G8-Gipfel in Heiligendamm 2007
Der G8-Gipfel 2007 wird vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm (Stadtteil von Bad Doberan) in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden. Zu diesem 33. Gipfeltreffen werden die Regierungschefs der G8-Länder erwartet. Der Gipfel findet unter deutscher Präsidentschaft statt und steht unter dem Motto "Growth and Responsibility" ("Wachstum und Verantwortung"). Thematische Schwerpunkte sollen die Gestaltung der Globalisierung auf wirtschaftlichem Sektor sowie die Probleme des afrikanischen Kontinents bilden.
Deutschland – Angela Merkel |
Frankreich – Nicolas Sarkozy |
Italien – Romano Prodi |
Japan – Shinzō Abe |
Kanada – Stephen Harper |
USA – George W. Bush |
Vereinigtes Königreich – Tony Blair |
Russland (kein Vollmitglied) – Wladimir Putin |
Kosten und Sicherheitsmaßnahmen


Die Veranstaltung in Heiligendamm wird voraussichtlich etwa 100 Millionen Euro kosten.[1] Zum Schutz der Veranstaltung wird seit Januar 2007 unter anderem ein zwölf Kilometer langer und 2,50 Meter hoher Zaun mit Kameraüberwachung und Bewegungsmeldern rund um den Tagungsort errichtet. Die Kosten dafür betragen voraussichtlich 12,5 Mio. Euro[2]. Die Anlage wird die sogenannte "Zone II" umschließen, in die nur Anwohner und Lieferanten Zutritt haben sollen. Von Kritikern wird der Zaun als "Instrument zur Schaffung einer demokratiefreien Zone" bezeichnet. Für den Schutz dieses Bereiches wird die Polizei Mecklenburg-Vorpommern zuständig sein. Daneben wird ein zweiter Sicherungsbereich, die sogenannte Zone I, rund um das eigentliche Tagungshotel errichtet. Hier wird das BKA zuständig sein. Für die Absicherung der Ostsee um Heiligendamm wird das umliegende Seegebiet komplett gesperrt. Zur Durchsetzung der Sperrzone und die Überwachung der See sollen neben der Polizei auch die deutsche Marine und zwei Kriegsschiffe der US-Marine eingesetzt werden.[3] Auch der Luftraum ist als sogenanntes "Flugbeschränkungsgebiet Heiligendamm" bis FL100 im Umkreis von 30NM gesperrt, siehe hierzu DAeC Luftraum & Flugbetrieb: G8-Gipfel .
Der Flughafen Rostock-Laage ist während des Gipfels für den kommerziellen Flugbetrieb gesperrt. Die Flüge werden zum Flughafen Neubrandenburg umgeleitet. Zwischen den beiden Flughäfen wird ein kostenloser Pendelbusverkehr eingerichtet. Die Autos der Reisenden müssen in der Zeit außerhalb des Flughafengeländes auf einem Gewerbegebiet geparkt werden. Alternativ kann man auch direkt zum Flughafen Neubrandenburg mit dem Auto fahren.[4]
Zur Sicherung des Gipfels sollen 16.000 Polizisten und 1.100 Soldaten der Bundeswehr eingesetzt werden. [5]
Für die Zeit des Gipfels ordnete Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Anwendung von Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen Deutschlands an [6].
