Volksentscheid
Bei einem Volksentscheid entscheiden die stimmberechtigten Bürger in einer Abstimmung (lat. Referendum - Abstimmung durch eine Volksbefragung) über eine Verfassungs- oder Gesetzesänderung. Manchmal wird auch der Begriff "Plebiszit" synonym verwendet (lat. plebs = Menge, aber auch Pöbel und Bürgerstand), womit jedoch zumeist nur Volksentscheide gemeint sind, die von "oben", also von Präsident, Ministerpräsident usw. eingeleitet werden).
Kurzstatus auf: Volksgesetzgebung (enthält auch Information über Österreich)
Volksentscheide (Plebiszite) in der Römischen Republik
In der römischen Republik war ein Plebiszit (lateinisch „plebis scitum“, Beschluss des Bürgertums) ein Gesetz, das in der Comitia Tributa auf Antrag eines Tribuns (Rogatio) beschlossen wurde: "Plebiscitum est quod plebs plebeio magistratu interrogante, veluti Tribuno, constituebat." (Institutionen 1 tit.2 s4). "Dementsprechend", sagt Gaius (i.3), "erklärten Patrizier, sie seien an Plebiszite nicht gebunden, da sie ohne ihre Zustimmung (sine auctoritate eorum) zustande gekommen seien"; aber nachdem die Lex Hortensia (288 v. Chr.) beschlossen war, nach der Plebiszite das gesamte Populus – im weiteren Sinne des Wortes, als auch den Adel – binde, hatten sie die gleiche Kraft wie Leges (Livius viii.12; Aulus Gellius xv.27), waren sie den im bisherigen Gesetzgebungsverfahrenen getroffenen Beschlüssen gleichgestellt.
Als die Comitia Tributa auf das gleiche Stufe gestellt wurden wie die Comitia Centuriata, wurde der Begriff Lex dann auch auf Plebiszite angewandt, wurde Lex der allgemeine Begriff, der manchmal mit besonderen Bezeichnungen wie Lex Plebeivescitum, Lex sive Plebiscitum est versehen wurde, um seine gegebenenfalls plebiszitäre Herkunft zu verdeutlichen.
In seiner Aufzählung der römischen Rechtsquellen (Top. 5) erwähnt Cicero keine Plebiszite mehr, die er somit unzweifelhaft unter die Leges subsumiert. Viele Plebiszite werden dann als Leges zitiert, so wie die Lex Falcidia (Gaius, ii.227) und Lex Aquilia (Cicero, pro Tullio, 8.11). Auf den Tafeln von Heraclea erscheinen die Worte "lege plebivescito", um die gleiche Verordnung zu bezeichnen, und in der Lex Rubria steht die Phrase "ex lege Rubria sive id plebiscitum est" (Friedrich Carl von Savigny, Zeitschrift etc. Band ix S. 355).
Argumente zum Volksentscheid
Pro Volksentscheid
- Zufriedenheit: Plebiszite dienen der Autonomie der Bürger.
- Parteienabsolutismus lösen: Die Demokratie ist zur Zuschauerdemokratie geworden. Das Volk ist auf Akklamation bei Wahlen reduziert.
- Volksmeinung ungleich Politikermeinung: Viele Bürger fühlen sich von den Parteien unzulänglich vertreten.
- Festigung der Demokratie: Dem Lobbyismus einflussreicher Organisationen wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist weitaus schwieriger ein Volk zu beeinflussen als einzelne Personen.
- Gute Beispiele: Plebiszite werden in vielen Staaten erfolgreich praktiziert (z. B. Schweiz).
- Rechtskonformität: Plebiszite widersprechen nicht der Aussage des Grundgesetzes.
- Erzwingen von Themen: Das Volk kann durch eine Volksinitiative Themen erzwingen, die Politiker zu meiden suchen.
- Wechselhaftigkeit parlamentarischer Meinungen: Die Meinung des Volkes ist nicht so wechselhaft, wie wechselnde parlamentarische Mehrheiten.
- Bildung: Das politische Interesse und damit die politische Bildung wächst, da sich die Bürger mit bestimmten Themen auseinandersetzen müssen.
- Politische Reife: Das Volk kann selbst politisch sinnvoll agieren (z. B. friedliche Revolution in der DDR)
- Förderung von Interessenverbänden: Interessenverbände werden durch Plebiszite gefördert, da sie in der politischen Meinungsbildung normalerweise nur einen indirekten Einfluss haben. Sie können jedoch Plebiszite organisieren und damit direktdemokratische Politik betreiben.
Contra Volksentscheid
- Populismus: Das Volk ist unfähig, sinnvolle politische Entscheidungen zu treffen (emotionalisierter Unverstand, Populismus).
- Unwissenheit: Das Wissen für Entscheidungen fehlt vielen.
- Unmündigkeit: Der unmündige Bürger braucht einen Vormund.
- Egoismus: Das Volk ist nicht kompetent, sinnvolle politische Entscheidungen zu treffen.
