Stiftskirche St. Cyriakus (Gernrode)


Die Stiftskirche St. Cyriakus in Gernrode ist eines der bedeutendsten romanischen Architekturdenkmäler in Deutschland. Die Kirche, die erstmals 961 erwähnt ist, befindet sich aufgrund der Restaurierungen im 19. Jahrhundert heute weitgehend im Zustand des 10. Jahrhunderts, lediglich die Westapsis wurde um 1130 ergänzt. Heute ist die Kirche Pfarrkirche der evangelischen Kirchengemeinde Gernrode.
Gründung und Gründungsbau
Das Frauenstift Gernrode wurde 959 vom Markgrafen Gero gegründet. Gero war eine der Hauptstützen Kaiser Ottos I., die Burg Gernrode war einer von Geros Hauptsitzen. Zur Gründung des Stiftes führte, dass das Aussterben von Geros Familienlinie 959 absehbar war: Geros Sohn Siegfried, der als Mitgründer des Stiftes gilt, starb kinderlos in diesem Jahr, wahrscheinlich nach längerer Krankheit. Die Stiftung einer religiösen Frauengemeinschaft sollte durch andauerndes Gebetsgedenken für das Seelenheil Geros und seiner Söhne dienen (Memoria). Siegfrieds Witwe Hathui wurde von Gero als erste Äbtissin Gernrodes eingesetzt. Geros politischer Bedeutung und auch der Hathuis, die eine Nichte Königin Mathilde war, katapultierte die Neugründung in die Gruppe der wichtigsten Frauenstifte des Reiches, die von Verwandten des ottonischen Herrschergeschlechts geleiteten Stifte zu Gandersheim, Quedlinburg, und Essen. Bereits 961 erhielt das neugegründete Stift von Otto I. den Status eines Reichsstiftes.
Mit dem Bau der Kirche begann man wahrscheinlich bereits im Jahr der Stiftsgründung. Die Kirche war vermutlich zunächst den Stiftspatronen Maria und Petrus gewidmet. Nachdem sie jedoch eine Armreliquie des Hl. Cyriakus erhalten hatte, die Gero vermutlich bereits 950 in Rom zunächst für die von ihm gestiftete Abtei Frose erworben hatte, wurde dieser Heilige Patron von Stift und Kirche. Beim Tod Geros 965 war der Bau bereits so weit fertiggestellt, dass dieser an der herausragenden Stelle, nämlich in der Vierung, beigesetzt werden konnte.
Der Gründungsbau kann anhand der noch vorhandenen Bausubstanz weitgehend rekonstruiert werden. Er war eine kurze dreischiffige Basilika mit Stützenwechsel. Die Seitenschiffe enthielten Emporen. An das Langhaus schloss sich im Osten ein Querhaus an, das mit dem Mittelschiff eine Vierung bildete. An das Querhaus schlossen sich östlich Nebenapsiden den Querhausarmen an, sowie ein Chor mit Apsis. Unter dem Chorbereich befand sich eine Hallenkrypta, zu der Zugang durch zwei seitliche Stollen bestand. In der Westwand der Krypta bestand eine Confessio. Der Bau besaß ein Westwerk aus einem quadratischen Mittelturm, der westlich von runden Treppentürmen flankiert wurde. Östlich begleiteten den Mittelturm quadratische Flankenräume. In dem Westwerk und den Flankenräumen bestand eine Empore, von der auch der Zugang zu den Emporen in den Seitenschiffen erfolgte. Noch heute ist am Grundriss der Kirche zu erkennen, dass die Mittelachsen von Westwerk, Kirchenschiff und Ostteil verschoben sind, dieses wird darauf zurückgeführt, dass zunächst der Ostteil gebaut wurde, dann das Westwerk und erst zuletzt das Kirchenschiff, an dessen Stelle vermutlich eine provisorische Kirche stand, die das Ausfluchten verhinderte.
Die Erweiterung zur Doppelchoranlage
Im 12. Jahrhundert wurde die Kirche teilweise erheblich umgestaltet. Die optisch auffälligste Erweiterung war die Umgestaltung des Westwerks zu einem Westchor mit Westapsis und einer Westkrypta. Die Emporen der Seitenschiffe entfielen, als die Wände der Seitenschiffe erneuert wurden. Die Querhausarme wurden zur Vierung geöffnet, so dass ein durchlaufendes Querhaus entstand, die Querhausarme erhielten zudem Emporen. Das heilige Grab in der Mitte des südlichen Seitenschiffes wurde erneuert, zudem wurden der sich an die Kirche anschließende Flügel des Kreuzgangs in seiner noch heute bestehenden Form erbaut.