Positionen und Kritik gesellschaftlicher Gruppen zum Gipfel
Römisch-Katholische Kirche
Papst Benedikt XVI. und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel haben mit Blick auf den kommenden G8-Gipfel der Industrienationen in Heiligendamm im Dezember 2006 Briefe ausgetauscht. Darin fordert der Papst unter anderem einen völliger Erlass der Auslandsschulden der stark verschuldeten armen Länder und der am wenigsten entwickelten Länder, die Erfüllung der so genannten Millenniumsziele, zusätzliche Investitionen in die Entwicklung von günstigen Medikamenten gegen Aids und Malaria. Des Weiteren sollen sich die entwickelten Länder auch der von ihnen übernommenen Verpflichtungen im Bereich der Entwicklungshilfe bewusst sein und diese vollständig erfüllen und den Handel mit Waffen und Rohstoffen eindämmen. Der Kampf gegen Korruption und Kapitalflucht aus armen Ländern soll zudem verstärkt werden.[7]
Attac
Attac lehnt den Zusammenschluss der G8-Staaten als undemokratisch ab, weil aus ihrer Sicht eine Politik betrieben wird, die nur den reichen und mächtigen Staaten zugute kommt. Sie setzen sich dafür ein, "Wohlstand für alle" zu schaffen, "soziale Menschenrechte" weltweit durchzusetzen und fordern eine "solidarische Wirtschaftsordnung, die Mensch und Umwelt ins Zentrum stellt". [8]
Ein Bündnis unter Beteiligung von Attac ruft zu einer internationalen Großdemonstration am Samstag vor dem Gipfel in Rostock auf, zu der die Veranstalter 100.000 Teilnehmer erwarten. Im Rahmen der von Attac getragenen Move against G8-Kampagne findet dort außerdem ein Kulturprogramm mit Beteiligung von Wir sind Helden, Jan Delay und Kettcar statt.[9] Am Aktionstag gegen „Militarismus, Krieg, Folter und den globalen Ausnahmezustand“, soll der Flughafen Rostock-Laage blockiert werden, an den folgenden Tagen die Zufahrten zum Gipfel. [10]
Zudem fordert Attac das Land Mecklenburg-Vorpommern, den Landkreis Bad Doberan und die Hansestadt Rostock auf, dass die nötige Infrastruktur für die Unterbringungen der Menschen in Camps und für das Austragen der Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird.[11]
Mittlerweile gibt die Attac zu, nicht mehr eine friedliche Demonstration garantieren zu können.[12]
VENRO
Der Dachverband von etwa 100 deutschen entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen (VENRO) fordert im Rahmen der Kampagne "Deine Stimme gegen Armut" ein stärkeres Engagement der deutschen Bundesregierung bei der Realisierung der Millenniumsziele. Gemeinsam mit Herbert Grönemeyer veranstaltet der VENRO ein großes Konzert unter dem Titel „Music & Messages“ am 7. Juni in Rostock. Neben deutschen Bands wie Die Fantastischen Vier, Seeed oder Silbermond wird auch Bono, der Gründer von U2, auftreten. Außerdem werden als Vertreter der "P8 "(Poor 8) Musiker aus acht Entwicklungsländern mitwirken. [13] Bono hatte sich im April 2007 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel getroffen und von ihr die Zusage erhalten, dass "Afrika eine herausragende Rolle" auf dem Gipfel spielen werde. [14]
NPD
Die NPD hat eine Demonstration gegen den Gipfel mit 1.500 Teilnehmern in Schwerin angemeldet. Die Behauptungen des NPD-Sprechers Klaus Beier, es gebe auf unteren Ebenen bereits Gespräche zwischen "rechten" und "linken" Globalisierungsgegnern, hält der Verfassungsschutz für unwahrscheinlich und werden von den Organisatoren der Großdemonstration in Rostock vehement zurückgewiesen. Antifa-Gruppen rufen zu einer Gegendemonstration auf, um die Veranstaltung der NPD zu stören.[15].
Razzien am 9. Mai 2007

Im Vorfeld durchsuchten am 9. Mai 2007 etwa 900 Polizeibeamte im Auftrag des Generalbundesanwalts 42 Objekte in sechs Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen), darunter auch Privatwohnungen. Ermittelt wird gegen militante Gegner des G8-Gipfels, die möglicherweise Gewalttaten planten. Die Durchsuchungsbeschlüsse beruhen auf dem Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung.[16] Kritik an dieser Vorgehensweise wird von der linken Szene, den Grünen und der PDS geübt, die darin Einschüchterungsversuche und Ausforschung[17] im Vorfeld der Demonstrationen zum G8-Gipfel sehen. [18] Seitdem wird in der Szene, die sich aus Altlinken und einem harten Kern aus der autonomen Szene zusammensetzt,[19]wieder über multivariable Aktionsformen zum G8-Gipfel nachgedacht.[20]. Betroffen waren unter anderem die Kulturzentren Bethanien in Berlin-Kreuzberg und die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel. Vor allem ermitteln die Bundesanwälte gegen drei Angehörige der militanten gruppe. Begründet wurde der Einsatz von der Bundesanwaltschaft mit dem Verdacht gegen Personen, die dem „militanten linksextremistischen Umfeld“ zugerechnet wurden, eine „terroristische Vereinigung gegründet zu haben“. Zu vorläufigen Festnahmen oder Haftbefehlen kam es dabei nicht, erklärte der Sprecher der Bundesanwaltschaft Frank Wallenta.
