Bundesverfassungsgericht

Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wurde im Jahre 1951 errichtet und ist vom Grundgesetz zum obersten Hüter der Verfassung bestimmt. Es ist somit im Gegensatz zu anderen Gerichten Verfassungsorgan.
Das Bundesverfassungsgericht hat seinen Sitz in Karlsruhe und ist von einer Bannmeile umgeben.
Rechtsgrundlage
Welche Aufgaben das BVerfG hat und wie es besetzt wird steht im Grundgesetz. Es gibt auch ein Gesetz über das BVerfG ,darin werden die Vorschriften über die Organisation,die Befugnisse und das anzuwendende Verfahrensrecht geregelt.
Bindungswirkung und Gesetzeskraft
Die besondere Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts kommt in § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) zum Ausdruck, der besagt: Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.
Die Bindungswirkung besteht aber nur in der entschiedenen Sache. Eine Bindungswirkung für andere Gerichte besteht nicht an die in einem ähnlichen Fall ausgeurteilte Rechtsmeinung des Bundesverfassungsgericht. Die Argumentation ist aber eine Richtschnur für die untergeordneten Gerichte, die meist auch befolgt wird. Jedes deutsche Amtsgericht kann aber in einem anderen ähnlich gelagerten Fall z.B. juristisch der Meinung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum Persönlichkeitsrecht von Prominenten folgen ("Caroline Entscheidung"), als der etwas abweichenden Meinung des Bundesverfassungsgericht, wenn es erstere für richtig hält.
In den in § 31 Abs. 2 BVerfGG genannten Fällen haben aber die Entscheidungen des BVerfG Gesetzeskraft. Es handelt sich dabei im wesentlichen um Verfahren, bei denen das BVerfG feststellt, ob ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder nicht. Andere deutsche Gerichte sind nicht befugt, ein Gesetz für verfassungswidrig zu erachten, das nach dem Erlaß des Grundgesetz verabschiedet wurde. Dieses Privileg hat nur das BVerfG. Hat ein Gericht Zweifel an der Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes, hat es dies dem BVerfG gemäß Art. 100 GG vorzulegen, soweit es entscheidungserheblich ist.
Organisation
Das Bundesverfassungsgericht ist aufgeteilt in zwei Senate mit unterschiedlichen Zuständigkeiten. Grob lässt sich der 1. Senat als "Grundrechtssenat" und der 2. Senat als "Staatsrechtssenat" klassifizieren. Das heißt, der 1. Senat ist vor allem für Fragen der Auslegung der Artikel 1 bis 17, 19, 101 und 103 des Grundgesetzes zuständig, während Organstreitigkeiten zwischen staatlichen Behörden oder Parteiverbotsverfahren vor den 2. Senat gelangen.
Jeder Senat war ursprünglich mit zwölf Richtern besetzt; 1963 wurde die Zahl der Richter auf acht gesenkt. Dies schließt den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgericht, die jeweils einem der Senate vorstehen, mit ein. Ein Senat ist beschlussfähig, wenn mindestens sechs Richter anwesend sind. Wegen der geraden Anzahl der Richter in einem Senat sind Pattsituation möglich (sog. "4-zu-4-Entscheidung"). Ein Kläger gewinnt seinen Prozess, wenn mindestens fünf Richter seine Rechtsauffassung teilen.
Gewählt werden die Richter je zur Hälfte vom Richterwahlausschuss des Bundestags und Bundesrat für eine Amtszeit von zwölf Jahren (Wiederwahl ausgeschlossen). Während im Bundesrat eine direkte Wahl mit Zweidrittelmehrheit stattfindet, wählt im Bundestag ein nach der parteipolitischen Zusammensetzung gebildeter Zwölferrat. Ein Kandidat ist gewählt, wenn er mindestens acht Stimmen dieses Rats auf sich vereinigt.
Wählbar ist jeder, der über 40 Jahre alt ist und nach dem Deutschen Richtergesetz die Befähigung zum Richteramt besitzt oder Professor der Rechte an einer deutschen Universität ist.
Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat einen Präsidenten. Dieses Amt hatten bislang folgende Personen inne:
Bundesverfassungsgerichtspräsidenten | |||||
Name | Beginn der Amtszeit | Ende der Amtszeit | |||
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1 | Prof. Dr. Dr. Hermann Höpker-Aschoff | 1951 | 1954 | ||
2 | Prof. Dr. Josef Wintrich | 1954 | 1958 | ||
3 | Prof. Dr. Gebhard Müller | 1959 | 1971 | ||
4 | Prof. Dr. Ernst Benda | 1971 | 1983 | ||
5 | Prof. Dr. Wolfgang Zeidler | 1983 | 1987 | ||
6 | Prof. Dr. Roman Herzog | 1987 | 1994 | ||
7 | Prof. Dr. Jutta Limbach | 1994 | 2002 | ||
8 | Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier | 2002 | 2010 |
Zuständigkeiten
Das Bundesverfassungsgericht ist zur Streitentscheidung nur zuständig, wenn sich dies aus dem Grundgesetz oder § 13 BVerfGG ergibt. Außerdem kann es laut Grundgesetz eine Zuständigkeit bei Verfassungsstreitigkeiten bei Länderverfassungen geben, wenn es diese Verfassung vorsieht (einziges Beispiel ist Schleswig-Holstein).
Die Verfassungsbeschwerde
Eine Verfassungsbeschwerde kann von jedermann erhoben werden, der seine Grundrechte durch staatliches Handeln, das heißt durch ein Gesetz, durch einen Behördenakt oder durch einen Gerichtsentscheid verletzt sieht. Voraussetzung ist jedoch, dass ihm gegen diese Verletzung kein anderes Rechtsmittel mehr offen steht; ausnahmsweise kann davon abgesehen werden bei Rechtsfragen, die von allgemeiner Bedeutung sind oder wenn dem Beschwerdeführer die Ausschöpfung des Rechtsweges nicht zumutbar ist.
Neben natürlichen Personen können auch bestimmte juristische Personen und Gemeinden eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Im Falle von Gemeinden spricht man dann von kommunaler Verfassungsbeschwerde .
Normenkontrolle
Ein Verfahren der konkreten Normenkontrolle kann durch den Beschluss eines Gerichts eingeleitet werden, das ein bestimmtes Gesetz für verfassungswidrig hält. Das Bundesverfassungsgericht kann Gesetze als verfassungswidrig verwerfen.
In der abstrakten Normenkontrolle wird das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder mindestens einem Drittel der Mitglieder des Bundestags tätig. Die abstrakte Normenkontrolle gibt also unter anderem der Opposition im Bundestag die Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit eines von der Regierungsmehrheit beschlossenen Gesetzes oder auch eines völkerrechtlichen Vertrags prüfen zu lassen.
Verfassungsstreitigkeiten zwischen staatlichen Organen
Parteiverbotsverfahren
Verfahren nach Artikel 21 GG. Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. Bisher wurden 1952 die SRP (Sozialistische Reichspartei) und 1956 die KPD verboten. Ein Verbotsverfahren gegen die NPD ist vom Gericht eingestellt worden.
Verwirkung von Grundrechten
Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. Von 1955 bis 1988 gab es zwei Verfahren, 1992 waren erneut zwei Verfahren anhängig. (siehe: Grundrechtsverwirkung und Grundrechtsverwirkungsverfahren)
Wahlprüfungsverfahren
Das Bundesverfassungsgericht ist die letzte Instanz bei Einsprüchen gegen die Bundestagswahl. Die erste Instanz ist der Bundestag selbst.
Anklagen gegen den Bundespräsidenten oder Richteranklagen
Antragsberechtigt sind Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung. Eine solche Anklage ist noch nie vorgekommen.