Spätere Baugeschichte bis zur Restaurierung
In den nördlichen Arm des Querhauses wurde in spätgotischer Zeit eine Schatzkammer eingebaut. Mit der Aufhebung des Stiftes 1616 begann die Kirche zu verfallen. In den Stiftsgebäuden residierten die Fürsten von Anhalt-Bernburg, die Kirche selbst diente als landwirtschaftliches Gebäude, zu diesem Zweck waren teilweise Fenster zugemauert worden. Die Apsiden waren von dem Gebäude abgemauert worden und hatten Zugänge von außen erhalten. Erst 1834 machte der Kunsthistoriker Franz Theodor Kugler auf den heruntergekommenen Bau aufmerksam. Als mittelalterlicher Bau fand die „neuentdeckte“ Kirche im Zeitalter des Historismus Beachtung, der Kunsthistoriker Ludwig Puttrich bewegte die Regierung Sachsen-Bernburgs dazu, weiteren Verfall zu verhindern und eine Restaurierung zu veranlassen.
Die Restaurierung durch Ferdinand von Quast
Für die Restaurierung der Stiftskirche beauftragte man einen ausgewiesenen Experten in der noch neuen Disziplin der Denkmalpflege, den preußischen „Konservator der Denkmäler“ Ferdinand von Quast. Die Restauration begann 1858. Von Quast untersuchte zunächst die vorhandene Bausubstanz, seine Aufzeichnungen erlauben es, die 1858 noch vorhandenen Teile des Ursprungsbaus und des romanischen Umbaus zu unterscheiden. Ferdinand von Quast bewahrte bei der Restaurierung weitgehend die originalen Bausubstanz. Die Emporen des Langhauses wurden wieder geöffnet, die Öffnungen in den Außenwänden der Apsiden wieder geschlossen und die Apsiden wieder zur Kirche hin geöffnet. Lediglich die Ausmalung der Kirche gestaltete von Quast nach seinen eigenen Vorstellungen, seine Pläne, die Stiftsklausur wieder aufzubauen und die Türme des Westbaus zu erhöhen, um so ein idealisiertes Mittelalter zu schaffen, wurden nicht umgesetzt. Die Restaurierung von Quasts hat wie die Kirche selbst den Status eines Denkmals.
Zwischen 1905 und 1907 wurden die Treppentürme des Westwerks erneuert.
Ausstattung

Von der reichen Austattung des ottonischen Baus haben sich nur geringe Reste erhalten, da diese 1616, als das Stift aufgelöst war, von den Reformierten entfernt wurde. Die karge Ausstattung der Reformierten ist ebenfalls nicht mehr vorhanden, die heutige Ausstattung ist im wesentlichen historistisch und wurde 1860/61 nach der Restaurierung geschaffen. Über die Zeit erhalten blieben lediglich einige Grabplatten von Äbtissinengräbern, die 1519 neu geschaffene Tumba des Stiftsgründers Gero sowie das Heilige Grab. Aufgrund erhaltener Quellen sowie Baubeobachtungen kann jedoch die liturgische Ausstattung um 1500 rekonstruiert werden.
Das „Heilige Grab“
Das Heilige Grab befindet sich im südlichen Seitenschiff. Die genaue Datierung ist umstritten, meim romanischen Umbau der Kirche war es jedenfalls bereits vorhanden. Es handelt sich um das älteste ehaltene Heilige Grab in Deutschland. Das Heilige Grab hatte eine wichtige Funktion in der Gernroder Stiftsliturgie während der Ostertage. Im Rahmen liturgischer Osterspiele, die für Gernrode aus einer erhaltenen Handschrift rekonstruiert werden konnten, aber auch aus anderen Frauenstiften wie Essen bekannt sind, wurde am Karfreitag der vom Kreuz genommene Corpus in den Sarkophag des Hl. Grabes gelegt, in der Auferstehungsliturgie des Ostersonntags wurde er dann wieder feierlich daraus hervorgeholt und den Gläubigen gezeigt.
Der gesamte Reliefschmuck des Heiligen Grabes bezieht sich auf das Thema der Grablegung und der Auferstehung. Die Öffnung in der Wand zum Mittelschiff bildete eine Wirkungsquelle, um die Heilswirkung der im Heiligen Grab geborgenen Reliquie, eines Dornes der Dornenkrone Christi, auf die im davor im Mittelschiff begrabenen Äbtissinnen ausstrahlen zu lassen. Ein Oculus in der Außenwand der Kirche erlaubte eine entsprechende Ausstrahlung in den Kreuzgang, wo die übrigen Würdenträger des Stifts begraben waren.
