Kanon des Neuen Testaments
Der Kanon des Neuen Testaments ist die Liste der Bücher des Neuen Testaments, die in der Christenheit als Heilige Schrift akzeptiert sind.
"Kanonisiert" (grch.: Kanon = Richtschnur, Regel) ist ein literarisches Werk, wenn es nicht mehr verändert wird. Kanonisierte Texte sind in allen drei abrahamitischen Buchreligionen bekannt.Im Judentum ist es die Tora ("Bücher der Weisung") bzw. der Tenach ("Hebräische Bibel"), im Christentum die Bibel (Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments) und im Islam der Koran.
Gemäss dem Kanon besteht das Neue Testament aus insgesamt 27 Schriften in griechischer Sprache, die über einen Zeitraum von 50 (konservative Schätzung) bis 100 (liberale Schätzung) Jahren entstanden sind. Dieser Kanon ist für die orthodoxen, katholischen und [[Evangelische Kirche|protestantischen Kirchen identisch.
Für die katholische Kirche wurde der Kanon erst 1546 vom Konzil von Trient offiziell und autoritativ festgelegt, er ist jedoch bereits seit ca. 400 in Gebrauch durch allgemeine Übereinstimmung, auch bei den orthodoxen und protestantischen Kirchen, für die das Konzil von Trient nicht massgebend ist.
Einzig die syrische und äthiopische Kirchen haben je einen eigenen neutestamentlichen Kanon. In der Syrischen Kirche gehören 2. Petrus, 2. und 3. Johannes, Judas, und Offenbarung nicht zum Neuen Testament, die äthiopische Kirche kennt 38 Bücher, neben den allgemein anerkannten auch z.B. die Clemensbriefe und den Hirten des Hermas.
Nicht-orthodoxe Gruppen (Häretiker) haben sehr individuelle Listen von akzeptierten Büchern zusammengestellt: Beispielsweise stellte Marcion um das Jahre 160 herum eine Auswahl der heute im Neuen Testament enthaltenen Bücher zusammen, lehnte aber eine Reihe anderer ab, da er sie als verfälscht ansah. Seine Liste enthielt nur ein (nach seiner Vorgabe von jüdischen Einflüssen "gesäubertes") Evangelium (das des Lukas) und einige paulinische Briefe (Galater, 1. und 2. Korinther, 1. und 2. Thessalonicher, Kolosser, Philemon, Philipper, sowie ein unidentifizierter Brief an die Laodiceer).
Welche Bücher gehören zum Kanon des Neuen Testaments
Für die Mehrzahl der Bücher des Neuen Testaments war die Zugehörigkeit zum Kanon nie umstritten. Dazu gehören:
- die vier Evangelien
- die Apostelgeschichte
- die Paulusbriefe
- der 1. Johannesbrief
Teilweise angezweifelt aber schließlich anerkannt wurden diese Bücher:
- Hebräerbrief (im Osten nie angezweifelt, aber im Westen)
- Jakobusbrief
- 1. und 2. Petrusbrief
- 2. und 3. Johannesbrief
- Judasbrief
- Offenbarung des Johannes (im Westen nie angezweifelt, aber im Osten)
Teilweise anerkannt aber schließlich nicht ins Neue Testament aufgenommen
- 1. und 2. Clemensbrief
- Didache
- Barnabasbrief
- Hirt des Hermas
- Hebräerevangelium
Nie anerkannte Schriften
- Ägypterevangelium
- Basilidesevangelium
- Matthiasevangelium
- Thomasevangelium
- Apokalypse des Petrus
- Evangelium der Wahrheit
Entwicklung des Kanons des Neuen Testaments
Die hier aufgezeigte Entwicklung beruht auf erhaltenen Texten und Listen von Kirchenvätern.
Listen von kanonischen Büchern wurden seit dem zweiten Jahrhundert aus verschiedenen Gründen zusammengestellt. Das hauptsächliche Kriterium für die Aufnahme in den Kanon, das von den Kirchenvätern eingehend diskutiert wurde, war die apostolische Autorität (aus der Sicht des betreffenden Kirchenvaters): stammte das Buch von einem Apostel oder stand die Autorität eines Apostels dahinter (Paulus bei Lukas und Apostelgeschichte, Petrus bei Markus).
Zweites Jahrhundert
Die neutestamentlichen Schriften waren schon sehr früh in den Kirchen in Gebrauch, wurden abgeschrieben und weiterverbreitet: Es gab eine Sammlung von Paulusbriefen, die gemäss einigen Autoren (Trobisch, Robinson) schon um 70 im Umlauf war. Um 150 existierte eine Sammlung der vier Evangelien, die für das Diatessaron von Tatian verwendet wurden. Verse des Johannesevangeliums waren ca. 125 in Ägypten in Gebrauch. Auch die häufigen Zitate aus dem Neuen Testament der Kirchenväter des zweiten Jahrhunderts weisen auf diesen verbreiteten Gebrauch hin.
