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Politisches System der Schweiz

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Die Schweiz ist eine Willensnation, die weder ethnisch noch sprachlich noch religiös eine Einheit ist, und ein Bundesstaat, der 1848 aus einem Staatenbund von unabhängigen Einzelstaaten (Kantonen) entstanden ist. Daher haben im politischen System der Schweiz Volk und Kantone eine besonders starke Position. Das politische System der Schweiz hat unter anderen zwei Hauptcharakteristiken:

Die Schweizer Politik hat ihre eigene Terminologie: häufig gebrauchte Ausdrücke sind Initiative, Referendum, Motion, Petition, Postulat, Ständemehr, Urnengang, Interpellation, Kollegialitätsprinzip, Konkordanz, Subsidiarität oder Vernehmlassung.

Politisches System der Schweiz



Souverän

Der Souverän (oberste politische Instanz) ist gemäss Bundesverfassung das Staatsvolk.

Legislative

Das Parlament (Bundesversammlung) besteht aus zwei Kammern:

  • Dem Nationalrat als Volksvertretung (200 Mitglieder). Jeder Kanton stellt Nationalräte gemäss seinem Anteil an der Bevölkerung (Zürich 34, Uri, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Nidwalden und Obwalden je einen). Der Nationalrat wird in den Kantonen mit mehr als einem Sitz durch eine Proporzwahl gewählt.
  • Dem Ständerat als Kantonsvertretung (46 Mitglieder; 2 pro Kanton, 1 pro Halbkanton). Die Ständeräte werden in den Kantonen mit Majorzwahl gewählt (ausser im Kanton Jura).

Nationalrat und Ständerat tagen in der Regel getrennt. Alle Gesetzgebungsvorhaben (Verfassungsänderungen, Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse, Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen) werden in beiden Kammern behandelt und müssen von beiden Kammern angenommen werden. Im sogenannten Differenzbereinigungsverfahren werden allenfalls unterschiedliche Beschlüsse der Kammern zu einem Konsens geführt. Eine Ausnahme der getrennten Beratung der beiden Kammern bildet die Vereinigte Bundesversammlung. Für die Wahl des Bundesrates, des Bundeskanzlers, der Bundesrichter und im Kriegsfall des Generals vereinigen sich National- und Ständerat zu einem Wahlorgan. Eine weitere Funktion der Vereinigten Bundesversammlung ist die Begnadigung (Erlass einer einem Individuum durch Bundesbehörden auferlegten Strafe gemäss Bundesrecht).

Die National- und Ständeräte sind bei der Ausübung ihres Mandats nicht an Weisungen von Kantonen, Parteien oder anderen Instanzen gebunden (sog. Instruktionsverbot). In der politischen Realität allerdings sind zahlreiche Parlamentarier von Interessen und Interessenverbänden usw. abhängig.

Das Schweizer Parlament ist ein sogenanntes Milizparlament, das heisst die National- und Ständeräte üben ihr Mandat (zumindest in der Theorie) nicht hauptberuflich aus. Sie erhalten dementsprechend vom Staat keinen Lohn, sondern unter anderem Sitzungsgelder. Das Einkommen eines Nationalrates aus seinem Mandat beträgt rund 100'000 Franken pro Jahr; Ständeräte verdienen wegen der häufigeren Sitzungen mehr. Aufgrund der hohen Belastung durch das politische Mandat spielt der ursprüngliche Hauptberuf oft nur eine untergeordnete Rolle. Die meisten Parlamentarier haben zusätzlich weitere, zum Teil sehr lukrative Mandate in Verwaltungs- und Stiftungsräten, als Präsidenten von Organisationen und Komitees aller Art sowie Beratungsmandate. Siehe dazu die Register der Interessenbindungen: http://www.parlament.ch/ra-nr-interessen.pdf und http://www.parlament.ch/ra-sr-interessen.pdf.

Das schweizerische Parlament arbeitet vor allem in Kommissionen.