Die liturgische Einrichtung um 1500

Aus der Stiftsbibliothek sind ein Brevier des ausgehenden 15 Jahrhunderts sowie ein Prozessionale von 1502 erhalten. Diese erlauben eine komplette Rekonstruktion der liturgischen Einrichtung:
- Der Hauptaltar, gewidmet St. Cyriakus, mit dem Schrein der Cyriakus-Reliquie, stand in der östlichen Apsis.Nördlich davon stand das Sakramentshäuschen, davor das Gestühl der Stiftskanoniker, das von einer Schranke vom Rest der Kirche getrennt war.
- Die Ostkrypta enthielt einen Altar der 11.000 Jungfrauen der Ursulalegende. Die Verehrung dieser Heiligen dürfte entweder auf den Kontakt Geros mit Erzbischof Brun zurückzuführen sein oder auf die Verwandschaft Geros mit dem Erzbischof Gero von Köln.
- In der Vierung befand sich das Stiftergrab, das vermutlich durch eine Öffnung zur Krypta an der Heilswirkung der in der Confessio aufbewahrten Reliquie teilgenommen hatte. Um 1500 war diese Reliquie auf dem Hauptaltar, so dass die Fenestella und die Confessio vermauert waren.
- Im nördlichen Querhaus stand unten ein Marienaltar, in der oberen Etage befand sich ebenfalls ein Altar, da dort eine Piscina nachgewiesen ist. Westlich vor dem unbekannten Altar befand sich die Schatzkammer, die auch als Sakristei diente.
- Im unteren Geschoss des südlichen Querhauses stand der Altar des Heiligen Petrus. Auf der Empore darüber befand sich ein Michaelsaltar, vor dem sich das Hauptgestühl der Stiftsdamen befand.
- Im Triumphbogen zwischen Vierung und Kirchenschiff stand ein Kreuzaltar. Über diesem konnte durch Baubeobachtung die Existenz eines Triumphkreuzes nachgewiesen werden. Vor dem Triumphbogen befand sich die Grablege der Äbtissinnen, mit dem Grab Hathuis in der Mitte der ersten Reihe vor dem Kreuzaltar.
- Im Mittelschiff befand sich ferner ein Allerheiligenaltar, der über ein eigenes Altargestühl verfügte und vermutlich durch Schranken von der Kirche abgetrennt war. Vor der Westseite des Gestühls bestand noch genügend Platz, um durch die mittig angeordnete Treppe in die Westkrypta zu gelangen.
- Im Westchor befand sich der Altar des Metronus, der im späteren Mittelalter zum zweiten Patron der Stiftskirche geworden war. In der Krypta unter dem Westchor befand sich vermutlich der Reliquienschrein dieses Heiligen, möglicherweise auch noch ein weiterer Altar.
- Im nördlichen Seitenschiff befand sich am östlichen Ende der Altar der Hl. Katharina mit eigenem Gestühl, weiter westlich davon befand sich ein Bild des Heiligen Cyriakus.
- Im südlichen Seitenschiff befand sich das Heilige Grab mit dem symbolischen Sarkophag Christi. In der östlichen Vorkammer des heiligen Grabes stand ein Altar des Heiligen Agidius, vor der westlichen Schauseite des Heiligen Grabes ein Altar des Hl. Johannes des Evangelisten, der auch über ein eigenes Gestühl verfügte.
Liturgische Nutzung um 1500
Alltags und an gewöhnlichen Sonntagen
Die Stiftskirche war eine Prozessionskirche, das diversen Altäre und Orte wurden entsprechend dem Kirchenjahr aufgesucht und einbezogen. Die tägliche Hauptmesse wurde von einem Stiftskanoniker am Hauptaltar im Ostchor vollzogen, während sich die Stiftsdamen in ihrem Gestühl auf der südlichen Querhausempore befanden. Ein Sichtkontakt zwischen dem Geschehen am Hochaltar und den Damen bestand nicht, außer für die Singmeisterin, die ihren Platz auf der Empore neben dem Vierungspfeiler hatte. Auf der Empore verrichteten die Damen auch die üblichen Stundengebete, Vesper und Vigil. Der Michaelsaltar auf dieser Empore stand in keiner Beziehung zu diesem Chordienst des Stiftskapitel, Meßhandlungen an diesem fanden nicht in Gegenwart der Damen statt. An gewöhnlichen Sonntagen war der Hauptmesse eine Prozession der Damen vorgelagert, die durch den Kreuzgang erfolgte, wo eine Statio in der Marienkapelle erfolgte. Von dort zog der Konvent durch die westliche Verbindungstür der Kirche zum Kreuzgang in die Kirche ein, durch das Mittelschiff mit den Gräbern der Äbtissinnen und Geros, und über die Chortreppe auf die Empore.