Solche Schriften aus dem Neuen Testament (oder möglicherweise ihnen zugrundeliegende schriftliche Quellen) wurden schon früh mit den Schriften des Alten Testaments gleichgestellt. Hier einige Beispiele (wobei 1. Tim. und 2. Petrus nach einigen konservativen Autoren auch ins erste Jahrhundert gehören würden):
- Im 2. Petrusbrief 3,15f steht "Und achtet die Langmut unseres Herrn für Errettung, wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen Briefen, wenn er in ihnen von diesen Dingen redet. In diesen Briefen ist einiges schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Unbefestigten verdrehen wie auch die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben." In Vers 16 werden die Paulusbriefe mit "den übrigen Schriften" gleichgesetzt - mit τη γραφη Schrift ist im Neuen Testament normalerweise das Alte Testament oder ein Teil davon gemeint.
- 1. Tim. 5 18: "Denn die Schrift sagt: Du sollst dem Ochsen zum Dreschen keinen Maulkorb anlegen, und: Wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Lohn." Das erste Zitat ist 5. Mose 24,5, das zweite findet sich nicht im AT, jedoch wörtlich in Lukas 10,7.
- Der zweite Clemensbrief zitiert Jesaja 54,1 als Gottes Wort "Denn die Einsame hat jetzt viel mehr Söhne als die Vermählte, spricht der Herr." und sagt im übernächsten Satz "Und wieder eine andere Schrift sagt Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten (Matthäus 9,13). Er (Gott) meint das wirklich..."
Der Prozess der Kanonisierung des Neuen Testaments setzte im 2. Jahrhundert ein. Wesentlicher Anstoß war hier der Wunsch der christlichen Gemeinden, sich von den nun neu entstehenden gnostischen Überlieferungen (z.B. Markion, Thomasevangelium und andere Schriften von Nag Hammadi) abzusetzen.
Die älteste erhaltene Liste der kanonischen Bücher ist im so genannten Muratorischen Fragment (Englischer Text) enthalten, datiert auf 170-200. Die nur als Fragment erhaltene Liste enthält die heute fast vergessene Petrus-Offenbarung, fünf der heute als kanonisch geltenden Briefe (1. und 2. Petrus, Hebräer, Jakobus und 3. Johannes) sind hingegen nicht erwähnt.
Irenäus von Lyon stellte am Ende des 2. Jahrhunderts seine kanonische Liste inspirierter Schriften zusammen, in der sechs der heute akzeptierten Briefe (Philemon, 2. Petrus, 2. und 3. Johannes, Hebräer und Judas) fehlen, aber zusätzlich der Hirten des Hermas aufgeführt ist.
Drittes Jahrhundert
Eine ausführliche Besprechung ist von Origenes überliefert, der ca. 230 in seinen Kommentaren alle heute enthaltenen Werke bespricht, allerdings neben vier heute nicht im Neuen Testament enthaltenen Werken (Brief des Barnabas, Hirt des Hermas, Didache, Hebräerevangelium) auch sechs kanonische Briefe (Hebräer, 2. Petrus, 2. und 3. Johannes, Jakobus, Judas) als umstritten bezeichnet.
Auch die aus dieser Zeit erhaltenen Handschriften (z.B. Codex Sinaiticus, Codes Alexandrinus) spiegeln diese Meinungsvielfalt in den in ihnen enthaltenen Werken wieder, indem ersterer den 'Hirten des Hermas' und den Brief des Barnabas, letzterer die beiden Clemensbriefe enthält.
Viertes Jahrhundert
Eusebius von Caesarea, ca. 260-340, hat in seiner Kirchengeschichte alle Pros und Contras für die einzelnen Bücher zusammengestellt. (Kanon des Eusebius, englisch)
Cyril von Jerusalem führt um die Mitte des 4. Jahrhunderts in Jerusalem in seinen katechetischen Vorträgen einen Kanon (Kanon von Cyril, englisch) auf, der bis auf die Offenbarung des Johannes alle Bücher des Neuen Testaments enthält.
Athanasius von Alexandria führt 367 im 29. Osterfestbrief (englisch) alle Bücher des heutigen Neuen Testaments auf.
Gregor von Nazianz listet in einem Gedicht (englisch) alle Bücher des heutigen Neuen Testaments bis auf die Offenbarung des Johannes auf.
Die 3. Synode von Karthago (eine lokale Synode) 397 hat eine Liste (englisch) von Büchern, die als Heilige Schrift bezeichnet werden dürfen.
Vom 5. Jahrhundert an wurde dieser Kanon allgemein akzeptiert. Es waren jedoch auch in den folgenden Jahrhunderten noch Handschriften in Gebrauch, die etwa die Offenbarung des Johannes oder den Brief an die Hebräer ausließen, oder den Barnabasbrief einschlossen.
Siehe auch: Kanon des Alten Testaments, Neues Testament, Textkritik des Neuen Testaments, Geschichte des Christentums Biblische Einleitungswissenschaft