Siehe auch: Gesetzgebungsverfahren in der Schweiz

Exekutive

Der Bundesrat ist die Schweizer Bundesregierung. Er besteht aus sieben gleichberechtigten Mitgliedern (siehe auch Kollegialitätsprinzip), die den einzelnen Departementen der Bundesverwaltung vorstehen. Der Bundesrat wird vom Parlament gewählt.

Gegenwärtige Mitglieder (Stand 2006):

Der Bundespräsident wird im alljährlichen Turnus aus dem Bundesrat gewählt und präsidiert als "Primus inter Pares" die Bundesregierung neben seinen Pflichten als Departmentsvorsteher, übt aber nicht die Pflichten eines Staatsoberhauptes aus.

Siehe auch: Liste der Schweizer Bundespräsidenten

Judikative

Die Judikative auf Bundesebene besteht aus dem Bundesgericht mit Sitz in Lausanne und Luzern (zwei sozialrechtliche Abteilungen), dem Bundesstrafgericht in Bellinzona (seit April 2004), dem Bundesverwaltungsgericht in Bern (seit Januar 2007; ab 2010 St. Gallen). Die Wahl der Richter und Richterinnen erfolgt durch die Vereinigte Bundesversammlung.

  • Das Bundesgericht (BGer) in Lausanne besteht aus 39 hauptamtlichen sowie 15 ordentlichen und 15 ausserordentlichen nebenamtlichen Bundesrichtern und -richterinnen. Es überwacht die Verfassungsmässigkeit von eidgenössischen Entscheidungen im Gebiet des Zivil- und Strafrechts sowie kantonaler Entscheidungen in anderen Rechtsbereichen. Zudem fungiert es als höchste Instanz bei Gerichtsentscheidungen. Die zwei sozialrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts (bis 31. Dezember 2006 Eidgenössisches Versicherungsgericht) in Luzern haben die letztinstanzliche Jurisdiktion im Bereich der Sozialversicherungen (u.a. AHV, IV, BVG, AVIG, UVG und EO). Die Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts gilt als Leitlinie für sämtliche Gerichtsentscheidungen in der Schweiz.
  • Das Bundesstrafgericht (BStGer) in Bellinzona hat seinen Betrieb am 1. April 2004 aufgenommen. Es besteht aus 11 Richterinnen und Richtern und beurteilt erstinstanzlich Straffälle, die der Gerichtsbarkeit des Bundes zugewiesen sind (z.B. Sprengstoffanschläge, schwere Fälle von organisierter Kriminalität). Gegen seine Entscheidungen stehen Rechtsmittel an das BGer zur Verfügung.
  • Das Bundesverwaltungsgericht hat seit 1. Januar 2007 seinen Betrieb in Bern aufgenommen. Es wird voraussichtlich 2010 an seinen Sitz in St. Gallen ziehen.

Siehe auch: http://www.bger.ch/, http://www.bstger.ch/

Föderalismus

Hauptartikel: Föderalismus in der Schweiz

Der Schweizer Bundesstaat besteht aus 26 Kantonen, davon sechs (Obwalden, Nidwalden, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Basel-Stadt und Baselland), die aus historischen Gründen als Halbkantone bezeichnet werden und daher auch nur je einen von 46 Ständeratssitzen zugeteilt erhalten. Die Kantone haben eine grosse politische Autonomie und können vieles in eigener Kompetenz regeln. Im Allgemeinen gilt, dass der Bund nur die in der Bundesverfassung einzeln aufgezählten Kompetenzen hat; alle anderen fallen automatisch den Kantonen zu. Seit Jahren ist eine Kompetenzverschiebung von den Kantonen zum Bund festzustellen.

Der Föderalismus in der Schweiz hat zwei Elemente:

  • Beteiligung der Kantone an der politischen Entscheidungsfindung.
  • Autonomie der Kantone: Der Bund darf nur das regeln, was in der Verfassung ausdrücklich als seine Kompetenz erwähnt ist, alles andere regeln die Kantone in eigener Kompetenz.