An Festtagen
An besonderen Festtagen war der liturgische Ablauf weit farbiger und individueller gestaltet. Für jeden Feiertag war genau geregelt, welche Gruppe wann welche Handlung vollzog. Exemplarisch hierfür ist der Ablauf am Palmsonntag. Zur Prim befanden sich die Kanoniker im Hochchor, die Stiftsdamen auf der südlichen Querhausempore. Nach der Prim erhoben sich die Kanoniker aus ihrem Gestühl und zogen in Prozession über die Chortreppen ins Mittelschiff. Dort trafen sie auf die Prozession der Stiftsdamen, die über die Chortreppe ihre Empore verlassen hatten, und die den Kanonikern nun vor den Eingang des Heiligen Grabes folgten. Dort stellten sich die Stiftsdamen nach Osten gewendet auf und sangen ein Antiphon, während die Kleriker in das Heilige Grab eintraten. Dort nahmen die Kleriker das Gemmenkreuz mit der Dornreliquie auf und trugen es hinaus. Die Kleriker begaben sich mit dem Kreuz zum Kreuzaltar und stellten es dort auf. Nach dem Ende des Antiphons begaben sich auch die Damen zum Kreuzaltar, wo Kanoniker und Stiftsdamen gemeinsam einen Hymnus anstimmten. Nach diesem zogen der Damenkonvent wieder auf die Empore, um dort die Terz zu singen. Nach der Terz wurden vor der Schranke des Hauptchores die Palmzweige geweiht und vom Diakon an die Koanoniker und Stiftsdamen verteilt. Die Damen prozessierten mit den Zweigen durch die westliche Tür zum Kreuzgang, durch den Kreuzgang und wieder zuück in die Kirche vor den Kreuzaltar, zu dem sich inzwischen auch die Kanoniker begeben hatten. Es folgte ein Hymnus, danach begaben sich zuerst die Damen, dann die Kanoniker und zuletzt der Hebdomadar vor dem Kreuz zur Verehrung in Proskynese. Im Anschluss trugen Hebdomadar und Diakon das Kreuz vom Kreuzaltar zur Chorschranke, vor der es aufgestellt wurde. Alle Gruppen begaben sich dann in ihre Gestühle, um der Hauptmesse beizuwohnen. Nach der Vesper versammelten sich die Stiftsdamen im Gestühl des Katharinenaltars, die Kanoniker auf der Bank am Cyriakusbild westlich davon. Die Singmeisterin sang ein Antiphon, während Jesus Einzug in Jerusalem dargestellt wurde, indem ein Diakon und ein Subdiakon einen hölzernen Palmsonntagsesel aus dem Westteil der Kirche durch das Kirchenschiff zum Petersaltar unter der Stiftsdamenempore zogen. Anschließend begaben sich die Stiftsdamen und die Kanoniker in ihre üblichen Gestühle zur Komplet und begaben sich anschließend zu Bett.
Nutzungsgeschichte und heutige Nutzung

Die Kirche diente von der Gründung bis zur Auflösung des Stiftes 1616 dem Frauenstift Gernrode. Aufgrund dessen, dass die Äbtissin Elisabeth von Weida bereits 1521 sich der protestantischen Lehre Martin Luthers anschloss, war ist die Stiftskirche eine der ersten protestantischen Kirchen überhaupt. Das Frauenstift war von 1521 bis zur Auflösung evangelisch. Nach Auflösung des Stiftes diente die Kirche zeitweise einer reformierten Gemeinde, erst diese entfernte die mittelalterliche Ausstattung, später erfolgte eine Profanisierung, die Kirche diente unter anderem als Gerteidespeicher. Seit der Restaurierung ist die Stiftskirche Pfarrkirche der evangelischen Gemeinde St. Cyraikus Gernrode. Außer zu Gottesdiensten wird die Kirche auch für Konzerte genutzt, unter anderem wird das Osterspiel der Stiftliturgie alljährlich zu Ostern aufgeführt.
Die Kirche ist seit 1960 als Denkmal anerkannt und Bestandteil der Straße der Romanik.
Literatur
- Werner Jacobsen: Die Stiftskirche von Gernrode und ihre liturgische Ausstattung in: Essen und die sächsischen Frauenstifte im Frühmittelalter. Klartext Verlag, Essen 2003. ISBN 3-89861-238-4.
- Ulrich Knapp: Ottonische Architektur. Überlegungen zu einer Geschichte der Architektur während der Herrschaft der Ottonen. in: Klaus Gereon Beuckers, Johannes Cramer, Michael Imhof (Hrsg.), Die Ottonen. Kunst - Architektur - Geschichte, 2002, ISBN 3-93-252691-0.