches ihnen die Kommunikation mit den Häftlingen in anderen Gefängnissen und den aktiven Kämpfern der 2.Generation (im RAF-Jargon die "Illegalen") ermöglichte. [1]
Einer dieser Anwälte, Siegfried Haag, ging im Mai 1975 selbst in den Untergrund und begann mit dem Neuaufbau der Organisation. Zur sogenannten Haag-Meyer-Bande gehörten in der Anfangsphase neben seinem Adlatus Roland Meyer u.a. Peter-Jürgen Boock und dessen Frau Waltraut, Stefan Wisniewski, Sieglinde Hofmann, Rolf Clemens Wagner, Rolf Heißler und Verena Becker. Im Sommer 1976 flog die Gruppe nach Aden im Südjemen und absolvierte in einem Trainingscamp der marxistisch-leninistisch orientierten Palästinenserorganistation PFLP eine militärische Ausbildung. Vermutlich kamen einzelne Mitglieder auch in Kontakt mit dem ostdeutschen Staatssicherheitsdienst, der zu dieser Zeit den jemenitischen Geheimdienst ausbildete und den Flughafen von Aden in der Hand hatte. [2]
Zurück in Deutschland überfiel die Gruppe mehrere Banken, um den Geldbedarf für die ausgedehnte Logistik, welche für die geplanten Anschläge notwendig war, zu decken.
Ende 1976 stießen neue Mitglieder zur Haag-Meyer-Bande, u.a. Christian Klar und Adelheid Schulz.
Am 30. November 1976 wurde Siegfried Haag von der Polizei verhaftet. In Haags Gepäck fanden die Ermittler u.a. Hinweise auf die geplanten Operationen "Margarine", "Big Money" und "Big Raushole". Wie sich erst später herausstellte, handelte es sich hierbei bereits um den Fahrplan für die "Offensive 77". [3]
Nach der Verhaftung von Siegfried Haag übertrug Andreas Baader Brigitte Mohnhaupt das Kommando über die Illegalen. Mohnhaupt verbrachte im zweiten Halbjahr 1976 die letzten Monate ihrer fast fünfjährigen Haftzeit in Stammheim und hatte dort jeden Tag mehrere Stunden Umschluss mit Baader und Ensslin. Am 8. Februar 1977 wurde sie aus der Haft entlassen.
Mohnhaupt ließ keinen Zweifel daran, wer von nun an das Sagen bei der RAF hatte. Mit rüden Methoden "säuberte" sie zunächst die Anwaltskanzlei von Klaus Croissant und machte diese zu ihrem vorläufigem Hauptquartier. Im März verlegte sie dieses nach Amsterdam und flog Anfang April 1977 zusammen mit Peter-Jürgen Boock ins Hauptquartier der PFLP nach Bagdad, um die Modalitäten der Übernahme der Stammheimer Häftlinge nach einem Geiselaustausch zu regeln. [4]
Die Anschläge
Die Ermordung des Generalbundesanwaltes
Siegfried Buback hatte bei der RAF den Decknamen "Margarine" (nach der bekannten Margarinemarke 'SB'). Am 7. April 1977 war Buback gegen 9.00 Uhr morgens in seinem Dienst-Mercedes auf dem Weg in sein Büro in Karlsruhe. An der Kreuzung "Linkenheimer Landstrasse/Moltkestrasse" tauchte an einer Ampel ein schweres Motorrad rechts neben dem Mercedes auf. Der Sozius auf dem Motorrad feuerte mit einem Schnellfeuergewehr mindestens 15 Schüsse in den Wagen. Buback und sein Fahrer Wolfgang Göbel wurden bei dem Attentat so schwer verletzt, dass sie noch am Tatort starben. Georg Wurster, der Chef der Fahrbereitschaft, erlag sechs Tage später seinen Verletzungen.
Wegen unmittelbarer Tatbeteiligung wurden später Günter Sonnenberg, Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt angeklagt und, mit Ausnahme von Sonnenberg, alle zu lebenslanger Haft verurteilt. Mit großer Wahrscheinlichkeit hielten sich aber sowohl Knut Folkerts wie auch Brigitte Mohnhaupt am Tattag in Norddeutschland bzw. in den Niederlanden auf und waren nicht unmittelbar an der Tat beteiligt. Günter Sonnenberg wurde am 3. Mai 1977 zusammen mit Verena Becker in Singen festgenommen. Nach der Festnahme wurde die Tatwaffe in Sonnenbergs Rucksack gefunden. Sowohl Verena Becker als auch Peter-Jürgen Boock behaupteten später, Stefan Wisniewski sei die Person auf dem Sozius gewesen. Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass Verena Becker selbst die Todesschützin gewesen sein könnte.
Der Mord an Jürgen Ponto
Jürgen Ponto war seit 1969 Vorstandssprecher der Dresdner Bank und wurde 1977 von der RAF ermordet.
Der Deutsche Herbst
Der Begriff "Deutscher Herbst" ist die Zusammenfassung der Ereignisse von Beginn der Schleyer-Entführung am 5. September 1977 bis zur Befreiung der Geiseln der Lufthansa-Maschine "Landshut" und dem Selbstmord von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl-Raspe in der Justizvollzugsanstalt Stammheim in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 1977. Eine ausführliche Beschreibung findet sich unter Deutscher Herbst.
Fußnoten
- ↑ Butz Peters: Tödlicher Irrtum
- ↑ Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex
- ↑ Butz Peters: Tödlicher Irrtum
- ↑ Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex
Quellen
- Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex. Hoffmann & Campe, Hamburg 2005, ISBN 3-455-09516-X.
- Butz Peters: Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF. Argon-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-87024-673-1.