Auf einem Bauernhof in Brandenburg sollen während den Razzien Anleitungen zum Bau von Spreng- und Brandvorrichtungen gefunden worden sein. In Hamburg wurden "ge- und verfälschte Personaldokumente" beschlagnahmt. Des Weiteren wurden bei der Razzia Wecker, Drähte, Uhren und größere Feuerwerkskörper entdeckt.[21]
Reaktionen
Parteien
Die Polizeiaktionen wurden, bei aller differenzierten Betrachtung im Detail, von den meisten Vertretern der demokratischen Parteien als sinnvoll bzw. gerechtfertigt eingestuft. Wolfgang Bosbach sah die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewährleistet,
- "Wenn es gegen Rechtsradikale geht, habe ich noch nie gehört, dass jemand sagt, Achtung, Warnung, Verhältnismäßigkeitsprinzip achten, nicht so massiv vorgehen" [22]
und betonte die Wichtigkeit, den ausländischen Teilnehmer am Gipfel ein ausreichendes Maß an Sicherheit zu gewährleisten:
Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz äußerte keine Kritik am Vorgehen der Bundesanwaltschaft, welche er als "eine sehr nüchterne, sehr seriöse Behörde, die das tut, was sie tun muss" [23] einstuft. Gleichzeitig warnte er aber vor unnötiger Dramatisierung:
- "Wir stehen jetzt nicht vor einer Revolution in Deutschland oder Ähnlichem." [24]
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble verwies auf die rechtliche Möglichkeit und gängige Praxis (zu Beispiel bei Hooligans in Fußballstadien), Verdächtige bei Hinweisen auf geplante Straftaten rein präventiv bis zu 14 Tage in Unterbindungsgewahrsam zu nehmen.
Kritik an der Aktion kam von Seiten der Grünen, der Linkspartei, sowie zahlreichen linkspolitischen Organisationen. Diese werteten die Maßnahmen als unverhältnismäßig und repressiv.
Grünen-Chefin Claudia Roth sagte die Aktion sei „kein guter Auftakt im Vorfeld des G8-Gipfels“ Anfang Juni in Heiligendamm gewesen. Sie äußerte die Ansicht, dass durch die Polizeiaktion „der gesamte Protest ein Stück weit kriminalisiert werden sollte“. „Und wir wollen gewaltfrei unserem Protest Ausdruck verleihen und wollen nicht in eine Ecke geschoben werden, wo wir nicht hin gehören.“ Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele äußerte die Vermutung, die Polizei und Bundesanwaltschaft wolle mit einer Reihe solcher Aktionen Signale in der Szene setzen. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) sprach von gezielten Einschüchterungen. Das Netzwerk Friedenskooperative nannte die Durchsuchungen „unsachgemäß und unverhältnismäßig“.[25]
Auch das Vorstandsmitglied der Linkspartei, Sophie Dieckmann sprach von einer Kriminalisierung der geplanten G8-Proteste. Die Rechtfertigung der Polizei für ihr Vorgehen „gegen linksalternative Projekte“ überzeuge nicht. „Eine Spaltung in 'gute' Gipfelgegner und 'Terroristen' machen wir nicht mit“, fügte Dieckmann hinzu.
Der parteilose Hamburger Innensenator Udo Nagel wertete die Durchsuchung des Szenetreffs Rote Flora nicht als politisches Signal, sondern als normale staatliche Reaktion auf Straftaten.
Polizei
Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte vor einem zunehmenden Einfluss früherer RAF-Terroristen auf die heutige linke Szene. So seien Auftritte von Inge Viett (ehemals Bewegung 2. Juni/später RAF) und Ralf Reinders (ehemals Bewegung 2. Juni) bei Maikundgebungen Anzeichen dafür, wörtlich sagte er «Wir werden es noch erleben, dass Linksextremisten Brandanschläge verüben und sich dabei auf die RAF beziehen.»[26]
Das private Polizeiforum german-police.de wurde am Abend als Reaktion auf die Razzien von Aktivisten gecrackt und ein kompletter Dump der Datenbank mit allen Interna sowie versteckten Foren und privaten Nachrichten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Linke und globalisierungskritische Szene
Das Künstlerhaus Bethanien gab kurz nach den Vorfällen eine Pressekonferenz.[27] Die globalisierungskritische Bewegung Attac distanzierte sich offiziell von gewaltbereiten Protestaktionen.
