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Tyrannis

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Der Begriff Tyrannis umschreibt eine Staatsform der antiken Griechen, die besonders im Zeitraum zwischen 600 v.Chr. und 300 v.Chr. vorkommt.

Begriffsgeschichte und Bedeutung des Tyrannis-Begriffs

Das Wort, das bei Homer noch nicht zu finden ist, ist wohl aus dem Lydischen (turannu) über Kleinasien nach Griechenland gekommen. Eine andere Tradition will die Wurzeln im tyrrhenischen Sprachraum verorten und bringt Tyrannos mit dem etruskischen turan (Herr) in Verbindung.

Ab Archilochos (19W=22D), einem griechischen Lyriker des 7. Jahrhunderts v.Chr., ist die Tyrannis im Griechischen belegt, meint da aber durchaus sachlich-neutral eine weite Herrschermacht. Offenbar wurde damit ein Phänomen zu beschreiben versucht, für das die Griechen noch keine adäquate Beschreibung besaßen.

Früh gesellt sich dann ein negativer Beiklang bei, das den Tyrannen als skrupellosen Machthaber, der die Macht widerrechtlich innehat und die geltende Polisordnung zerstört, schildert. In der unter dem Namen Theognis überlieferten Gedichtsammlung wird der Tyrann Exponent des Demos im Kampf gegen den Adel, der das Elend des Volkes für sich auszunutzen versucht und sich durch Aufruhr und Bürgerkrieg an die Macht bringt. Allerdings ist dies die eingeschränkte Perspektive eines an alten Traditionen und aristokratischen Idealen Festhaltenden, der den Veränderungen in der Poliswelt in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts feindselig gegenüberstand.

Die Bewertung der Tyrannis im 5. und 4. Jahrhundert v.Chr.

Thukydides (I, 13, 1) führt als erster wirtschaftliche Gründe an, die eine Tyrannis entstehen lässt: Demnach sei sie die Folge der höheren Einkünfte von Handel und Handwerk. Diese führen dazu, dass eine reiche, politisch benachteiligte Adelsschicht sich gegen den führenden Adel aufzulehnen beginnt.

Die Bewertung der Tyrannis wird bis heute aber vor allem von Aristoteles (Pol. 1305a, 7 ff.; 1310b, 12 ff.) bestimmt. Er legt den Maßstab der politischen Theorie und persönlicher Erlebnisse im 4. Jahrhundert v.Chr. an das Herrschaftsphänomen. Aus seiner Perspektive ist die Tyrannis eine absolute Herrschaft, die die überkommene Ordnung und die überkommenen Gesetze sprengt und allein dem persönlichen Willen des Herrschers gehorcht. Als schlechtestmögliche Regierungsform wird sie vom Königtum (Basileia), das auf der Grundlage der überkommenen Gesetze und Ordnung aufbaut und zum Nutzen der Untertanen ist, abgegrenzt. Gründe für die Entstehung sieht er im Auftreten der Hopliten, die die alte aristokratische in eine neue, von den Hopliten bestimmte Verfassung vorangetrieben haben.

Diese einerseits kritische – Tyrannis -, andererseits idealisierende - Basileia - Sichtweise hat als Hintergrund die Krise der Poliswelt im 4. Jahrhundert v.Chr. und die Erfahrungen mit der Jüngeren Tyrannis, auf die die Beschreibung zugeschnitten ist. Diese Herrscher stützten sich nach inneren, gewaltsamen Unruhen eines aufgestachelten Volkes auf ihre materielle Basis, auf Söldnertruppen und die Macht von Verbündeten – in der späten Ausformung etwa auf die hellenistischen Könige. Die Machtübernahme ging zudem mit der Vertreibung politischer Gegner aus der Polis in ein Exil einher. Sehr viel stärker sind hier maßlose Machtgier und das Streben nach einer absoluten Alleinherrschaft feststellbar.

Der idealtypisch gedachte Ablauf der Entstehung einer Tyrannis

Ausgangspunkt ist demnach eine innere Krise in einer Polis, die es einzelnen Adeligen ermöglicht, sich zum Fürsprecher des (sozial benachteiligten) Volkes zu machen. Während der volksverbundenen Regierung werden die Interessen breiterer Volksgruppen aufgegriffen, Zugeständnisse gemacht und Wohltaten vollbracht. Gerichtet ist die Herrschaft vor allem gegen die adeligen Konkurrenten innerhalb der Polis. Verliert der Alleinherrscher dann aber bei dem (in seiner Bedeutung) erstarkenden Volk die Basis, weil er sich außerhalb des Rahmens und der Normen der Polis stellt, und geht das Volk mit anderen Aristokraten zusammen, entwickelt sich aus dem Kampf um den Machterhalt der Tyrann: Er greift zu Willkürakten und Brutalität. Ein Angriff von außen oder eine Revolution innerhalb der Polis führen schließlich zum Tyrannensturz.

Betrachtet man Auftreten und Häufigkeit der Tyrannis im 6. und 5. Jahrhundert v.Chr., wird – im Gegensatz zur Jüngeren Tyrannis - allerdings kein allgemein griechisches Phänomen erkennbar. Bezüglich der insgesamt etwa 700 Poleis lassen sich lediglich 27 Tyrannenherrschaften nachweisen, die zudem über 150 Jahre verteilt sind. Die Tyrannenherrschaften sind eher ein Phänomen der größeren Poleis mit einer größeren Bürgerschaft und einer breiteren Oberschicht. Aus dieser Perspektive kann die die Ältere Tyrannis als Kampf von Adelsfraktionen in ihrer Konkurrenz um die begrenzten Führungspositionen in der Polis bewertet werden, bei dem es einzelnen herausragenden Persönlichkeiten gelang, sich längerfristig an die Spitze ihrer Bürgerschaft zu bringen. Dabei muss jeder einzelne Fall im Rahmen seiner Poliswelt separat betrachtet werden.

Repräsentanten der Älteren Tyrannis

Bedeutende Vertreter waren

Repräsentanten der Jüngeren Tyrannis

Bedeutende Vertreter waren


Heute werden selbstsüchtige Alleinherrschaften als autoritäres Regime oder totalitäre Diktatur bezeichnet.


Literatur

  • K.H. Kinzl (Hrsg.): Die Ältere Tyrannis bis zu den Perserkriegen. Beiträge zur Griechischen Tyrannis. Darmstadt 1979
  • Gehrke, Hans Joachim: Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v.Chr. München 1985
  • Murray, Oswyn: Das frühe Griechenland. München 1982
  • Ruschenbusch, Eberhard: Untersuchungen zu Staat und Politik in Griechenland vom 7.-4. Jahrhundert v.Chr. Bamberg 1978
  • Welwei, Karl-Wilhelm: Die griechische Polis. Stuttgart 1983

Siehe auch: Despotie