- Aufgabe des Volks: Der Souverän, das Volk, hat nur die Aufgabe, seinen Herrscher zu bestimmen.
- Medienbeeinflussung: Entscheidungen werden durch Medien beeinflusst.
- Dauerauseinandersetzungen: Ständige politische Auseinandersetzungen werden hervorgerufen.
- Verantwortung: Dem Parlament gelingt eine Flucht aus der Verantwortung („Ihr habt es doch so gewollt!“). Gesetze werden über den plebiszitären Umweg gemacht, um die Verantwortung abzugeben.
- Pluralismus nicht repräsentiert: Plebiszite widersprechen der pluralistischen Gesellschaft (nur schwarz-weiß, ja-nein etc.)
- Abhängigkeit: Die Bürger sind auf Vereine bei der Durchführung von Plebisziten angewiesen und würden gerade durch demokratisch nicht legitimierte bevormundet.
- Minderheiten nicht berücksichtigt: Minderheitenmeinungen lassen sich im Volksentscheid nicht berücksichtigen
- Stimmungsdemokratie: Der Ausgang der Plebiszite ist abhängig von momentanen, manipulierbaren, wechselnden Gefühlslagen.
- Fehlende Beteiligung: Die Beteiligung an Volksabstimmungen, etwa in der Schweiz, ist bei unwichtigeren Fragen gering.
- Fehlende Alternative: Internationale Verträge (Beispiel EU-Verfassung) wurden unter den Regierungen ausgearbeitet nach dem Muster "für keinen ideal, aber für jeden tragbar". Dem Volk fehlt diese Kompromissbereitschaft.
- Abgeordnete können die Wahlberechtigten doch schon wählen, diese sind Qualifiziert für das Weiterleiten der Interessen des Volkes an das Parlament
- Aktive Minderheiten gewinnen den Volksentscheid, während die Meinungsmehrheit der Abstimmung fern bleibt.
Volksentscheide in Deutschland
In Deutschland ist der Volksentscheid auf Bundesebene, außer bei einer Neugliederung des Bundesgebietes, z. Zt. nicht vorgesehen. Auf Landesebene gibt es ihn jedoch in allen Bundesländern. Im kommunalen Bereich sind direkte Bürgerentscheide in allen Bundesländern, dank einer Volksabstimmung auf Landesebene auch in Berlin möglich.
In Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes heißt es, die Staatsgewalt werde vom Volke "in Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt. Volksabstimmungen auf Landes- und Bundesebene werden damit grundsätzlich auf die gleiche Stufe wie Wahlen gestellt. Für die tatsächliche Durchführung von Volksentscheiden auf Bundesebene müsste das Grundgesetz jedoch erneut geändert werden, da als Gesetzgeber bisher nur der Bundestag (zusammen mit dem Bundesrat) aufgeführt ist.
Auch nach dem Ersten Weltkrieg waren in manchen Gebieten Volksentscheide über den Verbleib der Gebiete bei Deutschland durchgeführt worden, deren Ergebnisse aber nicht immer umgesetzt werden konnten.
Volksentscheide in den USA
In den Vereinigten Staaten spielen Volksentscheide in den Rechtsordnungen einzelner Bundesstaaten, z.B. Kalifornien, eine große Rolle, leiden jedoch unter sehr geringer Beteiligung des Staatsvolkes an den Abstimmungen.
Volksentscheide in der Schweiz
Die Schweiz, als eine im stärkeren Maße direkte Demokratie mit repräsentativen und plebiszitären Merkmalen, verfügt über eine ausgesprochene Kultur von Volksentscheiden:
- Volksinitiative: Eine Anzahl Bürger verlangt mit ihrer Unterschrift eine Änderung der Verfassung oder eines Gesetzes, über die obligatorisch abgestimmt werden muss.
- Referendum: Eine obligatorische oder fakultative Volksabstimmung über ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz oder eine Verfassungsänderung.
- Petition: Eine Petition stellt einen Wunsch oder eine Anregung an die Behörden dar. Die Behörden sind lediglich dazu verpflichtet, die Begehren zur Kenntnis zu nehmen, sie sind jedoch weder verpflichtet die Petition zu behandeln noch dazu Stellung zu nehmen (was aber Praxis ist).
Siehe auch: Politisches System der Schweiz
Volksentscheide in anderen Staaten
In den meisten europäischen Ländern werden Volksentscheide mit Volksinitiative und Volksbegehren eingeleitet. Die zur Durchführung notwendigen Mindestbeteiligungen (so genannte Quoren) sind recht unterschiedlich geregelt, i. d. R. restriktiv, um den Missbrauch von Volksabstimmungen z. B. für Kampagnenpolitik zu verhindern. Prinzipiell möglich, wenngleich in den meisten Verfassungen nicht vorgesehen, wäre es auch, dass Parlamente dem Staatsvolk Einzelfragen zur Abstimmung geben (parlamentarisches Quorum).
Siehe auch: Diskussion, Liste politischer Konzepte