Am Abend des gleichen Tages kam es zu mehreren Spontandemonstrationen, unter anderem in Amsterdam, Berlin, Bochum, Bremen, Duisburg, Gießen, Göttingen, Hamburg, Hannover, Jena, Köln, Leipzig, Marburg, Rostock, Siegen, Mannheim und Wolfsburg. Während die Demonstration in Berlin mit 5.000 Teilnehmern friedlich verlief, kam es in Hamburg anschließend zu Ausschreitungen, bei denen die Polizei gegen Demonstranten vorging, die Böller und Leuchtraketen zündeten. Die linke Szene fühlte sich nach den Vorfällen besonders unter Beobachtung, da am Tag zuvor das alternative Zentrum Köpi in Berlin-Kreuzberg zwangsversteigert wurde, was ebenfalls von zahlreichen Demonstrationen begleitet wurde.
Nach anfänglicher Empörung wurden auch in linken Kreisen positive Erkentnisse aus den Repressionen gezogen. Diverse Gruppierungen, darunter ATTAC oder das radikalere dissent!-Netzwerk, freuten sich über den sichtbaren Mobilisierungsschub. Die Razzien und das grosse Medienecho hätten die Mobilisierung vier Wochen vor dem Gipfel noch einmal gewaltig angekurbelt.[28] In der Presse wurde des Öfteren von einem "Zusammenrücken" der vor allem in Berlin zersplitterten linken und globalisierungskritischen Szene gesprochen.
Quellen
- ↑ NDR Online, Meldung vom 18.11.2006, abgerufen am 9. Mai 2007
- ↑ Meldung bei NDR Online vom 15.01.2007, 08. Mai 2007
- ↑ die tageszeitung vom 28.03.2007: US-Zerstörer auf Ostsee-Expedition, 09. Mai 2007
- ↑ Mitteilung des Flughafens Rostock-Laage zum Flugverkehr während des G8-Gipfels
- ↑ Tagesschau.de: Massengefängnisse und Soldaten zum Schutz der G8, abgerufen am 11. Mai 2007]
- ↑ Meldung bei Tagesschau.de vom 09. Mai 2007, abgerufen am 9. Mai 2007
- ↑ Radio Vatikan: Vatikan: Papst schreibt an Merkel 23. April 2007
- ↑ attac
- ↑ stern (Zeitschrift): Gipfel Pop - Vergiss Woodstock! 3. Mai 2007
- ↑ attac
- ↑ attac: G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm 2007
- ↑ Brisante Funde belasten G8-Gegner, Abgerufen am 13.5.07
- ↑ Pressemitteilung VENRO, 27.4.07
- ↑ Merkel sichert Bono deutsches Engagement für Afrika zu, 17.4.07
- ↑ Spiegel: G8-Gipfel Wie Rechtsradikale in Heiligendamm punkten wollen
- ↑ Spiegel Online: Durchsuchungen: Groß-Razzia gegen militante G8-Gegner, 09. Mai 2007
- ↑ [1]
- ↑ Sueddeutsche.de: Linke empören sich über bundesweite Razzia, 09. Mai 2007
- ↑ Die Welt: G-8-Gegner sollen "Exekutionen" erwogen haben 10. Mai 2007
- ↑ taz: Die Rückkehr der Gewaltfrage 9. Mai 2007
- ↑ Brisante Funde belasten G8-Gegner, Abgerufen am 13.5.07
- ↑ www.tagesschau.de
- ↑ www.tagesschau.de
- ↑ www.tagesschau.de
- ↑ Diskussion um Razzien in linker Szene bei Tagesschau
- ↑ Polizei fürchtet Einfluss früherer RAF-Terroristen
- ↑ Kreuzberger Gipfeltreffen bei Tagesspiegel
- ↑ Linke Szene jubelt über Razzia der Bundesanwaltschaft bei Der Spiegel