Verwendete Aktenzeichen
Verwendete Aktenzeichen des Bundesverfassungsgerichts | |
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BvA | Verwirkung von Grundrechten (nach Art. 18 GG) |
BvB | Feststellung der Verfassungswidrigkeit bei Parteien (nach Art. 21 Abs. 2 GG) |
BvC | Wahlprüfungsbeschwerden (nach Art. 41 Abs. 2 GG) |
BvD | Bundespräsidentenanklage (nach Art. 61 GG) |
BvE | Organstreitverfahren (nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) |
BvF | abstrakte Normenkontrolle (nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) |
BvG | Bund-Länder-Streitigkeiten (nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3, Art. 84 Abs. 4 S. 2 GG) |
BvH | Andere Streitigkeiten zw. Bund und Ländern (nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG) |
BvJ | Anklage von Richtern (nach Art. 98 Abs. 2, 5 GG) |
BvK | Landesverfassungsstreitigkeiten (Schl.-Holst.) (nach Art. 99 GG) |
BvL | konkrete Normenkontrolle (nach Art. 100 Abs. 1 GG) |
BvM | Überprüfung von Völkerrecht als Bundesrecht (nach Art. 100 Abs. 2 GG) |
BvN | Auslegung des Grundgesetzes nach landesverfassungsgerichtlicher Vorlage (nach Art. 100 Abs. 3 GG) |
BvO | Fortgeltung vorkonstitutionellen Rechts als Bundesrecht (nach Art. 126 GG) |
BvP | anderweitig zugewiesene Verfahren durch Bundesgesetz (nach Art. 93 Abs. 2 GG) |
BvQ | einstweilige Anordnungen (nach § 32 BVerfGG) |
BvR | Verfassungsbeschwerden (nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, 4b GG) |
BvT | Sonstige Verfahren |
PBvS | Beendigung des Richteramtes am BVerfG (nach § 105 BVerfGG) |
PBvU | Plenarentscheidung (nach § 16 BVerfGG) |
Kritik am Bundesverfassungsgericht
Das Auswahlverfahren der Richter, das von den politischen Parteien maßgeblich beeinflußt wird, führt nach Auffassung mancher Kritiker dazu, das die juristischen Fähigkeiten der einzelnen Richter höchst unterschiedlich ist. So war von der SPD ernstlich eine Ministerin für das Richteramt vorgesehen, die beide juristische Staatsexamen mit ausreichend bestanden hat und nur nach massiver Intervention durch das BVerfG selbst verhindert wurde, vor allem auch weil die Kandidatin in manchen Justizkreisen den Ruf hatte, beratungsresistent zu sein. Der Vorschlag, das mehr die obersten Bundesgerichte bei der Besetzung beteiligt werden, die die Karriereleiter durchlaufen mußten, konnte bisher nicht gesetzlich umgesetzt werden. eskraft
Desweiteren wird kritisiert, das Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden nicht angenommen werden, ohne eine einzige Begründung abzuliefern. Von einem höchsten Gericht sollte, wie von jeder Ortsbehörde gefordert, zumindest verlangt werden können, das es Bezug auf vorangegangene Entscheidungen nimmt oder eine kurze, wenn auch formelhafte Begründung abgibt.
Die Mißbrauchsgebühr führt dazu, das sozial Schwächere ohne Lobbygruppe kaum das Risiko eingehen, Verfassungsbeschwerde zu erheben, während das Gericht dadurch der Verfahrensflut von der von der Gesetzgebung betroffenen finanziell stärkeren Gruppen kaum Heer werden kann, mag ein Verfassungsverstoß noch so fernliegend sein. Dadurch gibt es im Bereich des Sozialrechts weniger Entscheidungen als im Steuer- und Unternehmensrecht. Die Mißbrauchsgebühr kann auch willkürlich und ohne Anhörung der Beschwerdeführer erhoben werden, was schon der Verfassung widerspricht.
Das Bundesverfassungsgericht geht manchmal Entscheidungen aus dem Weg. Als Beispiel wird die "Kopftuchentscheidung" genannt, die von allen Seiten als unbefriedigend und als aufschiebend betrachtet wurde. Das Gericht hat dem Gesetzgeber eine Einzelfallregelung aufgedrängt, die nach zur Gesetzesflut führen kann, obwohl eine Regelungsdichte wie vom gericht gefordert, nicht zwingend erforderlich war. In einem anderen Fall hat es eine Vorlage eines Gerichtes über das Wahlrecht eines Betreuten nicht angenommen, owohl dies von allgemeiner Bedeutung war. Die Meinung, das Vorlagegericht könne auch anders entscheiden, weil das BVerfG Gutachten anders interpretiert als das Fachgericht, stand auch nicht in der Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts.