Artikel 3 der Bundesverfassung lautet:

Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.

Art. 42, Abs. 2 der Bundesverfassung:

Er (der Bund) übernimmt die Aufgaben, die einer einheitlichen Regelung bedürfen.

Art. 44, Abs. 1 der Bundesverfassung:

Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen.

Volksrechte

Die Schweiz kennt folgende Mitbestimmungsrechte auf Bundesebene:

  • Wahlrecht: Ab 18 Jahren haben alle Schweizerinnen und Schweizer, inklusive im Ausland wohnhafte, das aktive und passive Wahlrecht (falls sie nicht wegen Krankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind). Das bedeutet, dass sie selbst wählen und abstimmen können (aktives Wahlrecht), sie können sich aber auch selbst zur Wahl stellen (passives Wahlrecht).
  • Stimmrecht: Die Personen, die wählen dürfen, haben auch das Stimmrecht, das heisst sie können über kommunale, kantonale oder nationale Vorlagen befinden.
  • Initiativrecht: 100'000 Bürgerinnen und Bürger können per Volksinitiative einen Volksentscheid über eine Verfassungsänderung erzwingen. Mit der benötigten Anzahl Unterschriften wird das Parlament beauftragt, einen Gesetzestext auszuarbeiten oder es kann ein ausgearbeiteter Text zur Volksabstimmung gebracht werden.
  • Referendumsrecht: Das Volk kann Parlamentsentscheide im Nachhinein umstossen oder bestätigen, nämlich in einer Volksabstimmung nach einem obligatorischen (z.B. bei Verfassungsänderungen) oder fakultativen Referendum (hier sind mindestens 50'000 Unterschriften notwendig).
  • Petitionsrecht: Alle urteilsfähigen Personen (auch nicht wahlberechtigte) dürfen schriftlich formulierte Bitten, Anregungen und Beschwerden an die Behörden richten. Diese müssen die Petitionen zur Kenntnis nehmen. In der Praxis wird jede Petition behandelt und beantwortet, was jedoch nicht vorgeschrieben ist.

Direkte Demokratie

Das Mitspracherecht des Volkes ist in der Schweiz weit entwickelt, sowohl auf Bundes- wie auch auf Kantons- und Gemeindeebene. Bei Änderungen der Verfassung hat das Volk in jedem Fall das letzte Wort, Gesetze unterstehen je nach Tragweite dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum.

Neue Artikel können vom Volk über das Instrument der Initiative vorgeschlagen und - wenn der Artikel in der anschliessenden Volksabstimmung angenommen wird - in die Verfassung und in Bundesgesetze eingebracht werden.

In einzelnen Kantonen gibt es noch eine Urform der schweizerischen Basisdemokratie: die Landsgemeinde.

Im Gegensatz zu anderen Ländern werden die sieben Minister (Bundesräte) und der Bundespräsident nicht vom Volk, sondern vom Bundesparlament (vereinigte Bundesversammlung) gewählt.

Eine eigentliche Gesetzesinitiative gibt es auf Bundesebene nicht, dafür ist sie in den meisten Kantonen gewährleistet. Mit dem Instrument der allgemeinen Initiative kann jedoch auch Einfluss auf die Gesetzgebung ausgeübt werden, da der Initiativtext hier kein Revisionsentwurf, sondern ein Gesetzgebungsauftrag an das Parlament ist.

Siehe auch

Literatur

  • Ulrich Klöti (Hrsg.) et al.: Handbuch der Schweizer Politik. Manuel de la politique suisse. NZZ Verlag, Zürich 2002, ISBN 3-85823-901-1
  • Wolf Linder: Schweizerische Demokratie. Verlag Paul Haupt, Bern 1999, ISBN 3-258-05803-2
  • Regula Stämpfli: "Vom Stummbürger zum Stimmbürger. Das Abc der Schweizer Politik." Verlag Orell Füssli, Zürich 2003, ISBN 3-280-05016-2

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