Theorie
Eine Theorie bezeichnet in den Wissenschaften ein Konzept zur Beschreibung der Welt. In der Logik bezeichnet eine Theorie eine deduktiv abgeschlossene Formelmenge.
Das Wort Theorie (griechisch theôreîn: beobachten, betrachten, schauen) bezeichnete ursprünglich die Betrachtung der Wahrheit durch reines Denken, unabhängig von ihrer Realisierung. Vermutlich deshalb wird der Begriff auch unbestimmt als Gegenteil von Praxis benutzt.
Betrachtung
In den Wissenschaften werden Thesen und Hypothesen aufgestellt, um dann in ein Gesamtkonzept eingebunden zu werden. Sobald dieses Gesamtkonzept einen Teilbereich der Wissenschaft umfasst, spricht man von einer Theorie. (siehe auch Konzept)
Im Rahmen einer Theorie treten Schlussfolgerungen, Gesetze (oder Gesetzmäßigkeiten) und Vorhersagen auf, die einen Vergleich der Theorie mit der von ihr beschriebenen Realität erlauben. Ausgehend von diesem Vergleich kann der Anwendbarkeitsbereich der Theorie bestimmt werden. Theorien können als allgemeingültig, beschränkt anwendbar oder falsch gelten.
Die Vorhersagen der klassischen Mechanik und der speziellen Relativitätstheorie unterscheiden sich beispielsweise deutlich, wenn die betrachteten Objekte sich mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Im Alltag kann man die Unterschiede nicht feststellen, da die klassische Mechanik der Grenzfall der speziellen Relativitätstheorie ist, wenn die Geschwindigkeit wesentlich geringer ist als die Lichtgeschwindigkeit. Daher ist die klassische Mechanik, obwohl eine falsifizierte Theorie, im Alltag anwendbar.
Die methodische Art und Weise, wie Theorien zustandekommen, wie also der Zuwachs an Wissen stattfindet, ist umstritten.
- Bei der Theorienbildung durch Induktion geht man davon aus, dass der Wissenschaftler im empirischen Prozess Datenmaterial erarbeitet, in dem schließlich innere Strukturen und Gesetzmäßigkeiten sichtbar werden. Weitere positiv verlaufende Experimente sollen die Theorie bestätigen und sind die Bausteine einer Verifikation (Beweisführung), die letztlich in naturgesetzlicher Sicherheit (Wahrheit) münden soll.
- Bei der Theorienbildung durch Deduktion geht man davon aus, dass der Wissenschaftler durch kreative Akte sinnvolle Hypothesen erzeugt, deren Übereinstimmung mit dem Datenmaterial er anschließend überprüft. Weitere Experimente müssen mit dem ernsthaften Ziel der Falsifikation (Wiederlegung) unternommen werden. Nur in dem Ausmaß wie sich Theorien bewähren (der Falsifikation entziehen), kann relative Sicherheit gewonnen werden.
In der Praxis der Wissenschaft mischen sich induktive und deduktive Elemente ohne Probleme, so dass diese Frage mehr eine wissenschaftstheoretische und weltanschauliche Bedeutung besitzt. Bietet die Wissenschaft mit ihren Theorien einen Weg zu absoluter Wahrheit oder zu einer schrittweise stattfindenden Annäherung an die Wahrheit (der man sich jedoch nie ganz gewiss sein kann)? Diese zweite, auf Karl Popper zurückgehende, Position wird derzeit von der Mehrheit der Naturwissenschaftler bevorzugt.
In der Soziologie wurde - für die Sozialwissenschaften allgemein - das Konzept der Theorie mittlerer Reichweite entwickelt.
In der Umgangssprache wird der Begriff meist im Sinne von "nur eine Theorie" verstanden, und bezieht sich dann lediglich auf besonders unsichere Erkenntnisse. Dies hat nicht viel mit der wissenschaftlichen Definition von "Theorie" zu tun, und führt leider häufig zu Missverständnissen: Beispielsweise bedeutet der Begriff "Relativitätstheorie" nicht, wie oftmals (von nicht-Wissenschaftlern) fälschlich angenommen, dass diese im Sinne von "nur eine Theorie" besonders unsicher sei. Selbstverständlich ist sie falsifizierbar, aber das Teilwort "-theorie" besagt nichts über die (Un-)Sicherheit der in ihr enthaltenen Aussagen.
Zitate
- Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie. (Albert Einstein)
- Praxis: Alles funktioniert, aber keiner weiß warum. Theorie: Jeder weiß alles, aber nichts funktioniert. Beides kombiniert Theorie und Praxis: Nichts funktioniert und keiner weiß warum.
- Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum. Goethes Faust (Szene im Studierzimmer)
- Eine Theorie existiert nur in unserer Vorstellung und besitzt keine andere Wirklichkeit (was auch immer das bedeuten mag). Gut ist eine Theorie, wenn sie zwei Voraussetzungen erfüllt: Sie muss eine große Klasse von Beobachtungen auf der Grundlage eines Modells beschreiben, das nur wenige Elemente enthält, und sie muss bestimmte Voraussagen über die Ergebnisse künftiger Beobachtungen ermöglichen. Stephen Hawking
- Theorien müssen intersubjektiv überprüfbar sein und dürfen keine Werturteile enthalten. Sie müssen logisch widerspruchsfrei sein und müssen an konkurrierenden (vielfach erfolgreich geprüften) Theorien gemessen werden. Nur so können Theorien zu Netzen werden, mit denen wir die Wirklichkeit erfassen, wobei der Wissenschaft das verborgen bleibt, was die Maschen des (immer enger werdenden) Netzes dennoch nicht erfassen Karl Popper.
Siehe auch
- Physikalische Theorie
- Liste der Theorien
- Liste griechischer Suffixe
- Liste lateinischer Suffixe
- Thesenpapier, These, Deduktion, Induktion (Logik), Abduktion, Statistik, Nullhypothese, Rhetorik, Dialektik, Fehler 1. und 2. Art
Literatur
- Die Illustrierte Kurze Geschichte der Zeit. Stephen Hawking, ISBN 3-499-61487-1