Andererseits weitet es manchmal seine Kompetenz aus und wird häufig zum Ersatzgesetzgeber, obwohl diese Rolle nach der Verfassung dem gewählten Parlament und Bundesrat zugedacht ist. Anstatt sich auf erhebliche Überschreitungen und Willkür des Gesetzgebers zu beschränken, bringt es eigene soziale und politische Vorstellungen ein und bringt dem Gesetzgeber dezidierte Vorstellungen von Gerechtigkeit ein, die einmal schwer zu finanzieren sind und zum anderen Aufgaben der Politik sind. Da es für die Politik schwierig ist eine gerechte Ordnung zu schaffen, wird das Gericht von Verfahren zu kurz gekommener Gruppen überschwemmt, weil dem Gesetgeber häufig zu wenig politischen Ermessen eingeräumt wird, die Lebensumsände zu gestalten. Beispiele sind zum Beispiel die Steuerliche Absetzbarkeit von Wochenendheimfahrten oder die dezidierten Vorgaben im Medienrecht bei der Übertragung von Fußballspielen. Gerade im Eigentumsrecht sieht Art 14 Abs.1 GG eine weite Regelungskompetenz des Gesetzgebers vor, hier wird gefordert das BVerfG sollte sich auf die Ahndung krasser Fehlgriffe des Gesetzgebers beschränken.
Das Bundesverfassungsgericht übersieht manchmal die sozialen Konsequenzen seiner Entscheidung. Bei der "Wanzenentscheidung" über die Zwangseinweisung eines schizophren erkrankten Menschen, der Ärzte drohte umzubringen, weil sie ihm Wanzen eingesetzt hätten, sah es dessen sechswöchige Unterbringung in eine Psychiatrie als verfassungswidrig an, weil das Ausgangsgericht vorschnell die Eilbedürftigkeit angesehen hat. Es hat ohne juristisches Erfordernis eine "Freiheit zur Krankheit" konstatiert, dabei aber überhaupt die spannende Frage nicht erörtert, die Ärzte immer wieder aufwerfen, ob es der Menschenwürde entspricht, einen Menschen bei realen Behandlungsmöglichkeiten in einem Wahnzustand mit Foltercharacter zu belassen. Diese Entscheidung ist nun zur Richtschnur aller Vormundschaftsrichter geworden, weil sich niemand vorwerfen lassen will, Grundrechte zu verletzen. Viele Gerichte prüfen nunmehr erstmal gründlich und lassen Zeit vergehen, bis etwas Einschneidendes passiert, was im Einzelfall schon mal zum Tod des Betroffenen oder Dritter im Verfahren führen kann. Auch wurde ohne Not (die Haft zur Abschiebung hätte im entschiedenen Fall noch bis zum nächsten Tag andauern können) der Gesetzgeber verpflichtet, einen richterlichen Bereitschaftsdienst von Dienstschluß bis 21 Uhr zu schaffen. Dies hat zur Folge, das gewiefte Anwälte, Ausländerbehörden und Polizei schon mal versucht sind, eine einstweilige Verfügung, Abschiebung, Durchsuchung, psychiatrische Zwangseinweisung lieber beim überforderten Eildienstrichter anzubringen, als beim sonst zuständigen, ständig mit derartigen Sachen befassten Richter. Und warum ein Bereitschaftsdienst um 20 Uhr aber nicht um 22 Uhr vorhanden sein muß, ist fern jeder Logik.
Literatur
- Horst Säcker: Das Bundesverfassungsgericht. Bayerische Landeszentrale für politische Bildung, München 1990
- Stefan Korioth: Das Bundesverfassungsgericht. C.H. Beck, München 2004
Siehe auch
- Liste der Richter am Bundesverfassungsgericht
- Verfassungsgerichtshof
- Staatsgerichtshof
- Mephisto-Entscheidung
- Lüth-Urteil